European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00135.14X.1125.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung
Bei dem 1957 geborenen Kläger, der als Schilehrer und LKW-Fahrer tätig ist, liegt seit 1978 eine Blutzuckererkrankung (Typ I Diabetes) vor, die derzeit mit einer Insulinpumpen-Therapie „Accu-Check Performa Combo“ eingestellt ist.
Sein Klagebegehren richtet sich auf die Feststellung, dass der Anspruch auf Kostenübernahme für ein kontinuierliches Glucosemonitoring‑Gerät „Dexcom“ zu Recht bestehe.
Der Kläger bringt zusammengefasst vor, die Verwendung eines kontinuierlichen Glucosemonitoring-Geräts würde zur Verbesserung seiner Lebensqualität führen, vor allem würde die Sicherheit im Hinblick auf allfällig auftretende Unterzuckerungen erhöht.
Die beklagte Partei wendet ein, die derzeit zur Verfügung gestellten Heilbehelfe seien ausreichend und führten zu einer sehr zufriedenstellenden Blutzuckereinstellung. Wenn dasselbe Ergebnis durch zusätzliche kostenintensive Gerätschaften auf für den Kläger bequemere Art und Weise erzielt werden könne, liege deren Anschaffung in dessen Ermessen. Diese Kosten könnten aber nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden, da sie das Maß des Notwendigen iSd § 133 Abs 2 ASVG überschreiten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es stellte folgenden Sachverhalt fest:
„Seit 1989 leidet der Kläger zusätzlich zu seiner Diabetes-Erkrankung auch an einer chronisch entzündlichen Gelenkserkrankung mit regelmäßiger Kortisontherapie als Dauertherapie. Unter dieser Therapie ist das Infektionsrisiko erhöht, was zu Blutzuckerentgleisungen führen kann. Unter dem Regime der schon seit 30 Jahren bestehenden Blutzuckererkrankung und der chronisch entzündlichen Gelenkerkrankung mit permanenter Kortisontherapie ist eine optimale Blutzuckereinstellung nur schwer möglich. Diese ist aber bei einem Typ‑I‑Diabetes besonders wichtig.
Beim derzeit verwendeten Gerät „Accu-Check Performa Combo“ handelt es sich um ein Blutzuckermessgerät, das mit einer Insulinpumpe gekoppelt ist. Diese neue Therapiekombination ist noch nicht lange am Markt und stellt zum jetzigen Zeitpunkt eine der besten zur Verfügung stehenden Insulinpumpen in Kombination mit Blutzuckermessgeräten dar. Die Applikation erfolgt über Knopfdruck nach Zuckerbestimmung; es ist ein rasches Optimieren und Ausgleichen beziehungsweise eine rasche Bolus-Gabe möglich. Beim Kläger ist mittels dieses neuen Geräts eine zufriedenstellende Blutzuckereinstellung gegeben.
Das vom Kläger begehrte kontinuierliche Glucosemonitoring-Gerät „Dexcom“ kann (durchgehend) am Körper getragen werden und zwar bis zu maximal sieben Tage lang. Die Blutzuckerbestimmung erfolgt nicht im Blut, sondern es wird alle fünf Minuten ein Durchschnittswert aus dem subcutanen Gewebe ermittelt. Eine drohende Unterzuckerung, aber auch hohe Blutzuckerwerte sind dadurch frühzeitig erkennbar und können ‑ wenngleich mit einigen Minuten Verzögerung ‑ durch ein eigenes Signal akustisch wahrgenommen werden. Die Übertragung der Daten erfolgt mittels Funk. Das Gerät ermöglicht eine sehr genaue Dokumentation sämtlicher Blutzuckerwerte über 24 Stunden am Tag; es kann vor allem nachträglich eine Optimierung der Blutzuckereinstellung möglich machen. Durch den Einsatz dieses Geräts wäre eine Optimierung der Blutzuckereinstellung wegen der Abgabe des Alarmsignals bei Unterzuckerung sicher gegeben. Dies wäre im Hinblick auf die Berufe des Klägers als Schilehrer und LKW-Fahrer wichtig, zumal er bei der Ausübung dieser Berufe häufig extremen Situationen ausgesetzt ist. Wegen der bereits sehr langen Diabetesdauer ist zudem anzunehmen, dass bei ihm die Hypoglykämie-Wahrnehmung im Laufe der Zeit abgenommen hat. Zu einer schweren Hypoglykämie kam es zuletzt im März 2013; der Kläger bedurfte damals der Fremdhilfe.
Aus medizinischer Sicht notwendig für die Erlangung einer guten Blutzuckereinstellung ist aber nur die Kombination eines Blutzuckermessgeräts und einer Insulinpumpe. Diese Versorgung ist (aus medizinischer Sicht) als ausreichend zu bewerten. Für die Verwendung des kontinuierlichen Glucosemonitoring‑Geräts ist aus medizinischer Sicht das Maß des Notwendigen nicht gegeben. Im Hinblick auf die gegebenen Faktoren wäre die Verwendung eines derartigen Geräts freilich wünschenswert und zu empfehlen (insbesondere im Hinblick auf die Komplexität des Krankheitsbilds, den schwerwiegenden Verlauf der chronischen Polyarthritis, die schon lange Dauer der Diabeteserkrankung, die vermutlich reduzierte Hypo‑Wahrnehmung sowie die Art der beruflichen Tätigkeiten). Mit der derzeit bestehenden Versorgung kann beim Kläger im Großen und Ganzen aber das Gleiche erreicht werden, wie mit dem ständigen Glucosemonitoring‑Gerät.“
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung unzulässig.
1.1 Gemäß § 133 Abs 1 ASVG umfasst die Krankenbehandlung die ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe. Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien nicht strittig, dass das kontinuierlichen Glucosemonitoring‑Gerät aufgrund bestehender Krankheit verordnet wurde und daher Zwecken der Krankenbehandlung dient. Gegenstand des Verfahrens ist auch nicht, ob es als Heilmittel (§ 136 ASVG) oder als Heilbehelf (§ 137 ASVG) zu qualifizieren ist.
1.2 Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, ist in der Krankenversicherung ganz allgemein ein Interessenskonflikt zwischen Patient, Arzt und Sozialversicherungsträger hinsichtlich der Art und des Umfangs der Krankenbehandlung gegeben. Dem verständlichen Wunsch des Patienten nach der bestmöglichen Krankenbehandlung und der weitestgehenden versicherungsmäßigen Deckung der entstandenen Kosten, sowie der Forderung des Arztes nach möglichst freier Berufsausübung unter angemessener Honorierung seiner Leistungen, steht das Interesse des Sozialversicherungsträgers an dem möglichst ökonomischen Verhalten des Arztes gegenüber. Aus diesem Grund wird in § 133 Abs 2 ASVG festgelegt, dass die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein muss, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf. Die Worte „ausreichend, zweckmäßig notwendig“ sind dabei als Instrumente gegen zweckwidrige Leistungsgewährung zu verstehen, also als Leistungsschranke (RIS-Justiz RS0106240).
2.1 Dass die Krankenbehandlung ausreichend sein muss, bedeutet die Festlegung einer Minimalgrenze der Leistungsverpflichtung, die unter Zugrundelegung von gesicherten medizinischen Erkenntnissen und nach dem anerkannten Stand der Medizin nach Umfang und Qualität eine hinreichende Chance auf die Erreichung eines von der Krankenbehandlung verfolgten Zieles bieten muss (10 ObS 174/93, SSV-NF 7/112).
2.2 Zweckmäßigkeit ist gegeben, wenn die Behandlung nach den Erfahrungssätzen der medizinischen Wissenschaft mit hinreichender Sicherheit objektiv geeignet ist, die beabsichtige Wirkung zu erzielen (10 ObS 174/93, SSV-NF 7/112).
2.3 Das Maß des Notwendigen bestimmt sich aus dem Zweck der Leistung. Notwendig ist jene Maßnahme, die zur Erreichung des Zwecks unentbehrlich oder unvermeidlich ist. Damit sollen unnötige Maßnahmen vermieden und damit die finanzielle Belastung in Grenzen gehalten und andererseits die zur medizinisch notwendigen Versorgung erforderlichen Maßnahmen gewährleistet werden. Die Beschränkung der Krankenbehandlung auf das Maß des Notwendigen enthält auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit der Krankenbehandlung (10 ObS 174/93, SSV-NF 7/112). Die notwendige Krankenbehandlung ist aber ‑ auch bei Dauerzuständen ‑ jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Behandlung geeignet erscheint, eine Verschlechterung des Zustandsbilds hintanzuhalten (RIS-Justiz RS0106245, RS0106403). Die Notwendigkeit wird schon als gegeben erachtet, wenn die Krankenbehandlung nur dem Ziel einer erträglicheren Gestaltung des Leidens und der Verlängerung des Lebens dient ( Schober in Sonntag , ASVG 5 § 133 Rz 8).
2.4 Die Abwägung zwischen den Interessen des Patienten an der „besten“ Behandlung und der Versichertengemeinschaft an einer kostenoptimalen Versorgung hängt somit jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidende Bedeutung wird dabei dem Maß der „Betroffenheit“ des Patienten im Einzelfall zugedacht (RIS-Justiz RS0083816). Mit „Betroffenheit“ sind die Auswirkungen der konkreten strittigen Behandlung auf den Patienten gemeint. In erster Linie ist die absolute Priorität des Lebens zu beachten, dem andere Güter nachgeordnet sind. Geringeren Stellenwert besitzen etwa die körperliche Bewegungsfreiheit und die geistige Betätigungsfreiheit, die spezielle Ausformungen in der Arbeitsfähigkeit und Selbsthilfefähigkeit finden (10 ObS 111/13s).
3. Die Ansicht der Vorinstanzen, eine Abwägung der Interessen des Klägers an der Verwendung des kontinuierlichen Glucosemonitoring-Geräts „Dexcom“ und jener der Versichertengemeinschaft an der wirtschaftlichen Mittelverwendung ergebe, dass die Versorgung mit diesem Gerät das Maß des Notwendigen überschreite, steht mit diesen Grundsätzen in Einklang. Ist die Insulinpumpen-Therapie „Accu-Check Performa Combo“ ausreichend und zweckmäßig, liegt in der Ansicht, auch im Hinblick auf die vom Kläger ausgeübten Berufstätigkeiten sei kein solches Maß an Betroffenheit gegeben, dass die Kosten eines kontinuierlichen Glucosemonitoring‑Geräts von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen wären, jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende gravierende Fehlbeurteilung.
Eine solche Fehlbeurteilung zeigt der Kläger auch mit seinen weiteren Revisionsausführungen nicht auf:
4.1 Ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens soll darin liegen, dass der Sachverständige nur ein Aktengutachten erstellt hat, ohne eine persönliche Untersuchung durchzuführen. Obgleich die Beurteilung des Vorliegens einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO keiner Begründung bedürfte, ist den Revisionsausführungen kurz zu erwidern, dass das Berufungsgericht die Mängelrüge als nicht gesetzmäßig ausgeführt erachtet hat; es hat aber weiters ausgeführt, selbst unter der Annahme deren gesetzmäßiger Ausführung sei das Vorliegen einer Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zu verneinen. Ein in zweiter Instanz verneinter Mangel des Verfahrens ist im Revisionsverfahren aber nicht mehr anfechtbar (RIS-Justiz RS0042963).
4.2 Die Frage, ob das Glucosemonitoring- Gerät für den Kläger eine das Maß des Notwendigen überschreitende Krankenbehandlung darstellt oder nicht, ist nicht nur eine Rechtsfrage, sondern zunächst auch eine den medizinischen Bereich betreffende Tatfrage (vgl 10 ObS 136/92). An Hand der dazu getroffenen Feststellungen hatten die Vorinstanzen rechtlich zu beurteilen, ob eine zu vermeidende unnötige Maßnahme vorliegt oder die Maßnahme erforderlich ist, um die medizinisch notwendige Versorgung zu gewährleisten (siehe oben Pkt 2.3). Eine unzulässige „automatische“ Gleichsetzung der Tatfrage („was aus medizinischer Sicht notwendig ist“) mit der Rechtsfrage („wann das Maß des Notwendigen iSd § 133 Abs 1 ASVG überschritten ist“) ist nicht erfolgt, haben die Vorinstanzen doch auch die Betroffenheit des Klägers (die konkreten Auswirkungen des derzeit verwendeten und des begehrten Geräts auf seine gesundheitliche Situation und seine Berufstätigkeit) berücksichtigt.
4.3 Wenn der Revisionswerber seinem Vorbringen zu Grunde legt, derzeit liege keine gute Einstellung der Blutzuckerwerte vor, entfernt er sich von den Feststellungen; ebenso mit seinen weiteren Ausführungen, mit Hilfe des Glucosemonitoring-Geräts wäre eine entsprechende Einstellung der Blutzuckerwerte dahingehend erreichbar, sodass die bekannten Spätfolgen der Blutzuckererkrankung, wie etwa Erblinden, Amputation von Gliedmaßen und Nierenschäden sowie auch die Möglichkeit etwaiger letaler Folgen hintangehalten werden können.
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