European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00070.23A.0822.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die 1974 geborene Klägerin hat den Beruf der Typografikerin erlernt und bislang 382 Versicherungsmonate erworben. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. November 2021) übte sie zunächst (ab September 2003) bis Dezember 2009 eine selbständige Tätigkeit aus. Daran anschließend war sie bis 14. Juli 2014 als Angestellte tätig und hat in dieser Zeit insgesamt 54 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben. Ab diesem Zeitpunkt ging sie keiner Beschäftigung mehr nach und bezog Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe.
[2] Mit Bescheid vom 2. Mai 2022 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension mangels dauerhaft bestehender Berufsunfähigkeit ab.
[3] Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin, ihr ab 1. November 2021 eine Berufsunfähigkeitspension zu gewähren, ab und stellte fest, dass ab 1. November 2021 vorübergehende Berufsunfähigkeit von voraussichtlich mindestens sechs Monaten vorliege und kein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe. Für die Dauer der vorübergehenden Berufsunfähigkeit habe die Klägerin Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation und Rehabilitationsgeld. Die Klägerin genieße keinen Berufsschutz, weil sie unter Außerachtlassung der Zeiten ihrer selbständigen Tätigkeit im Beobachtungszeitraum nicht zumindest 90 Monate lang qualifizierte Tätigkeiten iSd § 273 Abs 1 ASVG ausgeübt habe. Sie sei aufgrund ihrer psychischen Beeinträchtigungen zwar nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Bei Behandlung ihrer Leiden sei jedoch eine Besserung ihres Zustands zu erwarten.
[4] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts.
Rechtliche Beurteilung
[5] In ihrer außerordentlichen Revision macht die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO geltend.
[6] 1. Nach ständiger Rechtsprechung können vom Berufungsgericht verneinte Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963). Das gilt uneingeschränkt auch im sozialgerichtlichen Verfahren (RS0043061).
[7] Die in der Revision (erkennbar) angesprochene Ausnahme von diesem Grundsatz liegt nur dann vor, wenn das Gericht zweiter Instanz einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht wahrgenommen hat (RS0043051), etwa weil es die Behandlung einer Mängelrüge wegen vermeintlicher rechtlicher Unerheblichkeit des geltend gemachten Mangels unterließ (RS0043051 [T5]). Die in diesem Sinn ergangenen Entscheidungen beziehen sich jedoch nicht auf den Fall, dass das zweitinstanzliche Gericht einen Verfahrensmangel – wie hier – nach ausdrücklicher Prüfung verneint hat, unterläge ansonsten doch jede zweitinstanzliche Entscheidung über eine Mängelrüge der Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof (RS0043051 [T4]).
[8] 2. Der behauptete Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens wegen eines Verstoßes gegen die Pflichten des § 87 Abs 1 ASGG wurde in der Berufung nicht geltend gemacht und kann daher in der Revision nicht mehr nachgetragen werden (RS0043111; RS0074223).
[9] 3. Die von der Klägerin als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens angesprochene Beurteilung, ob ein Sachverständigengutachten die getroffenen Feststellungen rechtfertigt (RS0043163) oder ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll (RS0043320), fällt ebenso in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung wie die Frage, ob der Sachverständige über das notwendige Fachwissen verfügt (RS0040586 [T4]; RS0043235 [T13]).
[10] 4. Es trifft zu, dass ein Versicherter nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden darf, durch die er den Berufsschutz nach § 273 ASVG verlieren würde (RS0083742; RS0084837). Die Frage des Erhalts des Berufsschutzes stellt sich jedoch erst, wenn ein solcher zuvor erworben wurde (RS0116791 [T1]). Hier kommt ein Berufsschutz schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin im Beobachtungszeitraum nur 54 pensionsrelevante Versicherungsmonate nach dem ASVG aufzuweisen hat. Dass dabei nur Zeiten einer unselbständigen Tätigkeit zählen, Zeiten einer selbständigen Tätigkeit nach dem GSVG hingegen außer Betracht bleiben, entspricht der bereits von den Vorinstanzen zitierten ständigen Rechtsprechung (RS0128674; RS0129026). Feststellungen zur Frage, welche Tätigkeiten berufsschutzerhaltend wären und ob sich das medizinische Leistungskalkül der Klägerin soweit bessern kann, dass ihr die Ausübung solcher Tätigkeiten möglich ist, bedarf es daher nicht.
[11] 5. Insgesamt wird somit keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt, weshalb die außerordentliche Revision zurückzuweisen ist.
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