OGH 10ObS142/13z

OGH10ObS142/13z22.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Juni 2013, GZ 12 Rs 63/13s-54, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. April 2013, GZ 14 Cgs 316/10t-50, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der am 2. 3. 1960 geborene Kläger genießt (nunmehr) unbestritten Berufsschutz als gelernter Maurer. Aufgrund seines näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls scheidet sein Einsatz im typischen Berufsfeld des Maurers ebenso aus wie in anderen Bereichen des Baugewerbes. Mit seinem Leistungskalkül vereinbar ist jedoch die Tätigkeit als Kunden- oder Verkaufsberater im Baustoffhandel bzw in spezialisierten Abteilungen von Baumärkten. Es existieren bundesweit zumindest 100 solcher Arbeitsplätze.

Das Erstgericht wies die auf Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 6. 2010 gerichtete Klage ab. Es stützte seine Feststellung, dass das näher festgestellte medizinische Leistungskalkül des Klägers mit den Anforderungen in der Tätigkeit als Kunden- oder Verkaufsberater im Baustoffhandel bzw in spezialisierten Abteilungen von Baumärkten vereinbar seien, auf die entsprechenden Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht im Wesentlichen die Ansicht, die Berufsunfähigkeit des Klägers sei nicht nach § 273 ASVG sondern nach § 255 ASVG zu beurteilen. Der Kläger genieße Berufsschutz als gelernter Maurer. Er sei jedoch nicht invalid, weil sein Leistungskalkül ausreiche, um die Tätigkeit eines Kundenberaters im Baustoffhandel auszuführen. Das Oberlandesgericht Wien habe zwar in seiner Entscheidung 8 Rs 5/09b vom 16. 12. 2009 die Verweisbarkeit eines gelernten Maurers auf die Tätigkeit des Bauproduktefachberaters in Kombi-Märkten verneint, der Oberste Gerichtshof bejahe jedoch in ständiger Rechtsprechung die Zulässigkeit dieser Verweisung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens, weil die vom Kläger beantragte Ergänzung des berufskundlichen Sachverständigengutachtens ohnedies erfolgt sei. Das vom berufskundlichen Sachverständigen erzielte Ergebnis, dass der Kläger mit seinem festgestellten medizinischen Leistungskalkül den körperlichen Anforderungen an die Tätigkeit eines Kunden- oder Verkaufsberaters im Baustoffhandel gewachsen sei, stimme nicht nur mit der allgemeinen Lebenserfahrung überein, sondern stehe auch im Einklang mit den verschiedenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zugrunde liegenden Sachverhalten. So habe der Oberste Gerichtshof seiner Entscheidung 10 ObS 52/07f die Feststellung zugrunde gelegt, Baustoffabteilungen in Baumärkten seien meist mit mehreren Mitarbeiter/innen besetzt, sodass das Heben und Tragen nicht für alle erforderlich sei. Es könne davon ausgegangen werden, dass in einer Baustoffabteilung von sechs bis sieben Mitarbeitern jeweils etwa ein bis zwei von Trageleistungen entbunden seien oder entbunden werden könnten. Aus den vom Obersten Gerichtshof der Entscheidung 10 ObS 120/10k zugrunde gelegten Feststellungen ergebe sich, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit eines Baustofffachberaters in Misch- bzw Kombi-Märkten in der fachkundigen Beratung liege, wobei jeweils mehr als 100 Arbeitsplätze in der grundlegenden Erstberatung, der Spezialberatung und der Beratung im Außendienst bestehen und alle Berater auch Bestellungen aufnehmen sowie Lieferscheine und allenfalls auch Rechnungen erstellen (vgl auch den im erstinstanzlichen Verfahren, welches den Entscheidungen des Oberlandesgerichts Wien zu 8 Rs 5/09b bzw des Obersten Gerichtshofs zu 10 ObS 101/10s vorangegangen sei, festgestellten Sachverhalt, wonach Baustofffachverkäufer eine kaufmännische, körperlich leichte Tätigkeit im Sitzen im Büro als Angestellte ausüben).

Soweit der Kläger in seiner Tatsachen- und Beweisrüge die Richtigkeit der Feststellung des Erstgerichts bekämpfte, wonach die Tätigkeit als Kunden- oder Verkaufsberater im Baustoffhandel bzw in spezialisierten Abteilungen von Baumärkten mit seinem Leistungskalkül vereinbar sei, verwies das Berufungsgericht darauf, dass diese Feststellung zwar im Widerspruch zu dem in der Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien 8 Rs 5/09b zitierten berufskundlichen Gutachten stehe, die gegenteiligen Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen im vorliegenden Verfahren stünden jedoch nicht nur im Einklang mit der allgemeinen Lebenserfahrung sondern auch mit den in verschiedenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs wiedergegebenen Anforderungen im genannten Verweisungsberuf. Die Beweisrüge des Klägers sei daher ebenfalls nicht berechtigt.

Schließlich verwies das Berufungsgericht noch auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach zur Lösung der Rechtsfrage, auf welche Tätigkeiten ein Versicherter verwiesen werden dürfe, nicht nur Feststellungen zum medizinischen Leistungskalkül des Pensionswerbers, sondern auch zu den physischen und psychischen Anforderungen, die die Verweisungstätigkeiten stellen, erforderlich seien. Die Feststellung des Erstgerichts, dass die hier in Betracht kommende Verweisungstätigkeit als Kunden- oder Verkaufsberater im Baustoffhandel bzw in spezialisierten Abteilungen von Baumärkten mit dem näher festgestellten Leistungskalkül des Klägers vereinbar sei, sei ausreichend und impliziere, dass für diese Verweisungstätigkeit ein Leistungskalkül erforderlich sei, welches jedenfalls nicht über das - dem berufskundlichen Sachverständigen bekannte - Leistungskalkül des Klägers hinausgehe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob die bloße Feststellung, mit dem Leistungskalkül des Klägers sei eine bestimmte Verweisungstätigkeit vereinbar, ohne dass detaillierte Feststellungen zu den physischen und psychischen Anforderungen der Tätigkeit getroffen werden, eine divergierende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege und daher eine Klarstellung geboten erscheine.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Der Kläger vermisst weiterhin ausdrückliche Feststellungen und Ausführungen der Vorinstanzen darüber, welche Anforderungen mit der Verweisungstätigkeit des Kunden- oder Verkaufsberaters im Baustoffhandel bzw in spezialisierten Abteilungen von Baumärkten verbunden seien. Eine Beantwortung der Frage, ob mit dem festgestellten Leistungskalkül die physischen oder psychischen Anforderungen der Verweisungstätigkeit noch vereinbar seien, sei daher nicht möglich. Das Gericht hätte im Hinblick auf die zu den Ergebnissen im Verfahren 8 Rs 5/09b des Oberlandesgerichts Wien aufgetretenen Widersprüche eine (weitere) Ergänzung oder Erörterung des Gutachtens des berufskundlichen Sachverständigen durchführen müssen.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, auf welche Tätigkeiten ein Versicherter verwiesen werden darf, eine Rechtsfrage darstellt. Dazu ist zunächst ein medizinisches Leistungskalkül zu erheben. Sodann ist unter Beachtung der Ergebnisse dieses Leistungskalküls das Verweisungsfeld zu prüfen und es sind die damit verbundenen Anforderungen in möglichst detaillierter Form festzustellen. Durch Vergleich des medizinischen Leistungskalküls mit den Feststellungen über die psychischen und physischen Anforderungen, die die Verweisungstätigkeiten stellen, ist sodann die Frage zu lösen, ob der Versicherte im Hinblick auf die Ergebnisse des medizinischen Leistungskalküls zur Verrichtung der in Frage kommenden Verweisungstätigkeiten in der Lage ist (10 ObS 323/02a, SSV-NF 16/123 mwN ua; RIS-Justiz RS0043194, RS0084413).

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats kann es sich auch bei den Anforderungen in Verweisungsberufen, die weitgehend vor den Augen der Öffentlichkeit ausgeübt werden, vor allem in Hinblick auf gleichartige, dem Gericht bereits bekannte Fälle um offenkundige Tatsachen handeln (10 ObS 180/10h, SSV-NF 25/14 mwN). Sind aber die Anforderungen in den Verweisungsberufen offenkundig, dann bedarf es der vom Kläger in diesem Zusammenhang geforderten Feststellungen nicht (vgl 10 ObS 253/88, SSV-NF 2/109; 10 ObS 172/88, SSV-NF 2/77 ua).

3. Im vorliegenden Fall legte das Erstgericht seiner Feststellung, dass die Verweisungstätigkeit als Kunden- oder Verkaufsberater im Baustoffhandel bzw in spezialisierten Abteilungen von Baumärkten mit dem näher festgestellten medizinischen Leistungskalkül des Klägers vereinbar sei, das Gutachten eines Sachverständigen für Berufskunde zugrunde. Das Berufungsgericht übernahm diese Feststellung unter weiterem Hinweis auf die allgemeine Lebenserfahrung und die verschiedenen einschlägigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zugrunde liegenden Sachverhalte als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung des Erstgerichts und folgte insbesondere nicht den davon abweichenden Ausführungen der im Verfahren 8 Rs 5/09b des Oberlandesgerichts Wien tätig gewesenen berufskundlichen Sachverständigen.

4. Soweit der Kläger nunmehr in seiner Revision unter Hinweis auf diese Ausführungen der beiden Sachverständigen im Verfahren 8 Rs 5/09b des Oberlandesgerichts Wien die Richtigkeit der vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommenen Feststellungen des Erstgerichts neuerlich bekämpft, bekämpft er im Ergebnis in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Die Feststellung des medizinischen Leistungskalküls und der Anforderungen in den Verweisungsberufen gehört ebenso wie die Feststellung, welche Tätigkeiten der Versicherte aufgrund seines Leidenszustands noch verrichten kann, ausschließlich dem Tatsachenbereich an (vgl 10 ObS 21/04t, SSV-NF 18/21 ua; RIS-Justiz RS0043118). Die Feststellung oder Nichtfeststellung von bestimmten Tatsachen resultiert nämlich aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann. Es ist ebenso eine Frage der Beweiswürdigung, ob ein Sachverständigengutachten erschöpfend ist und die getroffenen Feststellungen rechtfertigt (10 ObS 51/92, SSV-NF 6/28 mwN). Soweit der Kläger den Standpunkt vertritt, dass er nicht in der Lage sei, die festgestellte Verweisungstätigkeit zu verrichten, bzw diese Frage nicht hinreichend geklärt sei, geht er somit nicht von den im Revisionsverfahren bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen aus (vgl 10 ObS 37/03v ua).

5. Auch die weitere Rechtsansicht der Vorinstanzen, der Kläger, der überwiegend den erlernten Beruf eines Maurers ausgeübt hat, könne auf die Tätigkeit eines Kunden- oder Verkaufsberaters im Baustoffhandel bzw in spezialisierten Abteilungen von Baumärkten verwiesen werden, steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats in vergleichbaren Fällen (vgl zuletzt 10 ObS 101/10s, SSV-NF 25/51; 10 ObS 132/10z; 10 ObS 114/10b mwN ua).

Die Revision des Klägers ist daher mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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