BVwG W238 2131517-2

BVwGW238 2131517-220.9.2021

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W238.2131517.2.00

 

Spruch:

W238 2131517-2/8E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2021, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.07.2021 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass gemäß § 55 Abs. 1 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt wird, die gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft dieser Entscheidung beträgt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer stellte am 29.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Graz (in weiterer Folge: BFA), vom 04.07.2016 wurde der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 04.07.2017 erteilt (Spruchpunkt III.). Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgungsgefahr dargetan habe. Da der Beschwerdeführer minderjährig sei und über keinen Familienbezug in seinem Heimatland verfüge, könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass er im Falle einer Rückkehr in eine aussichtslose Situation geraten würde, weshalb ihm subsidiärer Schutz zuerkannt werde.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides brachte der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein.

3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 04.05.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall und nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.

4. Am 13.06.2017 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung beim BFA ein, die ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 mit Bescheid der belangten Behörde vom 06.09.2017 bis zum 04.07.2019 erteilt wurde.

5. Am 06.10.2017 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Nach Schluss der Verhandlung wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 04.07.2016 mit mündlich verkündetem Erkenntnis abgewiesen. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt. Am 13.10.2017 erging zu Zahl W102 2131517-1/11Z eine schriftliche Ausfertigung der am 06.10.2017 mündlich verkündeten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes.

6. Am 15.05.2019 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung, die ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 mit Bescheid der belangten Behörde vom 16.07.2019 bis zum 04.07.2021 erteilt wurde.

7. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 02.03.2021 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs. 4 StGB, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall StGB und wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.

8. Mit Schreiben des BFA vom 15.03.2021 wurde der Beschwerdeführer über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens benachrichtigt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.

Am 23.04.2021 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu seiner Straffälligkeit, seinem Privat- und Familienleben in Österreich und einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Der Stellungnahme wurden Unterlagen beigelegt.

9. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 29.04.2021 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 04.07.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Die mit Bescheid vom 16.07.2019 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde ihm gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan unzulässig ist (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein für die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

10. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin wurde insbesondere vorgebracht, dass die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtswidrig erfolgt sei, da unter Berücksichtigung der Judikatur des EuGH und der konkreten Umstände des Falles keine „schwere Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliege. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt worden sei, was ein Indiz dafür sei, dass er keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sich die zweite Verurteilung des Beschwerdeführers auf eine Tat beziehe, die im Rahmen einer Beziehungstat allein gegen seine Freundin gerichtet gewesen und nur in Folge Alkoholkonsums erfolgt sei, weshalb eine von ihm ausgehende Allgemeingefährdung für die Sicherheit der Republik Österreich nicht erkennbar sei. Der Beschwerdeführer sei nach wie vor in einer Beziehung mit seiner Freundin, die er inzwischen geheiratet habe; er habe aus seinem Fehler gelernt und konsumiere keinen Alkohol mehr. Zudem sei der Beschwerdeführer der gerichtlichen Weisung zu einem Anti-Gewalt-Training nachgekommen und nehme regelmäßig an einer Einzeltherapie bei der Männerberatung teil. Schließlich wurde ausgeführt, dass die Rückkehrentscheidung mit Blick auf die Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich sowie die Dauer des Einreiseverbotes unrechtmäßig seien. Der Beschwerde wurde eine Stellungnahme der Patin des Beschwerdeführers beigefügt.

11. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 04.06.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

12. Am 22.07.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertreterin teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprachen Dari und Farsi beigezogen wurde. Im Rahmen der Verhandlung wurden auch zwei Zeuginnen einvernommen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil. Die Niederschrift der Verhandlung wurde dem BFA im Anschluss übermittelt.

Der Beschwerdeführer wurde vom Gericht eingehend zu seiner Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Im Zuge der Verhandlung wurden vom Gericht auch die Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren eingebracht. Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers erstattete dazu eine schriftliche Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Er verfügt auch über Sprachkenntnisse in Farsi, Deutsch und Englisch.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Afghanistan, Provinz Ghazni, Distrikt XXXX geboren und lebte dort bis zu seinem sechsten Lebensjahr im Jahr 2007. Danach reiste er mit seiner Familie in den Iran aus und lebte dort bis zu seiner Ausreise nach Europa im Herbst 2014. Der Beschwerdeführer besuchte im Iran von 2008 bis 2010 eine Schule. Er kann lesen und schreiben. Im Iran arbeitete er als Minderjähriger in einer Glaserei, als Blumenverkäufer und als Hochzeits-DJ. Im Jänner 2015 erfolgte seine Einreise nach Österreich.

Die Familie des Beschwerdeführers lebt im Iran. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie (mütterlicherseits) bzw. zu seiner Mutter, die vom Vater des Beschwerdeführers geschieden ist, im Iran als Reinigungskraft arbeitet und die Familie versorgt. Zur Familie väterlicherseits besteht kein Kontakt bzw. kein Interesse des Beschwerdeführers an einem Kontakt. Der Beschwerdeführer unterstützt seine im Iran lebende Familie nach wie vor finanziell.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, arbeitsfähig und gesund. Er nahm ab 04.04.2017 für einige Monate eine psychologische Behandlung in Anspruch. In Folge einer strafgerichtlichen Verurteilung (s. unten) und Anordnung der Bewährungshilfe besucht er seit April 2021 eine Psychotherapie bei der Männerberatung. Bei ihm bestehen aktuell weder physische noch psychische Funktionseinschränkungen. Er nimmt keine Medikamente ein. Zum Entscheidungszeitpunkt bestehen keine Hinweise auf eine lebensbedrohliche Erkrankung des Beschwerdeführers.

1.2. Zu den Gründen der Zu- und Aberkennung des subsidiären Schutzstatus

Der Beschwerdeführer stellte am 29.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 04.07.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde – unter Bezugnahme auf die damals bestandene Minderjährigkeit (15 Jahre) und das Fehlen eines familiären Rückhalts in Afghanistan – der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Ihm wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 04.07.2017 erteilt.

Mit Bescheiden des BFA vom 06.09.2017 und vom 16.07.2019 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils um zwei Jahre verlängert.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 29.04.2021 wurde der Schutzstatus gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens von Amts wegen aberkannt; (das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 leg cit. wurde verneint). Unter einem wurden die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Unzulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan sowie die Erlassung eines siebenjährigen Einreiseverbotes ausgesprochen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 04.05.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall und nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Demnach hat der Beschwerdeführer am 30.03.2017 in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift 1. an einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet war, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, anderen überlassen, indem er im XXXX Stadtpark ca. 0,6 Gramm Delta-9-THC-hältiges Cannabiskraut an eine näher bezeichnete Person verkaufte, während sich in unmittelbarer Nähe zumindest ca. 15 bis 20 unbeteiligte Personen (Spaziergänger, Passanten) aufhielten; 2. zum Zwecke des gewinnbringenden Verkaufs besessen, indem er weitere 17,9 Gramm Delta-9-THC-hältiges Cannabiskraut, die er für den Verkauf vorgesehen hatte, in einem „Bunker“ unter einem Gebüsch im XXXX Stadtpark versteckt hielt. Weiters hat der Beschwerdeführer in XXXX (Stadtpark), vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28b SMG nicht übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen, es in der Folge durch gewinnbringende Verkäufe in Verkehr zu setzen, und zwar am 19.02.2017 15,75 Gramm Cannabiskraut, wobei er die Tat nicht zum persönlichen Gebrauch beging.

Bei der Strafbemessung wurden als mildernd die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers, die Ablegung eines zur Wahrheitsfindung dienlichen Geständnisses, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen gewertet. Angemerkt wurde, dass mehrfache Vormerkungen, Belehrungen und auch diversionelle Maßnahmen den nicht tadellosen Lebenswandel des Beschwerdeführers zeigen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 02.03.2021 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs. 4 StGB, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall StGB und wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Demnach hat der Beschwerdeführer am 17.10.2020 in XXXX XXXX eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung, nämlich zumindest eine längere Bewusstlosigkeit, zuzufügen versucht, indem er sie an den Haaren riss, sie schlug, insbesondere in das Gesicht, sie mit seinem Gewicht am Boden fixierte und am Hals heftig würgte, sodass sie keine Luft mehr bekam und erbrechen musste, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil die Polizei einschritt und XXXX in Form von Prellungen, kleinen Hämatomen und Schürfwunden im Bereich der rechten Brustkorbhälfte, der Brustwirbelsäule, des Kopfes und des Halses dem Grade nach lediglich leicht verletzt wurde; weiters hat er XXXX gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er im Zuge des soeben dargestellten Geschehens sinngemäß zu ihr sagte, sie habe sein Leben zerstört und er werde sie töten und dann auch sich selbst; weiters hat er XXXX mit Gewalt zu einer Unterlassung genötigt, nämlich nicht vor ihm zu flüchten und um Hilfe zu rufen, indem er ihr, als die Polizei vor der Tür war und zur Klärung des Sachverhalts Einlass forderte, sie mit seinem Gewicht am Boden fixierte und ihr den Mund zuhielt.

Der Strafrahmen für die schwere Körperverletzung beträgt gemäß 84 Abs. 4 StGB sechs Monate bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Die Verurteilung erfolgte insoweit wegen eines Verbrechens iSd § 17 StGB.

Bei der Strafbemessung wurden als mildernd der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, und die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres, als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit einem Vergehen (gemeint wohl: von einem Verbrechen mit zwei Vergehen) sowie eine auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafe gewertet. Das Erfordernis der Verhängung einer Freiheitsstrafe wurde im Urteil auch damit begründet, dass der Beschwerdeführer keine Bereitschaft zeigte, Verantwortung für das zur Last gelegte Tatgeschehen zu nehmen. Für die Dauer der Probezeit wurde Bewährungshilfe angeordnet und dem Beschwerdeführer die Weisung erteilt, sich einer psychotherapeutischen Behandlung bei der Männerberatung zu unterziehen.

Freigesprochen wurde der Beschwerdeführer mangels Schuldbeweises vom weiteren Vorwurf, er habe XXXX am 17.10.2020 in XXXX mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zur Duldung des Beischlafes zu nötigen versucht.

Der Beschwerdeführer befand sich vom 17.10.2020 bis 26.03.2021 in Untersuchungs- und anschließender Strafhaft.

Der gerichtlichen Weisung zu einer Therapie bei der Männerberatung kommt der Beschwerdeführer nach. Die Termine bei der Bewährungshilfe werden vom Beschwerdeführer eingehalten.

Bezüglich der Verurteilung vom 02.03.2021 ist der Beschwerdeführer nach wie vor nicht reumütig und übernimmt nicht die Verantwortung für die dem Urteil zugrunde gelegten Straftaten.

1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung am 29.01.2015 in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten.

Er führt seit ca. vier Jahren eine Beziehung mit XXXX , geboren am XXXX , einer afghanischen Asylberechtigten. Im August 2020 erfolgte die traditionelle Eheschließung. Der Beschwerdeführer hat keine Kinder. Die Familie seiner Ehefrau war und ist gegen die Eheschließung mit dem Beschwerdeführer, da er – wie bereits festgestellt – am 02.03.2021 wegen gegen seine Freundin gesetzter Straftaten verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer und XXXX haben aktuell getrennte Wohnsitze. Sie waren bislang lediglich für fünf Monate an derselben Adresse gemeldet (bis Februar 2021). Ein gemeinsamer Haushalt besteht derzeit nicht. Der Beschwerdeführer und XXXX verbringen dennoch viel Zeit miteinander, sowohl in der Wohnung des Beschwerdeführers als auch bei Freizeitunternehmungen. XXXX geht derzeit keiner Beschäftigung nach und hat Anspruch auf Mindestsicherung. Zwischen dem Beschwerdeführer und XXXX besteht zwar seit einigen Jahren eine Beziehung; diese ist jedoch – auch mangels eines gemeinsamen Wohnsitzes – weder besonders intensiv noch bestehen spezifische Abhängigkeiten.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über freundschaftliche Kontakte, darunter zu einer Frau, die im April 2021 eine Patenschaft für ihn übernahm.

Er nahm an Deutschkursen sowie an einem Werte- und Orientierungskurs teil. Er legte erfolgreich die B1-Integrationsprüfung ab. Er besuchte eine Neue Mittelschule und im Schuljahr 2016/2017 die Übergangsklasse in einer Höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe. Im November 2016 nahm er an einem Hallenfußballturnier teil. Er nahm eine Beratung im Rahmen eines Jugendcoachings der VHS wahr. Im April 2021 absolvierte er einen Kompetenzcheck der VHS. Im April 2021 meldete er sich als Vorbereitung für die Nachholung des Pflichtschulabschlusses für einen Brückenkurs an. Während der Haft absolvierte er einen Computerkurs.

In Österreich war der Beschwerdeführer mehrfach vollversichert (insgesamt ca. siebeneinhalb Monate) sowie auch geringfügig beschäftigt (insgesamt ca. drei Monate). Er absolvierte fünf Monate eine Maler-Lehre. Nach Abbruch der Lehre arbeitete er im Gastronomiebereich als Koch bzw. Küchenhilfe, im Verkauf und als Kellner. In Haft war er als Hausarbeiter tätig. Derzeit bezieht er Notstandshilfe und Wohnbeihilfe.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich zweimal rechtskräftig verurteilt (s. oben). Nach Verbüßung der Strafhaft absolvierte er ein Anti-Gewalt-Training. Seit April 2021 unterzieht er sich der Bewährungshilfe und einer Einzeltherapie bei der Männerberatung.

1.4. Zur Lage in Afghanistan

Betreffend die Lage in Afghanistan werden dieser Entscheidung insbesondere die in folgenden Berichten enthaltenen Informationen zugrunde gelegt:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 16.09.2021 (Version 5)

- UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan vom August 2021 (UNHCR)

- Long War Journal, Landkarte mit täglichem Update betreffend die Distriktskontrolle, https://www.longwarjournal.org/mapping-taliban-control-in-afghanistan , abgerufen am 12.09.2021

- EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan Security Situation Update, September 2021

- Homepage der WHO: https://www.who.int und https://covid19.who.int/region/emro/country/af (WHO)

Politische Lage (LIB S. 10 ff.):

Afghanistan war [vor der Machtübernahme der Taliban] ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen.

Nachdem der bisherige Präsident Ashraf Ghani am 15.8.2021 aus Afghanistan geflohen war, nahmen die Taliban die Hauptstadt Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein. Ghani gab auf seiner Facebook-Seite eine Erklärung ab, in der er den Sieg der Taliban vor Ort anerkannte. Diese Erklärung wurde weithin als Rücktritt interpretiert, obwohl nicht klar ist, ob die Erklärung die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rücktritt des Präsidenten erfüllt. Amrullah Saleh, der erste Vizepräsident Afghanistans unter Ghani, beanspruchte in der Folgezeit das Amt des Übergangspräsidenten für sich. Er ist Teil des Widerstands gegen die Taliban im Panjshir-Tal. Ein so genannter Koordinationsrat unter Beteiligung des früheren Präsidenten Hamid Karzai, Abdullah Abdullah (dem früheren Außenminister und Leiter der Delegation der vorigen Regierung bei den letztendlich erfolglosen Friedensverhandlungen) und Gulbuddin Hekmatyar führte mit den Taliban informelle Gespräche über eine Regierungsbeteiligung, die schließlich nicht zustande kam. Denn unabhängig davon, wer nach der afghanischen Verfassung das Präsidentenamt innehat, kontrollieren die Taliban den größten Teil des afghanischen Staatsgebiets. Sie haben das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen und am 7.9.2021 eine neue Regierung angekündigt, die sich größtenteils aus bekannten Taliban-Figuren zusammensetzt.

Die Taliban lehnen die Demokratie und ihren wichtigsten Bestandteil, die Wahlen, generell ab. Sie tun dies oftmals mit Verweis auf die Mängel des demokratischen Systems und der Wahlen in Afghanistan in den letzten 20 Jahren, wie auch unter dem Aspekt, dass Wahlen und Demokratie in der vormodernen Periode des islamischen Denkens, der Periode, die sie als am authentischsten „islamisch“ ansehen, keine Vorläufer haben. Sie halten einige Methoden zur Auswahl von Herrschern in der vormodernen muslimischen Welt für authentisch islamisch - zum Beispiel die Shura Ahl al-Hall wa’l-Aqd, den Rat derjenigen, die qualifiziert sind, einen Kalifen im Namen der muslimischen Gemeinschaft zu wählen oder abzusetzen. Ende August 2021 kündigten die Taliban an, eine Verfassung auszuarbeiten, jedoch haben sie sich zu den Einzelheiten des Staates, den ihre Führung in Afghanistan errichten möchte, bislang bedeckt gehalten.

Im September 2021 kündigten sie die Bildung einer „Übergangsregierung“ an. Entgegen früherer Aussagen handelt es sich dabei nicht um eine „inklusive“ Regierung unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure, sondern um eine reine Talibanregierung. Darin vertreten sind Mitglieder der alten Talibanelite, die schon in den 1990er Jahren zentrale Rollen besetzte, ergänzt mit Taliban-Führern, die im ersten Emirat noch zu jung waren, um zu regieren. Die allermeisten sind Paschtunen. Angeführt wird die neue Regierung von Mohammad Hassan Akhund. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Taliban-Führungszirkels, der sogenannten Rahbari-Shura, besser bekannt als Quetta-Shura. Einer seiner Stellvertreter ist Abdul Ghani Baradar, der bisher das politische Büro der Taliban in Doha geleitet hat und so etwas wie das öffentliche Gesicht der Taliban war, ein weiterer Stellvertreter ist Abdul Salam Hanafi, der ebenfalls im politischen Büro in Doha tätig war. Mohammad Yakub, Sohn des Taliban-Gründers Mullah Omar und einer der Stellvertreter des Taliban-Führers Haibatullah Akhundzada, ist neuer Verteidigungsminister. Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerks, wurde zum Innenminister ernannt. Das Haqqani-Netzwerk wird von den USA als Terrororganisation eingestuft. Der neue Innenminister steht auf der Fahndungsliste des FBI und auch der Vorsitzende der Minister, Akhund, befindet sich auf einer Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates.

Ein Frauenministerium findet sich nicht unter den bislang angekündigten Ministerien, auch wurden keine Frauen zu Ministerinnen ernannt [Anm.: Stand 7.9.2021]. Dafür wurde ein Ministerium für „Einladung, Führung, Laster und Tugend“ eingeführt, das die Afghanen vom Namen her an das Ministerium „für die Förderung der Tugend und die Verhütung des Lasters“ erinnern dürfte.

Diese Behörde hatte während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 Menschen zum Gebet gezwungen oder Männer dafür bestraft, wenn sie keinen Bart trugen. Die höchste Instanz der Taliban in religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten, der „Amir al Muminin“ oder „Emir der Gläubigen“ Mullah Haibatullah Akhundzada wird sich als „Oberster Führer“ Afghanistans auf religiöse Angelegenheiten und die Regierungsführung im Rahmen des Islam konzentrieren. Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden.

Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten. Es gibt Anzeichen dafür, dass einige Anführer der Gruppe die Grenzen ihrer Fähigkeit erkennen, den Regierungsapparat in technisch anspruchsvolleren Bereichen zu bedienen. Zwar haben die Taliban seit ihrem Erstarken in den vergangenen zwei Jahrzehnten in einigen ländlichen Gebieten Afghanistans eine so genannte Schattenregierung ausgeübt, doch war diese rudimentär und von begrenztem Umfang, und in Bereichen wie Gesundheit und Bildung haben sie im Wesentlichen die Dienstleistungen des afghanischen Staates und von Nichtregierungsorganisationen übernommen.

Bis zum Sturz der alten Regierung wurden ca. 75% bis 80% des afghanischen Staatsbudgets von Hilfsorganisationen bereitgestellt, Finanzierungsquellen, die zumindest für einen längeren Zeitraum ausgesetzt sein werden, während die Geber die Entwicklung beobachten. So haben die EU und mehrere ihrer Mitgliedsstaaten in der Vergangenheit mit der Einstellung von Hilfszahlungen gedroht, falls die Taliban die Macht übernehmen und ein islamisches Emirat ausrufen sollten, oder Menschen- und Frauenrechte verletzen sollten. Die USA haben rund 9,5 Milliarden US-Dollar an Reserven der afghanischen Zentralbank sofort [nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul] eingefroren, Zahlungen des IWF und der EU wurden ausgesetzt. Die Taliban verfügen weiterhin über die Einnahmequellen, die ihren Aufstand finanzierten, sowie über den Zugang zu den Zolleinnahmen, auf die sich die frühere Regierung für den Teil ihres Haushalts, den sie im Inland aufbrachte, stark verließ. Ob neue Geber einspringen werden, um einen Teil des Defizits auszugleichen, ist noch nicht klar.

Die USA zeigten sich angesichts der Regierungsbeteiligung von Personen, die mit Angriffen auf US-Streitkräfte in Verbindung gebracht werden, besorgt und die EU erklärte, die islamistische Gruppe habe ihr Versprechen gebrochen, die Regierung „integrativ und repräsentativ“ zu machen. Deutschland und die USA haben eine baldige Anerkennung der von den militant-islamistischen Taliban verkündeten Übergangsregierung Anfang September 2021 ausgeschlossen. China und Russland haben ihre Botschaften auch nach dem Machtwechsel offen gehalten.

Vertreter der National Resistance Front (NRF) haben die internationale Gemeinschaft darum gebeten, die Taliban-Regierung nicht anzuerkennen. Ahmad Massoud, einer der Anführer der NRF, kündigte an, nach Absprachen mit anderen Politikern eine Parallelregierung zu der von ihm als illegitim bezeichneten Talibanregierung bilden zu wollen.

Abzug der Internationalen Truppen (LIB S. 14 f.):

Im April 2021 kündigte US-Präsident Joe Biden den Abzug der verbleibenden Truppen - etwa 2.500-3.500 US-Soldaten und etwa 7.000 NATO Truppen - bis zum 11.9.2021 an, nach zwei Jahrzehnten US-Militärpräsenz in Afghanistan. Er erklärte weiter, die USA würden weiterhin „terroristische Bedrohungen“ überwachen und bekämpfen sowie „die Regierung Afghanistans“ und „die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte weiterhin unterstützen“, allerdings ist nicht klar, wie die USA auf wahrgenommene Bedrohungen zu reagieren gedenken, sobald ihre Truppen abziehen. Die Taliban zeigten sich von der Ankündigung eines vollständigen und bedingungslosen Abzugs nicht besänftigt, sondern äußerten sich empört über die Verzögerung, da im Doha-Abkommen der 30.4.2021 als Datum für den Abzug der internationalen Truppen festgelegt worden war. In einer am 15.4.2021 veröffentlichten Erklärung wurden Drohungen angedeutet: Der „Bruch“ des Doha-Abkommens „öffnet den Mudschaheddin des Islamischen Emirats den Weg, jede notwendige Gegenmaßnahme zu ergreifen, daher wird die amerikanische Seite für alle zukünftigen Konsequenzen verantwortlich gemacht werden, und nicht das Islamische Emirat“. Am 31.8.2021 zog schließlich der letzte US-amerikanische Soldat aus Afghanistan ab. Schon zuvor verließ der bis dahin amtierende afghanische Präsident Ashraf Ghani das Land und die Taliban übernahmen die Hauptstadt Kabul am 15.8.2021 kampflos.

US-amerikanische, britische und deutsche Beamte sowie internationale NGOs wie Human Rights Watch (HRW) äußerten sich besorgt über die Sicherheit von ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte, während die Taliban angaben, nicht gegen (ehemalige) Mitarbeiter der internationalen Truppen vorgehen zu wollen. Die Taliban behaupteten in der Erklärung, dass Afghanen, die für die ausländischen „Besatzungstruppen“ gearbeitet hätten, „irregeführt“ worden seien und „Reue“ für ihre vergangenen Handlungen zeigen sollten, da diese einem „Verrat“ am Islam und an Afghanistan gleichkämen.

Sicherheitslage (LIB S. 16 f.):

Jüngste Entwicklungen - Machtübernahme der Taliban

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu, aber auch schon zuvor galt die Sicherheitslage in Afghanistan als volatil. Laut Berichten war der Juni 2021 der bis dahin tödlichste Monat mit den meisten militärischen und zivilen Opfern seit 20 Jahren in Afghanistan. Gemäß einer Quelle veränderte sich die Lage seit der Einnahme der ersten Provinzhauptstadt durch die Taliban - Zaranj in Nimruz - am 6.8.2021 in „halsbrecherischer Geschwindigkeit“, innerhalb von zehn Tagen eroberten sie 33 der 34 afghanischen Provinzhauptstädte. Auch eroberten die Taliban mehrere Grenzübergänge und Kontrollpunkte, was der finanziell eingeschränkten Regierung dringend benötigte Zolleinnahmen entzog. Am 15.8.2021 floh Präsident Ashraf Ghani ins Ausland und die Taliban zogen kampflos in Kabul ein. Zuvor waren schon Jalalabad im Osten an der Grenze zu Pakistan gefallen, ebenso wie die nordafghanische Metropole Mazar-e Scharif. Ein Bericht führt den Vormarsch der Taliban in erster Linie auf die Schwächung der Moral und des Zusammenhalts der Sicherheitskräfte und der politischen Führung der Regierung zurück. Die Kapitulation so vieler Distrikte und städtischer Zentren ist nicht unbedingt ein Zeichen für die Unterstützung der Taliban durch die Bevölkerung, sondern unterstreicht vielmehr die tiefe Entfremdung vieler lokaler Gemeinschaften von einer stark zentralisierten Regierung, die häufig von den Prioritäten ihrer ausländischen Geber beeinflusst wird, auch wurde die weit verbreitete Korruption, beispielsweise unter den Sicherheitskräften, als ein Problem genannt.

Im Panjshir-Tal, rund 55 km von Kabul entfernt, formierte sich nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August 2021 Widerstand in Form der National Resistance Front (NRF), welche von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security [Anm.: NDS, afghan. Geheimdienst], sowie Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt wird. Ihr schlossen sich Mitglieder der inzwischen aufgelösten Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) an, um im Panjshir-Tal und umliegenden Distrikten in Parwan und Baghlan Widerstand gegen die Taliban zu leisten. Sowohl die Taliban, als auch die NRF betonten zu Beginn, ihre Differenzen mittels Dialog überwinden zu wollen. Nachdem die US-Streitkräfte ihren Truppenabzug aus Afghanistan am 30.8.2021 abgeschlossen hatten, griffen die Taliban das Pansjhir-Tal jedoch an. Es kam zu schweren Kämpfen und nach sieben Tagen nahmen die Taliban das Tal nach eigenen Angaben ein, während die NRF am 6.9.2021 bestritt, dass dies geschehen sei. Mit Stand 6.9.2021 war der Aufenthaltsort von Saleh und Massoud unklar, jedoch verkündete Massoud, in Sicherheit zu sein sowie nach Absprachen mit anderen Politikern eine Parallelregierung zu der von ihm als illegitim bezeichneten Talibanregierung bilden zu wollen.

Weitere Kampfhandlungen gab es im August 2021 beispielsweise im Distrikt Behsud in der Provinz Maidan Wardak und in Khedir in Daikundi, wo es zu Scharmützeln kam, als die Taliban versuchten, lokale oder ehemalige Regierungskräfte zu entwaffnen.

Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer deutlich zurückgegangen.

Vorfälle am Flughafen Kabul

Nachdem sich die Nachricht verbreitete, dass Präsident Ashraf Ghani das Land verlassen hatte, machten sich viele Menschen auf den Weg zum Flughafen, um aus dem Land zu fliehen. Im Zuge der Evakuierungsmissionen von Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan kam es in der Menschenmenge zu Todesopfern, nachdem tausende Menschen aus Angst vor den Taliban zum Flughafen gekommen ware. Unter anderem fand auch eine Schießerei mit einem Todesopfer statt.

Am 26.8.2021 wurde bei einem der Flughafeneingänge ein Selbstmordanschlag auf eine Menschenmenge verübt, bei dem mindestens 170 afghanische Zivilisten sowie 28 Talibankämpfer und 13 US-Soldaten, die das Gelände sichern sollten, getötet wurden. Der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) bekannte sich zu dem Anschlag.

Die USA führten als Vergeltungsschläge daraufhin zwei Drohnenangriffe in Jalalabad und Kabul durch, wobei nach US-Angaben ein Drahtzieher des ISKP sowie ein Auto mit zukünftigen Selbstmordattentätern getroffen wurden. Berichten zufolge soll es bei dem Drohnenangriff in Kabul jedoch zu zehn zivilen Todesopfern gekommen sein.

Verfolgung von Zivilisten und ehemaligen Mitgliedern der Streitkräfte

Bereits vor der Machtübernahme intensivierten die Taliban gezielte Tötungen von wichtigen Regierungsvertretern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten. Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme an, dass sie keine Vergeltung an Anhängern der früheren Regierung oder an Verfechtern verfassungsmäßig garantierter Rechte wie der Gleichberechtigung von Frauen, der Redefreiheit und der Achtung der Menschenrechte üben werden. Es gibt jedoch glaubwürdige Berichte über schwerwiegende Übergriffe von Taliban-Kämpfern, die von der Durchsetzung strenger sozialer Einschränkungen bis hin zu Verhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und Entführungen junger, unverheirateter Frauen reichen. Einige dieser Taten scheinen auf lokale Streitigkeiten zurückzuführen oder durch Rache motiviert zu sein; andere scheinen je nach den lokalen Befehlshabern und ihren Beziehungen zu den Führern der Gemeinschaft zu variieren. Es ist nicht klar, ob die Taliban-Führung ihre eigenen Mitglieder für Verbrechen und Übergriffe zur Rechenschaft ziehen wird. Auch wird berichtet, dass es eine neue Strategie der Taliban sei, die Beteiligung an gezielten Tötungen zu leugnen, während sie ihren Kämpfern im Geheimen derartige Tötungen befehlen. Einem Bericht zufolge kann derzeit jeder, der eine Waffe und traditionelle Kleidung trägt, behaupten, ein Talib zu sein, und Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchführen. Die Taliban-Kämpfer auf der Straße kontrollieren die Bevölkerung nach eigenen Regeln und entscheiden selbst, was unangemessenes Verhalten, Frisur oder Kleidung ist. Frühere Angehörige der Sicherheitskräfte berichten, dass sie sich weniger vor der Taliban-Führung als vor den einfachen Kämpfern fürchten würden.

Es wurde von Hinrichtungen von Zivilisten und Zivilistinnen sowie ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Personen, die vor kurzem Anti-Taliban-Milizen beigetreten waren, berichtet. In der Provinz Ghazni soll es zur gezielten Tötung von neun Hazara-Männern gekommen sein. Während die Nachrichten aus weiten Teilen des Landes aufgrund der Schließung von Medienzweigstellen und der Einschüchterung von Journalisten durch die Taliban spärlich sind, gibt es Berichte über die Verfolgung von Journalisten und die Entführung einer Menschenrechtsanwältin. Die Taliban haben in den Tagen nach ihrer Machtübernahme systematisch in den von ihnen neu eroberten Gebieten Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen: Eine Richterin wie auch eine Polizistin gaben an, von ehemaligen Häftlingen verfolgt bzw. von diesen identifiziert und daraufhin von den Taliban verfolgt worden zu sein.

Zivile Opfer vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 (LIB S. 19 f.):

Zwischen dem 1.1.2021 und dem 30.6.2021 dokumentierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 5.183 zivile Opfer (1.659 Tote und 3.524 Verletzte). In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 und im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres dokumentierte UNAMA fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen (IEDs) durch regierungsfeindliche Kräfte. Im gesamten Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das war ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013. Obwohl ein Rückgang von durch regierungsfeindliche Elemente verletzte Zivilisten im Jahr 2020 festgestellt werden konnte, der hauptsächlich auf den Mangel an zivilen Opfern durch wahlbezogene Gewalt und den starken Rückgang der zivilen Opfer durch Selbstmordattentate im Vergleich zu 2019 zurückzuführen ist, so gab es einen Anstieg an zivilen Opfer durch gezielte Tötungen, durch Opfern von aktivierte Druckplatten-IEDs und durch fahrzeuggetragene Nicht- Selbstmord-IEDs (VBIEDs).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffen waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch haben aufständische Gruppen in Afghanistan ihre gezielten Tötungen von Frauen und religiösen Minderheiten erhöht.

Auch im Jahr 2021 kommt es weiterhin zu Angriffen und gezielten Tötungen von Zivilisten. So wurden beispielsweise im Juni fünf Mitarbeiter eines Polio-Impf-Teams und zehn Minenräumer getötet.

Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe.

Anschläge gegen Gläubige, Kultstätten und religiöse Minderheiten vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 (LIB S. 22 f.):

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen. Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt. Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt. Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien. Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt. Auch 2021 kam es zu einer Reihe von Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen gegen religiöse Minderheiten, darunter eine Hazara-Versammlung in der Stadt Kunduz am 13.5.2021 und eine Sufi-Moschee in Kabul am 14.5.2021 sowie mehrere Personenkraftwagen, die entweder schiitische Hazara beförderten oder zwischen dem 1. und 12.6.2021 durch überwiegend von schiitischen Hazara bewohnte Gebiete in der Provinz Parwan und Kabul fuhren. Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger waren im Jahr 2020 ein häufiges Ziel gezielter Anschläge.

Erreichbarkeit – Flugverbindungen (LIB S. 30):

Mit der Machtübernahme der Taliban Mitte August 2021 wurden internationale Flüge eingestellt. Gemäß Ankündigung vom 11.9.2021 plant eine pakistanische Fluggesellschaft, wieder Linienflüge nach Kabul aufzunehmen.

Verfolgungungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten (LIB S. 37 f.):

Nach der Machtübernahme der Taliban wurde berichtet, dass die Taliban auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer „schwarzen Liste“ der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände. Gemäß einem früheren Mitglied der afghanischen Verteidigungskräfte ist bei der Vorgehensweise der Taliban nun neu, dass sie mit einer Namensliste von Haus zu Haus gehen und Personen auf ihrer Liste suchen.

Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Gegenwärtig nutzt die Gruppierung soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren. Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn derzeit intensiv, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben. Auch wurde berichtet, dass die Taliban bei Kontrollpunkten Telefone durchsuchen, um Personen mit Verbindungen zu westlichen Regierungen oder Organisationen bzw. zu den [ehemaligen] afghanischen Streitkräften (ANDSF) zu finden. Viele afghanische Bürgerinnen und Bürger, die für die internationalen Streitkräfte, internationale Organisationen und für Medien gearbeitet haben, oder sich in den sozialen Medien kritisch gegenüber den Taliban äußerten, haben aus Angst vor einer Verfolgung durch die Taliban ihre Profile in den sozialen Medien daher gelöscht.

Unter anderem werten die Taliban auch aktuell im Internet verfügbare Videos und Fotos aus. Sie verfügen über Spezialkräfte, die in Sachen Informationstechnik und Bildforensik gut ausgebildet und ausgerüstet sind. Ihre Bildforensiker arbeiten gemäß einem Bericht vom August 2021 auf dem neuesten Stand der Technik der Bilderkennung und nutzen beispielsweise Gesichtserkennungssoftware. Im Rahmen der Berichterstattung über auf der Flucht befindliche Ortskräfte wurden von Medien unverpixelte Fotos veröffentlicht, welche für Personen, welche sich nun vor den Taliban verstecken, gefährlich werden können.

Im Zuge ihrer Offensive haben die Taliban Geräte zum Auslesen von biometrischen Daten erbeutet, welche ihnen die Identifikation von Hilfskräften der internationalen Truppen erleichtern könnte [Anm.: sog. HIIDE („Handheld Interagency Identity Detection Equipment“-Geräte]. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht genau bekannt, zu welchen Datenbanken die Taliban Zugriff haben. Laut Experten bieten die von den Taliban erlangten US-Gerätschaften nur begrenzten Zugang zu biometrischen Daten, die noch immer auf sicheren Servern gespeichert sind. Recherchen zeigten jedoch, dass eine größere Bedrohung von den Datenbanken der afghanischen Regierung selbst ausgeht, die sensible persönliche Informationen enthalten und zur Identifizierung von Millionen von Menschen im ganzen Land verwendet werden könnten. Betroffen sein könnte beispielsweise eine Datenbank, welche zum Zweck der Gehaltszahlung Angaben von Angehörigen der [ehemaligen] afghanischen Armee und Polizei enthält (das sog. Afghan Personnel and Pay System, APPS), aber auch andere Datenbanken mit biometrischen Angaben, welche die afghanische Regierung zur Erfassung ihrer Bürger anlegte, beispielsweise bei der Beantragung von Dokumenten, Bewerbungen für Regierungsposten oder Anmeldungen zur Aufnahmeprüfung für das Hochschulstudium. Eine Datenbank des [ehemaligen] afghanischen Innenministeriums, das Afghan Automatic Biometric Identification System (AABIS), sollte gemäß Plänen bis 2012 bereits 80 % der afghanischen Bevölkerung erfassen, also etwa 25 Millionen Menschen. Es gibt zwar keine öffentlich zugänglichen Informationen darüber, wie viele Datensätze diese Datenbank bis zum heutigen Zeitpunkt enthält, aber eine unbestätigte Angabe beziffert die Zahl auf immerhin 8,1 Millionen Datensätze.

Trotz der Vielzahl von Systemen waren die unterschiedlichen Datenbanken allerdings nie vollständig miteinander verbunden. Nach der Machtübernahme der Taliban hat Google einem Insider zufolge eine Reihe von E-Mail-Konten der bisherigen Kabuler Regierung vorläufig gesperrt. Etwa zwei Dutzend staatliche Stellen in Afghanistan sollen die Server von Google für E-Mails genutzt haben. Nach Angaben eines Experten wäre dies eine „wahre Fundgrube an Informationen“ für die Taliban, allein eine Mitarbeiterliste auf einem Google Sheet sei mit Blick auf Berichte über Repressalien gegen bisherige Regierungsmitarbeiter ein großes Problem. Mehrere afghanische Regierungsstellen nutzten auch E-Mail-Dienste von Microsoft, etwa das Außenministerium und das Präsidialamt. Unklar ist, ob das Softwareunternehmen Maßnahmen ergreift, um zu verhindern, dass Daten in die Hände der Taliban fallen. Ein Experte sagte, er halte die von den USA aufgebaute IT-Infrastruktur für einen bedeutenden Faktor für die Taliban. Dort gespeicherte Informationen seien „wahrscheinlich viel wertvoller für eine neue Regierung als alte Hubschrauber“.

Da die Taliban Kabul so schnell einnahmen, hatten viele Büros zudem keine Zeit, Beweise zu vernichten, die sie in den Augen der Taliban belasten. Berichten zufolge wurden von der britischen Botschaft beispielsweise Dokumente zurückgelassen, welche persönliche Daten von afghanischen Ortskräften und Bewerbern enthielten.

Im Rahmen der Evakuierungsbemühungen von Ausländern und afghanischen Ortskräften nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul gaben US-Beamte den Taliban eine Liste mit den Namen US-amerikanischer Staatsbürger, Inhaber von Green Cards [Anm.: US-amer. Aufenthaltsberechtigungskarten] und afghanischer Verbündeter, um ihnen die Einreise in den von den Taliban kontrollierten Außenbereich des Flughafens von Kabul zu gewähren - eine Entscheidung, die kritisiert wurde. Gemäß einem Vertreter der US-amerikanischen Streitkräfte hätte die US-Regierung die betroffenen Afghanen somit auf eine „Todesliste“ gesetzt, wobei US-Präsident Biden in einer Pressekonferenz darauf angesprochen meinte, dass auf der Liste befindliche Afghanen von den Taliban bei den Kontrollen durchgelassen wurden.

Struktur und Führung der Taliban (LIB S. 43 f):

Die Taliban bezeichneten sich [vor ihrer Machtübernahme] selbst als das Islamische Emirat Afghanistan. Sie positionierten sich als Schattenregierung Afghanistans. Ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprachen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betrieb.

Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando der Taliban sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert, welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde.

Die wichtigsten Entscheidungen werden von einem Führungsrat getroffen, der nach seinem langjährigen Versteck auch als Quetta-Schura bezeichnet wird. Dem Rat gehören neben dem Taliban- Chef und dessen Stellvertretern rund zwei Dutzend weitere Personen an.

Die Mitglieder der Quetta-Schura sind vor allem Vertreter des Talibanregimes von 1996-2001. Neben der Quetta-Schura, welche [vor der Machtübernahme der Taliban in Kabul] die Talibanangelegenheiten in elf Provinzen im Süden, Südwesten und Westen Afghanistans regelte, gibt es beispielsweise auch die Peshawar-Schura, welche diese Aufgabe in 19 weiteren Provinzen übernommen hat, sowie auch die Miran Shah-Schura. Das Haqqani-Netzwerk mit seinen Kommandanten in Ostafghanistan und Pakistan hat enge Verbindungen zu den beiden letztgenannten Schuras.

Die Quetta-Schura übt eine gewisse Kontrolle über die rund ein Dutzend verschiedenen Kommissionen aus, welche als „Ministerien“ fungierten. Die Taliban unterhielten [vor ihrer Machtübernahme in Kabul] beispielsweise eine Kommission für politische Angelegenheiten mit Sitz in Doha, welche im Februar 2020 die Friedensverhandlungen mit den USA abschloss.

Nach Angaben des Talibansprechers Zabihullah Mujahid hat diese Kommission keine direkte Kontrolle über die Talibankämpfer in Afghanistan. Die militärischen Kommandostrukturen bis hinunter zur Provinz- und Distriktebene unterstehen nämlich der Kommission für militärische Angelegenheiten.

Die höchste Instanz in religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten ist Mullah Haibatullah Akhundzada. Er ist seit 2016 der „Amir al Muminin“ oder „Emir der Gläubigen“, ein Titel, der ihm von Aiman Al-Zawahiri, dem Anführer von Al-Qaida, verliehen wurde. Er hat drei Stellvertreter: 1.) der Stellvertreter für Politisches ist Mullah Abdul Ghani Baradar, der Leiter der Kommission für politische Angelegenheiten und Vorsitzender des Verhandlungsteams der Taliban in Doha; 2.) der Stellvertreter für die südlichen Provinzen und Leiter der militärischen Operationen bzw. der einflussreichen Kommission für militärische Angelegenheiten ist Mullah Mohammad Yaqoob; 3.) der Stellvertreter für die östlichen Provinzen ist Sirajuddin Haqqani, der auch der Anführer des Haqqani-Netzwerks und der Miran Shah-Schura ist. Im September 2021 wurde angekündigt, dass Baradar in der „Übergangsregierung“ die Position des stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats einnehmen wird, Yaqoob soll Verteidigungsminister werden, Sirajuddin Haqqani Innenminister. Haibatullah Akhunzada wird sich als „Oberster Führer“ auf religiöse Angelegenheiten und die Regierungsführung im Rahmen des Islam konzentrieren.

Die Taliban treten nach außen hin geeint auf, trotz Berichten über interne Spannungen oder Spaltungen. Im Juni 2021 berichtete der UN-Sicherheitsrat, dass die unabhängigen Operationen und die Macht von Taliban-Kommandanten vor Ort für den Führungsrat der Taliban (die Quetta-Schura) zunehmend Anlass zur Sorge sind. Spannungen zwischen der politischen Führung und einigen militärischen Befehlshabern sind Ausdruck anhaltender interner Rivalitäten, Stammesfehden und Meinungsverschiedenheiten über die Verteilung der Einnahmen der Taliban. Zuletzt wurde auch über interne Meinungsverschiedenheiten bei der Regierungsbildung berichtet, was vom offiziellen Sprecher der Taliban jedoch dementiert wurde.

Die Taliban sind somit keine monolithische Organisation. Gemäß einem Experten für die Organisationsstruktur der Taliban unterstehen nur rund 40-45 Prozent der Truppen der Talibanführung. Rund 35 Prozent werden von Sirajuddin Haqqani, dem Kopf des Haqqani-Netzwerks und Stellvertreter von Mullah Akhundzada angeführt, weitere ca. 25 Prozent von Taliban aus dem Norden des Landes (Tadschiken und Usbeken). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können.

Rechtsschutz/Justizwesen (LIB S. 60 f.):

Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme im August 2021 an, dass zukünftig eine islamische Regierung von islamischen Gesetzen angeleitet werden soll, das Regierungssystem solle auf der Scharia basieren. Sie blieben dabei allerdings sehr vage bezüglich der konkreten Auslegung. „Scharia“ bedeutet auf Arabisch „der Weg“ und bezieht sich auf ein breites Spektrum an moralischen und ethischen Grundsätzen, die sich aus dem Koran sowie aus den Aussprüchen und Praktiken des Propheten Mohammed ergeben. Die Grundsätze variieren je nach der Auslegung verschiedener Gelehrter, die Denkschulen gegründet haben, denen die Muslime folgen und die sie als Richtschnur für ihr tägliches Leben nutzen.

Die Auslegung der Scharia ist in der muslimischen Welt Gegenstand von Diskussionen. Jene Gruppen und Regierungen, die ihr Rechtssystem auf die Scharia stützen, haben dies auf unterschiedliche Weise getan. Wenn die Taliban sagen, dass sie die Scharia einführen, bedeutet das nicht, dass sie dies auf eine Weise tun, der andere islamische Gelehrte oder islamische Autoritäten zustimmen würden. Sogar in Afghanistan haben sowohl die Taliban, die das Land zwischen 1996 und 2001 regierten, als auch die Regierung von Ashraf Ghani behauptet, das islamische Recht zu wahren, obwohl sie unterschiedliche Rechtssysteme hatten.

Die Auslegung des islamischen Rechts durch die Taliban entstammt nach Angaben eines Experten dem Deobandi-Strang der Hanafi-Rechtsprechung - einem Zweig, der in mehreren Teilen Südostasiens, darunter Pakistan und Indien, anzutreffen ist - und der eigenen gelebten Erfahrung als überwiegend ländliche und stammesbezogene Gesellschaft. Als die Taliban 1996 an die Macht kamen, setzten sie strenge Kleidervorschriften für Männer und Frauen durch und schlossen Frauen weitgehend von Arbeit und Bildung aus. Die Taliban führten auch strafrechtliche Bestrafungen (hudood) im Einklang mit ihrer strengen Auslegung des islamischen Rechts ein, darunter öffentliche Hinrichtungen von Menschen, die von Taliban-Richtern des Mordes oder des Ehebruchs für schuldig befunden wurden, und Amputationen für diejenigen, die aufgrund von Diebstahl verurteilt wurden.

Sicherheitsbehörden

Es sind zum aktuellen Zeitpunkt mit September 2021 noch keine validen Informationen den Aufbau der Sicherheitsbehörden unter den Taliban bekannt.

Folter und unmenschliche Behandlung (LIB S. 61):

Unter der vormaligen Regierung war laut der afghanischen Verfassung (Artikel 29) sowie dem Strafgesetzbuch (Penal Code) und dem afghanischen Strafverfahrensrecht (Criminal Procedure Code) Folter verboten. Die Regierung erzielte Fortschritte bei der Verringerung der Folter in einigen Haftanstalten, versäumte es jedoch, Mitglieder der Sicherheitskräfte und prominente politische Persönlichkeiten für Misshandlungen, einschließlich sexueller Übergriffe, zur Rechenschaft zu ziehen.

Es gibt zahlreiche Berichte über Folter und grausame, unmenschliche und erniedrigende Bestrafung durch die Taliban, ISKP und andere regierungsfeindliche Gruppen. UNAMA berichtet, dass zu den von den Taliban durchgeführten Bestrafungen Schläge, Amputationen und Hinrichtungen gehörten. Die Taliban hielten UNAMA zufolge Häftlinge unter schlechten Bedingungen fest und setzten sie Zwangsarbeit aus.

Allgemeine Menschenrechtslage (LIB S. 64):

Es gibt Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021. Die Gruppe soll Tür-zu-Tür-Durchsuchungen durchführen und auch an einigen Kontrollpunkten der Taliban wurden gewalttätige Szenen gemeldet. Diejenigen, die für die Regierung oder andere ausländische Mächte gearbeitet haben, sowie Journalisten und Aktivisten sagen, sie hätten Angst vor Repressalien.

Die Europäische Union hat erklärt, dass die von ihr zugesagte Entwicklungshilfe in Höhe von mehreren Milliarden Dollar von Bedingungen wie der Achtung der Menschenrechte durch die Taliban abhängt.

Meinungs- und Pressefreiheit nach der Machtübernahme durch die Taliban (LIB S. 65):

Ein Protest von mehreren hundert Personen wurde am 7.9.2021 durch Taliban-Kämpfer aufgelöst, indem sie Gewehrsalven in die Luft feuerten. Augenzeugen berichteten, dass Taliban-Mitglieder Fotos und Videos der Proteste von den Telefonen der von ihnen festgenommenen Personen löschten. Auch ein Kameramann des afghanischen Nachrichtensenders Tolo News wurde kurzzeitig von den Taliban festgenommen. Es gibt auch Berichte, wonach Taliban Tränengas und Pfefferspray gegen Demonstranten einsetzen. Nach außen hin haben sich die Taliban verpflichtet, Journalisten zu schützen und die Pressefreiheit zu respektieren, doch die Realität in Afghanistan ist nach Reporter ohne Grenzen (RSF) eine andere. Die neuen Behörden verhängen bereits sehr strenge Auflagen für die Nachrichtenmedien, auch wenn sie noch nicht offiziell sind und es gibt Berichte wonach die Taliban Journalisten Schikanen, Drohungen und auch Gewalt aussetzen. Am 7.9.2021 verhafteten Sicherheitskräfte der Taliban Journalisten des in Kabul ansässigen Medienunternehmens Etilaat-e Roz. Die Reporter hatten über Proteste von Frauen in Kabul berichtet, die ein Ende der Verstöße der Taliban gegen die Rechte von Frauen und Mädchen forderten. Es wurde berichtet, dass die Taliban-Behörden die beiden Männer zu einer Polizeistation in Kabul brachten, sie in getrennte Zellen steckten und sie mit Kabeln schwer verprügelten. Beide Männer wurden am 8.9.2021 freigelassen und in einem Krankenhaus wegen ihrer Verletzungen am Rücken und im Gesicht medizinisch versorgt. Die Taliban haben ihr Vorgehen gegen die Proteste gegen ihre Herrschaft verschärft und haben alle Demonstrationen, die nicht offiziell genehmigt sind verboten, sowohl die Versammlung selbst als auch etwaige Slogans, die verwendet werden. Die Taliban warnten vor „schweren rechtlichen Konsequenzen“ sollte man sich nicht daran halten.

Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und Opposition (LIB S. 67):

Ein Protest von mehreren hundert Personen wurde am 7.9.2021 durch Taliban-Kämpfer aufgelöst, indem sie Gewehrsalven in die Luft feuerten. Augenzeugen berichteten, dass Taliban-Mitglieder Fotos und Videos der Proteste von den Telefonen der von ihnen festgenommenen Personen löschten. Auch ein Kameramann des afghanischen Nachrichtensenders Tolo News wurde kurzzeitig von den Taliban festgenommen. Es gibt auch Berichte wonach Taliban Tränengas und Pfefferspray bzw. Stöcke und Peitschen gegen Demonstranten einsetzen. Auch von Todesopfern bei Protesten wird berichtet. Die Taliban haben ihr Vorgehen gegen die Proteste gegen ihre Herrschaft verschärft und haben alle Demonstrationen, die nicht offiziell genehmigt sind verboten, sowohl die Versammlung selbst als auch etwaige Slogans, die verwendet werden. Die Taliban warnten vor „schweren rechtlichen Konsequenzen“ sollte man sich nicht daran halten.

Religionsfreiheit (LIB S. 70):

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3% der Bevölkerung aus.

Über die Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf Religionsfreiheit sind noch keine validen Informationen bekannt.

Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wurde vor der Machtübernahme durch die Taliban auf 10 bis 19% geschätzt. Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Vertretern der Religionsgemeinschaft sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten.

Direkte Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten waren vor der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan selten. Im Jahr 2020 verzeichnete UNAMA 19 Angriffe mit 115 zivilen Opfern (60 Tote und 55 Verletzte), die dem ISKP (Islamischer Staat Khorasan Provinz) und anderen regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden und die auf Kultstätten, religiöse Führer und Gläubige abzielten, verglichen mit 20 Angriffen im Jahr 2019 mit 236 zivilen Opfern (80 Tote und 156 Verletzte).

Zur Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf die schiitische Minderheit sind noch keine validen Informationen bekannt.

Ethnische Gruppen (LIB S. 75):

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 37,5 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge sind die größten Bevölkerungsgruppen: 32 bis 42% Paschtunen, ca. 27% Tadschiken, 9 bis 20% Hazara, ca. 9% Usbeken, 2% Turkmenen und 2% Belutschen.

Hazara (LIB S. 77 f.):

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazarajat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben.

Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt Kabul, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten, auch bekannt als Jafari Schiiten. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazarajat lebt, ist ismailitisch. Ismailitische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind, leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans.

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft [1996-2001] besonders verfolgt waren, hat sich [bis zur erneuten Machtübernahme durch die Taliban im August 2021] grundsätzlich verbessert. Sie wurden jedoch weiterhin am Arbeitsmarkt diskriminiert.

Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, fanden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht.

Während des gesamten Jahres 2020 und auch 2021 setzte der ISKP seine Angriffe auf schiitische Gemeinschaften, vorwiegend Hazara, fort. Am 6.3.2021 griffen Bewaffnete eine Zeremonie in Kabul an, an der hauptsächlich schiitische Hazara teilnahmen, und töteten 32 Personen. Am 24.10.2021 tötete ein Selbstmordattentäter in einem Bildungszentrum in einem Hazara-Viertel von Kabul 40 Personen und verwundete 72 weitere. Der ISKP bekannte sich dazu. Viele der Opfer waren zwischen 15 und 26 Jahre alt. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffe wie im Mai 2021, als eine Autobombe vor einer Mädchenschule in Dasht-e Barchi explodierte, wobei 58 Personen, darunter Schülerinnen, getötet und mehr als 100 verletzt wurden. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt.

In Randgebieten des Hazarajat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara.

Im Juli 2021 berichtete AI (Amnesty International) über die Tötung von neun Angehörigen der Hazara in der Provinz Ghazni. AI nimmt an, dass diese Tötungen nur einen winzigen Bruchteil der gesamten Todesopfer durch die Taliban darstellen, da die Gruppe in vielen Gebieten, die sie kürzlich erobert hat, die Mobilfunkverbindung gekappt hat und kontrolliert, welche Fotos und Videos aus diesen Regionen verbreitet werden.

Über die Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf die verschiedenen ethnischen Gruppen sind noch keine validen Informationen bekannt.

IDPs und Flüchtlinge (LIB S. 86 f.):

Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021

Die Auswirkungen einer schweren Dürre, einer einbrechenden Wirtschaft, der COVID-19-Pandemie und des sich verschärfenden Konflikts in den ersten acht Monaten des Jahres haben die Menschen bereits dazu veranlasst, ihre Heimat - und das Land - zu verlassen, und es wird erwartet, dass die Situation durch den Übergang zu einer Taliban-Regierung wahrscheinlich noch verschärft werden wird.

Nachdem die Taliban die Kontrolle über Afghanistan übernommen haben, sind Tausende von Menschen über die Grenze von Chaman ins benachbarte Pakistan oder über den Grenzübergang Islam Qala in den Iran geflohen. Insgesamt 32 von 34 Provinzen haben ein gewisses Maß an Vertreibung zu verzeichnen. Ein ehemaliger US-Militärvertreter erklärte, Überlandverbindungen seien riskant, aber zurzeit die einzige Möglichkeit zur Flucht. Laut US-Militärkreisen haben die Taliban weitere Kontrollpunkte auf den Hauptstraßen nach Usbekistan und Tadschikistan errichtet. Die Islamisten verbieten zudem Frauen, ohne männliche Begleitung zu reisen.

Tadschikistan hat die Aufnahme von 100.000 Flüchtlingen zugesagt, jedoch müsse dafür erst die Infrastruktur geschaffen werden und auch nach Usbekistan zieht es viele Afghanen.

Grundversorgung und Wirtschaft (LLIB S. 89 f.):

Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2020 lediglich Platz 169 von 189 des Human Development Index. Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig.

Nach der Machtübernahme der Taliban bleiben die Banken geschlossen, so haben die Vereinigten Staaten der Taliban-Regierung den Zugang zu praktisch allen Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. $ (7,66 Mrd. €) verwehrt, die größtenteils in den USA gehalten werden. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Afghanistan nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban den Zugang zu seinen Mitteln verwehrt.

Da keine neuen Dollarlieferungen zur Stützung der Währung ankommen, ist die afghanische Währung auf ein Rekordtief gefallen.

Dürre und Überschwemmungen

Starke Regenfälle haben im Mai 2021 mehrere Provinzen Afghanistans, insbesondere Herat, heimgesucht und Sturzfluten und Überschwemmungen verursacht, die zu Todesopfern und Schäden führten. Die am stärksten betroffenen Provinzen sind Herat, Ghor, Maidan Wardak, Baghlan, Samangan, Khost, Bamyan, Daikundi und Badakhshan. Medienberichten zufolge sind in der Provinz Herat bis zu 37 Menschen ums Leben gekommen, Hunderte wurden vertrieben und mehr als 150 Häuser wurden zerstört. 405 Familien wurden landesweit aus ihren Häusern vertrieben.

Armut und Lebensmittelunsicherheit (LIB S. 91):

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden.

Da keine neuen Dollarlieferungen eintreffen, um die Währung zu stützen, ist die afghanische Währung auf ein Rekordtief gefallen und hat die Preise in die Höhe getrieben. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mehl, Öl und Reis sind innerhalb weniger Tage um bis zu 10-20 % gestiegen.

Arbeitsmarkt (LIB S. 93 f.):

Vor der Machtübernahme durch die Taliban war der Arbeitsmarkt durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. 80% der afghanischen Arbeitskräfte befanden sich in „prekären Beschäftigungsverhältnissen“, mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit und schlechten Arbeitsbedingungen. Schätzungsweise 16% der prekär Beschäftigten waren Tagelöhner, von denen sich eine unbestimmte Zahl an belebten Straßenkreuzungen der Stadt versammelt und nach Arbeit sucht, die, wenn sie gefunden wird, ihren Familien nur ein Leben von der Hand in den Mund ermöglicht.

Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der COVID-19-Pandemie wieder steigen ebenso wie die Anzahl der prekär Beschäftigten.

Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt. Am Arbeitsmarkt müssen jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten bislang aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können.

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet.

Es gibt einen großen Anteil an Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig. Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt. Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge gibt es keine Hinweise, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte.

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor: Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind.

Ungelernte Arbeiter erwirtschaften ihr Einkommen als Tagelöhner, Straßenverkäufer oder durch das Betreiben kleiner Geschäfte. Der Durchschnittslohn für einen ungelernten Arbeiter ist unterschiedlich, für einen Tagelöhner beträgt er etwa 5 USD pro Tag. Während der COVID-19-Pandemie ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftszweige durch die Sperr- und Restriktionsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ beeinflusst wurden. Kleine und große Unternehmen boten in der Regel direkte Arbeitsmöglichkeiten für Tagelöhner.

Medizinische Versorgung (LIB S. 97 f.):

Bis zur Machtübernahme der Taliban im August 2021 wurden 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan nicht direkt vom Staat erbracht, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die unter Vertrag genommen werden.

Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt. Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind.

Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghaninnen und Afghanen schwierig, überhaupt eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen.

Insbesondere die COVID-19-Pandemie offenbarte die Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems, das akute Defizite in der Prävention (Schutzausrüstung), Diagnose (Tests) und medizinischen Versorgung der Kranken aufweist. Die Verfügbarkeit und Qualität der Basisversorgung ist durch den Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenten (insbesondere Hebammen), den Mangel an Medikamenten, schlechtes Management und schlechte Infrastruktur eingeschränkt. Darüber hinaus herrscht in der Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber der staatlich finanzierten medizinischen Versorgung.

Neben dem öffentlichen Gesundheitssystem gibt es auch einen weitverbreiteten, aber teuren privaten Sektor. Trotz dieser höheren Kosten wird berichtet, dass über 60% der Afghanen private Gesundheitszentren als Hauptansprechpartner für Gesundheitsdienstleistungen nutzen. Vor allem Afghanen, die außerhalb der großen Städte leben, bevorzugen die private Gesundheitsversorgung wegen ihrer wahrgenommenen Qualität und Sicherheit, auch wenn die dort erhaltene Versorgung möglicherweise nicht von besserer Qualität ist als in öffentlichen Einrichtungen

COVID-19

Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium durchgeführten Umfrage hatten mit Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan seit März 2020 Anzeichen und Symptome von COVID-19 gehabt. Bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet, wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht. Die Zahl der täglich neu bestätigten COVID-19-Fälle in Afghanistan ist in den Wochen nach dem Eid al-Fitr-Fest Mitte Mai 2021 stark angestiegen und übertrifft die Spitzenwerte, die zu Beginn des Ausbruchs im Land verzeichnet wurden. Die gestiegene Zahl der Fälle belastet das Gesundheitssystem weiter. Gesundheitseinrichtungen berichten von Engpässen bei medizinischem Material, Sauerstoff und Betten für Patienten mit COVID-19 und anderen Krankheiten.

Einige der Regional- und Provinzkrankenhäuser in den Großstädten wurden im Hinblick auf COVID-19 mit Test- und Quarantäneeinrichtungen ausgestattet. Menschen mit Anzeichen von COVID-19 werden getestet und die schwer Erkrankten im Krankenhaus in Behandlung genommen. Die Kapazität solcher Krankenhäuser ist jedoch aufgrund fehlender Ausrüstung begrenzt. In den anderen Provinzen schicken die Gesundheitszentren, die nicht über entsprechende Einrichtungen verfügen, die Testproben in die Hauptstadt und geben die Ergebnisse nach sechs bis zehn Tagen bekannt. Im Großteil der Krankenhäuser werden nur grundlegende Anweisungen und Maßnahmen empfohlen, es gibt keine zwingenden Vorschriften, und selbst die Infizierten erfahren nur grundlegende und normale Behandlung.

Angesichts der jüngsten Entwicklungen hat die Weltbank alle Hilfen für Afghanistan eingefroren. Mehr 2.500 Gesundheitseinrichtungen und die Gehälter von mehr als 2.000 Beschäftigten im Gesundheitswesen, die im Rahmen des von der Weltbank kofinanzierten Sehatmandi-Projekts unterstützt werden, werden davon betroffen sein. Derzeit sind mehr als 3.800 Gesundheitseinrichtungen, die im Rahmen des Projekts unterstützt wurden, ganz oder teilweise nicht funktionsfähig. Die NGOs, die das Projekt durchführen, haben jedoch die Umsetzung reduziert, was zur sofortigen Aussetzung einiger Dienste in den Gesundheitseinrichtungen, einschließlich Überweisungen und ambulanter Essensversorgung führte. Einige wenige Gesundheitseinrichtungen, die im Rahmen des Projekts unterstützt wurden, verfügen über genügend medizinische Vorräte um die Versorgung für einige Monate aufrechtzuerhalten. In Ermangelung einer ausreichenden Finanzierung könnte die Kürzung der Hilfe Hunderttausende Afghanen ohne medizinische Versorgung zurücklassen und unverhältnismäßig viele Frauen betreffen.

Angesichts der Blockade des Flughafens Kabul rufen WHO und UNICEF zur Unterstützung bei der Lieferung wichtiger medizinischer Güter nach Afghanistan auf.

Rückkehr (LIB S. 107 f.):

IOM (Internationale Organisation für Migration) verzeichnete im Jahr 2020 die bisher größte Rückkehr von undokumentierten afghanischen Migranten. Von den mehr als 865.700 Afghanen, die im Jahr 2020 nach Afghanistan zurückkehrten, kamen etwa 859.000 aus dem Iran und schätzungsweise 6.700 aus Pakistan.

Im Jahr 2021 wurden bis August 759.046 undokumentierte Rückkehrer verzeichnet.

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration. Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich, da es ohne familiäre Netzwerke sehr schwer sein kann, sich selbst zu erhalten. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme und der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk. Einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder in den Iran, nach Pakistan oder weiter nach Europa migrierten. Der Reintegrationsprozess der Rückkehrer ist oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen. Aufgrund der Sicherheitslage ist es Rückkehrern nicht immer möglich, in ihre Heimatorte zurückzukehren.

Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw.

Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren.

„Erfolglosen“ Rückkehrern aus Europa haftet oft das Stigma des „Versagens“ an. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa, was durch die aktuelle Situation im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wird. Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden und auch IOM Kabul sind keine solchen Vorkommnisse bekannt. Andere Quellen geben jedoch an, dass es zu tätlichen Angriffen auf Rückkehrer gekommen sein soll, wobei dies auch im Zusammenhang mit einem fehlenden Netzwerk vor Ort gesehen wird. UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann.

Viele afghanische Rückkehrer werden de facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbst gebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen.

IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden. Zu Tätigkeiten vor Ort im Rahmen anderer Projekte (RADA, etc.) kann derzeit noch keine Rückmeldung gegeben werden.

Es sind zum aktuellen Zeitpunkt mit September 2021 noch keine validen Informationen über dem Umgang der Taliban mit Rückkehrern bekannt.

Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan (LIB S. 4 f.):

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt.

Die Zahl der täglich neu bestätigten COVID-19-Fälle in Afghanistan ist in den Wochen nach dem Eid al-Fitr-Fest Mitte Mai 2021 stark angestiegen und übertrifft die Spitzenwerte, die zu Beginn des Ausbruchs in dem Land verzeichnet wurden. Die gestiegene Zahl der Fälle belastet das Gesundheitssystem weiter. Gesundheitseinrichtungen berichten von Engpässen bei medizinischem Material, Sauerstoff und Betten für Patienten mit COVID-19 und anderen Krankheiten.

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen. Seit Ende des Ramadans und einige Wochen nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden.

Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen. Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an. Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen.

Die Lücken in der COVID-19-Testung und Überwachung bleiben bestehen, da es an Laborreagenzien für die Tests mangelt und die Dienste aufgrund der jüngsten Unsicherheit möglicherweise nur wenig in Anspruch genommen werden. Der Mangel an Testmaterial in den öffentlichen Labors kann erst behoben werden, wenn die Lieferung von 50.000 Testkits von der WHO im Land eintrifft. Mit Stand 4.9.2021 wurden 153.534 COVID-19 Fälle offiziell bestätigt. Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert.

Maßnahmen der ehemaligen Regierung und der Taliban

Das vormalige afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hatte verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchten Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ waren in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation).

Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind. Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden. Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19.

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China.

Die Taliban erlaubten den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 und gaben im Januar 2021 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“, wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird.

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht. Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben.

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, Sauerstoff, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19. Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet.

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult. UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist, wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt.

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report ufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben.

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

Die ohnehin schlechte wirtschaftliche Lage wurde durch die Auswirkungen der Pandemie noch verstärkt. COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei. Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben, wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um 18-31% gestiegen sind.

Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst.

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch langanhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten.

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019.

Frauen, Kinder und Binnenvertriebene

Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die ehemalige Regierung ordnete im März 2020 an, alle Schulen zu schließen, wobei diese ab August 2020 wieder stufenweise geöffnet wurden. Angesichts einer zweiten COVID-19-Welle verkündete die Regierung jedoch Ende November die abermalige Schließung der Schulen, wobei diese im Laufe des ersten Quartals 2021 wieder geöffnet wurden. 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden. Ende Mai 2021 wurden die Schulen erneut geschlossen und begannen mit Ende Juli langsam wieder zu öffnen.

Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, waren nun auch anfälliger für Rekrutierung durch die Konfliktparteien. In den ersten Monaten des Jahres 2021 wurde im Durchschnitt eines von drei Kindern in Afghanistan außer Haus geschickt, um zu arbeiten. Besonders außerhalb der Städte wurde ein hoher Anstieg der Kinderarbeit berichtet. Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen. Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt. Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen.

Binnenvertriebene sind besonders gefährdet, sich mit COVID-19 anzustecken, da sie bereits vorher anfällig waren, es keine Gesundheitseinrichtungen gibt, die Siedlungen überfüllt sind und sie nur begrenzten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen haben. Aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen sind die vertriebenen Gemeinschaften nicht in der Lage, Präventivmaßnahmen wie soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren und sind daher anfälliger für die Ansteckung und Verbreitung des Virus.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen wurden auf Grundlage des vorangegangenen Asylaktes (Verwaltungs- und Gerichtsakt) und des das Aberkennungsverfahren betreffenden Aktes einschließlich der im Akt einliegenden Strafurteile, des Beschwerdevorbringens, der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 22.07.2021 sowie der Länderberichte zur Lage in Afghanistan, der dazu erstatteten Stellungnahme des Beschwerdeführers und der von ihm vorgelegten Unterlagen getroffen.

2.1. Die Feststellungen zu Namensführung, Geburtsdatum/Alter, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache und weiteren Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers basieren auf seinen diesbezüglich glaubhaften Aussagen im Verlauf des Verfahrens, insbesondere in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen über den Geburtsort des Beschwerdeführers, seine Ausreise im Alter von ca. sechs Jahren und den anschließenden Aufenthalt im Iran (bis Herbst 2014) stützen sich ebenfalls auf die Aussagen des Beschwerdeführers im Zuge seiner Befragungen.

Der Beschwerdeführer gab sowohl bei seiner Erstbefragung am 31.01.2015 als auch bei der Einvernahme vor dem BFA am 03.06.2016 an, dass er im Iran von 2008 bis 2010 eine Schule besucht habe, weshalb sein diesbezüglich abweichendes Vorbringen in der Verhandlung (Schulbesuch nur für sechs Monate) nicht für glaubhaft befunden wird. Gleichbleibend gab er an, dass er lesen und schreiben könne. Die Tätigkeiten, die der Beschwerdeführer im Iran ausübte, schilderte er schlüssig in der Verhandlung.

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen, ihrem Aufenthaltsort, dem aufrechten Kontakt mit der Familie mütterlicherseits, der Ablehnung eines Kontaktes zur Familie väterlicherseits, zur Scheidung der Mutter und zur Berufstätigkeit der Mutter ergeben sich aus dessen Angaben vor dem BFA sowie in der Verhandlung. Dass der Beschwerdeführer seine im Iran lebende Familie nach wie vor finanziell unterstützt, gab er in der Verhandlung an.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und seiner Arbeitsfähigkeit konnten auf Basis seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung und der im Akt einliegenden Unterlagen getroffen werden. Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, dass er derzeit auf Anordnung des Strafgerichtes seit April 2021 eine Psychotherapie bei der Männerberatung wahrnehme. Bei ihm liege keine psychische Erkrankung vor. Er nehme keine Medikamente ein.

2.2. Die Feststellungen zur Antragstellung, zur Zuerkennung subsidiären Schutzes, zur zweimaligen Verlängerung der befristet erteilten Aufenthaltsberechtigung und zum Gegenstand des angefochtenen Bescheides ergeben sich aus dem – vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen – Akteninhalt.

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers einschließlich der von den zuständigen Strafgerichten festgestellten Taten und der jeweils herangezogenen Strafzumessungsgründe beruhen auf den im Akt einliegenden Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 04.05.2017 und des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 02.03.2021. Weiters wurde ein aktueller Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich erstellt.

Soweit der Beschwerdeführer sowie seine als Zeugin einvernommene Freundin/Frau in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht die Begehung der gegen sie gesetzten Straftaten abzustreiten versuchten, ist festzuhalten, dass die Rechtskraft des in Rede stehenden Urteils vom 02.03.2021 weder durch davon abweichende Angaben des Beschwerdeführers und des Opfers der Straftat über den der Verurteilung zugrunde liegenden Tathergang noch durch eine seitens der Rechtsvertreterin ins Treffen geführte, nicht näher konkretisierte Strafanzeige gegen die Freundin/Frau des Beschwerdeführers wegen falscher Beweisaussage berührt wird, zumal die Rechtskraft des Urteils vom 02.03.2021 vom Beschwerdeführer weder konkret bestritten noch ein Vorbringen zu einer allfälligen Wiederaufnahme des Strafverfahrens erstattet wurde.

Der Strafrahmen der vom Beschwerdeführer begangenen Tat und die Qualifikation als Verbrechen ergeben sich aus § 84 Abs. 4 und § 17 StGB.

Die tatsächliche Dauer der Untersuchungs- und anschließenden Strafhaft ist einer im Akt einliegenden Haftbestätigung zu entnehmen.

Dass der Beschwerdeführer der gerichtlichen Weisung zu einer Therapie bei der Männerberatung nachkommt und die Termine bei der Bewährungshilfe einhält, ergibt sich aus entsprechenden Bestätigungen im Akt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bezüglich der Verurteilung vom 02.03.2021 nach wie vor nicht reumütig ist und nicht die Verantwortung für die dem Urteil zugrunde gelegten Straftaten übernimmt, ergibt sich aus seinem Aussageverhalten in der Beschwerdeverhandlung. Wie bereits erwähnt, versuchten er und das damalige Opfer der Straftat, die als Zeugin einvernommene Freundin/Frau des Beschwerdeführers, im Zuge der Verhandlung einen gänzlich anderen Ablauf des Tatherganges darzulegen, wobei diesbezüglich seitens des Bundesverwaltungsgerichtes wiederholt auf die Rechtskraft des in Rede stehenden Strafurteiles verwiesen wurde. Auch gab der Beschwerdeführer auf Nachfrage zur Absolvierung eines Anti-Gewalt-Trainings an, er sei kein gewalttätiger Mensch, müsse aber der Anordnung des Strafgerichtes Folge leisten.

2.3. Die Feststellungen zu Art und Dauer des Aufenthalts in Österreich, zum Familienstand sowie zum Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers in Österreich stützen sich auf die Aktenlage, auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen sowie auf die Angaben des Beschwerdeführers sowie der einvernommenen Zeuginnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und deren Würdigung durch das Gericht.

Dass der Beschwerdeführer seit ca. vier Jahren eine Beziehung mit XXXX führt, ergibt aus den diesbezüglich übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers und seiner als Zeugin einvernommenen Freundin/Frau in der Verhandlung. Das Paar vermochte (trotz unterbliebener Vorlage entsprechender Dokumente) glaubhaft zu machen, dass sie eine traditionelle Ehe schlossen und ihre Beziehung trotz der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen gegen seine Freundin/Frau gesetzter Straftaten fortsetzten. Die Freundin/Frau des Beschwerdeführers gab diesbezüglich nachvollziehbar an, dass ihre Familie gegen die Beziehung mit dem Beschwerdeführer sei. Auch ein gemeinsamer Wohnsitz sei deshalb nicht möglich. Nicht glaubhaft war hingegen das Vorbringen, wonach die Freundin/Frau des Beschwerdeführers faktisch in der Wohnung des Beschwerdeführers lebe und ausschließlich zum Schein an ihrer Meldeadresse wohne, zumal die damit beabsichtigte Täuschung ihres als sehr „streng“ beschriebenen Bruders wohl kaum gelingen könnte. Vielmehr geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass auch faktisch kein gemeinsamer Haushalt des Beschwerdeführers und seiner Freundin/Frau besteht, mag diese auch viel Zeit mit dem Beschwerdeführer in dessen Wohnung oder im Rahmen von Freizeitaktivitäten verbringen. Dass die Freundin/Frau des Beschwerdeführers derzeit keiner Beschäftigung nachgeht und Anspruch auf Mindestsicherung hat, gab diese glaubhaft in der Verhandlung an. Insoweit besteht auch keine finanzielle Abhängigkeit vom Beschwerdeführer, der wiederum Notstandshilfe und Wohnbeihilfe bezieht. Ebenso wenig bestehen sonstige Abhängigkeiten zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Freundin/Frau.

Dass der Beschwerdeführer während seines ca. sechseinhalbjährigen Aufenthalts in Österreich Integrationsbemühungen gezeigt hat, ergibt sich insbesondere aus dem Besuch von Deutschkursen, der Erlangung von Deutschkenntnissen auf Niveau B1, der Nutzung weiterer Bildungsangebote, der bisherigen Berufsausübung und den freundschaftlichen Kontakten des Beschwerdeführers zu österreichischen Privatpersonen, welche sich auch aus der Zeugenaussage seiner Patin ableiten lassen.

Derzeit ist der Beschwerdeführer nicht berufstätig. Zudem wurde er bereits zweimal strafgerichtlich verurteilt (s. oben).

2.4. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan stützen sich auf objektives, in das Verfahren eingebrachtes Berichtsmaterial sowie auf aktuelle Medienberichterstattung. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf verschiedenen, voneinander unabhängigen Quellen beruhen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Rechtsvertreterin legte im Zuge der Verhandlung eine schriftliche Stellungnahme zur Berichtslage vor, in der insbesondere auf die schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan verwiesen wurde.

Da die Berichtslage seit der Verhandlung am 22.07.2021 in Folge der vollständigen Machtübernahme der Taliban im August 2021 maßgebliche Änderungen erfuhr, weshalb u.a. die im Länderinformationsblatt vom 11.06.2021 (Version 4) enthaltenen Informationen (etwa hinsichtlich der politischen Lage und der Sicherheitslage) weitgehend überholt sind, werden der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes aktualisierte Berichte zugrunde gelegt, darunter das Länderinformationsblatt vom 16.09.2021 (Version 5), ein Bericht von EASO aus September 2021 und die UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan vom August 2021. Von einer gesonderten Übermittlung dieser Informationen im Rahmen des Parteiengehörs wurde Abstand genommen, da der (entscheidungs-)wesentliche Inhalt der genannten Quellen Gegenstand umfangreicher medialer Berichterstattung in den vergangenen Wochen waren und als notorisch anzusehen sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Die gegen den angefochtenen Bescheid erhobene Beschwerde erweist sich als rechtzeitig und zulässig, sie ist jedoch nicht begründet:

3.1. Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung und Duldung

3.1.1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der §§ 8, 9 AsylG 2005 lauten (auszugsweise) wie folgt:

„Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

…“

„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“

3.1.2. Gegenständlich wurde im angefochtenen Bescheid mit näherer Begründung ausgeführt, dass die Gründe der Zuerkennung des subsidiären Schutzes immer noch vorliegen. Gestützt wurde die Aberkennung des subsidiären Schutzes im Spruch des Bescheides ausdrücklich auf § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005.

Die historische Entwicklung des § 9 AsylG 2005, die gesetzlich vorgesehene Verpflichtung, bei Straffälligkeit des subsidiär Schutzberechtigten jedenfalls ein Aberkennungsverfahren einzuleiten und die in den § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 festgelegten Prüfschritte, die dabei vorzunehmen sind, zeigen, dass das BFA in einem Fall wie dem vorliegenden nicht bloß das Fortbestehen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 zu überprüfen hatte. Die zu entscheidende Angelegenheit war vielmehr die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus an sich und damit sämtliche in § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 vorgesehenen Prüfschritte und Aussprüche (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005).

Dementsprechend umfasst auch die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht sämtliche Prüfschritte und Aussprüche, die im Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 vorzunehmen sind, zumal die Aberkennungstatbestände des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 jenen in Abs. 2 systematisch vorgelagert sind.

Gegenständlich teilt das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung der belangten Behörde, dass die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Schutzstatus nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht erfüllt sind.

Die Heranziehung des Tatbestandes gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353, mwN).

Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht.

Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich dabei auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0381, Rn. 14 und 15, mwN).

Diesbezüglich ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht eine wesentliche bzw. nicht nur vorübergehende Änderung der persönlichen Situation des Beschwerdeführers seit der Zuerkennung bzw. Verlängerung des subsidiären Schutzes nicht zu erblicken vermag. Zwar ist der Beschwerdeführer nunmehr volljährig, nahm in Österreich Bildungsmaßnahmen in Anspruch und erlangte Berufserfahrung. Jedoch bestehen weiterhin weder ein unterstützungsfähiges familiäres Netzwerk in Afghanistan noch eine derart erhebliche Verbesserung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Beschwerdeführers, dass dadurch eine wesentliche Änderung im Vergleich zur Situation des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Zuerkennung bzw. Verlängerung des subsidiären Schutzes gegeben wäre.

Zudem trat jüngst eine maßgebliche Verschlechterung der Lage im Herkunftsstaat ein:

Wie sich aus den aktuellen Länderberichten ergibt, ist es den Taliban seit Beginn des Abzuges der internationalen Truppen gelungen, innerhalb kürzester Zeit fast alle Provinzen sowie alle strategisch wichtigen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nach der Einnahme zahlreicher Provinzhauptstädte (einschließlich Herat-Stadt am 12.08.2021 und Mazar-e Sharif am 14.08.2021) erfolgte am 15.08.2021 die Einnahme Kabuls durch die Taliban und die Besetzung der Regierungsgebäude und aller Checkpoints in der Stadt. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani hat Afghanistan verlassen und die Taliban haben (erneut) das „Islamische Emirat Afghanistans“ ausgerufen. Aus derzeitiger Sicht sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, aufgrund derer von einer Veränderung oder gar Mäßigung der radikalislamischen Taliban ausgegangen werden könnte. So kündigten die Taliban an, Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit (lediglich) „im Rahmen der Scharia“ zu respektieren. Zudem bestehen personelle Kontinuitäten, etwa durch den Mitbegründer der Taliban Abdul Ghani Baradar. Aus der aktuellen Medienberichterstattung (Der Standard 08.09.2021) ergibt sich, dass die Taliban nun eine neue Übergangs-Regierung präsentierten. Die Taliban ernannten Mullah Hassan Akhund zum Chef der neuen Regierung. Akhund war enger Weggefährte von Mullah Omar, einem der Gründer der Taliban und Staatsoberhaupt während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001. Stellvertreter Akhunds soll Mullah Abdul Ghani Baradar werden, bisher Chef des politischen Büros der Islamisten. Der Posten des Innenministers wurde an Sirajuddin Haqqani vergeben, Mitglied des gleichnamigen Netzwerks. Abdul Baqi Haqqani wird Bildungsminister. Sirajuddin Haqqani, dessen Netzwerk von den USA als terroristische Gruppierung eingestuft wird, gehört zu den meistgesuchten Männern der US-Ermittlungsbehörde FBI. Er soll an Selbstmordanschlägen beteiligt gewesen sein und über enge Kontakte zum Extremistennetzwerk Al-Kaida verfügen. Mullah Mohammad Yaqoob ist als Verteidigungsminister vorgesehen. Yaqoob ist ein Sohn des Taliban-Gründers Omar. Für den Posten des Außenministers ist Amir Khan Muttaqi geplant, sein Stellvertreter soll Abbas Stanikzai werden. Mit Abdul Hak Wasiq wird ein ehemaliger Guantánamo-Häftling Chef des Geheimdienstes. Der Ankündigung der Taliban, eine „inklusive Regierung“ zu ernennen, wurden sie bislang nicht gerecht. Vielmehr stehen derzeit fast ausschließlich Männer an der Spitze der von den Taliban eingerichteten Übergangs-Regierung, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Eine Anerkennung der Regierung seitens der USA oder anderen Staaten erfolgte bis dato nicht.

Darüber hinaus üben die Taliban weiterhin Gewalt aus, sowohl in den Provinzen, als auch in Kabul und anderen Provinzhauptstädten (etwa auch im Zuge der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten gegen die Taliban), wobei eine objektive Berichterstattung durch (taliban)kritische Journalist/innen nicht (mehr) gewährleistet ist. Es gibt Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021. Die Gruppe soll etwa mittels Namenslisten Tür-zu-Tür-Durchsuchungen durchführen und auch an einigen Kontrollpunkten der Taliban wurden gewalttätige Szenen gemeldet.

Bereits vor der Machtübernahme intensivierten die Taliban gezielte Tötungen von wichtigen Regierungsvertretern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten. Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme an, dass sie keine Vergeltung an Anhängern der früheren Regierung oder an Verfechtern verfassungsmäßig garantierter Rechte wie der Gleichberechtigung von Frauen, der Redefreiheit und der Achtung der Menschenrechte üben werden. Es gibt jedoch glaubwürdige Berichte über schwerwiegende Übergriffe von Taliban-Kämpfern, die von der Durchsetzung strenger sozialer Einschränkungen bis hin zu Verhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und Entführungen junger, unverheirateter Frauen reichen. Es ist nicht klar, ob die Taliban-Führung ihre eigenen Mitglieder für Verbrechen und Übergriffe zur Rechenschaft ziehen wird. Auch wird berichtet, dass es eine neue Strategie der Taliban sei, die Beteiligung an gezielten Tötungen zu leugnen, während sie ihren Kämpfern im Geheimen derartige Tötungen befehlen. Einem Bericht zufolge kann derzeit jeder, der eine Waffe und traditionelle Kleidung trägt, behaupten, ein Talib zu sein, und Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchführen. Die Taliban-Kämpfer auf der Straße kontrollieren die Bevölkerung nach eigenen Regeln und entscheiden selbst, was unangemessenes Verhalten, Frisur oder Kleidung ist.

Derzeit gibt es kein Gebiet in Afghanistan, das nicht unter der Kontrolle der Taliban steht bzw. ohne Kontakt mit diesen erreichbar wäre. Angesichts der Rasanz der Eroberungen der Taliban und der kurzen seither vergangenen Zeit ist die Lage – trotz medialer Beteuerungen der Taliban – derzeit nicht als stabil anzusehen und momentan insbesondere nicht abschätzbar, ob grundlegende Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit von den Taliban bzw. der von ihnen errichteten Regierung (künftig) entsprechend gewahrt werden.

Zur derzeit instabilen Sicherheitslage kommt hinzu, dass sich die bereits durch die Covid-19 Pandemie angespannte wirtschaftliche Situation in den vergangenen Wochen erneut verschlechtert hat (vgl. UNO: Nahrung für Afghanistan wird bis Ende September knapp - news.ORF.at ., Stand: 01.09.2021). Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat wegen der sich ständig verschärfenden Dürre in Afghanistan zu einer Aufstockung der humanitären Hilfe aufgerufen. Diese bedrohe die Lebensgrundlage von mehr als sieben Millionen Menschen, die von der Landwirtschaft oder der Viehzucht leben. Viele dieser Menschen gehören bereits zu jenen 14 Millionen Afghanen (rund ein Drittel der Bevölkerung), die in akuter Ernährungsunsicherheit leben (Salzburger Nachrichten vom 28.08.2021).

Auch steht derzeit weder Rückkehrhilfe zur Verfügung noch ist eine sichere Erreichbarkeit der internationalen Flughäfen Afghanistans gewährleistet.

Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 liegen sohin gegenständlich, wie die belangte Behörde zutreffend ausführte, nicht vor.

Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte für das Vorliegen der übrigen in § 9 Abs. 1 AsylG 2005 geregelten Aberkennungstatbestände.

3.1.3. Zu prüfen bleibt der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005, den auch das BFA aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers durch ein inländisches Gericht wegen eines Verbrechens iSd § 17 StGB annahm:

Zu den Voraussetzungen für die Aberkennung des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 ist vorweg festzuhalten, dass der Gesetzgeber entsprechend der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachten Intention beabsichtigte, die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie in § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 umzusetzen (siehe auch VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0295). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass bei der Auslegung der innerstaatlichen Rechtslage nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 ungeachtet der Frage, ob der konkret in Rede stehende Fall dem Anwendungsbereich der Statusrichtlinie unterliegt, die unionsrechtlichen Kriterien für die Aberkennung von subsidiärem Schutz und die dazu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zum Tragen kommen (VwGH 22.10.2020, Ra 2020/20/0274).

Demnach kann die Aberkennung von subsidiärem Schutz nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 rechtens nicht allein darauf gestützt werden, dass der Fremde wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/18/0295, vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH vom 13.09.2018, Ahmed, C-369/17, näher erläutert hat, ist bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 auch eine Einzelfallprüfung durchzuführen, ob eine „schwere Straftat“ im Sinn des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliegt. Dabei ist die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Es ist jedoch nicht unbeachtet zu lassen, dass auch der EuGH dem in einer strafrechtlichen Bestimmung vorgesehenen Strafmaß eine besondere Bedeutung zugemessen hat (vgl. EuGH 13.9.2018, Ahmed, C-369/17, Rn 55) und somit die Verurteilung des Fremden wegen eines Verbrechens zweifelsfrei ein gewichtiges Indiz für die Aberkennung darstellt, dieses Kriterium allein jedoch nach den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Aberkennung nicht ausreicht.

In diesem Urteil hob der EuGH zudem in Rn 51 hervor, dass (wie bei den Gründen für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling) der Zweck des hier in Rede stehenden Grundes für den Ausschluss vom subsidiären Schutz darin liege, Personen auszuschließen, die als des sich aus der Zuerkennung dieses Status ergebenden Schutzes unwürdig angesehen werden, und die Glaubwürdigkeit des gemeinsamen Asylsystems zu erhalten (vgl. dazu EuGH 09.11.2010, Bundesrepublik Deutschland gegen B und D, C-57/09 und C-101/09, Rn 104; siehe auch die in Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 1207 f, zu Art. 12 Abs. 2 der Statusrichtlinie unter dem Titel „Unworthiness of international protection“ dargestellte historische Entwicklung der Ausschlussgründe).

In Rn 56 des Urteils Ahmed, C-369/17, verwies der EuGH auf den Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) vom Jänner 2016 mit dem Titel „Ausschluss: Artikel 12 und 17 der Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU )“, der die in diesem Urteil vorgenommene Auslegung stütze und empfehle, dass die Schwere der Straftat, aufgrund deren eine Person vom subsidiären Schutz ausgeschlossen werden könne, anhand einer Vielzahl von Kriterien, wie u.a. der Art der Straftat, der verursachten Schäden, der Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens, der Art der Strafmaßnahme und der Berücksichtigung der Frage beurteilt werden solle, ob die fragliche Straftat in den anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen werde (EuGH Rs C-369/17, Rn. 56). Als Beispiele schwerer Straftaten nennt der EASO-Bericht etwa folgende Delikte (Pkt. 2.2.3.2.): Mord, Mordversuch, Vergewaltigung, bewaffneter Raub, Folter, gefährliche Körperverletzung, Menschenhandel, Entführung, schwere Brandstiftung, Drogenhandel, Verschwörung zum Zweck der Förderung terroristischer Gewalt und schwere Wirtschaftsverbrechen mit erheblichen Verlusten (z.B. Unterschlagung).

Diesbezüglich wird im Urteil des EuGH, Ahmed, C-369/17, ausdrücklich auf die im Bericht der EASO angeführten Entscheidungen aus der Rechtsprechung der mitgliedstaatlichen Höchstgerichte hingewiesen (dort findet sich etwa das Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.03.2015, 1 C 16.14, wonach die aus der Begehung einer schweren Straftat folgende „Unwürdigkeit“ auch dann fortbestehe, wenn keine Wiederholungsgefahr [mehr] bestehe und von dem Ausländer auch sonst keine aktuellen Gefahren für den Aufnahmestaat ausgingen; ebenso eine Entscheidung des französischen Verfassungsrates [Conseil constitutionnel] vom 04.12.2003, n°2003-485 DC, in der die der zuständigen französischen Behörde übertragene Aufgabe unterstrichen wird, nach einer konkreten und gründlichen Prüfung der Situation des Antragstellers unter der Kontrolle des Asylgerichtes zu entscheiden, ob die Handlungen in Anbetracht ihrer Natur, der Umstände, unter denen sie begangen wurden, und der Schwere des den Opfern zugefügten Schadens eine „schwere Straftat“ darstellen, die einen Ausschluss von der Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigt).

In Rn 57 seines Urteils Ahmed, C-369/17, nahm der EuGH sodann auf das Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen [UNHCR], 1992, Punkte 155 bis 157) Bezug. Entsprechend den unter Punkt 157 des genannten Handbuches enthaltenen Empfehlungen seien dennoch bei der Beurteilung eines „solchen“ Verbrechens alle relevanten Faktoren – auch alle mildernden Umstände – in Betracht zu ziehen.

3.1.4. Bezogen auf den Beschwerdefall bedeutet das Folgendes:

Wie festgestellt, wurde der Beschwerdeführer – nach einer Verurteilung vom 04.05.2017 wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall und nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall SMG – mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 02.03.2021 wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs. 4 StGB, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall StGB und wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 17.10.2020 in XXXX XXXX eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung, nämlich zumindest eine längere Bewusstlosigkeit, zuzufügen versucht hat, indem er sie an den Haaren riss, sie schlug, insbesondere in das Gesicht, sie mit seinem Gewicht am Boden fixierte und am Hals heftig würgte, sodass sie keine Luft mehr bekam und erbrechen musste, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil die Polizei einschritt und XXXX in Form von Prellungen, kleinen Hämatomen und Schürfwunden im Bereich der rechten Brustkorbhälfte, der Brustwirbelsäule, des Kopfes und des Halses dem Grade nach lediglich leicht verletzt wurde; weiters hat er das Opfer gefährlich mit dem Tod bedroht, um es in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er im Zuge des soeben dargestellten Geschehens sinngemäß zu XXXX sagte, sie habe sein Leben zerstört und er werde sie töten und dann auch sich selbst: weiters hat er XXXX mit Gewalt zu einer Unterlassung genötigt, nämlich nicht vor ihm zu flüchten und um Hilfe zu rufen, indem er ihr, als die Polizei vor der Tür war und zur Klärung des Sachverhalts Einlass forderte, sie mit seinem Gewicht am Boden fixierte und ihr den Mund zuhielt.

Bei der Strafbemessung wurden als mildernd der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, und die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres, als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit einem Vergehen (gemeint wohl: von einem Verbrechen mit zwei Vergehen) sowie eine auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafe gewertet. Das Erfordernis der Verhängung einer Freiheitsstrafe wurde im Urteil auch damit begründet, dass der Beschwerdeführer keine Bereitschaft zeigte, Verantwortung für das zur Last gelegte Tatgeschehen zu nehmen. Für die Dauer der Probezeit wurden Bewährungshilfe angeordnet sowie dem Beschwerdeführer die Weisung erteilt, sich einer psychotherapeutischen Behandlung bei der Männerberatung zu unterziehen.

Festzuhalten ist, dass das Verbrechen nach § 84 Abs. 4 StGB eine Strafandrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht. Die Vergehen nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall StGB sowie nach § 105 Abs. 1 StGB sehen naturgemäß geringere Strafandrohungen vor (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen bzw. Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren; Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen).

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes sind weder die vorgesehenen Strafandrohungen (insbesondere nach § 84 Abs. 4 StGB) noch die tatsächlich über den Beschwerdeführer verhängte Freiheitsstrafe als gering anzusehen, zumal ein Drittel der 24-monatigen Freiheitsstrafe unbedingt ausgesprochen wurde.

Die in Rede stehende Straftat nach § 84 Abs. 4 StGB ist auch – sowohl hinsichtlich ihres abstrakten Tatbildes, als auch hinsichtlich der konkreten Art ihrer Begehung – als schwer zu bezeichnen.

Zum einen ist davon auszugehen, dass die Straftat auch in anderen Rechtsordnungen überwiegend als schwere Straftat angesehen wird, wobei etwa der EASO-Bericht vom Jänner 2016 mit dem Titel „Ausschluss: Artikel 12 und 17 der Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU )“ u.a. die gefährliche Körperverletzung als Beispiel einer schweren Straftat bezeichnet.

Hinsichtlich der Tatbegehung ist erneut darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer das Opfer – seine Freundin/Frau – an den Haaren riss, schlug, am Boden fixierte und am Hals heftig würgte, woraus eine starke Neigung des Beschwerdeführers hervorgeht, die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit Dritter in Kauf zu nehmen und mit einem erheblichen Aggressionspotential auch gegen ihm körperlich unterlegene Personen vorzugehen. Im Urteil wurde zudem festgehalten, dass der Beschwerdeführer nicht bereit war, Verantwortung für seine Taten zu übernehmen, was auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht deutlich zutage trat.

Hinsichtlich der dem Opfer zugefügten Schäden ist zwar einzuräumen, dass es dem Grade nach lediglich leicht (in Form von Prellungen, kleinen Hämatomen und Schürfwunden im Bereich der rechten Brustkorbhälfte, der Brustwirbelsäule, des Kopfes und des Halses) verletzt wurde, dies jedoch nur deshalb, weil die Polizei einschritt. Zudem wurden der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, ebenso wie die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres vom Gericht ausdrücklich als strafmildernd berücksichtigt.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes sind die vom Beschwerdeführer gesetzten Straftaten – insbesondere die Missachtung der körperlichen Integrität Dritter – als besonders verwerflich anzusehen und zudem geeignet, den Rechtsfrieden erheblich zu stören. An dieser Stelle ist erneut auf die brutale Vorgehensweise des Beschwerdeführers gegen eine ihm körperlich unterlege Frau und sein mangelndes Unrechtsbewusstsein hinzuweisen.

Die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten nach § 84 Abs. 4 StGB begründen daher eine „schwere Straftat“ im Sinn des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie, die einen Ausschluss von der Gewährung von subsidiärem Schutz gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 rechtfertigt.

Gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden.

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und des II. des Bescheides war daher abzuweisen.

3.1.5. Folgen der Aberkennung

Mit der Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 ist die Feststellung zu verbinden, „dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde“.

Die in Spruchpunkt V. des Bescheides ausgesprochene Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistans erfolgte daher zu Recht.

3.2. Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung

3.2.1. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird.

Unter den in § 57 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen.

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers nicht seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist; (zudem wurde er von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt). Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Auch wurde der Beschwerdeführer nicht Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005.

Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 AsylG 2005 behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. war daher abzuweisen.

3.2.2. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Die Unzulässigkeit der Abschiebung steht dabei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht entgegen (vgl. VwGH 28.01.2020, Ra 2019/01/0406, mwN).

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. auch VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423; siehe zuletzt auch VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0246, mwN).

3.2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (s. etwa die Erkenntnisse vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058, vom 21.01.2016, Ra 2015/22/0119, und in diesem Sinn auch jenes vom 15.12.2015, Ra 2015/19/0247 mwN sowie den Beschluss vom 15.03.2016, Ra 2016/19/0031). Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters ausgeführt, dass das persönliche Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Ausweisung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 22.09.2011, 2007/18/0864 bis 0865 mwN). Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

Vom Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. dazu EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.03.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein-Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8). Der Begriff des Familienlebens ist darüber hinaus nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marck, EGMR 23.04.1997, X ua).

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß aufgrund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516/2005 und VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

3.2.4. Für den Beschwerdeführer bedeutet das:

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung am 29.01.2015 – somit ca. sechseinhalb Jahre – in Österreich auf. Als Asylwerber war er zunächst gemäß § 13 Abs. 1 AsylG 2005 vorläufig aufenthaltsberechtigt; seit Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid vom 04.07.2016 verfügte er über jeweils befristete Aufenthaltsberechtigungen nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

Dem Beschwerdeführer ist daher kein unrechtmäßiger Aufenthalt vorzuwerfen. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass subsidiär Schutzberechtigte nur ein vorübergehendes (jeweils befristet verlängerbares) Aufenthaltsrecht erhalten. Dies entspricht der Überlegung, dass jene Umstände, die typischerweise subsidiären Schutz rechtfertigen, jedenfalls in der Tendenz eher vorübergehenden Charakter haben (vgl. VfSlg. 20.177/2017). Der Beschwerdeführer musste sich daher trotz seines rechtmäßigen Aufenthalts des Umstandes bewusst sein, dass diese Berechtigung im Wandel der Zeit einer Überprüfung unterliegt und keinen Anspruch zur dauerhaften Aufenthaltsverfestigung vermittelt.

Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers und seiner Integration in Österreich:

Der Beschwerdeführer führt seit etwa vier Jahren eine Beziehung zu einer asylberechtigten Afghanin. Diese erreicht aber nicht die notwendige Intensität, um von einem besonders schützenswerten Privat- oder Familienleben ausgehen zu können. Das Paar lebte bislang nur für etwa fünf Monate in einem gemeinsamen Haushalt; derzeit besteht kein gemeinsamer Haushalt, sodass nicht von einem tatsächlichen Familienleben ausgegangen werden kann. Es liegen auf Basis der Feststellungen keine besonders intensive Beziehung oder wechselseitige Abhängigkeiten vor, sei es in gesundheitlicher, materieller, finanzieller oder sonstiger Hinsicht, zumal sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Freundin/Frau eine eigene Wohnung und Anspruch auf Sozialleistungen haben (der Beschwerdeführer bezieht Notstandshilfe sowie Wohnbeihilfe; seine Freundin/Frau hat Anspruch auf Mindestsicherung).

Überdies kann bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zulässig ist, auch ein langjähriger Aufenthalt des Fremden in Österreich u.a. durch sein massives strafrechtliches Fehlverhalten relativiert sein (VwGH 01.03.2016, Ra 2015/18/0247). Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers bewirkte eine solche erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und wurde von der belangten Behörde in unbedenklicher Weise als derart schwerwiegend angesehen, dass auch die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers zurücktreten müssen (VwGH 23.03.1995, 95/18/0061).

Der Beschwerdeführer nahm durch die Begehung vorsätzlicher Straftaten im Bereich der Suchtgiftkriminalität und im Bereich von (gegen seine Freundin/Frau gerichteten) Gewaltdelikten eine Trennung von dieser in Kauf, zumal ihm bewusst sein musste, dass seine strafrechtliche Delinquenz auch eine Aberkennung des subsidiären Schutzstatus zur Folge haben kann. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Schutzwürdigkeit seiner Beziehung als maßgeblich gemindert.

Hinzu kommt, dass die Kontakte des Beschwerdeführers in Österreich zwar durch eine (hypothetische) Rückkehr nach Afghanistan gelockert würden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass er durch eine Ausreise gezwungen wäre, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahestehen, gänzlich abzubrechen. Vielmehr könnte er die Kontakte anderweitig (etwa telefonisch, elektronisch oder brieflich etc.) aufrechterhalten (vgl. auch VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0235, Rz 11).

Der Beschwerdeführer legte im Laufe des Verfahrens u.a. Bestätigungen über die Teilnahme an Deutschkursen, die Absolvierung einer B1-Integrationsprüfung und die Inanspruchnahme weiterer Bildungsmaßnahmen (darunter zuletzt die Vorbereitung für die Nachholung des Pflichtschulabschlusses) vor. Der Beschwerdeführer pflegt laut eigenen Angaben freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Privatpersonen und hat seit April 2021 eine Patin. Er war in Österreich mehrfach vollversichert und geringfügig beschäftigt. Derzeit bezieht er Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.

Insgesamt besteht keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers, dass von einer Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung auszugehen wäre.

Der Beschwerdeführer hat im Übrigen trotz seiner relativ kurzen Aufenthaltsdauer im Herkunftsstaat während der ersten sechs Lebensjahre unter dem Aspekt seiner Sozialisierung in einem afghanischen Familienverband, seiner Sprachkenntnisse und der daraus abgeleiteten Verbundenheit mit der afghanischen Kultur nach wie vor hinreichende Bindungen zu Afghanistan, zumal auch in Österreich durch den Kontakt zu seiner afghanischen Freundin/Frau weiterhin eine gewisse Rückbindung an die afghanische Kultur besteht.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Interessen der Republik Österreich an der Verhinderung von weiteren Straftaten im Bereich der Suchtgiftkriminalität und von Gewaltdelikten sowie an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens als Teil der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung im gegenständlichen Fall insgesamt höher wiegen als die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet. Die von der belangten Behörde im Ergebnis vertretene Ansicht, dass die Auswirkungen der Rückkehrentscheidung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme, kann nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. war abzuweisen.

3.2.5. Zur Festlegung einer Frist für die Ausreise:

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Gegenständlich wurde dies vom BFA verabsäumt, weshalb die Frist vom Bundesverwaltungsgericht festgelegt wird. Eine Überschreitung der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens liegt nicht vor (vgl. zur insoweit übertragbaren Rechtsprechung betreffend die vormaligen Berufungsbehörden etwa VwGH 16.05.2012, 2011/21/0277; 24.01.2013, 2012/21/0212).

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Da derartige Gründe im Verfahren nicht hervorkamen, war die Frist mit 14 Tagen festzulegen.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich eine freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers angesichts der derzeit weltweit vorherrschenden COVID-19-Pandemie allenfalls als faktisch unmöglich erweisen könnte. Eine Erstreckung der in § 55 Abs. 2 FPG vorgesehenen Frist scheidet jedoch mangels einer Rechtsgrundlage, welche auf die Berücksichtigung von nicht in der Sphäre des Fremden gelegenen Umständen abstellt, aus.

3.3. Verhängung eines Einreiseverbotes

3.3.1. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 leg. cit. auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat gemäß Z 1 leg. cit. insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bei der Entscheidung über das Ausmaß des Einreiseverbotes ist die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).

Bei der Erstellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 3 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das, diesem zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230).

3.3.2. Gegenständlich stützte die belangte Behörde das Einreiseverbot auf den Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG. Begründend wurde auf zwei strafgerichtliche Verurteilungen verwiesen.

Bei den vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen handelt es sich – wie bereits ausgeführt – um gewichtige Verstöße gegen die Rechtsordnung. Der Verwaltungsgerichtshof sprach bereits wiederholt aus, dass die Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere von Suchtgiftdelikten, schon vor dem Hintergrund der verheerenden Schäden und Folgen in der Gesellschaft, zu denen der Konsum von Suchtgiften führt, ein Grundinteresse der Gesellschaft (Schutz und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit) darstellt. Weiters betonte der Verwaltungsgerichtshof, dass Suchtgiftdelinquenz ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556; 20.12.2012, 2011/23/0554; 30.08.2017, Ra 2017/18/0155; 01.04.2019, Ra 2018/19/0643).

Nach der ersten Verurteilung im Jahr 2017 wegen Vergehen nach dem SMG beging der Beschwerdeführer im Oktober 2020 weitere Straftaten, die sich gegen die körperliche Integrität seiner Freundin/Frau richteten, sodass er im März 2021 – diesmal wegen versuchter schwerer Körperverletzung, gefährlicher Drohung und Nötigung – verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer brachte durch die Begehung fortgesetzter Straftaten klar zum Ausdruck, dass er nicht gewillt ist, sich der österreichischen Rechts- und Werteordnung zu unterwerfen.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährdung in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten (in Freiheit) maßgeblich. Das (letzte) Fehlverhalten des Beschwerdeführers lag bei Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht so lange zurück, um aufgrund des seither verstrichenen Zeitraumes einen Wegfall oder eine wesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr annehmen zu können. Er wurde erst am 26.03.2021 aus der Strafhaft entlassen.

Auch die Beziehung bzw. Ehe des Beschwerdeführers weist keine Eignung als Motiv für künftiges Wohlverhalten auf, da er gerade auch im Zusammenhang mit dieser Beziehung gewalttätig und deshalb rechtkräftig verurteilt wurde.

Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer auf Anordnung des Strafgerichtes Bewährungshilfe-Termine einhält und eine Einzeltherapie bei der Männerberatung wahrnimmt, wird stark dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer die Begehung der dem Urteil vom 02.03.2021 zugrundeliegenden Straftaten in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht leugnete, sich als nicht gewalttätigen Menschen bezeichnete und angab, das Anti-Gewalt-Training nur wegen der Weisung des Gerichtes besucht zu haben.

Für das Gericht bestehen daher berechtigte Zweifel, dass sich der Beschwerdeführer zukünftig wohl verhalten und die österreichische Rechtsordnung wahren würde. Sein weiterer Aufenthalt würde weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung sowie die allgemeine Sicherheit, insbesondere Leib, Leben und Eigentum der in Österreich lebenden Bevölkerung, darstellen.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass das gegenständliche Einreiseverbot (im Falle der Ausreise) zwar bedingt, dass der Beschwerdeführer seine Freundin/Frau oder andere Bezugspersonen in Österreich nicht mehr besuchen könnte, jedoch keinesfalls der weiteren Kontakthaltung im Weg stünde. Vielmehr steht es dem Beschwerdeführer frei, den Kontakt zu den ihm nahestehenden Personen unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationsmittel aufrechtzuhalten und zu pflegen.

Letztlich ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach der Beschwerdeführer die allfällige Trennung von Familienangehörigen ebenso wie mögliche Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in seinem Heimatland im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen hat (vgl. VwGH 09.07.2009, 2008/22/0932; 22.02.2011, 2010/18/0417).

Dem Beschwerdeführer hätte zudem im Lichte der geschilderten Straffälligkeit klar sein müssen, dass er sich der Möglichkeit zur Begründung bzw. Vertiefung von Bindungen im Gebiet der Mitgliedstaaten begeben könnte.

Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers wird auf die bereits zuvor vorgenommene Interessensabwägung im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 EMRK verwiesen. Den insoweit geminderten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Gebiet der Mitgliedstaaten steht die aus seinen schwerwiegenden Straftaten resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber, wobei dem Beschwerdeführer ein – im Lichte des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Verhinderung weiterer Straftaten – den Interessen der österreichischen Gesellschaft zuwiderlaufendes, erheblich verwerfliches Fehlverhalten anzulasten ist. Die Abwägung der genannten gegenläufigen Interessen führt zum Ergebnis, dass die Erlassung des Einreiseverbotes zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten ist und die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Gebiet der Mitgliedstaaten in den Hintergrund treten.

Was die Dauer des Einreisverbotes anbelangt, steht angesichts der bisherigen Ausführungen außer Frage, dass Suchtgiftdelikte, insbesondere aber auch Gewaltdelikte schwere Straftaten mit hohem Unrechtsgehalt darstellen, an deren Verhinderung ein großes öffentliches Interesse besteht.

Die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von sieben Jahren erweist sich als gerechtfertigt.

Demnach war die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. insbesondere etwa VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0295, vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH vom 13.09.2018, Ahmed, C-369/17). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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