Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren ab Zustellung des Antrags vom 19. Oktober 2011 werden als nichtig aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über den ‑ als Klage zu wertenden ‑ Antrag der Mutter, das Recht auf persönlichen Verkehr zwischen ihr und ihrer Tochter mit sofortiger Wirksamkeit in der dort näher ausgeführten Weise zu regeln, aufgetragen.
Text
Begründung
1. Die am 4. 12. 1992 geborene N***** ist das eheliche Kind der Antragstellerin und des Antragsgegners. Sie ist seit der Geburt schwerst behindert, hat die Sprache nicht erlernt und kann sich nur in begrenztem Maß mit Mimik und Gestik vermitteln. Solange die (am 25. 10. 2007 aus dem Verschulden beider Ehegatten geschiedene) Ehe noch aufrecht war, wurde die Minderjährige von der Mutter betreut. Im Zuge der Trennung ihrer Eltern wurde die Obsorge für das Kind ‑ zunächst (am 27. 2. 2006) vorläufig bis zur Beendigung des Scheidungsverfahrens und am 20. 9. 2007 endgültig ‑ dem Vater übertragen. Diesen hat das Gericht am 26. 4. 2011, also nach Volljährigkeit seiner Tochter, zum Sachwalter für alle Angelegenheiten bestellt.
2. Am 19. 10. 2011 stellte die Mutter den Antrag, ihr ein Besuchsrecht für ihre beim Vater als deren Sachwalter lebende volljährige (jedoch geistig behinderte) Tochter in der dort näher bezeichneten Weise einzuräumen. Der Antrag wurde dem Vater zur Äußerung zum Gegenstand: „Besuchskontakte der Mutter, siehe insbesondere 4 Ob 186/09w“ binnen zwei Wochen zugestellt.
3. Nach Einlangen der Äußerung fand eine Tagsatzung statt, in der die Eltern übereinstimmend angaben, dass Besuchskontakte bis April 2011 regelmäßig stattfanden; dazu, aus welchen Gründen es seitdem zu keinen Kontakten zwischen Mutter und Tochter kam, gingen die Ansichten der Eltern auseinander.
3.1. In Erörterung der Frage, ob der Antrag im außerstreitigen Sachwalterschaftsverfahren oder im streitigen Verfahren zu entscheiden sei, sprach sich die Mutter für Ersteres aus. Der Vater erhob hingegen den Einwand der Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs, weil ein Besuchsrechtsverfahren im Sinn des § 148 ABGB nach der Volljährigkeit nicht mehr möglich sei. Auch das zu 4 Ob 186/09w entschiedene Verfahren sei im streitigen Rechtsweg durchgeführt worden.
Das Erstgericht fasste den Beschluss, dass über den vorliegenden Antrag im außerstreitigen Verfahren zu verhandeln und entscheiden sei. Die hier betroffene Person lebe im Unterschied zur Entscheidung 4 Ob 186/09w beim Vater, der gleichzeitig ihr Sachwalter sei. Es liege daher eine „klassische Besuchsrechtssituation“ im Sinn des § 148 ABGB vor. Demgemäß sei es sachgerechter, den der Mutter nach der zitierten Entscheidung grundsätzlich zustehenden Anspruch auf Kontakt zu ihrer Tochter nicht im streitigen Verfahren sondern im außerstreitigen Sachwalterschaftsverfahren zu behandeln; insbesondere weil das Sachwalterschaftsgericht wie das Pflegschaftsgericht primär das Wohl der pflegebedürftigen Person zu wahren habe.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Zwar gelte § 148 ABGB nur für minderjährige Kinder; das auf engen verwandtschaftlichen Beziehungen beruhende Eltern-Kind-Verhältnis begründe aber ein von der Rechtsprechung anerkanntes lebenslanges Rechtsverhältnis, in dessen Schutzbereich auch das durch § 16 ABGB und Art 8 EMRK geschützte Streben nach gegenseitigem persönlichen Kontakt und Zugang falle. Der Entscheidung 4 Ob 186/09w sei nicht zu entnehmen, dass das Recht auf Kontakt zu einer volljährigen behinderten Person stets nur im streitigen Rechtsweg geltend zu machen sei; habe doch in jenem Fall die Frage des Besuchsrechts lediglich eine Vorfrage gebildet. Da es sich beim Recht auf persönlichen Verkehr auch um ein Recht des Kindes handle, falle die Aufsicht über die Wahrung dieses Rechts jedenfalls in den Aufgabenbereich des Sachwalterschaftsgerichts, das jedenfalls im außerstreitigen Verfahren ‑ allenfalls auch von Amts wegen ‑ zu entscheiden habe. Diese Verfahrensart sei wegen der höheren Flexibilität für die Regelung von Pflegschaftsangelegenheiten vorgesehen. Weshalb sich daran lediglich wegen des Eintritts der Volljährigkeit des Kindes etwas ändern sollte, obwohl sich an der Geschäftsunfähigkeit nichts geändert habe, sei nicht ersichtlich.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der gerichtlichen Festsetzung einer konkreten, auf dem Eltern-Kind-Verhältnis beruhenden Besuchsregelung zwischen Volljährigen dann, wenn einer von beiden aufgrund einer geistigen Behinderung insoweit nicht geschäftsfähig sei, gesicherte Rechtsprechung fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters und Sachwalters wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Antrag der Mutter vom 19. 10. 2011 auf Regelung des persönlichen Verkehrs (mit der Tochter) zurückgewiesen werde.
Die Mutter hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und teilweise auch berechtigt.
1. Dass die Zulässigkeit des (außerstreitigen) Rechtswegs bereits übereinstimmend bejaht wurde, steht der Zulässigkeit des vorliegenden Rechtsmittels nicht entgegen: Nach neuerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können die in § 66 Abs 1 Z 1 (hier: iVm § 56 Abs 1) AußStrG bezeichneten Verfahrensmängel (also bestimmte Fälle der „Nichtigkeit“ [1 Ob 44/11v]) nämlich auch dann in einem Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint wurden (10 Ob 25/06h; RIS-Justiz RS0121265 [insb T1]; 9 Ob 40/08k; 2 Ob 192/11s ua; zuletzt: 10 Ob 26/12i). Auf die vom Erst- und vom Rekursgericht ausdrücklich bejahte Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs ist daher einzugehen.
2. Der Rekurswerber macht ein Abgehen der Vorinstanzen vom eindeutigen Gesetzeswortlaut geltend, wonach sich § 148 ABGB nur auf „minderjährige“ Kinder beziehe und hier somit nicht anwendbar sei. Der erst nach Volljährigkeit der Betroffenen eingebrachte Antrag der Mutter sei daher zurückzuweisen. Diese hätte eine Klage einbringen müssen. Besuchsrechtsverfahren gehörten auch nicht in das Sachwalterschaftsverfahren. Die bekämpfte Beurteilung stehe auch in Widerspruch mit der Entscheidung 4 Ob 186/09w, die „streitig verhandelt“ worden sei.
Dazu wurde erwogen:
3. Zu Recht verweist der Rechtsmittelwerber auf den unstrittigen Umstand, dass § 148 ABGB schon seinem Wortlaut nach nur für minderjährige Kinder gilt, sodass nach Erreichen der Volljährigkeit kein Besuchsrecht mehr nach dieser Bestimmung bestehen kann (Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 148 Rz 7). Nach ebenso einhelliger Auffassung kann sich aber aus den zwischen Eltern und Kindern bestehenden wechselseitigen Beistandspflichten nach § 137 Abs 2 ABGB, der auch für volljährige Kinder gilt, eine Verpflichtung zum persönlichen Kontakt ergeben (Gitschthaler in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 137 Rz 9; Nademleinsky in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 148 Rz 3; Barth in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 137 Rz 8; Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 148 Rz 7; RS0009634 [T1]; Hopf in KBB³ § 137 Rz 3; Stefula, Zu den allgemeinen familiären Beistandspflichten, ÖJZ 2005/35, 609 ff).
4. In der Entscheidung 4 Ob 186/09w ist der Oberste Gerichtshof diesen Grundsätzen gefolgt. Die dortige Klägerin begehrte von den Beklagten (ihrer Schwester und deren Ehemann) die Unterlassung der Störung der Ausübung ihres Besuchsrechts zur besachwalterten Mutter, die im Haus der Beklagten wohnte. Der Oberste Gerichtshof hob die klagsabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.
4.1. Unter Hinweis auf die dargelegte, mit der Volljährigkeit des Kindes nicht erlöschende (RIS-Justiz RS0009634) wechselseitige Beistandspflicht nach § 137 Abs 2 erster Halbsatz ABGB hält diese Entscheidung ausdrücklich fest, dass das auf engen verwandtschaftlichen Beziehungen beruhende Eltern-Kind-Verhältnis ein von der Rechtsordnung anerkanntes lebenslanges Rechtsverhältnis begründet, in dessen Schutzbereich auch das durch § 16 ABGB, Art 8 EMRK geschützte Streben nach gegenseitigem persönlichen Kontakt und Zugang fällt (RIS-Justiz RS0125603); wobei der Schutzbereich von Persönlichkeitsrechten nur durch eine umfassende Güter- und Interessenabwägung zu gewinnen ist. Dabei müssen dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden. Das gilt auch für das aus dem Eltern-Kind-Verhältnis entspringende Recht auf gegenseitigen persönlichen Kontakt und Zugang.
4.2. Die Ausübung dieses Zugangsrechts setzt voraus, dass die betroffene Person den gewünschten Besuchskontakt nicht ablehnt und dass dabei Rechtsgüter Dritter ‑ wie etwa das Hausrecht oder das Recht auf ein ungestörtes Familienleben ‑ möglichst unberührt bleiben. Aus dem Charakter der Persönlichkeitsrechte als absolute Rechte, die mit Enthaltungspflichten gegenüber jedermann bewehrt sind, gewährt die Rechtsprechung (verschuldensunabhängige) Unterlassungsansprüche im Fall von Eingriffs- oder Wiederholungsgefahr bei Persönlichkeitsverletzungen auch dort, wo die Rechtsordnung keine ausdrücklich normierten Tatbestände vorsieht. Zusammenfassend gilt demnach, dass das Zugangsrecht eines erwachsenen Kindes zu einem Elternteil zwar auch von Dritten zu respektieren ist, aber nur in Ausnahmefällen Dritten gegenüber gerichtlich erzwungen werden kann (RIS-Justiz RS0125603).
4.3. Aus der Entscheidung 4 Ob 186/09w ist daher keineswegs abzuleiten, der außerstreitige Rechtsweg wäre im dort zu beurteilenden Fall nur deswegen nicht beschritten worden, weil es sich nicht um eine Konstellation nach § 148 ABGB gehandelt und die Frage des Besuchsrechts (wie das Rekursgericht meint) nur eine Vorfrage gebildet habe. Dass es vorliegend um den umgekehrten Fall geht (nämlich um den persönlichen Kontakt und Zugang der Mutter zur volljährigen Tochter, die beim Vater als Sachwalter lebt) kann vielmehr ‑ wie die Rekursentscheidung selbst aufzeigt (S 7) ‑ keinen Unterschied machen, weil es „nichts an diesen materiellrechtlichen Grundsätzen ändert“. Nicht zu folgen ist auch der Argumentation des Rekursgerichts, dass in der Entscheidung 4 Ob 186/09w das Besuchsrecht bloß eine Vorfrage gewesen wäre; hat doch der Oberste Gerichtshof in diesem Verfahren die materiellen Voraussetzungen für das Bestehen des Zugangsrechts dargelegt und dem Erstgericht die weitere Prüfung auf der Tatsachenebene aufgetragen, ob einem darauf gestütztem Unterlassungsbegehren Berechtigung zukommt.
5. Auch wenn nicht ausdrücklich auf diese Frage eingegangen wurde, ergibt sich ohne jeden Zweifel aus der zitierten Entscheidung, dass über das Recht auf Kontakt zwischen volljährigen Personen nach den dort dargelegten Grundsätzen im streitigen Verfahren zu entscheiden ist: Spricht sie doch aus, dass es um ein Persönlichkeitsrecht geht, dessen Verletzung nach allgemeinen Grundsätzen Schadenersatz- und Unterlassungsansprüche auslöst. Davon abgesehen findet die Rechtsdurchsetzung im außerstreitigen Verfahren ohnehin nur statt, wenn eine Sache durch das Gesetz ausdrücklich oder zumindest schlüssig in diese Verfahrensart verwiesen ist (RIS-Justiz RS0012214 [T1, T5]; RS0013639 [T7]; 2 Ob 38/12w; 5 Ob 28/12x mwN), wovon hier keine Rede sein kann.
5.1. Ein in der falschen Verfahrensart gestelltes Rechtsschutzgesuch ist jedoch ‑ entgegen dem Standpunkt des Rechtsmittelwerbers ‑ nicht zurückzuweisen. Nach ständiger Rechtsprechung ist es vielmehr umzudeuten und im richtigen Verfahren zu behandeln (3 Ob 115/10y; 1 Ob 123/11m jeweils mwN; RIS-Justiz RS0116390); dies gilt ungeachtet der Anordnung des § 56 Abs 1 AußStrG, wonach in einer Sache, die nicht auf den außerstreitigen Rechtsweg gehört, ein angefochtener Beschluss vom Rekursgericht aufzuheben und das vorangegangene Verfahren für nichtig zu erklären und der ihm vorangegangene Antrag zurückzuweisen sei, weil § 56 Abs 1 AußStrG ‑ wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat ‑ dem § 40a JN nicht derogiert (RIS-Justiz RS0121333; 3 Ob 115/10y; 6 Ob 170/11k; ErläutRV zu § 56 AußStrG, abgedruckt in Fucik/Kloiber, AußStrG, 207, § 56 Rz 1; Klicka in Rechberger, AußStrG § 56 Rz 1).
5.2. Eine Zurückweisung eines (solchen) im außerstreitigen Verfahren gestellten Antrags wegen Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs kommt nur in Betracht, wenn das Gericht für das richtige Verfahren nicht sachlich und örtlich zuständig und auch nicht § 44 JN anzuwenden ist. Sonst ist über den Antrag als Klage im streitigen Verfahren ‑ wenn mehrere Gerichtsabteilungen bestehen ‑ durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richter zu verhandeln und zu entscheiden (RIS‑Justiz RS0057140).
5.3. Im vorliegenden Fall ist das angerufene Bezirksgericht, in dessen Sprengel sowohl die Betroffene als auch der Antragsgegner wohnen, örtlich zuständig und auch die sachliche Zuständigkeit liegt vor (§ 49 Abs 1 bzw Abs 2 Z 2b JN).
5.4. Der verfahrenseinleitende Akt wird von der Nichtigkeit eines nicht in der richtigen Verfahrensart abgewickelten Verfahrens nicht erfasst (3 Ob 115/10y mwN). Das Erstgericht wird somit (durch den für Streitsachen zuständigen Richter) das gesetzliche Verfahren über den ‑ als Klage umzudeutenden (Ballon in Fasching 2 § 40a JN Rz 4; RIS‑Justiz RS0057140) ‑ Antrag der Mutter einzuleiten haben über die Berechtigung und Schlüssigkeit des Begehrens wird im streitigen Verfahren zu befinden sein.
5.5. Dem Revisionsrekurs des Antragsgegners ist daher ‑ wie im Spruch ‑ teilweise stattzugeben.
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