OGH 10Ob39/24v

OGH10Ob39/24v17.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* GmbH, *, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei M* AG, *, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 19.923,23 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. Mai 2024, GZ 2 R 46/24h‑33, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 6. Februar 2024, GZ 6 Cg 125/22v‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00039.24V.1217.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

1. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.599,90 EUR (darin 266,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. Der Antrag, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung über das vom Landgericht Ravensburg eingeleitete Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union, Rs C‑668/23 , zu unterbrechen, wird abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin erwarb am 22. November 2016 das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug Mercedes V250 AVG/L 4x2 3200, Erstzulassung 12. Mai 2017, Motortype OM 651, Euro 6b, 140 kW, um 66.410,78 EUR. Die Beklagte stellte auch die EG-Übereinstimmungsbescheinigung aus. Das Fahrzeug war von einer Rückrufaktion betroffen. Das von der Beklagten angebotene, vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) geprüfte und freigegebene Software-Update wurde beim Fahrzeug im Oktober 2018 durchgeführt.

[2] Im Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) aus dem Jahr 2018 wurde festgestellt, dass im Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs verschiedene Strategien verwendet werden, mit denen die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in unzulässiger Weise reduziert wird, obwohl normale Betriebsbedingungen vorliegen. Dabei wählt das Fahrzeug für die Abgasnachbehandlung per SCR‑Katalysator zwei unterschiedliche Regelstrategien (Modi) hinsichtlich der Eindüsung von AdBlue, welches die Stickoxide (NOx) reduziert. Die beiden Modi haben eine signifikant unterschiedliche Effektivität. Während unter Bedingungen, wie sie auch für die Typprüfung vorgegeben sind, nach Motorstart ein vergleichsweise effektiver Modus geschaltet ist, wird nach dem Erreichen einer bestimmten emittierten Stickoxidmasse nach Ablauf des Prüfzyklus dauerhaft in einen weniger effektiven Modus geschaltet. Ein Zurückschalten in den effektiven Modus erfolgt danach nicht mehr, sondern erst nach Motorneustart. Bei der Dosierung des Harnstoffmittels AdBlue bestimmt eine Software, dass AdBlue im Prüfzyklus (Speichermodus) immer, jedoch nicht immer im Realbetrieb (Onlinemodus) in angemessener Menge eingespritzt wird. Dadurch findet im Straßenverkehr nicht immer eine ausreichende Abgasreinigung statt.

[3] Im Fahrzeug sind nach wie vor – was die AdBlue‑Dosierung anlangt – zwei unterschiedliche Betriebsmodi verbaut. Nicht festgestellt werden kann, ob nach dem Aufspielen des Software‑Updates der Onlinemodus ähnlich effektiv ist wie der Speichermodus oder nicht.

[4] Weder konnte der Temperaturbereich des im Fahrzeug ebenso verbauten Thermofensters festgestellt werden, noch ob das verbaute Thermofenster über die überwiegende Zeit des Jahres inaktiv ist.

[5] Der Geschäftsführer der Klägerin hätte kein Fahrzeug gekauft, das nicht den Mindesterfordernissen entspricht, unzulässige Abschalteinrichtungen aufweist, nicht der Abgasnorm 6 entspricht oder dessen Typengenehmigung erschlichen wurde.

[6] Die Klägerin verkaufte das Fahrzeug im April 2023 mit einem Kilometerstand von 175.000 zu einem Preis von 35.000 EUR. Mehrwertsteuer und NoVA wurden abgeführt, im Hinblick auf den Verkaufspreis stellte der Geschäftsführer der Klägerin den Antrag auf Rückvergütung der NoVA.

[7] Die Klägerin begehrt (zuletzt) von der Beklagten 19.923,23 EUR Schadenersatz. Die Beklagte habe im Fahrzeug mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen in Form einer temperatur-, geschwindigkeits- und beschleunigungsabhängigen Reduktion der Abgasnachbehandlung (SCR) und eines Thermofensters verbaut, das angebotene Software-Update habe dies nicht behoben. Es liege zum Zeitpunkt des Kaufabschlusses gerechnet vom Verkaufspreis ein Minderwert von zumindest 30 % vor.

[8] Die Beklagte bestritt das Vorliegen von (unzulässigen) Abschalteinrichtungen und einen Schaden der Klägerin. Bei der Wertminderung sei jedenfalls der Umstand zu berücksichtigen, dass die Klägerin als Unternehmerin den Ankauf des Fahrzeugs steuermindernd verbuchen habe können, sodass vom Nettokaufpreis von 48.694 EUR abzüglich 50 % AfA-Ersparnis, somit von 24.347 EUR auszugehen sei. Zudem sei die Klägerin zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, es bestehe auch ein Anspruch auf Rückvergütung der NoVA.

[9] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es liege eine Schutznorm nach § 1311 ABGB vor, der Hersteller könne auch ersatzpflichtig werden, wenn er in keinem Vertragsverhältnis zum Käufer stehe. Es liege eine unzulässige Abschalteinrichtung hinsichtlich der beiden Betriebsmodi der AdBlue-Eindüsung vor. Der Verkehrswert des Fahrzeugs zum Ankaufszeitpunkt sei bei 70 % des Kaufpreises gelegen.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es sei jedenfalls hinsichtlich der beiden vorhandenen unterschiedlichen Betriebsmodi von einer weiterhin bestehenden unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Es stehe weiters fest, dass der Verkehrswert des Fahrzeugs zum Ankaufszeitpunkt bei 70 % des Kaufpreises gelegen sei. Eine Vorteilsanrechnung durch die Nutzung des Fahrzeugs und den guten Weiterverkauf habe nicht zu erfolgen. Ein sekundärer Feststellungsmangel hinsichtlich eines allfälligen Abzugs der Vorsteuer wurde vom Berufungsgericht verneint.

[11] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage des (Zeitpunkts des) Schadenseintritts im Fall des Weiterverkaufs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs durch den Käufer vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht eindeutig Stellung genommen worden sei. Zudem komme der Frage der Bemessung des Schadens beim Weiterverkauf eines Fahrzeugs, das im Übergabszeitpunkt mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Auch habe der Oberste Gerichtshof zum Umstand einer allfälligen Vorsteuerabzugsberechtigung auf die Schadensbemessung in Abgasfällen noch nicht Stellung genommen.

[12] Dagegen richtet sich die Revisionder Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[13] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortungdie Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision der Beklagten ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[15] 1.1. Der Oberste Gerichtshof ist an den Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO; RS0042392).

[16] 1.2. Das Vorliegen einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769; RS0112921). Eine bei Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO verliert daher ihre Erheblichkeit, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zwischenzeitig geklärt wurde (RS0112769 [T12]; RS0112921 [T5]). Das ist hier der Fall. Die Begründung kann sich daher auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[17] 2. Die Revisionswerberin wendet sich weder gegen die Bejahung des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung noch gegen ihre grundsätzlich bestehende Haftung als Herstellerin des Fahrzeugs, sondern lediglich gegen die Frage der Höhe des Schadens und eine allfällige Vorteilsanrechnung.

[18] 3. Als erhebliche Rechtsfrage macht die Revisionswerberin geltend, dass die Vorinstanzen durch Zuspruch eines Schadenersatzes in Höhe von 30 % des Kaufpreises von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach der Umstand des Weiterverkaufs ohne Schaden beim Schadenersatz im Rahmen der Bandbreite von 5 bis 15 % zu berücksichtigen sei, abgewichen seien.

[19] Zudem liege keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Einfluss der Vorsteuerabzugsberechtigung auf die Schadensbemessung in Abgasfällen vor.

[20] 4.1. Der Oberste Gerichtshof bejahte bereits in der Entscheidung 10 Ob 27/23b die Möglichkeit der Geltendmachung eines Minderwerts des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs gegenüber dem Hersteller und die grundsätzlich postulierte Ermittlung des Ersatzanspruchs nach den primär heranzuziehenden unionsrechtlichen Anforderungen der Ersatzleistung in Höhe von 5 bis 15 % (siehe dazu auch RS0134498). Dies schließt allerdings nicht aus, dass die Wertminderung exakt festgestellt wird und der Käufer Ersatz derselben verlangt (8 Ob 70/23m [Rz 26]; 8 Ob 109/23x [Rz 22]; 4 Ob 27/24k [Rz 21]; 5 Ob 33/24z [Rz 24]; 7 Ob 128/24k [Rz 2]). Bei Feststellbarkeit des Minderwerts des angekauften Fahrzeugs im Ankaufszeitpunkt ist somit jener zu ersetzen. Nur wenn dies nicht der Fall ist, ist auf die Ausmittlung nach § 273 Abs 1 ZPO in der genannten Bandbreite von 5 bis 15 % zurückzugreifen (5 Ob 83/24b [Rz 22]).

[21] 4.2. Die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall ist regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0118891). Das Berufungsgericht interpretierte die dislozierte Feststellung des Erstgerichts, dass im Zeitpunkt des Ankaufs des Fahrzeugs der Verkehrswert des Fahrzeugs bei 70 % des Kaufpreises lag, dahin, dass sich eine Wertminderung von 30 % ergebe. Dies hält sich im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums.

[22] 4.3. Bei der objektiv-abstrakten Berechnung des Schadens ist zudem unerheblich, ob der Geschädigte die Sache nach Eintritt des Schadens veräußert und welchen Erlös er dadurch erzielt hat. Es steht somit der Ersatz des so bemessenen Minderwerts auch zu, wenn das Fahrzeug weiter verkauft wurde (5 Ob 33/24z [Rz 16 f]; 7 Ob 128/24k [Rz 2 f]). Entgegen der Ansicht der Revision ändert somit auch der Weiterverkauf des Fahrzeugs nichts an dem objektiv bereits bei Kaufvertragsabschluss eingetretenen Schaden des Klägers (5 Ob 33/24z; 5 Ob 83/24b; 7 Ob 128/24k).

[23] Steht fest, dass – anders als im vorliegenden Fall – kein Minderwert vorliegt bzw das Fahrzeug bereits verkauft wurde, ohne dass ein daraus resultierender Schaden behauptet wird, ist dies im Rahmen der Bandbreite des zu bemessenden Betrags zu berücksichtigen (9 Ob 2/23v [Rz 25]).

[24] 4.4. Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung.

[25] 4.5. Auch die Frage der Berücksichtigung eines allfälligen Vorsteuerabzugs begründet keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.

[26] Art XII Z 3 EGUStG normiert, dass der Umstand, dass jemand, der Anspruch auf Schadenersatz hat, vorsteuerabzugsberechtigt ist, bei der Bemessung des Schadenersatzes nicht zu berücksichtigen ist. Dem Ersatzpflichtigen erwächst jedoch gegen den Ersatzberechtigten ein Rückersatzanspruch in der Höhe des Umsatzsteuerbetrags, sobald und soweit ihn der Ersatzberechtigte als Vorsteuer abziehen könnte (vgl RS0038172, RS0037844). Die klare Absicht des Gesetzgebers geht dahin, aus dem Prozess über den Ersatz einer Sache oder Leistung die Frage der Berechtigung zum Abzug der Vorsteuer und daraus ableitbare Ansprüche des Ersatzpflichtigen auszuklammern (RS0038172 [T1]). Der Prozess soll durch Steuerfragen nicht erschwert oder verzögert werden (RS0038172 [T5]). Der Ersatzbetrag wird in derartigen Fällen zunächst brutto (also einschließlich der auf die Lieferung oder Leistung entfallenden Umsatzsteuer) zugesprochen. Ob dem Ersatzpflichtigen gegenüber dem Ersatzberechtigten ein Rückersatzanspruch gemäß Art XII Z 3 EGUStG 1972 in Höhe jenes Umsatzsteuerbetrags zusteht, den der Ersatzberechtigte als Vorsteuerabzug geltend machen könnte, könnte nur in einem allenfalls nachfolgenden zweiten Verfahren geklärt werden (vgl 4 Ob 193/10a ErwGr 3.4 mwN).

[27] 5. Dem Antrag auf Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg zu C‑668/23 war nicht nachzukommen.

[28] Das Ersuchen eines Gerichts um Vorabentscheidung des EuGH nach Art 267 AEUV begründet keine Unterbrechungspflicht oder Aussetzungspflicht eines anderen Gerichts, das dieselbe Rechtsfrage wie das Anfragegericht zu beurteilen hat (RS0114648). Zwar kann eine Unterbrechung aus Anlass eines in einem anderen Verfahren gestellten Vorabentscheidungsersuchens zweckmäßig sein (RS0110583), eine generelle Unterbrechungspflicht besteht aber nicht (RS0114648).

[29] Wie der EuGH zu C‑100/21 , QB/Mercedes Benz Group AG zur Frage eines allfällig anzurechnenden Nutzungsvorteils bereits ausgesprochen hat, ist das Unionsrecht dahin auszulegen, dass es in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedstaats ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen, der dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSv Art 5 Abs 2 der Verordnung Nr 715/2007 ausgestatteten Fahrzeugs tatsächlich entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht. Eine Unterbrechung des Verfahrens aufgrund eines neuerlichen Vorabentscheidungsersuchens zur Frage der Anrechnung eines Nutzungsvorteils ist daher nicht zweckmäßig.

[30] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO; die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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