European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00105.16P.0913.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Mit Bescheid vom 8. 10. 2012 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 2. 7. 2012 auf Gewährung einer Invaliditätspension mit der Begründung ab, dass Invalidität nicht vorliege. Der Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation wurde unter Hinweis darauf abgelehnt, dass Invalidität in absehbarer Zeit nicht eintreten werde.
Mit der dagegen eingebrachten Klage begehrt der Kläger den Zuspruch der Invaliditätspension, in eventu die Gewährung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Gewährung der Invaliditätspension ab, sprach aber aus, dass Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation zu gewähren seien.
Es traf – soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich – folgende Feststellungen:
„Der am 6. 2. 1964 geborene Kläger ist auf Grund seines eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls nicht mehr in der Lage, den von ihm erlernten und vor dem Stichtag 141 Monate lang ausgeübten Beruf als Kraftfahrzeugmechaniker nachzugehen. Auch berufsschutzerhaltende Tätigkeiten in der Reparaturannahme, in der Qualitätskontrolle in Großunternehmen oder als Maschineneinsteller sind ausgeschlossen. Der Kläger kann aber angelernt und umgeschult werden. Ob er an einer Rechtschreibstörung leidet, kann nicht festgestellt werden. Kundenkontakt und Telefonieren ist dem Kläger möglich. Das Prognose- und Berufsfindungsverfahren ergab vier Umschulungsmöglichkeiten, und zwar die jeweils speziell auf den Kläger zugeschnittene, arbeitsplatznahe Aufschulung bzw Ausbildung zum Autoverkäufer (Förderzeitraum 48 Wochen), die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann für Eisen- und Hartwaren mit Lehrabschluss, zum Einzelhandelskaufmann für Baustoffhandel mit Lehrabschluss und zum Bürokaufmann mit Lehrabschluss (Förderzeitraum jeweils 124 Wochen). Durch diese Aufschulungsmaßnahmen, insbesondere zum Fahrzeugverkäufer, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung des Klägers auf dem Arbeitsmarkt auf Dauer sichergestellt werden.
Autoverkäufer beraten Kunden beim Fahrzeugkauf beispielsweise über das Preis‑Leistungs‑Verhältnis, die technische Ausstattung oder die Finanzierungsmöglichkeiten und betreuen die gesamte Abwicklung eines Fahrzeugkaufs einschließlich des Vertragsabschlusses (zB Kauf‑ oder Leasingvertrag, Versicherungsvertrag, Wartungs‑, Garantie‑ oder Reparaturvertrag). Sie sind außerdem im Einkauf oder in der Büroverwaltung tätig und arbeiten mit Kollegen in angeschlossenen Service- und Reparaturwerkstätten zusammen. Sie holen Angebote ein, führen Kalkulationen durch oder verwalten die Lagerbestände. Als Grundausbildung ist eine Lehrausbildung als Kfz‑Mechaniker oder aus dem Lehrumfeld Kraftfahrzeug vorteilhaft. Beim Kläger liegen die fachlichen technischen Grundvoraussetzungen infolge seiner Lehrausbildung und längerfristigen Berufstätigkeit als Kfz‑Mechaniker vor. Er hat am ehesten im Berufsbereich Fahrzeugverkauf konkrete Chancen auf eine Einstellung bzw einen Arbeitsplatz (vorausgesetzt werden entsprechende Einschulungen auf kaufmännische Grundlagen, insbesondere in den Grundrechnungsarten, sowie eine verkaufsorientierte Kommunikationsfähigkeit und Kundenoffenheit). Dies liegt darin begründet, dass für die Tätigkeit des Fahrzeugverkaufs sehr häufig und vielversprechend eine technische Vorbildung – etwa als Kfz‑Mechaniker – gegeben ist, weiters die persönliche Affinität zum Kraftfahrzeug und die damit verbundene realistische Annahme, dass der Kläger aufgrund seiner Erfahrung Kunden über technische Vorzüge, technische Ausstattung und sonstige technische Belange konstruktiv beraten kann. Für die Berufstätigkeit Fahrzeugverkäufer einschließlich Fahrzeugteileverkauf sind österreichweit 69 offene Stellen beim Arbeitsmarktservice gemeldet, davon im Großraum Wien einschließlich Niederösterreich 19 offene Stellen.
Hinsichtlich der Berufstätigkeit Bürokaufmann ist einerseits durch die fehlende Vorerfahrung und praktische Tätigkeit des Klägers keine besondere Affinität zu erkennen. Für allgemeine Bürotätigkeiten existiert ein erheblicher Mitbewerbermarkt (Handelsschule- und HAK‑Absolventen, Bürokaufmannlehrlingsabsolventen mit bereits längerer praktischer Erfahrung).“
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt zusammengefasst dahingehend, dass die dem Kläger vom Versicherungsträger als Ergebnis des Berufsfindungsverfahrens angebotenen Umschulungs-möglichkeiten unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs der Ausbildung sowie der vom Kläger bisher ausgeübten Tätigkeit zumutbar seien, sodass die Pension vorerst nicht anfalle.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit einer Maßgabe und ließ die Revision nicht zu. Im klagsstattgebenden Teil wurde die beklagte Partei verpflichtet, dem Kläger eine maßgeschneiderte arbeitsplatznahe Aufschulung zum Autoverkäufer zu gewähren. Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, die beklagte Partei habe innerhalb einer zumutbaren Frist verwertbare Ergebnisse des Berufsfindungsverfahrens bekanntgegeben. Die Tätigkeit eines Fahrzeugverkäufers sei dem Kläger zumutbar, weil feststehe, dass er angelernt und umgeschult werden könne und ihm Telefonieren und Kundenkontakt möglich seien. In diesem Beruf könne mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung auf dem Arbeitsmarkt auf Dauer sichergestellt werden. Im Hinblick darauf, dass das Klagebehren in eventu auf die Gewährung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation gerichtet sei, seien die von der beklagten Partei zu gewährenden, für zweckmäßig und zumutbar erkannten Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation im klagestattgebenden Teil des Spruchs zu konkretisieren (siehe 10 ObS 107/12a, SSV‑NF 27/9).
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers ist zurückzuweisen:
1. Anzuwenden ist § 253e ASVG (idF vor dem SRÄG 2012), in dem – unter den weiteren Voraussetzungen – (noch) ein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation vorgesehen ist.
2.1 Nach § 253e Abs 2 ASVG sind Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nur solche, durch die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer Invalidität iSd § 255 ASVG beseitigt oder vermieden werden kann und die geeignet sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherzustellen. Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob der Versicherte eine realistische Chance hat, nach Ende der Umschulung im neuen Beruf voraussichtlich einen Arbeitsplatz zu finden (RIS‑Justiz RS0113667 [T1]; 10 ObS 7/15z; Schramm in SV‑Komm [127. Lfg] §§ 85, 86 ASVG Rz 22 mwN).
2.2 Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung weicht die Entscheidung der Vorinstanzen nicht ab, weil nach den – für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen – davon auszugehen ist, dass der Kläger im Berufsbereich Fahrzeugverkauf konkrete Chancen auf eine Einstellung bzw einen Arbeitsplatz hat. Die zu dieser Feststellung führende Beweiswürdigung der Vorinstanzen ist vor dem Obersten Gerichtshof nicht anfechtbar. Auch der Rechtsmittelgrund der Aktenwidrigkeit substituiert nicht die unzulässige Beweisrüge in dritter Instanz (RIS‑Justiz RS0117019).
3.1 Nach § 253e Abs 4 ASVG idF BGBl I 111/2010 sind Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation der versicherten Person nur dann zumutbar, wenn sie unter Berücksichtigung ihrer Neigung, ihrer physischen und psychischen Eignung, ihrer bisherigen Tätigkeit sowie der Dauer und des Umfangs ihrer bisherigen Ausbildung (Qualifikationsniveau) sowie ihres Alters, ihres Gesundheitszustands und der Dauer eines Pensionsbezugs festgesetzt und durchgeführt werden. Maßnahmen der Rehabilitation, die eine Ausbildung zu einer Berufstätigkeit umfassen, durch deren Ausübung das bisherige Qualifikationsniveau wesentlich unterschritten wird, dürfen nur mit Zustimmung der versicherten Person durchgeführt werden. Hat die versicherte Person eine Tätigkeit ausgeübt, die einen Lehrabschluss oder einen mittleren Schulabschluss erfordert, ist eine Rehabilitation auf Tätigkeiten, die keine gleichwertige Ausbildung vorsehen, jedenfalls unzulässig. Gemäß § 253e Abs 5 ASVG bestimmt sich das Qualifikationsniveau iSd § 253e Abs 4 erster Satz ASVG nach der für die Tätigkeit notwendigen beruflichen Ausbildung sowie nach den für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten (Fachkompetenz).
3.2 Nach den Gesetzesmaterialien zu § 253e ASVG darf es grundsätzlich zu keiner beruflichen Rehabilitation „nach unten“ kommen. Die Frage des unzumutbaren sozialen und wirtschaftlichen Abstiegs durch eine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation ist darüber hinaus an Hand der bestehenden Judikatur zum Berufsschutz der Angestellten zu beurteilen (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 204). In diesem Bereich ist der Berufsschutz durch eine Art Qualifikationsschutz abgelöst worden ( Neumayr in Pfeil , Geminderte Arbeitsfähigkeit [2011] 33 [44]).
3.3 Der Rechtsansicht der Vorinstanzen, bei der „Aufschulung“ zum Autoverkäufer handle es sich um eine iSd § 253a Abs 4 ASVG zumutbare Rehabilitationsmaßnahme, setzt der Revisionswerber entgegen, es lasse sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ableiten, ob es sich beim Beruf des Autoverkäufers um einen „entsprechend qualifizierten“ Beruf handle oder ob dieser allenfalls nur eine gewisse Mindestausbildung voraussetze, die dem Qualifikationsniveau des Klägers nicht entspricht. Auch mit diesem Vorbringen zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
Nach ständiger Rechtsprechung führt der Wechsel eines qualifizierten Arbeiters in eine Angestelltentätigkeit zu keinem Verlust des Berufsschutzes, sofern der neue Beruf eine ausreichende Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf aufweist (RIS‑Justiz RS0084541 [T18, T35]). Für einen Kfz‑Mechaniker wurde es als zumutbar erachtet, sich einfache kaufmännische Fähigkeiten anzueignen, um – ausgehend von dem von ihm erlernten Beruf – als Autoverkäufer tätig zu sein; eine entsprechende Nahebeziehung der Tätigkeit eines Autoverkäufers zum Lehrberuf eines Kraftfahrzeugmechanikers wurde darin mit der Begründung bejaht, dass es sich beim Verweisungsberuf um eine spezialisierte Form des erlernten Berufs handelt (10 ObS 304/00d, SSV‑NF 14/133).
3.4 Ein nach der Judikatur zum Berufsschutz der Angestellten unzumutbarer sozialer Abstieg bzw eine Verringerung des Qualifikationsniveaus iSd § 253e Abs 4 ASVG ist für den Kläger mit der Tätigkeit als Fahrzeugverkäufer nicht verbunden, weil feststeht, dass für die Ausübung dieses Berufs als Grundausbildung eine Lehrausbildung als Kfz‑Mechaniker oder aus dem Lehrumfeld Kraftfahrzeug vorteilhaft ist bzw die vom Kläger absolvierte Lehrausbildung und längere Berufstätigkeit als Kfz‑Mechaniker fachliche technische Grundvoraussetzung ist. Auch nach der Rechtsprechung zum Berufsschutz der Angestellten ist entscheidend, dass die handwerkliche Ausbildung und die dabei erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten ein Anstellungs- und Ausübungskriterium bilden und die ehemals (qualifiziert) handwerklich tätigen Versicherten als Angestellte tatsächlich Verwendung finden (RIS‑Justiz RS0084541 [T25]). Maßgeblich ist, inwieweit ein Versicherter in einem Verweisungsberuf das erworbene qualifizierte berufliche Wissen verwerten kann.
4. Die in § 253e Abs 4 ASVG noch genannte, aber nun in § 303 Abs 4 ASVG nicht mehr erwähnte „Neigung“ ist nicht als Freibrief für die Durchsetzung aktueller persönlicher Vorlieben zu sehen, sondern (auch) in einem objektiven Zusammenhang mit der bisher ausgeübten Berufstätigkeit, andernfalls jede Verweisung auf einen bisher nicht ausgeübten Beruf ausgeschlossen werden könnte. Auch mit seinem Vorbringen, er habe sich nie für Bürotätigkeiten interessiert und der Umgang mit Kunden liege ihm nicht, gelingt es dem Revisionswerber demnach nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen.
Die außerordentliche Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.
5. In Bezug auf die Bekämpfung der Berufungsentscheidung über die Kosten ist das Rechtsmittel absolut unzulässig, weil es sich insoweit um eine Entscheidung im Kostenpunkt nach § 528 Abs 2 Z 3 ZPO handelt. Der darin normierte Rechtsmittelausschluss ist auf alle Fälle anzuwenden, in denen in irgendeiner Form – materiell oder formell – über Kosten abgesprochen wird (10 ObS 57/14a mwN).
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