OGH 10ObS51/92

OGH10ObS51/9210.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Pulkrab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Zivorad S*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Franz J. Salzer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. September 1991, GZ 34 Rs 117/91-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Jänner 1991, GZ 14 Cgs 172/89-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 7. Jänner 1939 in Jugoslawien geborene Kläger hat keine Berufsausbildung abgeschlossen. In Österreich war er in den letzten 15 Jahren immer als Bauhilfsarbeiter beschäftigt. Nach seinem medizinischen Leistungskalkül kann er alle leichten und mittelschweren Arbeiten in jeder Lage, bei normalen Arbeitszeiten mit den üblichen Unterbrechungen leisten. Ausgeschlossen sind nur Tätigkeiten, die mit gehäuftem Bücken verbunden sind (mehr als fünfmal pro Stunde), Arbeiten, die eine Feinmanipulation der Finger erfordern, sowie Akkord- und Bandarbeiten. Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 26. Juli 1989 wurde der Antrag des Klägers vom 6. Juni 1989 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension abgelehnt, da er nicht invalid sei.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Juli 1989 gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch auf mehrere Hilfsarbeiterberufe verweisbar sei wie z.B. Portier, Verpacker, Kontrollarbeiter oder Museumsaufseher. Diese Berufe seien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl vorhanden, wobei außer Betracht bleiben müsse, ob Stellen frei oder besetzt seien. Da dem Kläger die genannten Verweisungstätigkeiten vollschichtig möglich seien, gelte er nicht als invalid im Sinne des § 255 (Abs. 3) ASVG. Die Anwendung des § 255 Abs. 4 ASVG scheide aus, weil der Kläger das 55. Lebensjahr noch nicht erreicht habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen des geltend gemachten Verfahrensmangels, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung. Für die Invalidität gemäß § 255 ASVG sei der körperliche und geistige Zustand des Versicherten maßgebend. Ob er für die genannten Verweisungstätigkeiten eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz bekommen könne, sei daher nicht von Bedeutung. Da der Kläger alle vom Erstgericht beispielsweise angeführten Verweisungstätigkeiten ohne Einschränkungen inhaltlicher oder zeitlicher Art zu verrichten in der Lage sei, könne er auch ein Einkommen in der Höhe des kollektivvertraglichen Lohnes oder Gehaltes erzielen. Ob er im Verweisungsberuf auch tatsächlich einen Dienstposten finden werde, sei rechtlich ohne Bedeutung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens

(§ 502 Z 2 ZPO) liegt nicht vor. Der Kläger macht einen Mangel

des Verfahrens erster Instanz geltend, nämlich die

Nichtberücksichtigung von vorgelegten Urkunden jugoslawischer

Behörden samt dazugehörigen ärztlichen Befunden und Gutachten bei

der Feststellung des Leistungskalküls. Dieser Mangel wurde vom

Berufungsgericht mit ausführlicher Begründung nicht für gegeben

erachtet. Ein solcher Mangel kann nach ständiger Rechtsprechung

des erkennenden Senates (SSV-NF 1/32 = SZ 60/197;

SSV-NF 3/115 = JBl. 1990, 535 = SZ 62/157 uva, zuletzt

10 Ob S 267/91 = SSV-NF 5/116 - in Druck - unter Ablehnung der

Kritik Hoyers in JBl. 1991, 448) mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden. Es trifft auch nicht zu, daß das Berufungsgericht eine (unzulässige) vorgreifende Beweiswürdigung vorgenommen hätte. Die Frage, ob ein Sachverständigengutachten die getroffenen Feststellungen rechtfertigt, gehört ebenso in das Gebiet der irrevisiblen Beweiswürdigung wie die Frage, ob außer dem bereits vorliegenden ein weiteres Gutachten oder noch andere Kontrollbeweise zu demselben Beweisthema aufzunehmen gewesen wären (SSV-NF 3/160; Fasching ZPR2 Rz 1910). Die Revisionsausführungen, wonach sich das Berufungsgericht zur Kontrolle der gerichtsärztlichen Gutachten mit den Befunden und Gutachten jugoslawischer Behörden oder Ärzte auseinandersetzen hätte müssen, stellen inhaltlich eine im Revisionsverfahren nicht mögliche Bekämpfung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen dar.

In seiner Rechtsrüge verweist der Revisionswerber darauf, daß er Ausländer sei und als solcher nach den für die Beschäftigung von Ausländern in Geltung stehenden Rechtsvorschriften keine Möglichkeit habe, in einem der aufgezeigten Verweisungsberufe eine Beschäftigung zu erhalten und zwar ungeachtet des Umstandes, ob entsprechende Arbeitsmöglichkeiten bestünden. Daß er Ausländer sei, gehöre zu seiner persönlichen Eigenart. Seine Unfähigkeit auf dem - legalen - Arbeitsmarkt Beschäftigung zu finden, beruhe auf eben dieser Eigenart, weshalb ihm die Leistungen aus der Pensionsversicherung zu erbringen seien. Es gehe nicht an, von ausländischen Arbeitskräften in gleicher Weise wie von Inländern Beiträge zur Sozialversicherung einzuheben, dann aber den Ausländer gegenüber Inländern schlechter zu stellen, indem man ihn vom inländischen Arbeitsmarkt praktisch ausschließe.

Diese Ausführungen verkennen das Wesen der gesetzlichen Pensionsversicherung. Rechtsquelle für die Bestimmung der Invalidität des Klägers ist § 255 Abs. 3 ASVG. Danach gilt ein Versicherter, der nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war, als invalid, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Daraus folgt, zB. daß ein in der Pensionsversicherung der Arbeiter Versicherter, dessen Arbeitsfähigkeit von vornherein etwa auf Grund eines angeborenen oder vor Eintritt in das Erwerbsleben erworbenen Leidens oder Gebrechens so stark herabgesetzt war, daß sie nicht mindestens die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten erreichte, überhaupt nicht invalid im Sinn des § 255 ASVG werden kann. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit setzt vielmehr voraus, daß sich der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten nach dem Beginn seiner Erwerbstätigkeit in einem für die Arbeitsfähigkeit wesentlichen Ausmaß verschlechtert hat (SSV-NF 1/67 ua). Die Ursache für die Verschlechterung (Minderung) der Arbeitsfähigkeit muß der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten sein. Umstände, die zwar eine geminderte Arbeitsfähigkeit zur Folge haben oder einen Beitrag zu einer solchen leisten, mit dem Gesundheitszustand des Versicherten aber nichts zu tun haben, führen also nicht zur Invalidität. "Infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes" bedeutet dabei infolge Krankheit, infolge Gebrechen oder infolge gewisser Abnützungserscheinungen. Nur in diesem Sinn sind die Aussagen zu verstehen, daß es darauf ankommt, ob die Fähigkeit zum Erwerb durch Umstände gemindert ist, die auf der persönlichen Eigenart des Menschen beruhen (so die vom Revisionswerber zitierten Entscheidungen SSV-NF 2/5 und 2/14). Keine Invalidität liegt daher vor, wenn nicht der Gesundheitszustand des Versicherten kausal für die verminderte Arbeitsfähigkeit ist, sondern dafür andere Gründe maßgebend sind, z. B. der Entzug des Führerscheins bei einem Berufskraftfahrer, aber auch die Nichterteilung der für die Beschäftigung von Ausländern erforderlichen behördlichen Genehmigungen (so zutreffend Wachter ZAS 1989, 18).

Im übrigen trifft es nicht zu, daß der Kläger als Ausländer vom gesamten österreichischen Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre. Zwar darf ein Arbeitgeber grundsätzlich einen Ausländer nur beschäftigen und ein Ausländer grundsätzlich eine Beschäftigung nur antreten und ausüben, wenn für ihn eine Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde oder wenn der Ausländer eine für diese Beschäftigung gültige Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein besitzt (§ 3 Abs. 1 und 2 AuslBG). Nach § 4 Abs. 1 AuslBG ist aber eine Beschäftigungsbewilligung zu erteilen, wenn die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zuläßt und wichtige öffentliche oder gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen. Nach § 14a AuslBG ist einem Ausländer auf Antrag eine Arbeitserlaubnis auszustellen, wenn er in den letzten 14 Monaten insgesamt 52 Wochen gemäß diesem Gesetz beschäftigt war. Schließlich ist nach § 15 AuslBG einem Ausländer auf Antrag ein Befreiungsschein auszustellen, wenn der Ausländer während der letzten 8 Jahre vom Zeitpunkt der Antragseinbringung zurückgerechnet mindestens 5 Jahre in Österreich nach diesem Gesetz beschäftigt war, oder der Ausländer mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet ist und seinen Wohnsitz im Bundesgebiet hat. Der Befreiungsschein ist jeweils für 5 Jahre auszustellen; eine Verlängerung ist möglich (§§ 15 Abs. 5, 15a AuslBG). Es entspricht also keinesfalls der Rechtslage, daß ein Ausländer ausschließlich auf den illegalen Arbeitsmarkt verwiesen werden müßte. Würde aber einem Versicherten im Einzelfall eine Beschäftigungsbewilligung, eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein nicht erteilt, so wäre dies ein Risiko, das die gesetzliche Pensionsversicherung nicht abdeckt. Ein solcher Ausländer ist nicht anders zu behandeln als ein Inländer, der auf Grund der Arbeitsmarktsituation keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen kann. Das Fehlen der österreichischen Staatsbürgerschaft ist daher kein Hindernis einer Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Die in § 255 Abs. 3 ASVG enthaltene Zumutbarkeitsformel soll, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (SSV-NF 2/34, 2/50 ua), die Verweisung auf Tätigkeiten verhindern, zu denen der Versicherte zwar imstande wäre, die ihm aber unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr zumutbar wären. Ein solcher Fall liegt jedoch hier nicht vor. Der Hinweis des Revisionswerbers, eine illegale Beschäftigung genieße ein wesentlich geringeres Ansehen als eine legale Betätigung, ist nicht zielführend, weil der Kläger nicht auf illegale Beschäftigungen verwiesen wurde. Die Vorinstanzen haben vielmehr zutreffend erkannt, daß der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätspension nicht erfüllt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG. Da der Kläger durch einen im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt vertreten ist, wird er mit Kosten des Revisionsverfahrens nicht belastet, sodaß zu einem Kostenzuspruch nach Billigkeit schon deshalb kein Anlaß besteht (SSV-NF 1/19, 2/26, 2/27 uva).

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