OGH 10ObS22/21i

OGH10ObS22/21i22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 2020, GZ 12 Rs 85/20 m‑13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 10. September 2020, GZ 6 Cgs 50/20a‑7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132249

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei nach dem verstorbenen Ehegatten M* eine monatliche Witwenpension von 1.821,69 EUR brutto ab 23. Jänner 2020 zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei eine höhere Witwenpension ab 23. Jänner 2020 zu zahlen, wird abgewiesen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 702,67 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens (darin 117,11 EUR USt) binnen 14 Tagen zu erstatten.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 609,67 EUR (darin 101,61 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit  418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der frühere Ehegatte der Klägerin, M*, verstarb am 22. 1. 2020. Strittig im Verfahren ist die Höhe der der Klägerin dem Grunde nach unstrittig ab 23. 1. 2020 gebührenden Witwenpension.

[2] Die Ehe zwischen dem Verstorbenen und der Klägerin wurde mit Urteil des Bezirksgerichts L* vom 22. 7. 2004 aus dem überwiegenden Verschulden des Verstorbenen gemäß § 49 EheG geschieden. Mit gerichtlichem Vergleich vom 15. 7. 2005 verpflichtete sich der Verstorbene gegenüber der Klägerin zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 1.500 EUR ab 1. 7. 2005.

[3] In der Folge wurde der Verstorbene mit Urteil des Bezirksgerichts L* vom 21. 5. 2008 zur Zahlung eines Unterhalts von monatlich 2.314,50 EUR ab 1. 1. 2008 verpflichtet. Basis dieses Urteils war ein Monatsverdienst des Verstorbenen von durchschnittlich 7.618,64 EUR im Jahr 2006 und 7.014,57 EUR im Jahr 2007.

[4] Da der Verstorbene seiner Zahlungspflicht nicht nachkam, führte die Klägerin gegen ihn Exekution. „In diesem Exekutionsverfahren berechnete die beklagte Partei [als] Drittschuldnerin … den vom Leistungsbezug des nunmehr Verstorbenen zugunsten der Klägerin abzuziehenden Betrag mit EUR 1.015,64 pro Monat.“

[5] Ab 1. 1. 2010 hatte der Verstorbene Anspruch auf eine Pensionsleistung der Beklagten von monatlich brutto 3.036,16 EUR (netto: 2.159,58 EUR). Zusätzlich bezog er eine Rente aus der Deutschen Rentenversicherung von monatlich 409,38 EUR und eine private Pensionszahlung der V* AG von monatlich 273,54 EUR. Eine Unterhaltsherabsetzung, insbesondere nach der Pensionierung, wurde vom Verstorbenen nie betrieben.

[6] Mit Bescheid vom 12. 3. 2020 anerkannte die Beklagte ab 23. 1. 2020 den Anspruch der Klägerin auf Witwenpension nach dem Verstorbenen. Sie bestimmte die Höhe der Pension mit monatlich 1.015,64 EUR.

[7] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Witwenpension ab 23. 1. 2020 in Höhe von monatlich 2.849,52 EUR. Dieser Anspruch ergebe sich aus dem maßgeblichen Unterhaltstitel vom 21. 5. 2008. Der Unterhaltsanspruch sei gemäß § 108 Abs 4 ASVG aufzuwerten.

[8] Die Beklagte wandte ein, dass die Klägerin im Exekutionsverfahren nur mehr einen laufenden Unterhalt von 1.015,64 EUR monatlich geltend gemacht habe; sie habe angegeben, dass sich „die Unterhaltszahlung zum Teil durch eine Einkommensverminderung des Verpflichteten reduziert“ habe. Dem Unterhaltspflichtigen sei im Exekutionsverfahren von der Beklagten mitgeteilt worden, dass „aufgrund der vorliegenden Exekutionsbewilligung ein monatlicher Betrag von 1.015,64 EUR zugunsten der Unterhaltsberechtigten“ von der Pension abgezogen werde. Jeder Unterhaltsverpflichtung wohne die Umstandsklausel inne, die auch im vorliegenden Fall aufgrund des seinerzeit höheren Arbeitseinkommens des Verstorbenen ab 1. 6. 2007 einen höheren Unterhaltsanspruch ergeben hätte. Durch die Pensionszuerkennung habe sich das Einkommen des Verstorbenen deutlich vermindert. Dementsprechend sei auch nur über einen Unterhaltsanspruch von 1.015,64 EUR ab 1. 8. 2016 Exekution geführt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Verstorbene Anspruch auf eine Bruttopension von 2.855,11 EUR und eine deutsche Rente von 377,18 EUR, gesamt 3.232,29 EUR gehabt. 33 % dieses Betrags für die Unterhaltsberechnung entspreche „relativ genau“ dem in Exekution gezogenen Betrag von 1.015,64 EUR. Maßgeblich sei der Anspruch der Klägerin im Todeszeitpunkt des Unterhaltspflichtigen. Die Klägerin habe nur Anspruch auf den in Exekution gezogenen Betrag von 1.015,64 EUR monatlich gehabt.

[9] Das Erstgericht stellte fest, dass die Witwenpension der Klägerin ab 23. 1. 2020 monatlich 2.849,52 EUR brutto betrage. Maßgeblich sei der Unterhaltstitel vom 21. 5. 2008. Der Verstorbene habe keinen Antrag auf Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung gestellt. Der Anspruch der Klägerin sei gemäß § 108 Abs 4 ASVG aufzuwerten.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin beginnend mit 23. 1. 2020 eine Witwenpension in Höhe von 1.015,64 EUR monatlich zu zahlen. Gemäß § 258 Abs 4 lit a ASVG komme es auf den Anspruch der Klägerin auf Unterhalt gegenüber dem Verstorbenen im Todeszeitpunkt an. Hier sei zwar der Unterhaltstitel bestehen geblieben, woran auch die Exekutionsführung der Klägerin nichts geändert habe. Da die Klägerin jedoch im Exekutionsantrag ausdrücklich ausgeführt habe, die Unterhaltsverpflichtung habe sich zum Teil durch eine Einkommensverminderung des Verpflichteten reduziert, habe sie ihren Willen zum Ausdruck gebracht, diese Anpassung an die geänderten Verhältnisse zu akzeptieren. Dies zeige sich auch daran, dass die Klägerin dieses Verhalten fast vier Jahre von 2016 bis 2020 beibehalten habe. Die Klägerin habe damit erklärt, teilweise auf den titelmäßigen Unterhaltsanspruch zu verzichten. Diese Willenserklärung sei nicht nur gegenüber dem Exekutionsgericht, sondern – durch Zustellung der Exekutionsbewilligung (wovon die Klägerin auch gewusst habe) – auch gegenüber dem Verstorbenen als Schuldner im Exekutionsverfahren abgegeben worden. Der durch die Klage außer Kraft getretene Bescheid sei daher wiederherzustellen gewesen. Darüber hinaus sei die Witwenpension der Klägerin der Höhe nach maximal mit 60 % der vom Verstorbenen bezogenen Pension in Höhe von 3.036,60 EUR, daher mit einem Betrag von 1.821,80 EUR begrenzt. Die von der Klägerin begehrte Aufwertung für den Zeitraum 2008 bis 2020 habe keine Grundlage im Gesetz. Die Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie die Stattgebung des Klagebegehrens anstrebt.

[12] In der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Zurück‑, hilfsweise die Abweisung der Revision.

[13] Die Revision ist zulässig und teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[14] 1.1 Die Revisionswerberin macht unter anderem geltend, dass die Beklagte einen Verzicht der Klägerin auf einen Teil des Unterhaltsanspruchs gar nicht behauptet habe. Dem kommt Berechtigung zu:

[15] 1.2 Die Witwenpension gebührt – nach Maßgabe der Abs 1 bis 3 des § 258 ASVG – gemäß § 258 Abs 4 Z 1 lit a ASVG ua auch der Frau, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden worden ist, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) aufgrund eines gerichtlichen Urteils zu leisten hatte. Der Anspruch auf Witwenpension nach dieser Bestimmung hängt also nicht von dem zur Zeit des Todes des Versicherten tatsächlich geleisteten, sondern von dem geschuldeten Unterhalt ab (10 ObS 34/09m SSV‑NF 23/21). Hier blieb nach den Verfahrensergebnissen das rechtskräftige Urteil des Bezirksgerichts L* vom 21. 5. 2008 bis zum Tod als Unterhaltstitel aufrecht bestehen. Eine auf Unterhaltsherabsetzung gerichtete Klage hat der Verstorbene nicht eingebracht. Der bloße Umstand der Einkommensminderung, die der Verstorbene im Zeitpunkt des Pensionsantritts hinnehmen musste, ändert an der Maßgeblichkeit dieses Unterhaltstitels nichts (10 ObS 34/09f).

[16] 1.3 Der Gefahr eines Missbrauchs kann dadurch begegnet werden, dass der Versicherungsträger den Abschluss einer Unterhaltsvereinbarung zum Schein oder den – vollständigen oder teilweisen – Verzicht auf den vereinbarten Unterhaltsanspruch behauptet und nachweist (10 ObS 276/89 SSV‑NF 3/121; RIS‑Justiz RS0085312). Einen solchen Verzicht auf einen Teil der Unterhaltsforderung hat die Beklagte jedoch weder ausdrücklich behauptet, noch ergibt sich eine solche Behauptung aus den von ihr vorgebrachten anspruchsbegründenden Tatsachen (vgl RS0037447 zu den Klagebehauptungen).

[17] Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich lediglich, dass die Klägerin Exekution über einen Betrag geführt habe, der „relativ genau“ der materiellen Unterhaltsverpflichtung des Verstorbenen bei Pensionsantritt entsprochen habe. Die Klägerin habe im Exekutionsantrag angeführt, dass sich die Unterhaltszahlung (gemeint: ‑verpflichtung) „zum Teil“ durch eine Einkommensminderung des Verstorbenen reduziert habe. Selbst wenn man darin noch das Vorbringen einer Verzichtserklärung sehen wollte, so erfolgt der Verzicht nach herrschender Rechtsprechung durch Vertrag (RS0033948 [T2]) und bedarf daher der Annahme durch den Schuldner, die auch konkludent erfolgen kann (A. Heidinger in Schwimann/Kodek VI4 § 1444 ABGB Rz 8 ff). Es genügt, dass der Schuldner die Verzichtserklärung schweigend entgegennimmt (RS0034122 [T2]). Die Beklagte hat aber gar nicht vorgebracht, dass ein allfälliges Angebot der Klägerin, auf einen Teil des Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Verstorbenen zu verzichten, von diesem ausdrücklich oder konkludent angenommen worden wäre. Darüber hinaus ist auch die schlüssige Annahme des Verzichts eine zugangsbedürftige Willenserklärung (3 Ob 227/19g mwH; Bollenberger in KBB6 § 862a ABGB Rz 1). Die Beklagte hat kein Vorbringen erstattet, dass eine Annahmeerklärung des Verstorbenen der Klägerin wiederum zugegangen wäre. In ihrer Revisionsbeantwortung weist die Beklagte in diesem Zusammenhang bloß auf ihre Ausführungen in ihrer Berufung hin.

[18] 1.4 Die Grenzen der Entscheidungsbefugnis werden durch den Verfahrensgegenstand, also nicht nur durch den Inhalt des Sachantrags, sondern auch durch das begründende Tatsachenvorbringen abgesteckt (RS0124048). Derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, hat auch die rechtsbegründenden Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0037797 [T16]). Allgemein darf das Gericht den Parteien keine bessere Rechtsstellung als begehrt aufdrängen. Da die Beklagte einen Verzicht der Klägerin auf einen Teil ihres Unterhaltsanspruchs nicht geltend gemacht hat, kann ihr ein solcher im vorliegenden Verfahren daher nicht zugute kommen.

[19] 2.1 Grundsätzlich gebührt die Witwenpension in einem Prozentsatz der Pension des Verstorbenen (§ 264 Abs 1 ASVG). Die Höhe der Witwenpension kann dabei maximal 60 % der Pension des verstorbenen Versicherten erreichen (§ 264 Abs 2 Satz 4 ASVG). Die Höhe der Witwenpension des früheren Ehegatten (§ 258 Abs 4 ASVG) berechnet sich grundsätzlich gleich wie bei einer zum Zeitpunkt des Todes eines Ehegatten aufrechten Ehe. Allerdings ist die Pensionshöhe (auch) mit der Höhe des Unterhaltsanspruchs begrenzt (§ 264 Abs 8 ASVG). Maßgeblich ist in den Fällen des § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG – also auch im vorliegenden Fall – der Unterhaltsanspruch in dem Monat, in den der Tod des Versicherten fällt.

[20] 2.2 Schon aufgrund dieser gesetzlichen Regelungen kann die Höhe der von der Klägerin begehrten Witwenpension im vorliegenden Fall sich nicht am – noch am Aktivverdienst des Verstorbenen bemessenen – Unterhaltstitel vom 21. 5. 2008 orientieren. Sie ist vielmehr ausgehend von der – unter dem Aktivverdienst liegenden – Pension des verstorbenen Ehegatten zu berechnen. Darauf hat bereits das Berufungsgericht hingewiesen und ausgeführt, dass sich der höchstmögliche Pensionsanspruch der Klägerin mit 1.821,69 EUR bemisst (60 % der Bruttopension des Verstorbenen von 3.036,16 EUR). Die Klägerin ist dieser – zutreffenden – rechtlichen Beurteilung in der Revision nicht entgegengetreten, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

[21] 3. Das Berufungsgericht hat weiters dargelegt, dass die von der Klägerin begehrte Aufwertung für den Zeitraum 2008 bis 2020 keine Deckung im Gesetz findet. Eine Aufwertung ist gemäß § 264 Abs 8 ASVG nur zwischen Todesjahr und späterem Pensionsanfall vorgesehen (Neumayr in SV‑Komm [281. Lfg] § 264 ASVG Rz 16). Dem tritt die Klägerin in der Revision lediglich mit der Behauptung entgegen, dass ihr bisher eingenommener Standpunkt zur Aufwertung aufrecht erhalten wird. Damit wird die Revision in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043605).

[22] Der Revision ist daher Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind dahin abzuändern, dass der Klägerin die Witwenpension in Höhe von 1.821,69 EUR zuzuerkennen, das Mehrbegehren hingegen abzuweisen ist.

[23] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Bemessungsgrundlage ist allerdings – worauf bereits das Erstgericht zutreffend hingewiesen hat – 3.600 EUR (§ 77 Abs 2 ASGG).

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