BVwG I405 2256223-1

BVwGI405 2256223-118.1.2023

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:I405.2256223.1.00

 

Spruch:

I405 2256223-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch RA Mag. Torsten Gierlinger, Landstraße 84, 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2022, ZI. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.12.2022, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am 11.03.2022 nach seiner Einreise in das Bundesgebiet den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am darauffolgenden Tag wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer niederschriftlichen Erstbefragung unterzogen, in welcher er als Fluchtgrund eine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der IPOB („Indigenous People of Biafra“) ins Treffen führte. Zumal die Mitglieder derselben vermehrt von der nigerianischen Regierung verhaftet worden seien und sich die Situation zunehmend verschlechtert habe, sei er mithilfe eines Studentenvisums in die Urkaine geflüchtet, welche er aufgrund des dort herrschenden Krieges schließlich ebenso verlassen habe müssen.

3. Am 21.03.2022 wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen, wobei er sein bisheriges Vorbringen wiederholte und ergänzend anführte auch an Demonstrationen der Gruppierung teilgenommen zu haben. Die Regierung habe die Mitglieder der Biafra-Bewegung als Terroristen bezeichnet und mehrmals Operationen gegen sie durchgeführt, im Zuge derer unter anderem Tränengas zum Einsatz gekommen und viele Anhänger festgenommen und getötet worden seien. Im letzten Jahr sei zudem ihr Anführer verhaftet worden und befürchte er im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria ebenso getötet zu werden.

4. Am 30.03.2022 wurde der BF erneut einer niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde unterzogen, wobei er in Ergänzung seiner bisherigen Ausführungen eine aktive Mitgliedschaft in der IPOB ins Treffen führte. Er habe Leute zur Mitgliedschaft sowie zur Teilnahme an den Protesten animiert, weswegen er sowie weitere Angehörige der Gruppierung von der Polizei gejagt worden seien.

5. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 31.05.2022 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde bestimmt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

6. Mit dem am 15.06.2022 beim BFA eingebrachten Schriftsatz erhob der BF fristgerecht und vollumfängliche Beschwerde gegen den vorangeführten Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden in weiterer Folge vom BFA vorgelegt und sind am 22.06.2022 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

8. Am 16.12.2022 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an welcher der BF sowie dessen Rechtsvertreter teilnahmen. Im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Englisch wurde der BF u.a. zu seiner Identität, den persönlichen Lebensumständen, zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat, zu den Fluchtgründen sowie zu seinem Leben in Österreich ausführlich befragt.

9. Mit Schreiben vom 19.12.2022 wurde dem Rechtsvertreter des BF das Länderinformationsblatt zu Nigeria (Stand 16.11.2022), die Anfragebeantwortung des IRB-Immigration and Refugee Board of Canada vom 02.06.2022 (Nigeria and Canada: The Indigenous People of Biafra (IPOB), including objectives, structure, activities, and relations with other Biafran independence groups; treatment by the authorities and state protection; the ability for the government to monitor IPOB organizations abroad, particularly in Canada (2020–May 2022) [ZZZ200991.E]) sowie jene der Staatendokumentation vom 27.05.2022 (Nigeria, Eastern Security Network (ESN)) zur Abgabe einer Stellungnahme binnen drei Wochen übermittelt, wovon der BF in weiterer Folge mit Schreiben vom 09.01.2023 Gebrauch machte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der volljährige BF ist ledig, Staatsangehöriger von Nigeria und bekennt sich zum christlichen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Igbo an. Seine Identität steht fest.

Der BF ist gesund, er leidet an keinen schweren chronischen oder gar lebensbedrohlichen Erkrankungen und nimmt keine Medikamente ein. Er gehört zu keiner der Risikogruppen für den Fall einer Erkrankung an Covid-19 und ist arbeitsfähig.

Der BF, der Igbo und Englisch spricht, lebte bis zu seiner Ausreise in XXXX , Anambra State und verfügt in Nigeria über familiäre Anbindungen in Form seiner Eltern, seines Bruders und seiner vier Schwestern, wobei er Kontakt zu diesen pflegt. In seiner Heimat hat der BF eine Ausbildung als KFZ-Mechaniker absolviert und war er auch in diesem Bereich tätig. Außerdem hat er auf dem Markt Taschen verkauft und verfügt er über ein abgeschlossenes Studium der Physiologie.

Der BF verließ Nigeria im Feburar 2021 und begab sich auf legalem Wege mittels eines Studentenvisums in die Ukraine, wo er das Studium der Medizin aufgenommen und in weiterer Folge mehrere Kurse erfolgreich abgelegt hat. Er verfügt über einen ukrainischen Aufenthaltstitel ausgestellt am XXXX , gültig bis XXXX . In Österreich hält sich der BF spätestens seit März 2022 auf, seinem Studium geht er im Rahmen von Online-Kursen immer noch nach.

Der BF verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgebliche private Beziehungen. Er weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf. Während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet hat der BF keine zertifizierten Deutschkenntnisse erworben, er ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und hat er sich auch ehrenamtlich nicht engagiert. Der BF übt keine nachhaltige Erwerbstätigkeit aus, bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig und kann folglich nicht von einer nachhaltigen Verfestigung des BF im Bundesgebiet gesprochen werden.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des BF:

Es ist dem BF nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung glaubhaft zu machen. Im Verfahren habe sich keine Anhaltspunkte in Bezug auf eine Verfolgung aufgrund einer vermeintlichen IPOB-Zugehörigkeit ergeben.

Im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria wird der BF auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

1.3. Zur allgemeinen Situation in Nigeria:

Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat des BF stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

COVID-19

Letzte Änderung: 15.11.2022

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19-Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenige Tests durchgeführt werden. Mit Stand 17.10.2022 sind in Nigeria 265.937 Covid-19-Fälle erfasst, davon 3.523 aktive Fälle. Es gab bis dato offiziell 3.155 Tote aufgrund von COVID-19, getestet wurden 5.593.537 (Africa CDC 17.10.2022).

Seit dem 2.4.2022 müssen doppelt geimpfte Personen vor Abreise und nach der Ankunft keinen COVID-19-PCR-Test mehr durchführen lassen. Nicht vollständig geimpfte Reisende müssen beim Einchecken nach Nigeria einen negativen COVID-19-PCR-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Außerdem müssen sie sich in Nigeria am 2. und am 7. Tag einem PCR-Test unterziehen. Zudem müssen sie sich sieben Tage in Selbstquarantäne begeben (WKO 24.4.2022).

Die Einreise nach Nigeria ist grundsätzlich möglich. Voraussetzungen: Geimpfte Personen können ohne Einschränkungen einreisen, es ist auch kein Test für die Einreise erforderlich. Kinder unter 18 Jahren gelten automatisch als vollständig geimpft. Nicht vollständige geimpfte Personen müssen vor Abreise einen negativen PCR-Test (nicht älter als 48 Stunden vor Abreise) vorweisen und zwei Tests vorauszahlen. Der negative Test muss am Travel Portal hochgeladen werden. Nicht geimpfte und teilgeimpfte Personen müssen eine 7-tägige Heimquarantäne antreten, am 2. Tag (Ankunftstag + 1 Tag) und am 7. Tag (Ankunftstag + 6 Tage) werden die vorausbezahlten COVID-19-PCR-Tests durchgeführt. Wenn diese negativ sind (Ergebnis kann bis zu 24 Stunden dauern), darf die Quarantäne beendet werden. Es besteht eine Pflicht zur Selbstüberwachung nach Symptomen bis zum 14. Tag (BMEIA 19.10.2022).

Quellen:

Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (17.10.2022): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 24.10.2022

BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (19.10.2022): Reiseinformation Nigeria, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/nigeria/ , Zugriff 24.10.2022

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (24.4.2022): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html , Zugriff 24.10.2022

Politische Lage

Letzte Änderung: 16.11.2022

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem präsidialen Regierungssystem (AA 23.3.2021; vgl. ÖB 9.2022). Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist der Präsident der Republik, der für vier Jahre gewählt wird; eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Der Staatspräsident führt den Vorsitz der von ihm ernannten Bundesregierung (Federal Executive Council) (ÖB 9.2022).

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten und das Federal Capital Territory (FCT, Abuja) (ÖB 9.2022; vgl. AA 22.2.2022) mit insgesamt 774 LGAs (Local Government Areas, dt. Bezirke) unterteilt (AA 22.2.2022). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) geführt (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 9.2022). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 22.2.2022).

Die Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Elemente eines demokratischen Rechtsstaates, einschließlich eines Grundrechtskataloges, und orientiert sich insgesamt am US-Präsidialsystem. Einem starken Präsidenten, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, und einem Vizepräsidenten, stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und der ebenfalls direkt gewählten Gouverneure. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität und häufig auch mit undemokratischen und gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 22.2.2022).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen und machtstrategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 22.2.2022). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 28.2.2022).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 12.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 12.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation (GIZ 12.2020a).

Für Februar 2023 sind die nächsten Präsidentschaftswahlen angesetzt (RANE 17.6.2022; vgl. INEC o.D.). Aussichtsreichste Kandidaten sind Bola Tinubu von der Regierungspartei „All Progressives‘ Congress“ (APC) und Atiku Abubakar von der oppositionellen „People’s Democratic Party“ (PDP). Sollte sich einer dieser Kandidaten durchsetzen, stellt dies einen Bruch mit dem informellen System des "Zoning" dar. Demzufolge sollen sich ein Muslim aus dem Norden und ein Christ aus dem Süden als Präsident abwechseln. Beide Kandidaten sind Muslime, der derzeitige Präsident Buhari ebenfalls (RANE 17.6.2022).

Aus den Parlamentswahlen [Anm.: Parallel zu den Präsidentschaftswahlen] im Feber 2019 ging die Regierungspartei APC siegreich hervor. Der Regierungspartei APC gelang es zudem, ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung zu vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die PDP hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. Die PDP stellt eine starke Opposition für die APC dar und bleibt v.a. im Süden und Südosten des Landes die treibende politische Kraft (AA 22.2.2022). Die nächsten Parlamentswahlen finden im Februar 2023 statt (INEC o.D.).

Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 12.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019). Die nächste Wahl der Gouverneure und Regionalparlamente findet im März 2023 statt (INEC o.D.)

Ein neues Wahlgesetz "Electoral Act 2022" dient als rechtliche Grundlage der Wahlen 2023 (PT 27.9.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.3.2021): Nigeria - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844 , Zugriff 3.10.2022

BBC - BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3 , Zugriff 24.10.2022

DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by 'systemic failings', https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a-47858131 , Zugriff 24.10.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 3.10.2022

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

INEC - Independent National Electoral Commission [Nigeria] (o.D.): TIMETABLE AND SCHEDULE OF ACTIVITIES FOR 2023 GENERAL ELECTION, https://inecnigeria.org/timetable-and-schedule-of-activities-for-2023-general-election/ , Zugriff 25.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

PT - Premium Times (27.9.2022): Key issues that will shape Nigeria’s 2023 elections – Report, https://www.premiumtimesng.com/news/headlines/556316-key-issues-that-will-shape-nigerias-2023-elections-report.html , Zugriff 25.10.2022

RANE Worldview (17.6.2022): A Presidential Election Threatens Nigeria’s Informal Power-Sharing System, Website mit kostenpflichtigem Zugang, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf, https://worldview.stratfor.com/article/presidential-election-threatens-nigeria-s-informal-power-sharing-system?id=743c2bc617&e=43cabd063c&uuid=3e663d92-dc75-4be6-9482-f02d84fc3072&mc_cid=61f395a981&mc_eid=43cabd063c , Zugriff 8.11.2022

Stears News (24.10.2022): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019 , Zugriff 24.10.2022

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 16.11.2022

Nigeria sieht sich mit einer beispiellosen Welle unterschiedlicher, sich überschneidenden Sicherheitskrisen konfrontiert. Fast jeder Teil des Landes ist aktuell von Gewalt und Kriminalität betroffen. Zu den landesweiten und regionsunspezifischen Bedrohungen gehören: (Kindes)Entführungen, Raub, Klein- und Cyberkriminalität, Verbrechen, Terrorismus/Aufstände, Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen, Landstreitigkeiten, Ausbruch von Krankheiten, Proteste und Demonstrationen. In jüngster Zeit konnte eine Eskalation von einigen Konflikten beobachtet werden: So löste Nigeria mit April 2022 den Irak mit den meisten vom sog. Islamischen Staat (IS) beanspruchten Attentaten ab (ÖB 9.2022).

Im Vorfeld der Wahlen im Februar 2023 wird mit einer Zunahme der Gewalt gerechnet. Vorbote war der Jahrestag der #EndSARS Proteste (Demonstrationen, die nach einem Massaker am 20.10.2020, wobei zwölf Menschen zu Tode kamen, zur Auflösung der für Gewaltanwendung gegen und Tötung von Zivilisten bekannten Spezialeinheit SARS - Special Anti-Robbery Squad führten), wo erneute Demos nicht zum Ort des damaligen Massakers durchgelassen wurden (RANE 27.10.2022). [Anm.: Die Einheit wurde nicht tatsächlich aufgelöst, sondern in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt (EASO 6.2021).]

Im Nordwesten des Landes ist organisierte Bandenkriminalität präsent, v. a. in den Bundesstaaten Zamfara, Katsina und Kaduna. Bei schweren Überfällen auf Dörfer werden dabei regelmäßig Zivilisten getötet, verschleppt und vertrieben (AA 22.2.2022; vgl. EASO 6.2021). Der Nordwesten Nigerias (Bundesstaaten: Kaduna, Kano, Jigawa, Kebbi, Sokoto, Zamfara) erlebt einen komplexen, multidimensionalen Konflikt, den verschiedene Banden und ethnische Milizen gegen die Regierung führen. Die Zahl an Todesopfern im Nordwesten übersteigt mittlerweile jene im Nordosten (Stand 2021) (ÖB 9.2022). Zudem haben sich die Aktivitäten der Islamisten von den nordöstlichen Staaten in die nordwestlichen Bundesstaaten ausgeweitet (EASO 6.2021).

Im Nordosten hat sich die Sicherheitslage nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 weiter verschlechtert (AA 22.2.2022), Angriffe erfolgen vorwiegend durch Boko Haram sowie ISWA [Islamischer Staat Westafrika] in den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa (UKFCDO 26.10.2022).

Der seit Jahrzehnten schwelende und immer wieder aufflammende Konflikt zwischen Hirten und Bauern im sog. „Middle Belt“ in Zentralnigeria um knapper werdende Ressourcen dauert weiter an (AA 22.2.2022; vgl. FH 28.2.2022). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig (AA 22.2.2022). Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 22.2.2022; vgl. EASO 6.2021). Bei Zusammenstößen um begrenzte Ressourcen wurden bereits tausende Menschen getötet sowie Sachbeschädigungen, Brandschatzungen und Vergewaltigungen begangen (ÖB 9.2022).

Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt latent konfliktanfällig. In Nigeria selbst haben die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und der seit 2017 als „terroristische Vereinigung“ verbotenen IPOB zugenommen (AA 22.2.2022). In der letzten Zeit hat es dort eine zunehmende Zahl von Angriffen gegeben (UKFCDO 26.10.2022). Im Niger-Delta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltdegradation, jahrzehntelange Benachteiligung, kaum vorhandene Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen und Korruption (AA 22.2.2022).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In allen Regionen können unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser, gesellschaftlicher oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das westliche Taraba und das östliche Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. inner-ethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen. In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen am 19.5.2021 die "Operation Restore Peace" in diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen. In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt. Auch Angriffe auf dort tätige humanitäre Hilfsorganisationen waren zu verzeichnen. In den nördlichen bzw. nordwestlichen Bundesstaaten, insbesondere im Grenzgebiet zu Niger, kommt es verstärkt zu Entführungen und schweren Gewaltakten, deren Urheberschaft nicht eindeutig ist, die aber unter Umständen ebenfalls terroristischen Gruppen zuzuschreiben sind. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 und im Oktober 2020 [Anm.: im Rahmen der EndSARS Proteste] forderten diese in Abuja, Lagos und anderen Städten zahlreiche Todesopfer (AA 24.10.2022).

Zwischen Mai und Juli 2022 erfolgten Angriffe des ISWA im Federal Capitel Territory (FCT), in Kogi und Niger (UKFCDO 26.10.2022).

In der Zeitspanne Oktober 2021 bis Oktober 2022 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (1.942), Niger (1.147), Zamfara (915). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Ekiti (7), Gombe (14), Kano (16) (CFR 10.2022). Intensive Unsicherheit und Gewalt haben seit 2018 in Nigeria Bestand bzw. haben diese zugenommen (EASO 6.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.10.2022): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise

(Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , 4.11.2022

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

CFR - Council on Foreign Relations (10.2022): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483 , Zugriff 4.11.2022

EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 3.10.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 3.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

RANE Worldview (27.10.2022): Two Years After the 'Lekki Massacre,' Police Brutality Still Looms Large Over Nigerian Elections, kostenpflichtiger Thinktank, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf, https://worldview.stratfor.com/article/two-years-after-lekki-massacre-police-brutality-still-looms-large-over-nigerian-elections?id=743c2bc617&e=43cabd063c&uuid=6937d4b7-893f-49da-915f-228fcd1e0261&mc_cid=04da2dd08c&mc_eid=43cabd063c ,Zugriff 10.11.2022

UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (26.10.2022): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 4.11.2022

Nigerdelta

Letzte Änderung: 16.11.2022

Im Nigerdelta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltdegradation, jahrzehntelange Benachteiligung, kaum vorhandene Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen und Korruption. Die politische Bewegung für das Überleben der Ogoni, MOSOP („Movement for the Survival of the Ogoni People“) oder der Rat der Ijaw-Jugend, IYC („Ijaw Youth Council“), erheben Forderungen nach größerer Autonomie und Entschädigung für verursachte Umweltschäden. Erst im August 2021 hat ein niederländisches Gericht die Firma Shell verurteilt, 111 Millionen US-Dollar für in den 1970er-Jahren verursachte Umweltschäden durch Ölförderungen an betroffene Gemeinden im Süden Nigerias zu zahlen (AA 22.2.2022).

Das Nigerdelta ist zu einem Zentrum von Gewalt mit mehreren aktiven Terrorgruppen geworden, beispielsweise die Niger Delta Avengers, Niger Delta Revolutionary Crusade, Movement for the Emancipation of Niger Delta, Reformed Niger Delta Avengers und Niger Delta Greenland Justice Movement. Diese Milizen sind für die Bombardierung wichtiger Ölpipelines, Entführungen, Erpressungen und Morde verantwortlich. Ihr Ziel ist es, das Nigerdelta und seine Erdölvorkommen, die Haupteinnahmequelle des Staates, zu kontrollieren. Trotz der Verkündung eines (relativ ineffektiven) präsidentiellen Amnestieprogrammes im Jahr 2009 zur Verhinderung des totalen Zusammenbruchs der nigerianischen Erdölindustrie (und in weiterer Folge der gesamten Wirtschaft) haben die illegalen Ölbunkerungen und Raffinierungen zugenommen. Entführungen zur Erpressung von Lösegeld stehen auf der Tagesordnung, wobei Geschäftsleute, Verwandte von politisch exponierten Personen und Expats die Hauptziele sind (ÖB 9.2022). Entführungen auf See sind nach wie vor an der Tagesordnung, da militante Gruppen im Nigerdelta Piraterie und damit verbundene Verbrechen begehen (USDOS 12.4.2022).

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen (AA 22.2.2022). 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts (AA 22.2.2022; vgl. ACCORD 21.12.2021). Das Amnestieprogramm ist verlängert worden (AA 22.2.2022).

Die Lage bleibt aber sehr fragil (AA 22.2.2022; vgl. ACCORD 21.12.2021), da weiterhin kaum eine nachhaltige Verbesserung für die Bevölkerung erkennbar ist (AA 22.2.2022). Der Konflikt betrifft die Staaten des Nigerdeltas: Abia, Akwa-Ibom, Bayelsa, Cross River, Delta, Edo, Imo, Ondo und Rivers (EASO 6.2021). Vergleicht man 2018 und 2019, so stieg das Konfliktrisiko und tödliche Gewalt nahm zu. 2020 führte zu einem weiteren Anstieg der Gewalt und des Konfliktrisikos, die Zahl an Todesopfern nahm hingegen ab (EASO 6.2021). Bewaffnete Kultgruppen stellen weiterhin ein Sicherheitsrisiko in der Region dar (BBC 19.7.2021). Verstärkt wird die Gewalt in der Region durch irreguläre Migrationsrouten und Menschenhandel sowie neuerdings durch Entführungen für rituelle Tötungen (ÖB 9.2022).

Es gab eine Reihe von Anschlägen und gezielten Tötungen im Südosten und Süden Nigerias, unter anderem in den Bundesstaaten Akwa Ibom, Rivers, Imo, Abia, Anambra, Delta, Edo und Ebonyi. Einige dieser Anschläge fanden auf abgelegenen Straßen und in abgelegenen Gegenden statt, aber es besteht die Möglichkeit, dass sie auch in Ballungsgebieten stattfinden könnten. Es besteht auch ein erhöhtes Risiko wahlloser Angriffe auf die Polizei und die Sicherheitsinfrastruktur, bei denen unbeabsichtigt Unbeteiligte getroffen werden könnten. In einer Reihe von Staaten wurden Ausgangssperren verhängt (UKFCDO 26.10.2022).

Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u. a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 22.2.2022).

Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) strebt die Abspaltung von einigen Bundesstaaten im Südosten (einschließlich dem ölreichen Nigerdelta), die hauptsächlich aus Angehörigen der ethnischen Gruppe der Igbo (Christen) besteht, und die Ausrufung der unabhängigen Nation Biafra an. IPOB wurde 2014 von Nnamdi Kanu gegründet (Er muss sich derzeit wegen Terrorismus und Hochverrats vor Gericht verantworten.) (ÖB 9.2022). 2020 wurde der bewaffnete Arm der IPOB, das Eastern Security Network (ESN), gegründet. Das ESN wird mit zahlreichen tödlichen Anschlägen auf Polizeistationen und andere öffentliche Einrichtungen in Verbindung gebracht (ÖB 10.2021). Zwischen September 2020 und Mai 2021 gab es eine Welle von Angriffen auf Polizeistationen und öffentliche Gebäude im Südwesten Nigerias, die dem ESN zugeschrieben werden (BBC 4.7.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (21.12.2021): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/laender/nigeria/themendossiers/sicherheitslage/ , Zugriff 4.11.2022

BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria's security crises - five different threats, https://www.bbc.com/news/world-africa-57860993 , Zugriff 4.11.2022

BBC - BBC News (4.7.2021): Nnamdi Kanu's arrest leaves Nigeria's Ipob separatists in disarray, https://www.bbc.com/news/world-africa-57693863 , Zugriff 4.10.2022

EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 3.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 4.10.2022

UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (26.10.2022): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 4.11.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 3.10.2022

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 16.11.2022

Die Verfassung sieht die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 22.2.2022; vgl. FH 28.2.2022, ÖB 9.2022, USDOS 12.4.2022). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022, FH 28.2.2022). Die Justiz kann ein volles Ausmaß der Checks and Balances nicht gewährleisten (BS 23.2.2022). Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 12.4.2022). Die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 22.2.2022; vgl. FH 28.2.2022, USDOS 12.4.2022, ÖB 9.2022). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 28.2.2022).

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 10.2021). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 22.2.2022). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 9.2022). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 9.2022). An Militärgerichten finden nur Verfahren gegen Militärangehörige statt, Berufungen können allerdings an die Zivilgerichte gehen (USDOS 12.4.2022).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Scharia-Gerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 22.2.2022). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem (Common Law oder Customary Law) durch Gesetze der Bundesstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben neben Gerichten für Common Law und Customary Law auch Scharia-Gerichte geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 9.2022).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität oder Ähnliches diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 22.2.2022). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren in angemessener Zeit, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen werden, auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet, vor allem aufgrund von Personalmangel (USDOS 12.4.2022). Vor allem das Recht auf ein zügiges Verfahren wird jedoch kaum gewährleistet. Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 22.2.2022).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor Kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 22.2.2022). Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils infrage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 22.2.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 3.10.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 3.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 3.10.2022

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 16.11.2022

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-)Polizei [Anm.: National Police Force - NPF], die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 22.2.2022; vgl. EASO 6.2021). Das Verhältnis von Polizei zu Bevölkerung, etwa ein Polizist pro 400-500 Nigerianer, ist im UN-Vergleich sehr niedrig (ÖB 9.2022). Gemäß einer anderen Quelle verfügt Nigeria in absoluten Zahlen zwar über eine der größten Polizeitruppen der Welt, dennoch liegt die Rate von Polizeibeamten zur Bevölkerungszahl von demnach 1:600 deutlich unter der von der UN empfohlenen Rate von 1:450 (EASO 6.2021).Die nigerianische Polizei ist zusammen mit anderen Bundesorganisationen die wichtigste Strafverfolgungsbehörde. Das Department of State Service (DSS), via nationalen Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig (USDOS 12.4.2022).

Die nigerianischen Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit (USDOS 12.4.2022). Die nigerianischen Streitkräfte umfassen 2021 schätzungsweise 135.000 Mann, davon 100.000 in der Armee, 20.000 Marine und Küstenwache, sowie 15.000 in der Luftwaffe. Paramilitärische Gruppen werden auf eine Gesamtstärke von 80.000 geschätzt (EASO 6.2021).

In vielen Bundesstaaten wurden als Reaktion auf zunehmende Gewalt, Unsicherheit und Kriminalität, welche die Reaktionsfähigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte überstiegen, lokale "Sicherheits"-Organisationen geschaffen. Diese lokalen Kräfte unterstehen dem Gouverneur des Staates (USDOS 12.4.2022).

Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein. Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die sogenannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 22.2.2022).

Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig. Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte, nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 9.2022). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet (AA 22.2.2022).

Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 12.4.2022). Die Regierung scheiterte an der Reorganisation des Militärs und der Polizei trotz hohen finanziellen und personellen Einsatzes (BS 23.2.2022). Die Regierung verwendete regelmäßig Disziplinarkommissionen und andere Mechanismen, um Verbrechen während des Dienstes durch Beamte zu untersuchen, aber die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden oft nicht veröffentlicht. Die Beschwerdestelle der nigerianischen Polizei versucht, das Vertrauen der Bürger in die Polizei wiederherzustellen, indem sie die Täter zur Verantwortung zieht. Die neu gestaltete Beschwerdestelle wurde weitgehend als glaubwürdige, wenn auch erst im Entstehen begriffene Maßnahme der Regierung zur Sammlung und Bearbeitung von Beschwerden der Bürger über polizeiliches Fehlverhalten wahrgenommen. Darüber hinaus hat der Polizeiminister im April einen Ausschuss für öffentliche Beschwerden bei der Polizei eröffnet, der es den Bürgern ermöglicht, offizielle Beschwerden über Missstände oder Fehlverhalten von Polizeibeamten einzureichen (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 3.10.2022

EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 3.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 3.10.2022

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 16.11.2022

Durch Verfassung und Gesetze sind Folter und andere unmenschliche Behandlungen verboten. Seit Dezember 2017 sind gemäß Anti-Folter-Gesetz Strafen vorgesehen. Gesetzlich ist die Verwendung von unter Folter erlangten Geständnissen in Prozessen nicht erlaubt. Die Behörden respektieren diese Regelung jedoch nicht immer. Ein Gesetz aus dem Jahr 2015 verbietet Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Häftlingen; es schreibt jedoch keine Strafen für Verstöße vor. Zudem muss jeder Bundesstaat konforme Gesetze auch einzeln verabschieden, was bis 2020 in mehr als drei Viertel der nigerianischen Bundesstaaten geschehen war, namentlich in Abia, Adamawa, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Bayelsa, Benue, Cross River, Delta, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Imo, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kogi, Kwara, Lagos, Nasarawa, Ogun, Ondo, Osun, Oyo, Plateau, Rivers und Sokoto (USDOS 12.4.2022). Das Vertrauen in den Sicherheitsapparat ist durch immer wieder gemeldete Fälle von widerrechtlichen Tötungen, Folter und unmenschlicher Behandlung in Polizeihaft unterentwickelt. Zudem ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert, und es besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte (ÖB 9.2022).

Die nigerianischen Sicherheitskräfte sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu begehen (AA 22.2.2022) bzw. Bürgerrechte zu verletzen (BS 23.2.2022). Es gab glaubwürdige Berichte, dass Angehörige der Sicherheitskräfte zahlreiche Übergriffe begangen haben (USDOS 12.4.2022). Neben der Polizei wird auch dem Militär vorgeworfen, extralegale Tötungen, Folter und andere Misshandlungen anzuwenden (FH 28.2.2022; vgl. AA 22.2.2022). Die nigerianischen Sicherheitskräfte verstärkten ihre Operationen zur Aufstandsbekämpfung im Nordosten des Landes und gingen gegen die Bedrohung durch Boko Haram und den ISWAP vor. Dabei verübten sie gravierende Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen unter dem Völkerrecht, einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Verschwindenlassen (AI 29.3.2022), willkürlicher Festnahmen (AI 29.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022) und Haft ohne Kontakt zur Außenwelt (AI 29.3.2022).

Die Special Anti-Robbery Squad (SARS) ging brutal gegen Verdächtige vor. Glaubwürdigen Berichten zufolge kam es zu Folter oder erzwungenen Geständnissen. Im Oktober 2020 wurde die Einheit nach massiven Protesten aufgelöst (EASO 6.2021). SARS wurde nach internationalem Vorbild in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt, und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden (DS 16.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Die Protestwelle ging jedoch weiter, der von den Demonstranten verwendete Hashtag ENDSARS wurde lediglich in ENDSWAT umbenannt (DS 16.10.2020).

Zum Teil kommt es zu exzessiven Gewaltanwendungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und extralegalen Tötungen bzw. Verschwindenlassen von Untersuchungshäftlingen. Dies betrifft besonders Schiiten, Biafra-Aktivisten und mutmaßliche Bandenkriminelle (AA 22.2.2022). Im Jahresverlauf 2021 erhielt Amnesty International glaubwürdige Berichte darüber, dass Sicherheitskräfte, darunter auch Angehörige der Polizei und des DSS, Menschen willkürlich festnahmen und Häftlinge ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft hielten. Mindestens 200 Personen – darunter ehemalige Kämpfer aus dem Nigerdelta, Mitglieder der IPOB, #EndSARS-Demonstrierende und Personen, die wegen des Verdachts auf Gefährdung der inneren Sicherheit festgenommen wurden – sollen 2021 unter ungeklärten Umständen Opfer des Verschwindenlassens geworden sein (AI 29.3.2022).

Folter ist in Polizei- oder Militärgewahrsam z. B. im Nordosten Nigerias und im Nigerdelta weiterhin weit verbreitet (AA 22.2.2022). Zudem verweigern Gefängnisbeamte, Polizisten und anderes Personal der Sicherheitskräfte Häftlingen oft Nahrung und medizinische Behandlung, um sie zu bestrafen oder Geld zu erpressen (USDOS 12.4.2022). Auch wenn die nigerianische Verfassung Folter verbietet, kommt es oft zu teilweise schweren Misshandlungen von (willkürlich) Inhaftierten, Untersuchungshäftlingen, Gefängnisinsassen und anderen Personen in Gewahrsam der Sicherheitsorgane. Die Gründe für dieses Verhalten liegen zum einen in der nur schwach ausgeprägten Menschenrechtskultur der Sicherheitskräfte, zum anderen in der mangelhaften Ausrüstung, Ausbildung und Ausstattung insbesondere der Polizei, was sie in vielen Fällen zu dem illegalen Mittel der gewaltsamen Erpressung von Geständnissen führt. Die große Zahl glaubhafter und übereinstimmender Berichte über die Anwendung von Folter in Gefängnissen und Polizeistationen im ganzen Land, die von forensischen Befunden gestützt und von der Polizei teilweise zugegeben werden, bestätigen den Eindruck, die Anwendung von Folter sei ein integraler Bestandteil der Arbeit der Sicherheitsorgane (AA 22.2.2022).

Verfassung und Gesetze verbieten willkürliche Verhaftungen, dennoch nutzen Polizei und Sicherheitskräfte diese Praktik. Die Polizei und andere Sicherheitsdienste sind befugt, Personen ohne vorherige Einholung eines Haftbefehls festzunehmen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass eine Person eine Straftat begangen hat. Das Gesetz schreibt vor, dass Festgenommene auch während des Ausnahmezustands innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt werden müssen und Zugang zu Anwälten und Familienangehörigen haben. In einigen Fällen hielten sich die Mitarbeiter der Regierung und des Sicherheitsdienstes nicht an diese Vorschrift (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung des nordöstlichen Bundesstaats Borno schätzt die Zahl der von Boko Haram entführten Frauen und Mädchen auf insgesamt 3.000. Boko Haram setzt Kinder gezielt als Lastenträger, in Kampfhandlungen und insbesondere Mädchen für Selbstmordattentate ein. Mädchen werden zudem häufig sexuell missbraucht und an Mitglieder der Boko Haram zwangsverheiratet (AA 22.2.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Nigeria 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070310.html , Zugriff 3.10.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 3.10.2022

DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte "Sars"-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 3.10.2022

EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 3.10.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 3.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 3.10.2022

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 16.11.2022

Die 1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog inkl. Grund- und Freiheitsrechten (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 9.2022). Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen (AA 22.2.2022). Seit Amtsantritt der Zivilregierung im Jahr 1999 hat sich die Menschenrechtssituation zwar verbessert (Freilassung politischer Gefangener, relative Presse- und Meinungsfreiheit, nur vereinzelte Vollstreckung der Todesstrafe) (ÖB 10.2021), doch bleibt die Umsetzung der eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen in vielen Bereichen deutlich hinter internationalen Standards zurück (AA 22.2.2022) und viele Probleme bleiben ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Zudem ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 9.2022).

Zu den schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gehören glaubwürdige Berichte über: rechtswidrige und willkürliche Tötungen durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; gewaltsames Verschwindenlassen durch die Regierung, Terroristen und kriminelle Gruppen; Folter und Fälle von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung durch die Regierung und terroristische Gruppen (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022); harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftungen oder Inhaftierungen; politische Gefangene; schwerwiegende Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; schwerwiegende Misshandlungen in einem Konflikt, einschließlich Tötungen, Entführungen und Folter von Zivilisten (USDOS 12.4.2022); schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medienfreiheit, einschließlich Gewalt oder Drohungen gegen Journalisten und die Existenz von Verleumdungsgesetzen (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, AI 29.3.2022); schwerwiegende Einschränkungen der Internetfreiheit (USDOS 12.4.2022); erhebliche Eingriffe in die friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 12.4.2022; vgl. AI 29.3.2022); schwerwiegende Korruption in der Regierung; fehlende Ermittlungen und Rechenschaftspflicht bei geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich, aber nicht beschränkt auf häusliche und intime Partnergewalt, sexuelle Gewalt, Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratung, weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung und andere schädliche Praktiken; Gewaltverbrechen, die sich gegen Angehörige nationaler/rassischer/ethnischer Minderheiten richten (USDOS 12.4.2022); das Vorhandensein oder die Anwendung von Gesetzen, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen unter Strafe stellen (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022); und das Vorhandensein der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022). Frauen sind allgegenwärtiger Diskriminierung ausgesetzt (FH 28.2.2022).

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten, strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Im Jahr 2021 gab es Berichte über Auspeitschen in den Bundesstaaten Kaduna und Kano (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Nigeria 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070310.html , Zugriff 3.10.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 3.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 3.10.2022

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Letzte Änderung: 16.11.2022

Die Versammlungsfreiheit wird durch die Verfassung garantiert. Allerdings wird sie bisweilen durch das Eingreifen der Sicherheitsorgane gegen politisch unliebsame Versammlungen (z. B. von Schiiten oder Biafra-Aktivisten) in der Praxis eingeschränkt (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022; FH 28.2.2022). Die Regierung verbietet gelegentlich gezielt Versammlungen, wenn sie zu dem Schluss kommt, dass deren politischer, ethnischer oder religiöser Charakter zu Unruhen führen könnte. Die Regierung schränkt öffentliche Versammlungen ein, einschließlich vorübergehender Verbote von Gottesdiensten in einigen Bundesstaaten, als Reaktion auf COVID-19 (USDOS 12.4.2022).

Die Vereinigungsfreiheit wird durch die Verfassung ebenso garantiert (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 9.2022) wie das Recht, einer politischen Partei oder einer Gewerkschaft anzugehören (AA 22.2.2022). Dies wird auch praktiziert (ÖB 9.2022) und hat zur Herausbildung einer lebendigen Zivilgesellschaft mit zahlreichen NGOs geführt. Gleichzeitig gibt es verschiedene Versuche der Regierung, zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum durch repressive Gesetzgebung und Verwaltungspraxis einzuschränken. Gewerkschaften können sich grundsätzlich frei betätigen (AA 22.2.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 3.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 3.10.2022

Opposition, inkl. IPOB und IMN und Yoruba-Seperatisten

Letzte Änderung: 16.11.2022

In Nigeria kann sich die politische Opposition grundsätzlich frei betätigen. Das gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition, sondern auch für außerparlamentarische Parteien und Gruppen. Bislang sind auch – meist marginale – Gruppen mit sezessionistischen Zielen (etwa Biafra) weitgehend toleriert worden (AA 22.2.2022).

Die Indigenous People of Biafra (IPOB) sind im September 2017 und die schiitische „Islamic Movement of Nigeria“ (IMN) im August 2019 verboten worden (AA 22.2.2022). Im Jahr 2021 kam es vermehrt zu Agitationen seitens IPOB im Südosten und der Yoruba Nation im Südwesten. Dies unterstreicht die steigenden Spannungen im Land. Die Behörden reagieren darauf manchmal mit exzessiver Gewalt (HRW 13.1.2022).

IPOB: Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) strebt die Abspaltung von einigen Bundesstaaten im Südosten (einschließlich dem ölreichen Niger Delta) an, die hauptsächlich aus Angehörigen der ethnischen Gruppe der Igbo (Christen) besteht und die Ausrufung der unabhängigen Nation Biafra anstrebt. IPOB wurde 2014 von Nnamdi Kanu gegründet (er muss sich derzeit wegen Terrorismus und Hochverrats vor Gericht verantworten) (ÖB 9.2022). Den nigerianischen Behörden gelang im Juni 2021 die neuerliche Verhaftung Kanos (ÖB 10.2021; vgl. HRW 13.1.2022). Ihm werden elf Delikte, darunter Terrorismus, Verrat, unerlaubter Waffenbesitz und Verbreitung verleumderischer Nachrichten, zur Last gelegt (ÖB 10.2021; vgl. BAMF 5.7.2021). Gegen Nnamdi Kanu läuft ein Gerichtsverfahren (TG 30.9.2022; vgl. ÖB 9.2022). Das Berufungsgericht (Court of Appeal) in der Hauptstadt Abuja hat die Anklage gegen den Separatistenführer Nnamdi Kanu am 13.10.2022 einstimmig für nichtig und seine Festnahme 2021, seine Inhaftierung seither und den gegen ihn laufenden Gerichtsprozess für rechtswidrig erklärt. Zur Begründung heißt es laut Medienberichten, dass das Gericht, an dem der Prozess begann, nicht zuständig gewesen sei. Die nigerianische Regierung betont, dass die Annullierung der Anklage durch das Berufungsgericht keinen Freispruch darstelle und der Fall noch nicht abgeschlossen sei (BAMF 17.10.2022).

2020 wurde der bewaffnete Arm der IPOB, das Eastern Security Network (ESN), gegründet. Das ESN wird mit zahlreichen tödlichen Anschlägen auf Polizeistationen und andere öffentliche Einrichtungen in Verbindung gebracht (ÖB 10.2021). Im August 2020 kam es bei einem Treffen der IPOB in der Stadt Enugu zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Gemäß IPOB sind demnach 21 Mitglieder getötet und 47 verhaftet worden (BAMF 24.8.2020), laut Polizei wurden hingegen vier IPOB-Mitglieder verhaftet und vier getötet (BAMF 24.8.2020; vgl. AI 7.4.2021). Zwischen September 2020 und Mai 2021 gab es eine Welle von Angriffen auf Polizeistationen und öffentliche Gebäude im Südwesten Nigerias, die dem ESN zugeschrieben werden (BBC 4.7.2021). Nach Medienangaben wird dem ESN vorgeworfen, in den letzten Monaten vor Juli 2021 mindestens 60 Menschen - zumeist Polizeiangehörige - getötet zu haben (BAMF 5.7.2021). Die Mitgliederzahl des ESN beläuft sich nach Angaben der nigerianischen Armee auf etwa 50.000. Das ESN unterhält in verschiedenen Teilen des Südostens Nigerias Ausbildungslager. Es behauptet auch, Ausbildungslager in anderen Teilen der Süd-Süd-Region zu haben. Es gibt eine Kommandostruktur. Der Anführer der IPOB, Mazi Nnamdi Kanu, kann als sein Oberbefehlshaber angesehen werden (VA ÖB 27.5.2022).

IMN: Die Regierung hat in den letzten Jahren heftig auf die Aktivitäten des IMN reagiert. 2015 überfielen Sicherheitskräfte das Gelände von el-Zakzaky, verhafteten ihn und seine Frau und töteten mindestens 300 IMN-Mitglieder. Dutzende weitere wurden bei einem Armeeeinsatz im Jahr 2018 getötet (FH 28.2.2022). Nach gewaltsamen Protesten des schiitischen IMN in Abuja im Juli 2019 wurde die Gruppierung durch die Regierung im ganzen Land zu einer illegalen Organisation erklärt. Noch immer sitzen dutzende IMN-Anhänger ohne Anklage in

Haft (AA 22.2.2022). Im September 2021 wurden acht Menschen getötet und 57 festgenommen, als Sicherheitskräfte und das IMN in Abuja zusammenstießen (FH 28.2.2022). Die seit Ende 2015 andauernde Inhaftierung von Ibrahim Zakzaky führte immer wieder zu Straßenprotesten in der Hauptstadt Abuja, in deren Folge es bei gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften zu Dutzenden Toten gekommen war. Nach fast sechs Jahren in Haft wurden Ibrahim Zakzaky und seine Ehefrau am 28.7.2021 infolge eines Freispruchs durch den Obersten Gerichtshof des Bundesstaats Kaduna freigelassen. Die Staatsanwaltschaft soll die Freilassung des Paares bestätigt und Berufung gegen den Freispruch angekündigt haben. Nach zahlreichen Freisprüchen von Mitgliedern der IMN in den Jahren 2019 und 2020 war zuletzt nur noch das Ehepaar in Haft gesessen. Vorgeworfen wurde dem Paar u.a. Mord, Verschwörung und Störung des Friedens (BAMF 2.8.2021).

Yoruba Seperatisten: Auch der Südwesten Nigerias, lange Zeit die friedlichste Region des Landes, blieb von den jüngsten Spannungen und Unruhen zwischen den Volksgruppen nicht verschont. Anders als in anderen Teilen des Landes beruhen die Konflikte nicht auf religiösen Extremismus oder Terrorismus, sondern werden als Ausdruck der versuchten Unterdrückung der Yoruba durch die (muslimischen) Fulani gesehen, die demnach aufgrund ihrer Vertretung in der Bundesregierung im Verdacht stehen, Immunitäten für ihre Straftaten zu genießen. Durch die zunehmenden Spannungen wurde das – bisher inaktive – Engagement der Yoruba-Separatisten verschärft. Sie streben die Ausrufung der "Oduduwa-Republik" an (ÖB 9.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty Report, Nigeria, 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048597.html , Zugriff 4.10.2022

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2.8.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw31-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 4.10.2022

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (17.10.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw42-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=4 , Zugriff 10.11.2022

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.7.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw27-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 4.10.2022

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (24.8.2020): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/BADE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw35-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=4 , Zugriff 4.10.2022

BBC - British Broadcasting Corporation (4.7.2021): Nnamdi Kanu's arrest leaves Nigeria's Ipob separatists in disarray, https://www.bbc.com/news/world-africa-57693863 , Zugriff 4.10.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 3.10.2022

HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2066473.html , Zugriff 4.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 4.10.2022

TG - The Guardian (30.9.2022): Court schedules hearing on Kanu’s extraordinary rendition case, https://guardian.ng/news/nigeria/court-schedules-hearing-on-kanus-extraordinary-rendition-case/ , Zugriff 4.10.2022

VA ÖB - Vertrauensanwalt der ÖB Abuja (27.5.2022): Antwort des VA in Abuja übermittelt von der ÖB am 27.5.2022

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 16.11.2022

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (FH 28.2.2022; vgl. AA 22.2.2022, USCIRF 4.2022). Laut Verfassung darf die Regierung keine Staatsreligion beschließen (USDOS 2.6.2022; vgl. AA 22.2.2022, USCIRF 4.2022, ÖB 9.2022). Religiöse Diskriminierung ist verboten (USDOS 2.6.2022; vgl. USCIRF 4.2022). Jeder genießt die Freiheit, seine Religion zu wählen, auszuüben, zu propagieren und zu ändern (USDOS 2.6.2022). Im Vielvölkerstaat Nigeria ist die Religionsfreiheit ein Grundpfeiler des Staatswesens. Die Bundesregierung achtet auf die Gleichbehandlung von Christen und Muslimen, z. B. bei der Finanzierung von Gotteshäusern und Wallfahrten. Sie unterstützt den Nigerian Inter-Religious-Council, der paritätisch besetzt ist und die Regierung in Religionsangelegenheiten berät. Ähnliche Einrichtungen wurden auch in mehreren Bundesstaaten erfolgreich eingeführt (AA 22.2.2022).

In der Praxis bevorzugen Bundesstaaten jedoch die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion (ÖB 9.2022). Es ist bekannt, dass bundesstaatliche und lokale Regierungen auf ihrem Gebiet de-facto-offizielle Religionen anerkennen, wodurch sie gleichzeitig (anderen) religiösen Aktivitäten Grenzen setzen (FH 28.2.2022). Viele Menschen, die in Gebieten leben, in denen sie einer religiösen Minderheit angehören, fühlen sich diskriminiert und leben in Angst - und das aus gutem Grund angesichts der Geschichte religiös motivierter Gewalt. Für einen Muslim kann es schwierig sein, in einer christlich dominierten Region seine Religion offen auszuüben, ebenso für einen Christen in einer Region mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Auch im Vorfeld der Wahlen im Feber 2023 besteht das Risiko religiöser Konflikte (BBC 16.10.2022).

Im Jahr 2021 war die Lage der Religionsfreiheit in Nigeria nach wie vor schlecht. Sowohl staatliche als auch nicht staatliche Akteure verübten weiterhin weitverbreitete und ungeheuerliche Verstöße gegen die Religionsfreiheit. Trotz der nigerianischen Verfassung Nigerias, die Religionsfreiheit schützt, waren nigerianische Bürger mit Blasphemie-Anklagen und -Verurteilungen, Gewalt und Angriffen während religiöser Zeremonien konfrontiert (USCIRF 4.2022).

Nach Angaben von Regierungsstellen, NGOs, Medien, Wissenschaftlern und anderen Beobachtern hat sich die Unsicherheit aufgrund der zunehmenden Kriminalität im Laufe des Jahres verschärft. Da Fragen der Religion, der ethnischen Zugehörigkeit, des Wettbewerbs um Land und Ressourcen und der Kriminalität oft eng miteinander verknüpft sind, war es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich oder sogar in erster Linie auf die religiöse Identität zurückzuführen bzw. zu kategorisieren (USDOS 2.6.2022).

Manche Gesetze von Landes- und Bundesregierung diskriminieren Mitglieder christlicher oder muslimischer Minderheiten (USDOS 2.6.2022). Die Toleranz gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften und religiösen Gruppen ist auf lokaler Ebene und in der Bevölkerung teilweise unzureichend ausgeprägt. In einigen Bundesstaaten ist die Lage der jeweiligen christlichen bzw. muslimischen Minderheit problematisch, insbesondere wo der Kampf um Ressourcen zunehmend religiös und politisch instrumentalisiert wird. Anders ist die Lage bei den Yoruba im Südwesten Nigerias, bei ihnen sind Mischehen zwischen Muslimen und Christen seit Generationen verbreitet (AA 22.2.2022).

Auch die Lage zwischen den Moslems der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minderheit ist teilweise stark angespannt. Versammlungen und Märsche der schiitischen Minderheit gelten als Provokation (AA 22.2.2022). Der Konflikt der Regierung mit der Islamischen Bewegung von Nigeria (IMN), einer schiitischen muslimischen Gruppe, die für eine islamische Herrschaft in Nigeria eintritt, eskalierte 2019, als ein Gericht in Abuja die IMN verbot und sie als terroristische Organisation einstufte (FH 28.2.2022; vgl. AA 22.2.2022). Die Regierung betont allerdings, dass dieses Verbot nicht gegen die "friedfertigen und gesetzestreuen" Schiiten in Nigeria gerichtet ist (USDOS 2.6.2022). Die IMN betrachtet ihren Anführer, Sheikh Ibrahim el-Zakzaky, als die letzte Autorität in Nigeria und erkennt die Regierung in Abuja nicht an (FH 28.2.2022).

Die islamistisch-terroristischen Organisationen Boko Haram und Islamischer Staat in Westafrika sind weiterhin aktiv und führen zahlreiche Angriffe auf Bevölkerungszentren oder religiöse Ziele durch [Anm. siehe Abschnitt: Sicherheitslage] (USDOS 2.6.2022).

In Gebieten außerhalb des Nordostens, wo die Bedrohung von Boko Haram ausgeht, sind die Behörden im Allgemeinen in der Lage und bereit, wirksamen Schutz zu bieten. Im Allgemeinen gibt es Teile des Landes, in die eine Person umziehen kann, wo sie keine begründete Furcht vor Verfolgung haben muss bzw. kein tatsächliches Risiko besteht, ernsthaften Schaden durch Boko Haram zu erleiden, und es ist für eine Person angemessen, dorthin umzuziehen (UKHO 7.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

BBC - BBC News (16.10.2022): Nigeria election: Dangers of being religious in a religious nation, https://www.bbc.com/news/world-africa-63255695?at_medium=RSS&at_campaign=KARANGA , Zugriff 9.11.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 3.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (7.2021): Country Policy and Information Note - Nigeria: Islamist extremist groups in North East Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056412/NGA_-_Islamist_extremist_groups_in_North_East_Nigeria_-_CPIN_-_v3.0__FINAL_Gov_UK_.pdf , Zugriff 10.10.2022

USCIRF - U.S. Commission on International Religous Freedom [USA] (4.2022): USCIRF - Recommended for Countries of particular concern (CPC), https://www.ecoi.net/en/file/local/2071998/2022+Nigeria.pdf , Zugriff 10.10.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074007.html , Zugriff 3.10.2022

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung: 16.11.2022

Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie ist durch die Verfassung verboten (AA 22.2.2022; vgl. FH 28.2.2022). Trotzdem werden viele ethnische Minderheiten von staatlichen Behörden und anderen Gruppen der Gesellschaft in Bereichen wie Beschäftigung, Bildung und Wohnen benachteiligt (FH 28.2.2022).

Der nigerianische Rechtsrahmen sieht im Allgemeinen eine gleichberechtigte Teilhabe der verschiedenen kulturellen, religiösen und ethnischen Gruppen des Landes am politischen Leben vor. Politiker und Parteien verlassen sich jedoch häufig auf die ethnische Loyalität der Wähler. Die Interessen einer bestimmten Gruppe werden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit bildet, oder wenn die ihr nahestehenden Parteien nicht an der Macht sind, möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt (FH 28.2.2022). Gemäß der Verfassung muss die Regierung einen "föderalen Charakter" haben, was bedeutet, dass Kabinetts- und andere hochrangige Positionen so vergeben werden müssen, dass die 36 Bundesstaaten oder die sechs sog. geopolitischen Zonen oder Regionen vertreten sind. Traditionelle Beziehungen werden benutzt, um Druck auf Regierungsbeamte auszuüben, damit bestimmte ethnische Gruppen bei der Verteilung von wichtigen Positionen einen Vorteil erhalten (USDOS 12.4.2022).

Die Verfassung unterscheidet bei der Bevölkerung in den Bundesstaaten zwischen "Einheimischen" ("indigenes") und "Zuwanderern" ("settlers"). Diese Unterscheidung sollte die einheimische Bevölkerung und die kleineren Ethnien vor den drei großen Ethnien schützen (AA 22.2.2022). Zwar haben alle Staatsbürger prinzipiell das Recht in jedem Teil des Landes zu leben, doch diskriminieren Bundes- und Bundesstaatsgesetze jene ethnischen Gruppen, die an ihrem Wohnsitz nicht indigen im eigentlichen Sinne sind (USDOS 12.4.2022). Die Realität in Nigeria ist von der Ausstellung sogenannter Certificates of State of Origin geprägt. Sie regeln den Zugang zu Stellen im öffentlichen Dienst, staatlichen Stipendien, die Wahl in ein öffentliches Amt und viele andere offizielle Interaktionen (Ausstellung eines Reisepasses). Problematisch ist allerdings, dass der Terminus "indigene" in der nigerianischen Verfassung nicht genauer definiert wird. In der Praxis werden Certificates of State of Origin ausgestellt, die bescheinigen, dass die jeweilige Person ein Angehöriger des dort ansässigen Stammes/Ethnie ist. Angesichts des Fehlens von Leitlinien zur Ausstellung eines Certificate of State of Origin liegt es im völligen Ermessen der lokalen und staatlichen Regierungen, diesen Status zu gewähren oder nicht (ÖB 9.2022). In einigen Bundesstaaten ist die Lage von Minderheiten problematisch, zumal selbst den Nachfahren der Zuwanderer oft die Teilnahme an Wahlen (aktiv wie passiv) verwehrt wird und sie nur eingeschränkten Zugang zu Ressourcen wie etwa Subventionen und öffentlichen Aufträgen, Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätzen haben (AA 22.2.2022). Manchmal werden Einzelpersonen sogar dazu veranlasst, in die ursprüngliche Heimat ihrer Ethnie zurückzukehren, obwohl sie dorthin keinerlei persönliche Verbindungen mehr haben. Fallweise veranlassen Bundesstaats- und LGA-Verwaltungen Nicht-Indigene durch Drohungen, Diskriminierung am Arbeitsmarkt oder die Zerstörung von Häusern zur Abwanderung. Jene, die trotzdem am Wohnort verbleiben, sind manchmal weiterer Diskriminierung ausgesetzt (Verweigerung von Stipendien, Ausschluss einer Anstellung beim öffentlichen Dienst). Dies betrifft beispielsweise die Hausa-Fulani im Bundesstaat Plateau (USDOS 12.4.2022).

Angehörige aller ethnischen Gruppen praktizieren Diskriminierung, vor allem hinsichtlich der Anstellung im privaten Sektor und bezüglich einer Segregation in urbanen Gebieten. Zwischen einigen Gruppen existieren historisch verwurzelte Spannungen. Landstreitigkeiten, Konkurrenz um schwindende Ressourcen, ethnische Differenzen und Spannungen zwischen Siedlern und Einheimischen trugen zu Zusammenstößen zwischen Hirten und Bauern in der gesamten geopolitischen Zone "North Central" bei (USDOS 12.4.2022). Der seit Jahrzehnten schwelende und immer wieder aufflammende Konflikt zwischen Hirten und Bauern im sog. „Middle Belt“ in Zentralnigeria um knapper werdende Ressourcen dauert weiter an. Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 22.2.2022). Zwischen den Tiv, Kwalla, Jukun, Hausa-Fulani und Azara in den Bundesstaaten Nasarawa, Benue und Taraba gibt es Konflikte um Landnutzungsrechte (USDOS 12.4.2022).

Im Nigerdelta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltzerstörung, jahrzehntelange Benachteiligung, Korruption sowie kaum vorhandene Bildungseinrichtungen und andere Infrastruktur (AA 22.2.2022).

Diskriminiert werden auch Albinos, die als Unglück erachtet werden. Sie werden manchmal bei der Geburt weggelegt oder für Hexerei-Rituale ermordet (USDOS 12.4.2022; vgl. ÖB 9.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 3.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 3.10.2022

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 16.11.2022

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA vor allem die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet (USDOS 12.4.2022).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 12.4.2022). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 22.2.2022). In den vergangenen Jahrzehnten hat eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 9.2022). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 22.2.2022).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 12.4.2022). Im Allgemeinen gibt es Teile des Landes, in denen eine Person keine begründete Furcht vor Verfolgung haben muss bzw. die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, nicht besteht - abhängig von der Art der Bedrohung durch nicht-staatliche Akteure bzw. die Lebensumstände der Person. Allerdings kann die Umsiedlung für alleinstehende Frauen, Nicht-Einheimische ohne Zugang zu Unterstützungsnetzwerken sowie für Angehörige sexueller Minderheiten schwieriger sein (UKHO 9.2021).

Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z. B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen in der Regel pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 9.2020).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 3.10.2022

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Nigeria - Alltag, https://www.liportal.de/nigeria/alltag/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 3.5.2022 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (9.2021): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060292/NGA_CPIN_Internal_Relocation.pdf , Zugriff 11.10.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 3.10.2022

Meldewesen

Letzte Änderung: 16.11.2022

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 9.2022; vgl. AA 22.2.2022; EASO 24.1.2019), wie u. a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 9.2022).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Gerichtsvollzieher (Bailiffs) müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 9.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

EASO - European Asylum Support Office (24.1.2019): Query Response - Identification documents system in Nigeria, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

Grundversorgung

Letzte Änderung: 16.11.2022

Nigeria ist als bevölkerungsreichstes Land Afrikas mit geschätzten mehr als 218 Millionen Einwohnern neben Ägypten und Südafrika eine der größten Volkswirtschaften Afrikas (ÖB 9.2022). Vor einigen Jahren zog das westafrikanische Land in puncto Wirtschaftsleistung an Südafrika vorbei. Wegen des Doppelschocks (Covid-19-Pandemie, Verfall der Ölpreise) war Nigerias Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2020 real um 1,8 Prozent geschrumpft. Danach ging es wieder bergauf: Im Jahr 2021 sind die Ölpreise kräftig gestiegen und auch andere Bereiche der Wirtschaft haben sich zunehmend erholt (ABG 9.2022). 2021 erreichte die nigerianische Wirtschaft vor allem aufgrund der deutlich gestiegenen Ölpreise und der fortschreitenden Erholung des privaten Sektors ein deutlich über den Erwartungen des IWF liegendes reales Wachstum von 3,6 %. Damit gelang nach sechs Jahren wirtschaftlichen Wachstums, welches durchgehend niedriger als das Bevölkerungswachstum war, eine Trendumkehr (WKO 13.6.2022).

Nigeria leidet, ebenso wie andere ressourcenreiche Entwicklungsländer, unter dem sogenannten Erdöl-Fluch. Dieser hat in den letzten 40 Jahren zur Vernachlässigung vieler anderer Wirtschaftszweige geführt und die Importabhängigkeit des Landes in vielen Bereichen sehr groß werden lassen. Der Erdölsektor erwirtschaftet über 95 Prozent der Exporteinnahmen und über 60 Prozent der Staatseinnahmen Nigerias. Er stagnierte während der letzten Jahre jedoch in seiner Entwicklung und trägt lediglich ca. acht Prozent zum BIP bei. Die große Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas im Bereich des Exports und damit der Einnahme von Devisen war die grundlegende Ursache der nigerianischen Wirtschaftskrisen der Jahre 2016, 2017 und 2020. Gleichzeitig stellt der Import von raffinierten Erdölprodukten den größten Ausgabeposten bei den Importen dar. Dies ist einerseits durch die mangelnde Funktionstüchtigkeit der vier großen staatlichen nigerianischen Raffinerien zu erklären, andererseits aber auch dadurch, dass die Stromversorgung von Produktionsbetrieben und Infrastruktureinrichtungen sowie von wohlhabenderen Haushalten zum Großteil auf den Betrieb von Dieselgeneratoren beruht. Eine deutliche Verbesserung der Situation sollte sich aus den Ergebnissen der Turn-Around-Wartungsarbeiten an den großen staatlichen Raffinerien sowie aus der Inbetriebnahme der weltgrößten Einstrang-Ölraffinerie durch die private Dangote Group ergeben (ÖB 9.2022).

Das Wirtschaftswachstum liegt in Nigeria unter dem Bevölkerungswachstum. Auch mittelfristig ist keine nennenswerte Veränderung dieser Situation zu erwarten (geschätztes BIP-Wachstum für 2022: 2,5 Prozent; geschätztes Bevölkerungswachstum 2,6-3,2 Prozent). Gemäß Weltbank ist das geschätzte Wirtschaftswachstum für 2022-2024 durchschnittlich 3,2 Prozent. Die Ungleichheit in Bezug auf Einkommen und Chancen ist nach wie vor groß und hat sich negativ auf die Armutsbekämpfung ausgewirkt (WB 14.9.2022). Die Verarmung des Großteils der nigerianischen Bevölkerung wird sich fortsetzen. Das Fehlen wirtschaftlicher Chancen bei gleichzeitig hohem Bevölkerungswachstum gilt als Hauptantrieb für Migration. Sozio-ökonomisch betrachtet gehören die Migranten eher zur wachsenden gebildeten unteren Mittelklasse und kommen oft aus Städten des Südens und Südwestens Nigerias (vor allem aus dem Bundesstaat Edo). Dort gibt es seit Jahrzehnten eine hohe Mobilität landwirtschaftlicher Arbeitskräfte, Schmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke, eine prekäre Arbeitssituation und kaum Aussicht für Jugendliche, das angestrebte Lebensziel zu verwirklichen. Sozio-kulturelle Zwänge sowie ein von sozialen Medien falsches kolportiertes Bild von Europa sind weitere Push-Faktoren (ÖB 9.2022).

Stärken der nigerianischen Wirtschaft: Reiche Erdöl- und Gasvorkommen; relativ breit aufgestellte Industrie in Lagos; größter Verbrauchermarkt Afrikas mit mehr als 210 Millionen Einwohnern; großer Pool an motivierten Arbeitskräften. Schwächen: schlechte Infrastruktur; Korruption und Vetternwirtschaft in der öffentlichen Verwaltung; hohe Standortkosten und steigende Sicherheitskosten; Großteil der Bevölkerung mit rückläufiger Kaufkraft (ABG 9.2022). Nigeria verfügt durch in den 1950er bzw. 1970er-Jahren entdeckte umfangreiche Öl- und Gasvorkommen, großteils noch unerschlossene Bodenschätze, eine ausreichende Agrarbasis, ein relativ günstiges Klima und fruchtbare Böden, eine vergleichsweise gut ausgebaute, jedoch unzureichend instandgehaltene Infrastruktur und einen Binnenmarkt von mehr als 200 Millionen Menschen über deutlich bessere Entwicklungschancen als die meisten anderen Staaten Westafrikas (ÖB 9.2022).

Nigeria ist im Bereich der Landwirtschaft keineswegs autark, sondern auf Importe, vor allem von Reis, angewiesen. Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertriebenenbewegungen als Folge der Attacken durch Boko Haram und ISWAP, herrschen lang andauernde Hungerperioden in den nördlichen, insbesondere nordöstlichen Bundesstaaten (ÖB 9.2022).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt. Etwa 60 Prozent der geschätzten 200 Millionen Menschen leben in absoluter Armut (BS 23.2.2022). Gemäß Schätzungen der Weltbank leben ca. 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 1,9 US-Dollar pro Tag, 30 Prozent (ca 70 Millionen Menschen) in extremer Armut (ÖB 9.2022).

Die letzten offiziellen Zahlen des nigerianischen National Bureau of Statistics (NBS) die Arbeitslosigkeit betreffend stammen aus dem 4. Quartal 2020. Demnach waren Ende 2020 56,1 Prozent der arbeitsfähigen nigerianischen Bevölkerung entweder arbeitslos (33,3 Prozent) oder unterbeschäftigt (22,8 Prozent). Damit hat sich die Arbeitslosigkeit laut offiziellen Daten innerhalb von fünf Jahren mehr als vervierfacht. Zumindest jeder zweite erwerbsfähige nigerianische Bürger ist völlig ohne Arbeit oder unterbeschäftigt (ÖB 9.2022). Laut NBS sind mit Stand Mai 2022 immer noch die Zahlen aus Q4 2020 die aktuellsten. Die Arbeitslosigkeit lag im Q4 2020 bei 33,3 Prozent (NBS 2022). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 9.2022; vgl. BS 23.2.2022).

Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 23.2.2022).

Die Großfamilie unterstützt beschäftigungslose Angehörige (ÖB 9.2022). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 23.2.2022). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 9.2022).

Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Die Nahrungsmittelkrise infolge der russischen Invasion in der Ukraine treibt die Getreidepreise beträchtlich in die Höhe (ÖB 9.2022).

Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für "peppersoup", "garri" oder "pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch "mini-farming" eine Möglichkeit, selbstständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als "bushmeat" gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun "grasscutter" (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als "bushmeat" gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und "grasscutter" finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbstständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden zehn Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2021).

Ende Dezember 2021 wurde von Präsident Buhari mit dem National Development Plan eine neue Initiative für die Jahre 2021 bis 2025 vorgestellt. Diese beinhaltet als Ziele ein durchschnittliches reales Wirtschaftswachstum von 4,6 Prozent (so wie bereits im ERGP), das Schaffen von 21 Millionen Vollzeit-Arbeitsstellen und die Reduktion des absolut armen Teils der Bevölkerung um 35 Millionen Menschen. Die Finanzierung des Plans, welcher Gesamtinvestitionen im Wert von Naira 348 Billionen (USD 838,5 Milliarden) vorsieht, soll mangels geringer staatlicher Mittel zu über 85 Prozent durch die Privatwirtschaft erfolgen (WKO 6.2022).

Infolge massiver Überschwemmungen im September und Oktober 2022 sind nach Einschätzung der Vereinten Nationen (UN) in Nigeria mittlerweile mehr als 2,5 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Dazu zählen demnach 1,5 Millionen Kinder, die durch sich ausbreitende Krankheiten, Hunger oder Ertrinken bedroht sind. Es handelt sich um die schlimmsten Überflutungen der vergangenen zehn Jahre. 34 der insgesamt 36 Bundesstaaten sind von den Überschwemmungen betroffen. Mehr als 600 Menschen sind ums Leben gekommen, mehr als 200.000 Einwohnerinnen und Einwohner haben ihr Zuhause verloren (TS 22.10.2022).

Quellen:

ABG - Africa Business Guide (9.2022): Länderprofil Wirtschaft in Nigeria, https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/nigeria , Zugriff 13.10.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 3.10.2022

NBS - National Bureau of Statistics [Nigeria] (2022): Homepage, https://www.nigerianstat.gov.ng/ , Zugriff 13.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 4.10.2022

TS - Tagesschau / NDR (22.10.2022): Überschwemmungen in Nigeria - 2,5 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/nigeria-ueberschwemmungen-un-101.html , Zugriff 9.11.2022

WB - World Bank (14.9.2022): Nigeria - Overview, https://www.worldbank.org/en/country/nigeria/overview , Zugrifff 11.11.2022

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (13.6.2022): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 13.10.2022

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (6.2022): Wirtschaftsbericht Nigeria, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/nigeria-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 13.10.2022

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 16.11.2022

Nigeria verfügt über ein pluralistisches Gesundheitssystem, in dem die Gesundheitsfürsorge gemeinsam vom öffentlichen und privaten Sektor sowie durch moderne und traditionelle Systeme erbracht wird. Die Verwaltung des nationalen Gesundheitssystems ist dezentralisiert in einem dreistufigen System zwischen Bundes-, Landes- und Lokalregierungen (EUAA 4.2022). Die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten in Nigeria sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor hat sich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Trotzdem ist die Gesundheitsversorgung - vor allem auf dem Land - mangelhaft (AA 22.2.2022). Die Bundesregierung gibt weniger für Gesundheit und Bildung aus als fast jedes andere Land der Welt (0,6 Prozent des BIP für Gesundheit) (ÖB 9.2022).

Obwohl die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt gestiegen ist (54,7 Jahre laut Human Development Report 2020), hat die Verbesserung des Zugangs zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung in Nigeria keine hohe Priorität. Aufgrund von Konflikten, Terroranschlägen, sozioökonomischen Bedingungen, Unterernährung, Klimawandel, Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene gibt es nach wie vor große Unterschiede im Gesundheitszustand zwischen den Bundesstaaten und geopolitischen Zonen (ÖB 9.2022).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser. Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 22.2.2022).

Wie die meisten afrikanischen Länder leidet auch Nigeria unter einem kritischen Mangel an Fachkräften beim Gesundheitspersonal (HRH). Obwohl das Land einen der größten Bestände an Gesundheitspersonal hat, ist die Dichte an Ärzten, Krankenschwestern und Hebammen unzureichend (1,95 pro 1.000). Nach Schätzungen der Weltbank kamen im Jahr 2018 etwa 0,4 Ärzte auf 1.000 Einwohner während die Zahl der Krankenschwestern und Hebammen im Jahr 2019 auf 1,5 pro 1.000 Einwohner geschätzt wurde. Weitere Herausforderungen im Bereich der Humanressourcen sind die ungleiche Verteilung des Gesundheitspersonals auf die Bundesstaaten, Finanzierungslücken und Abwanderung von qualifiziertem Gesundheitspersonal in andere Länder (EUAA 4.2022).

Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen (AA 22.2.2022). Es gibt so gut wie keine Dienste für die psychische Gesundheit (ÖB 9.2022). Im ambulanten Bereich gibt es in Einzelfällen in den größeren Städten qualifizierte Psychiater, die nicht einweisungspflichtige Patienten mit klassischen Psychosen und Persönlichkeitsstörungen behandeln können (AA 22.2.2022). Es gibt weniger als 300 Psychiater für eine Bevölkerung von mehr als 200 Millionen Menschen, und angesichts der geringen Kenntnisse über psychische Störungen in der Primärversorgung sind die Familien in den ländlichen Gebieten auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, ihre betroffenen Familienmitglieder zu versorgen. Auch die Zahlen für psychosoziale Fachkräfte sind niedrig, denn die Gesamtzahl der Fachkräfte im Bereich der psychischen Gesundheit liegt bei 0,9 pro 100.000 Einwohner, aufgeschlüsselt (jeweils pro 100.000 Einwohner) in 0,70 Krankenschwestern, 0,02 Psychologen, 0,10 Psychiater, 0,04 Sozialarbeiter und 0,01 Ergotherapeuten (EUAA 4.2022). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich (AA 22.2.2022).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch im informellen Sektor (AA 22.2.2022). Die Krankenversicherung hat in Nigeria, was die prozentuale Abdeckung der Bevölkerung angeht, kaum an der Oberfläche gekratzt. 97 Prozent der nigerianischen Bevölkerung sind in keiner Weise krankenversichert. Die drei Prozent der Bevölkerung, die krankenversichert sind, werden durch die Krankenversicherung der Arbeitnehmer abgedeckt. Von diesen drei Prozent sind 56,7 Prozent Männer und 43,3 Prozent Frauen. Der Zugang zu einer erschwinglichen Gesundheitsversorgung bleibt für die meisten Nigerianer unerreichbar, insbesondere für diejenigen, die keine formelle Beschäftigung haben. Trotz der Einführung verschiedener Krankenversicherungsprogramme ist es dem National Health Insurance Scheme (NHIS) nicht gelungen, diejenigen zu erfassen, die nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Die kumulierte Deckungsrate dieser anderen Programme lag bei weniger als einem Prozent der Krankenversicherten. Die Alternative zur Krankenversicherung sind enorme individuelle Ausgaben für die Gesundheit, und im Jahr 2018 war Nigeria das Land mit den dritthöchsten privat getätigten Ausgaben für die Gesundheit. 76,6 Prozent der Gesundheitsausgaben in dem Land wurden aus eigener Tasche bezahlt (Dataphyte 24.12.2021).

Apotheken und in geringerem Maße private Kliniken verfügen über essenzielle Medikamente. Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Für Medikamente muss man selbst aufkommen. Das Preisniveau ist insgesamt uneinheitlich, selbst Generika können bisweilen durchaus teurer als in, zum Beispiel, deutschen Apotheken sein (AA 22.2.2022). Die Kosten medizinischer Behandlung und Medikamente müssen im Regelfall selbst getragen werden; die Kosten für Medikamente sind hoch und für die meisten Nigerianer unerschwinglich. Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖB 9.2022). Gemäß einer weiteren Quelle werden Medikamente für sogenannte vorrangige Krankheiten in staatlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt, darunter antiretrovirale Medikamente sowie Medikamente gegen Tuberkulose und multiresistente Tuberkulose. Probleme in der Versorgungskette haben zur Bildung informeller Arzneimittelmärkte geführt. Die Medikamentenpreise variieren in den nördlichen und südlichen Regionen; sie sind im Norden höher, weil die Verteilung von den südlichen Häfen in die nördlichen Regionen kostenintensiver ist (EUAA 4.2022).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte vertrieben werden (bis zu 25 Prozent aller verkauften Medikamente), die nur eingeschränkt wirken (AA 22.2.2022). Der unerlaubte Verkauf von Medikamenten und die schlechte Qualität von gefälschten Arzneimitteln sind weitere große Herausforderungen (ÖB 9.2022).

Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 9.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

Dataphyte (24.12.2021): Health Insurance in Nigeria – Only 3% of Nigerians are Covered, https://www.dataphyte.com/latest-reports/development/health-insurance-in-nigeria-only-3-of-nigerians-are-covered/ , Zugriff 21.10.2022

EUAA - European Union Agency for Asylum (4.2022): Report on medical care (political context; economy; socio-cultural features; organisation of the health system; healthcare human resources; pharmaceutical sector; patient pathways; insurance; cost; treatments; mental healthcare; selected medicines price list), https://www.ecoi.net/en/file/local/2071828/2022_04_EUAA_MedCOI_Report_Nigeria.pdf , Zugriff 21.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

Rückkehr

Letzte Änderung: 16.11.2022

Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 9.2022).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX unterstützt werden. Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 22.2.2022). Die Österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JRO) gemeinsam mit FRONTEX und anderen EU-Mitgliedstaaten. Nach der COVID-19 bedingten Suspendierung der Repatriierungsflüge wurden diese im März 2022 wieder aufgenommen und Landegenehmigungen erteilt (ÖB 9.2022).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt. Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 22.2.2022). Die Rückgeführten verlassen nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung durch die nigerianischen Behörden das Flughafengebäude und steigen zumeist in ein Taxi oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann aufgrund von fehlenden Erfahrungen jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden zu gewärtigen haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 9.2022).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im "Decree 33" nicht zu befürchten (AA 22.2.2022). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets "overstay" angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 9.2022).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, sodass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne Weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure betreiben Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten (AA 22.2.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

Dokumente, Staatsbürgerschaft, Meldewesen

Letzte Änderung: 16.11.2022

Zwar existiert mit der National Identity Database (NID) eine Art Datenbank für nigerianische und nicht-nigerianische Bürger, die in Nigeria wohnhaft sind, jedoch nur, sofern diese sich in der Datenbank registriert haben (bislang nur eine Minderheit) (AA 22.2.2022). Gemäß anderen Angaben sind inzwischen 42 Millionen Menschen registriert. Im Zuge dieser Registrierung wird die National Identity Number (NIN) vergeben, welche Voraussetzung für den Erhalt eines Personalausweises ist (MBZ 3.2021). Auch im Zusammenhang mit der nigerianischen Lebenswirklichkeit kann dies nicht als lückenlose Registrierung und damit flächendeckendes Meldewesen gesehen werden (AA 22.2.2022). Der Besitz eines nigerianischen Ausweises, auch zertifiziert, garantiert nicht die korrekte Identität des Inhabers des Ausweises. Mit einer NIN haben Personen allerdings eine fixe Identität, die nicht mehr gewechselt werden kann. Es ist jedoch möglich, dass diese NIN aufgrund gefälschter Dokumente erstellt worden ist, und nicht mit der Identität bei Geburt übereinstimmt (MBZ 3.2021). Wird die Vorlage einer Geburtsurkunde verlangt, so leisten zwei Personen für den Antragsteller eine eidesstattliche Erklärung („Affidavit“), die die Geburt bezeugt, wann auch immer diese stattgefunden haben mag. Lediglich darauf basierend wird eine Geburtsurkunde ausgestellt und in weiterer Folge sämtliche anderen Dokumente, auch der neue biometrische Reisepass (ÖB 9.2022).

Mit der Einführung des elektronischen Passes (mit elektronisch gespeicherten Fingerabdrücken) im Jahr 2007 haben die Behörden einen wichtigen Schritt unternommen, die Dokumentensicherheit zu erhöhen. Es sind auch so gut wie keine gefälschten nigerianischen Pässe im Umlauf, da es keinerlei Problem darstellt, einen echten Pass unter Vorlage gefälschter Dokumente oder Verwendung falscher Daten zu erhalten (AA 22.2.2022). Es ist aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens, verbreiteter Korruption in den Passbehörden sowie Falschangaben der Antragsteller ohne Weiteres möglich, einen nigerianischen Reisepass zu erhalten, der zwar echt, aber inhaltlich falsch ist (AA 22.2.2022; vgl. MBZ 3.2021). Mangels eines geordneten staatlichen Personenstandwesens ist die Überprüfung der Echtheit von Dokumenten durch nigerianische Behörden mit einem großen Aufwand verbunden. Angesichts der in Nigeria allgemein nicht gegebenen Dokumentensicherheit ist die bloß formale Bestätigung der Echtheit einer Unterschrift oder eines Siegels eines nigerianischen Ministeriums nicht dazu geeignet, eine Beglaubigung unter Einhaltung der gesetzlichen notariellen Sorgfaltspflicht und im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen vorzunehmen (ÖB 9.2022).

Gefälschte Dokumente (Geburts- und Heiratsurkunden, Zeugnisse von Schulen und Universitäten etc.) sind in Lagos und anderen Städten ohne Schwierigkeiten zu erwerben (AA 22.2.2022; vgl. MBZ 3.2021). Sie sind professionell gemacht und von echten Dokumenten kaum zu unterscheiden. Inhaltlich unwahre, aber von den zuständigen Behörden ausgestellte (Gefälligkeits-)Bescheinigungen sowie Gefälligkeitsurteile in Familiensachen kommen vor. Fälschungstypische Fehler sind dabei in der Natur der Sache nicht immer aufzeigbar. Vorgelegte angebliche Fahndungsersuchen nigerianischer Sicherheitsbehörden sind in der Form oft fehlerhaft oder enthalten falsche Darstellungen behördlicher Zuständigkeiten und sind dadurch als Fälschungen zu erkennen. Aufrufe von Kirchengemeinden – z. B. genannten Asylbewerbern Zuflucht und Schutz zu gewähren – sind oft gefälscht (AA 22.2.2022).

Kinder leiten ihre Staatsbürgerschaft von ihren Eltern ab (USDOS 12.5.2022). Geburten werden insbesondere im ländlichen Raum, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt, kaum registriert (ÖB 9.2022). Es gibt keine Vorschrift zur Registrierung von Geburten. Der Großteil der Geburten wird nicht registriert; Daten zeigen, dass landesweit nur bei 42 Prozent der Kinder unter fünf Jahren die Geburt ordnungsgemäß registriert ist (USDOS 12.4.2022).

Zur Ausstellung von Reisepässen von nigerianischen Staatsbürgern in Wien: Die Botschaft stellt gemäß E-Mail Auskunft nigerianischen Staatsbürgern mit Wohnsitz in Wien Pässe aus. Die detaillierten Anforderungen für die Ausstellung von Reisepässen und alle anderen konsularischen Dienstleistungen können über die offizielle Website der Botschaft unter http://www.nigeriaembassyvienna.com/consular/ abgerufen werden (NBW 26.4.2022). Aus der angegebenen Webpage der nigerianischen Botschaft in Wien geht hervor, dass kein Dokument über die Meldung oder Wohnadresse benötigt wird. Es ist somit davon auszugehen, dass nigerianischen Staatsbürgern unabhängig von ihrem Wohnsitz Pässe ausgestellt werden (NBW o.D.).

Nach der nigerianischen Verfassung vom 5.5.1999 soll der Verzicht auf die nigerianische Staatsangehörigkeit nach Artikel 29 durch Abgabe einer formgebundenen Verzichtserklärung und durch die anschließende Registrierung des Verzichtes eintreten (AA 22.2.2022). Demzufolge ist die einzig zuständige Behörde betreffend Zurücklegung der nigerianischen Staatsangehörigkeit das nigerianische Innenministerium. Bei Genehmigung eines derartigen Antrages stellt das nigerianische Innenministerium ein „Certificate of Renunciation“ aus. Allfällige Bestätigungen nigerianischer Vertretungsbehörden über das erfolgte Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband entfalten folglich keine Rechtswirkung (BMEIA 7.8.2019; vgl. BMEIA 8.5.2020). Die genaue Vorgehensweise zur Zurücklegung lautet:

Der Antragsteller richtet ein Schreiben an den „Permanent Secretary, Federal Ministry of Interior, Abuja“. Dem Schreiben sind folgende Dokumente beizufügen:

Antrag (siehe z. B. Webseite der nigerianischen Botschaft Berlin unter: https://nigeriaembassygermany.org/Forms---Fees.htm )

Lichtbild

Geburtsurkunde

Die ersten fünf Seiten des nigerianischen Reisepasses (inklusive der Datenseite)

Eidesstattliche Erklärung des Antragstellers, wonach dieser die nigerianische Staatsangehörigkeit zurücklegen möchte.

Erklärung der zuständigen österreichischen Einbürgerungsbehörde, dass bei Zurücklegung der nigerianischen Staatsangehörigkeit, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden kann.

Abstammungsurkunde der örtlichen Landesregierung mit einem weiteren Lichtbild

Bestätigung des „Sekretärs“ der entsprechenden nigerianischen Landesregierung.

Gleichzeitig mit der persönlichen Antragstellung z. B. bei der zuständigen nigerianischen Botschaft, muss auch eine Antragstellung online erfolgen. Dazu muss sich der Antragsteller auf der Webpage des nigerianischen Innenministeriums registrieren (https://ecitibiz.interior.gov.ng/account/Register/ ) und der Antrag samt Beilagen muss auf die Webpage hochgeladen werden.

Die Konsulargebühren betragen:

- 30.000 Naira Antragsgebühr (zahlbar bei Antragstellung)

- 50.000 Naira Genehmigungsgebühr (zahlbar bei Genehmigung) (ÖB 15.5.2019)

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 3.10.2022

BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (8.5.2020): Nigeria, Staatsbürgerschaft: Anfrage der MA 35 zu Entlassungsverfahren, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (7.8.2019): Nigeria, Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

MBZ - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands [Niederlande] (3.2021): Country of origin information report Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2054389/03_2021_MinBZ_NL_COI_Nigeria.pdf , Zugriff 10.10.2022

NBW - Nigerianische Botschaft Wien [Nigeria] (26.4.2022): Antwort der nigerianischen Botschaft, übermittelt via E-Mail vom 26.4.2022, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

NBW - Nigerianische Botschaft in Wien [Nigeria] (o.D.): Konsularische Informationen, http://www.nigeriaembassyvienna.com/consular/ , Zugriff 24.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (9.2022): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079209/NIGR_%C3%96B-Bericht_2022_09.pdf , Zugriff 11.10.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (15.5.2019): STB; Prüfung Staatsbürgerschaft, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 3.10.2022

1.4. Anfragebeantwortung des IRB-Immigration and Refugee Board of Canada vom 02.06.2022 (Nigeria and Canada: The Indigenous People of Biafra (IPOB), including objectives, structure, activities, and relations with other Biafran independence groups; treatment by the authorities and state protection; the ability for the government to monitor IPOB organizations abroad, particularly in Canada (2020–May 2022) [ZZZ200991.E]):

1. Overview

Sources describe IPOB as a "separatist" group (Ripples Nigeria 2 Apr. 2022; BBC 29 June 2021) or as a "pro-Biafra" movement (Amnesty International 5 Aug. 2021; UK Mar. 2022). Sources note that IPOB is designated as a "terrorist" organization by the Nigerian government (The Guardian 7 Dec. 2021; BBC 29 June 2021). IPOB was created in 2012 (Lawyer 5 Apr. 2022; Vanguard 26 Sept. 2021; Okwuosa, et al. 19 Apr. 2021) by Mazi Nnamdi Kanu (Vanguard 26 Sept. 2021).

Biafra refers to a region located in southeastern Nigeria (BBC 15 Jan. 2020; UNPO 3 Aug. 2020) and, according to an opinion article by Frederick Forsyth, a "former war correspondent," published in the UK's Guardian, Biafrans are "mostly" of Igbo ethnicity (Forsyth 21 Jan. 2020). Sources report that an attempt to achieve Biafra's secession from Nigeria led to a civil war from 1967 to January 1970, between the Nigerian government and the secessionist Biafran state (Journalist 8 Apr. 2022; Okwuosa, et al. 19 Apr. 2021; BBC 15 Jan. 2020).

Sources describe that, fifty years after the Biafran war, the feeling of marginalization experienced by Igbo people (BBC 15 Jan. 2020; journalist 8 Apr. 2022) or the "claim that they are systematically excluded" (Okwuosa, et al. 19 Apr. 2021, 1) remains present and has led to the emergence of new agitations for secession (Journalist 8 Apr. 2022; Okwuosa, et al. 19 Apr. 2021, 1; BBC 15 Jan. 2020). In an interview with the Research Directorate, a journalist, who is also the Deputy Head of Investigations at Premium Times, an online Nigerian newspaper, stated that the southeastern region of Nigeria is indeed "really marginalized" due to the Biafran war (Journalist 8 Apr. 2022).

In correspondence with the Research Directorate, an associate professor and Director of the Archives and Documentation Centre at the University of Ilorin in Nigeria, who has conducted research on national integration in Nigeria, described the context in which Biafran groups, including IPOB, emerged:

After the end of the civil war and in the face of further marginalisation there has been pockets of revolts and attempted civil disturbances here and there. There was the Movement for the Actualization of the Sovereign State of Biafra (MASSOB), led by Chief Ralph Uwazuruike … After the collapse or rather the eventual clamp down of MASSOB by the government, IPOB surfaced. (Associate Professor 28 Mar. 2022).

In the Georgetown Journal of International Affairs (GJIA), an academic publication of the Walsh School of Foreign Service (SFS) at Georgetown University (Georgetown n.d.), Samuel Fury Childs Daly, an assistant professor of African and African American studies at Duke University in the US, states that this neo-Biafran movement draws its energy not only from eastern Nigeria, but also from the global Igbo diaspora. … Since the return of civilian democracy in 1999, however, Biafran activism has become an important part of Nigeria's political landscape (Daly 7 Apr. 2021).

2. IPOB Objectives, Leadership, and Structure

2.1 Objectives

Sources state that the IPOB's two fundamental objectives are:

Protecting Igbos; and

Seeking political independence for Southeastern Nigeria (Journalist 8 Apr. 2022; Daly 7 Apr. 2021).

According to Daly, even though their goals "have changed over time" and "vary between factions," both MASSOB and IPOB "converge around [these] two central objectives" (Daly 7 Apr. 2021). The journalist stated that these objectives remain the same but the way to achieve them has changed since the movement became radicalized in the last three to four years and IPOB "is increasing violent now," no longer following the non-violent approach employed by MASSOB (Journalist 8 Apr. 2022).

The Associate Professor explained that "[b]asically, the objective of [IPOB] was to actualise the concept of the sovereign state of Biafra" (Associate Professor 28 Mar. 2022). In correspondence with the Research Directorate, a coordinator for the US West Coast branch of MASSOB speaking on behalf of the organization, also indicated that "IPOB's objectives remain the same as MASSOB's which is [s]elf [d]etermination for the people of Biafra" (MASSOB 1 Apr. 2022).

2.2 Leadership and Structure

Sources name the following people as involved in the current or recent IPOB leadership:

Nnamdi Kanu as Leader (BBC 29 June 2021; MASSOB 1 Apr. 2022; Vanguard 5 Apr. 2022);

Uche Mefor as Deputy Leader (AllNews Nigeria 23 July 2020) or as the former Deputy Leader who resigned in 2020 (Naija News 28 Nov. 2020);

China [Chika] Edoziem as Head of the Directorate of State (DOS) (AllNews Nigeria 23 July 2020; Naija News 28 Nov. 2020; The News Digest 21 Aug. 2019);

Mazi Nzurumike as Deputy Head of the DOS (AllNews Nigeria 23 July 2020); and

Emma Powerful as responsible for publicity (Journalist 8 Apr. 2022; Sahara Reporters 21 Dec. 2021; The Guardian 7 Mar. 2022).

BBC indicates that Kanu was arrested in June 2021 (BBC 29 June 2021). April 2022 media sources indicate that the IPOB leader is on trial for treason and terrorism (Premium Times 2 Apr. 2022; TheCable 1 Apr. 2022).

A July 2020 article from AllNews Nigeria, an online Nigerian news platform (AllNews Nigeria n.d.), quotes a Facebook post by Kanu as stating that the IPOB "'not only [has] a structure, but we also have superstructure, and it is worldwide'"; Kanu's Facebook post further describes that below Nzurumike's role as Deputy Head of the DOS, there are Continental Representatives, Country Coordinators, State or Regional Coordinators, Senatorial [Members], Zonal [Coordinators], and then the units (AllNews Nigeria 23 July 2020). The MASSOB coordinator stated the following concerning the leadership and structure of IPOB:

While Nnamdi Kanu is the organizational leader of IPOB, the group is structured in such a way that leaders exist in districts. A district can be a village or a larger geographical area. These regional leaders maintain a level of autonomy while adhering to the main goals of the organization. This mode of operation allows IPOB to continue operating without depending on any one leader (in the case of arrest, detention and extrajudicial killing of a leader). (MASSOB 1 Apr. 2022)

However, the journalist stated that IPOB is not a well-organized group, and Kanu and Emma Powerful are the only remaining leaders, since others have been kicked out, resigned, or created their own factions separate from IPOB (Journalist 8 Apr. 2022). The Associate Professor indicated that "there exists a state of mistrust amongst the various factions and the chain of command" due to the arrest and trial of the leader" and "[t]here is power struggle and agitation for supremacy" (Associate Professor 28 Mar. 2022). Further and corroborating information on the departure of IPOB leaders could not be found among the sources consulted by the Research Directorate within the time constraints of this Response.

2.2.1 Eastern Security Network

Sources describe the Eastern Security Network (ESN) as a regional security organization in southern Nigeria that belongs to IPOB (Sahara Reporters 22 Jan. 2021) or is backed by IPOB (Vanguard 24 Apr. 2021). According to Sahara Reporters, "an online community of international reporters and social advocates [providing] commentaries, features, news reports from a Nigerian-African perspective" (Sahara Reporters n.d.), ESN was created by Kanu in December 2020 to protect the people of the South-East and South-South region of Nigeria (Sahara Reporters 24 Mar. 2021). TheCable, an online Nigerian newspaper, cites a security operative, who indicated that the IPOB "'has recruited over 50,000 foot soldiers'" for ESN (TheCable 2 June 2021). Corroborating information could not be found among the sources consulted by the Research Directorate within the time constraints of this Response.

Amnesty International reports that "[a]ccording to government officials, the ESN killed dozens of security operatives and attacked at least ten public buildings, including prisons and police stations," from January to June 2021 (Amnesty International 5 Aug. 2021). The same source states that "[i]n response, security forces comprising military, police, and Department of State Services (DSS) have killed dozens of gunmen, as well as civilians, where attacks have been committed" (Amnesty International 5 Aug. 2021). Premium Times, citing a statement from the Nigerian army, indicates that following attacks on a correctional facility and the police in Imo State by the ESN, a team comprising the army, police and DSS raided the ESN headquarters in Imo State in April 2021, killing seven ESN commanders, including their second in command, known as "Ikonson Commander" (Premium Times 24 Apr. 2021). Citing a press statement by IPOB's Emma Powerful, Vanguard, a Nigerian newspaper, states that IPOB condemned the killing of an ESN top commander, "identified as Ikonso," in a joint security forces operation in Imo state; Powerful's statement "'promise[d] … hell for this cowardly act'" and told the Imo State governor to "get ready for a sting" (Vanguard 25 Apr. 2021).

3. IPOB Activities

3.1 Radio Biafra

Vanguard explains that Radio Biafra was created by Kanu in 2009 to "disseminate, enlighten, educate, inform and criticise the activities of the Nigerian government" (Vanguard 26 Sept. 2021). The UK Home Office, quoting an August 2020 BBC Monitoring report, notes that Radio Biafra called on its listeners to "'defend themselves against attacks by security forces'" after IPOB clashed with security forces in Enugu city in August 2020 (UK Mar. 2022, para. 8.4.9).

CNN states that Radio Biafra is operated by Kanu and broadcasts from a "suburban" area of Peckham, southeast London, England (CNN 25 Sept. 2021). However, the journalist stated that Radio Biafra stopped broadcasting since Nnamdi Kanu was arrested (Journalist 8 Apr. 2022). Further and corroborating information on the status of Radio Biafra could not be found among the sources consulted by the Research Directorate within the time constraints of this Response.

3.2 Sit-at-Home Order

Sources indicate that IPOB and other pro-Biafra groups, including MASSOB (The Guardian 31 May 2017), issued a "sit-at-home" order for 30 May 2017 (Vanguard 30 May 2017; The Guardian 31 May 2017). Sources indicate 30 May is the anniversary of the declaration of independence of the Republic of Biafra (AFP 31 May 2017; Al Jazeera 30 May 2017). According to an article by AFP, Kanu stated his aim was using "'civil disobedience' to force a referendum on self-determination" (AFP 31 May 2017). IPOB issued another "sit-at-home" order for 30 May 2018 (Premium Times 30 May 2018; Vanguard 30 May 2018).

In contrast, sources indicate that IPOB established the sit-at-home order to pressure the Nigerian government to release Kanu, who is on trial for "alleged" treason and terrorism (Premium Times 2 Apr. 2022; TheCable 1 Apr. 2022). An editorial by Rudolf Ogoo Okonkwo, who "teaches post-colonial African history at the School of Visual Arts in New York City," and published by TheCable states that initially the idea of the sit-at-home order "was to show that most people in the south-east support their quest for an independent nation of Biafra" but recently "it has become a tool to draw attention" to Kanu's situation (Okonkwo 21 Jan. 2022).

Premium Times citing the News Agency of Nigeria (NAN), established by the government of Nigeria (NAN n.d.), states that "[r]esidents were forced to shut down their businesses, social activities, and stay indoors every Monday because of the order" (Premium Times 2 Apr. 2022). According to the journalist, IPOB members continue to "attack" any school or business which is open on Monday in southeast Nigeria (Journalist 8 Apr. 2022). In contrast, other sources note that the sit-at-home order has been suspended by IPOB leaders (The New Humanitarian 14 Sept. 2021; TheCable 1 Apr. 2022; The Guardian 7 Mar. 2022). TheCable indicates that the cancellation order was issued in September 2021; however, "there have been reports of forceful, sometimes violent, enforcement by suspected thugs in the region" (TheCable 1 Apr. 2022). The Guardian, a Nigerian newspaper, reports that while IPOB has cancelled the sit-at-home order, other individuals have continued to use it "to kill and attack residents found on the streets" or those doing business on Mondays (The Guardian 7 Mar. 2022). The Associate Professor noted that criminals have "hijacked" the sit-at-home exercises (Associate Professor 28 Mar. 2022). TheCable reports that Emma Powerful stated the following in an official IPOB statement on 1 April 2022:

We wish to reiterate once again that IPOB has cancelled [the] Monday sit-at-home order and anybody or group enforcing the relaxed order is neither from IPOB nor from IPOB volunteer group. Any governor in the region who deemed it fit to stop non-existent Monday sit-at-home order in the region is free to do so. (TheCable 1 Apr. 2022)

3.3 Protests, Boycotts, and Civil Disobedience

The MASSOB coordinator stated that IPOB activities consist of "[a]dvocacy regarding the self-determination for Biafra," "non-violent protests," "civil disobedience," and "civil rights activism" (MASSOB 1 Apr. 2022). According to the Associate Professor, IPOB's activities were to "create civil disturbance" and "get attention and recognition both at the regional and international level" (Associate Professor 28 Mar. 2022).

Sources report that in January 2022 the IPOB banned the consumption of Fulani cows in the South-East (Sahara Reporters 7 Jan. 2022; Vanguard 3 Jan. 2022). According to sources, in July 2021 IPOB requested a boycott of Kenya Airways and Kenyan products after Kanu's arrest in Kenya (The Punch 4 July 2021; Ripples Nigeria 4 July 2021; Sahara Reporters 1 July 2021). Naija Breaking News, a Nigerian news website, reports that in December 2021 members of IPOB protested in Jerusalem against the detention of Kanu (Naija Breaking News 27 Dec. 2021).

3.4 Violent Activities

The journalist stated that IPOB's recent activities have included attacks on government infrastructures and people who do not sympathize with or support their cause, which led them to be considered a terrorist organization by Nigerian authorities (Journalist 8 Apr. 2022). The same source indicated that the group was non-violent "at the beginning," before they changed their approach and started to use violence (Journalist 8 Apr. 2022). Similarly, Vanguard reports that Uche Okafor-Mefor [1], Secretary of Information and Communication of the Biafra De Facto Customary Government [2], indicated "that trouble started in the South region when IPOB adopted a violent approach by going into arm[ed] struggle contrary to the original non-violent ideology upon which the IPOB was formed" (Vanguard 31 Jan. 2022).

Sources indicate that police stated that an April 2021 attack by armed men on the Imo police headquarters in Owerri was carried out by ESN (The New Humanitarian 8 Apr. 2021) or by IPOB and ESN (Premium Times 5 Apr. 2021). Premium Times indicates that

[t]he attack on the police headquarters was carried out by the same armed group who also attacked a correctional facility in Owerri and freed over 1,800 inmates. The police have now said they believe the attack was carried out by members of the outlawed Indigenous people of Biafra (IPOB) and its security network, ESN. (Premium Times 5 Apr. 2021).

Sources report that police authorities accused IPOB members of attacking police stations and killing three officers in Rivers State in 2020 (Premium Times 26 Oct. 2020; The Guardian 22 Oct. 2020). According to Premium Times, police stated that four IPOB members were killed and eight arrested during one of the attacks, which targeted on the Mile One police station in the same state (Premium Times 26 Oct. 2020).

4. Relations with Other Biafran Independence Groups

Information on the relationships between IPOB and other pro-Biafra groups was scarce among the sources consulted by the Research Directorate within the time constraints of this Response.

According to Daly, IPOB and MASSOB are "the two largest" "neo-Biafran" organizations (Daly 7 Apr. 2021). The MASSOB Coordinator explained the relationship between their organization and IPOB in the following terms:

MASSOB and IPOB are both campaigning for self-determination for Biafra. IPOB and MASSOB share operational intelligence. Members of both groups also participate in non-violent protests. Indeed, individuals can be concurrent members of MASSOB and IPOB. (MASSOB 1 Apr. 2022)

According to the same source, "[b]oth groups engage in non-violent protests and civil disobedience" for the achievement of their common objectives (MASSOB 1 Apr. 2022). In follow-up correspondence, the source clarified that an example of one of the joint activities organized between MASSOB and IPOB is the "'sit-at-home' Mondays exercise" (MASSOB 5 Apr. 2022). Daly similarly indicates that MASSOB and IPOB share the central goals of protecting Igbos and "securing political independence" (Daly 7 Apr. 2021).

The journalist noted that there are divisions and conflicts linked to the "battles of egos" among the leaders, and the main Biafran Independence groups "rarely agree on how to carry out their activities together or on how to run Biafra's state after the secession" (Journalist 8 Apr. 2022). The same source noted that even though IPOB came from MASSOB, "the two groups are totally different now, since the first became radicalized and physically violent while the second always used the non-violent approach and has never been considered as a terrorist organization" (Journalist 8 Apr. 2022).

5. Treatment of IPOB Members and Their Relatives by Nigerian Authorities

Based on its investigation in the states of Anambra, Imo, Ebonyi and Abia, Amnesty International reports that it had "documented" that "at least" 115 people were "killed by security forces between March and June 2021," "[m]ore than 500 arrested after police and military raids," as well as "52 incidents of unlawful killings and 62 cases of arbitrary arrest, ill-treatment and torture" (Amnesty International 5 Aug. 2021). The same source also states that "Nigeria's government has responded with a heavy hand to killings and violence widely attributed to" ESN and that "[m]any relatives of victims" interviewed by Amnesty International said "that they were not part of the militants that were attacking security agents" (Amnesty International 5 Aug. 2021). The source further notes that out of the "at least" 400 arrests announced in Imo State, "most" had no ties to the ESN (Amnesty International 5 Aug. 2021).

According to the MASSOB Coordinator, "relatives including minor children, of low level IPOB members are arrested and detained by the Nigerian police and the Nigerian military" (MASSOB 1 Apr. 2022).

In contrast, the journalist stated that ordinary Nigerian citizens "have nothing to fear" even if they are members or sympathizers of IPOB and that only low-level IPOB members involved in violence and criminal activities would be of interest to the Nigerian police and face arrest (Journalist 8 Apr. 2022). According to the same source, the relatives of current IPOB members, as well as former members who left the movement before it became violent "do not represent a danger" for Nigerian authorities (Journalist 8 Apr. 2022).

6. Government Ability to Monitor IPOB Organizations Aboard

In response to the Research Directorate's question concerning the ability of Nigerian authorities to monitor and track IPOB organizations abroad, the MASSOB coordinator stated that Nigerian embassies are able to and [do] monitor the activities of all Biafran agitators and IPOB members living abroad. It is a well-known fact that IPOB and MASSOB members and other Biafran agitators are confronted by DSS agent upon arrival on international flights with a list that includes their names. (MASSOB 1 Apr. 2022)

The Associate Professor indicated the following:

It has been very easy for the Nigerian government to monitor the activities of IPOB members and also track the source of their funding. It is because of that ease in monitoring them that enabled the arrest of their leader Nnamdi Kanu after his departure from the United Kingdom. (Associate Professor 28 Mar. 2022)

In contrast, the journalist explained that the Nigerian government does not have sufficient means to track and monitor IPOB members who are no longer living in the country (Journalist 8 Apr. 2022).

6.1. Situation in Canada

Information on the ability for the Nigerian government to monitor IPOB organizations abroad, particularly in Canada could not be found among the sources consulted by the Research Directorate within the time constraints of this Response.

6.2. Treatment of IPOB members who Return to Nigeria

The MASSOB Coordinator indicated that IPOB members who return to Nigeria face "[a]rrest, detention, torture, disappearance, and extrajudicial killings by the DSS" (MASSOB 1 Apr. 2022). In contrast, the Associate Professor stated that "[t]here is no known harassment" of current or former IPOB members who return to Nigeria (Associate Professor 28 Mar. 2022).

This Response was prepared after researching publicly accessible information currently available to the Research Directorate within time constraints. This Response is not, and does not purport to be, conclusive as to the merit of any particular claim for refugee protection. Please find below the list of sources consulted in researching this Information Request.

Notes

[1] According to sources, Uche Okafor-Mefor was previously the Deputy Leader of the Indigenous People of Biafra (IPOB) but no longer holds this position (All News 27 Nov. 2020; Daily Post 27 Sept. 2021).

[2] The Punch, a Nigerian newspaper, cites a press statement from the Biafra "de facto" government as indicating that Alhaji Mujahid Asari-Dokubo, a "former militant" from the Niger Delta region, declared himself as leader of a de facto customary government of Biafra in March 2021 and stated that his government would take care of the needs of the Igbo people (The Punch 15 Mar. 2021). The same source indicates that in response to this announcement, Emma Powerful stated that IPOB is "not against" anyone declaring self-determination (The Punch 15 Mar. 2021).

1.5. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 27.05.2022: Nigeria, Eastern Security Network (ESN)

1. Besteht in Nigeria ein Eastern Security Network (ESN), welche Ziele verfolgt es, wo ist es aktiv?

2. Wird es in Nigeria als terroristische Gruppierung eingestuft?

3. Wie erfolgt die Anwerbung zu dieser Gruppierung?

4. Gibt es eine Flagge, Abzeichen oder andere Erkennungszeichen, einen speziellen Gruß oder eine spezielle Parole?

5. Unterhält es Ausbildungslager? Wenn ja, in welcher Gegend?

6. Wie ist es organisiert? Wer sind die führenden Personen?

7. Ist es in sozialen Medien aktiv? Wenn ja, in welchen?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

Aufgrund der informationsspezifischen Art der Fragestellungen wurden diese an die österreichische Botschaft (ÖB) in Abuja zur Recherche übermittelt. Eine Quellenbeschreibung ÖBs bzw. deren Vertrauensanwälten (VA) findet sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.atsowie in der dort ersichtlichen Methodologie der Staatendokumentation.

Einzelquelle:

Der VA der ÖB in Abuja berichtet wie folgt:

Hintergrundinformationen: Das Indigene Volk von Biafra (IPOB) ist eine nationalistische Separatistenbewegung in Nigeria, die die Wiederherstellung der Republik Biafra anstrebt, eines Landes, das sich vor dem nigerianischen Bürgerkrieg (1967-1970) von Nigeria abspaltete und später nach seiner Niederlage durch das nigerianische Militär wieder Nigeria angeschlossen wurde. IPOB wurde 2012 von Nnamdi Kanu gegründet, einem britisch-nigerianischen politischen Aktivisten, der für sein Eintreten für die aktuelle Unabhängigkeitsbewegung Biafras bekannt ist. Die Gruppe war gewaltlos und unbewaffnet und arbeitete lediglich als Interessenvertretung bzw. in Fürsprache für die Selbstbestimmung [„The group had been non-violent and was totally unarmed, depending merely on advocacy as a weapon of self-determination“]. Am 12. Dezember 2020 kündigte IPOB-Führer Nnamdi Kanu jedoch die Gründung des Eastern Security Network (ESN) an, einer regionalen Sicherheitstruppe, die nach seinen Angaben Banditen und illegale Waldbesetzer vertreiben sollte, die immer wieder mit Bauern in Biafra zusammenstoßen. Zwischen dem ESN und den nigerianischen Sicherheitskräften kam es immer wieder zu Gefechten. Dabei haben beide Seiten schwere Verluste in Form von Menschenleben zu beklagen. Im südöstlichen Nigeria entstand Chaos, Militärkasernen, Polizeistationen, Regierungsgebäude und -einrichtungen wurden zerstört. Beschuldigt wird das ESN, es hat allerdings eine Beteiligung stets bestritten.

1. Antwort auf Frage 1: In Nigeria gibt es eine Organisation namens Eastern Security Network (ESN). ESN ist der militärische Flügel der IPOB. Das Ziel der Organisation ist es, das Land "Biafra" (Süd-Ost und Süd-Süd) vor den kriminellen Aktivitäten der berüchtigten Fulani-Hirten und anderer Banditen zu schützen. Der Informationsdirektor der IPOB, Emma Powerful, erklärte: "Das einzige Ziel dieser neu gegründeten Sicherheitseinheit, die als Eastern Security Network bekannt ist, besteht darin, alle kriminellen Aktivitäten und terroristischen Angriffe auf Biafraland zu unterbinden. ESN ist in der Süd-Ost-Region Nigerias und einigen Teilen der Süd-Süd-Region aktiv.

2. Antwort auf Frage 2: Die nigerianische Regierung hat die Gruppe [ESN; „security outfit“] nicht als terroristische Organisation eingestuft, wohl aber wurde die Mutterorganisation IPOB im Jahr 2017 gemäß dem nigerianischen Terrorismusgesetz als terroristische Organisation eingestuft. Aus dieser Einstufung der Mutterorganisation folgt logischerweise, dass deren militärischer Flügel in den Augen der nigerianischen Regierung ebenfalls eine terroristische Organisation darstellt. Als im Jahr 2017 die Einstufung der IPOB als terroristische Organisation erfolgte, wurde diese Auffassung sowohl vom Vereinigten Königreich als auch von den USA geteilt. Beide weigerten sich, die IPOB als terroristische Organisation zu bezeichnen. Sie betrachteten die IPOB als eine Plattform, die von den unterdrückten Menschen im Osten Nigerias geschaffen wurde, um ihr Streben nach Selbstbestimmung zu verwirklichen. Die jüngsten Entwicklungen haben die beiden Länder jedoch veranlasst, ihre Position zu überdenken. Im Mai 2022 begann das Vereinigte Königreich, Mitgliedern der IPOB, denen es Menschenrechtsverletzungen vorwirft, das Asyl zu verweigern.

3. Antwort auf Frage 3: Die Mitgliederzahl des ESN beläuft sich nach Angaben der nigerianischen Armee auf etwa 50.000. Die Mitgliedschaft ist freiwillig, und potenzielle Mitglieder müssen Formulare ausfüllen, nachdem sie die folgenden Bedingungen/Anforderungen erfüllt haben:

 Die Bewerber müssen aus der Region South-East oder South-South stammen

 Sie müssen ein Senior School Certificate Examination (SSCE), ein National Diploma (ND) oder ein Certificate of Education, ein Higher National Diploma (HND) oder einen Bachelor Degree besitzen.

 Bescheinigung über die Identität

 Auszufüllendes und einzureichendes Bürgschaftsformular

 Geburtsurkunde oder Taufschein

 Andere Belege

Es gibt kein Online-Portal für die Bewerbung. Interessierte Bewerber werden jedoch angewiesen, sich an ihre jeweiligen regionalen [„zonal“] IPOB-Führer zu wenden, um ihre Bewerbung zu bearbeiten. Dies bedeutet, dass die Rekrutierung auf regionaler [„zonal“] Ebene erfolgt.

4. Antwort auf Frage 4: Das ESN hat eine eigene Flagge, die sich von der Flagge der IPOB, der Mutterorganisation, unterscheidet. Sie hat auch andere Insignien (siehe unten).

Der Slogan des ESN lautet "Zur Verteidigung der Freiheit". Es scheint, dass dieser Slogan von den Mitgliedern verwendet wird, um sich gegenseitig zu identifizieren.

5. Antwort auf Frage 5: Das ESN unterhält in verschiedenen Teilen des Südostens Nigerias Ausbildungslager. Es behauptet auch, Ausbildungslager in anderen Teilen der Süd-Süd-Region zu haben, insbesondere im Bundesstaat Akwa Ibom, aber es gibt keine Beweise für solche Lager dort. Die Ausbildungslager befinden sich hauptsächlich im Busch/Wald in einem abgelegenen Teil einer Stadt oder Siedlung. In Osumoghu im Bundesstaat Anambra hat es ein Ausbildungslager, das auch als Operationsbasis genutzt wird. Außerdem trainiert das ESN ihre Mitglieder in Awomamam im Orlu East Local Government [Area] des Staates Imo. Ein bekennendes Mitglied der Gruppe, der 17-jährige Daniel Elom, der von den nigerianischen Streitkräften festgenommen wurde, gestand, dass das ESN ihn und seine Kollegen an einem Ort namens Alanso in Arochukwu im Bundesstaat Abia ausbildete. Das ESN unterhielt auch ein Ausbildungslager in Okporo in Orlu Local Government [Area] im Bundesstaat Imo, das die Streitkräfte am 20. Mai 2022 auflösten.

6. Antwort auf Frage 6: Wie wir bereits gesagt haben, ist das ESN der militärische Flügel der IPOB. Es gibt eine Kommandostruktur. Der Anführer der IPOB, Mazi Nnamdi Kanu, kann als sein Oberbefehlshaber angesehen werden. Als Militär-oder Bürgerwehrorganisation hat es einen Kommandanten. Dieser Befehlshaber untersteht dem Oberbefehlshaber Nnamdi Kanu. Dem Kommandeur unterstellt sind Koordinatoren für die einzelnen Zonen oder Staaten. Diese Koordinatoren leiten die Operationen in ihrem jeweiligen Befehlsbereich. Sie berichten dem Kommandeur, der wiederum Nnamdi Kanu, dem Anführer der IPOB, unterstellt ist. Der erste Kommandeur der ESN namens Ikonso (nicht sein richtiger Name) wurde zusammen mit sechs Mitgliedern getötet, als nigerianische Streitkräfte am 24. April 2021 seinen Stützpunkt in Awomama in Oru East Local Government [Area] im Bundesstaat Imo stürmten. Unmittelbar nach seinem Tod kündigte das IPOB-Oberkommando seine Nachbesetzung an, ohne jedoch den Namen des neuen Kommandanten zu nennen. Es wurde gemunkelt, dass es sich bei diesem neuen Kommandeur um Joesph Uka Osinachi, auch bekannt als "Dragon", handelte. Dragon wurde am 6. Juni 2021 bei einem von ihm angeführten Angriff auf das Polizeikommando des Bundesstaates Imo getötet. So wie die Dinge jetzt stehen, ist es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die obersten Befehlshaber des ESN zu kennen. Angesichts der zunehmenden Spannungen und Sicherheitsprobleme im Südosten des Landes wurde der Modus Operandi komplizierter und verschwiegener [„secretive“]. Da alle Mitglieder der Gruppe sowohl einen Treue als auch einen Geheimhaltungseid abgelegt haben, ist es sehr schwierig, Informationen über sie zu erhalten. Aus diesem Grund sprechen manche Leute von einer gesichtslosen Organisation.

7. Antwort auf Frage 7: ESN ist nicht in den sozialen Medien präsent. Die Organisation, die in den sozialen Medien aktiv ist, ist ihre Mutterorganisation, die IPOB. Alles, was die Öffentlichkeit über das ESN weiß, ist das, was die IPOB in den sozialen Medien über sie sagt. Die Mitglieder und Funktionäre des ESN sprechen oder sagen nichts über die Organisation in den sozialen Medien. Die einzigen beiden Personen, die in den sozialen Medien über das ESN und seine Aktivitäten berichten, sind der Informationsdirektor der IPOB, Emma Powerful, und Nnamdi Kanu, der Anführer der IPOB. Seit Nnamdi Kanu inhaftiert ist, spricht derzeit nur Emma Powerful für die Organisation, und er nutzt folgende Social-Media-Plattformen, um seine Botschaften zu verbreiten: Instagram, Facebook, YouTube, WhatApp, Twitter usw.

Background Information

The Indigenous People of Biafra (IPOB) is a nationalist separatist group in Nigeria that aims to restore the Republic of Biafra, a country which seceded from Nigeria prior to the Nigerian Civil War (1967-1970) and later rejoined Nigeria after its defeat by the Nigerian military. The group was founded in 2012 by Nnamdi Kanu, a British Nigerian political activist known for his advocacy of contemporary Biafran independence movement. The group had been non-violent and was totally unarmed, depending merely on advocacy as a weapon of self-determination.

However, on December 12, 2020, IPOB leader, Nnamdi Kanu, announced the formation of the Eastern Security Network (ESN), a regional security force, which he said was set up to flush out bandits and illegal forest occupants that always clash with farmers in Biafra land. There has been a running body battle between ESN and Nigeria security forces. In the process both sides have suffered heavy casualties in terms of loss of lives. In what appears to be a deviation from the purpose of setting up the ESN, mayhem has been unleashed on the South Eastern Region of Nigeria as military barracks, police stations, government buildings and facilities have been razed and accusing fingers are being pointed at the ESN, though the militia group has always denied involvement.

1. Answer to Question 1: There is an organization called Eastern Security Network (ESN) In Nigeria. ESN is the military wing of the IPOB. The aim of the organization is to secure the land of “Biafra" (South-East and South-South) from criminal activities of the notorious Fulani herdsmen and other bandits. According to the information director of the IPOB, Mr. Emma Powerful, “The sole aim and objective of this newly formed security outfit known as Eastern Security Network is to halt every criminal activity and terrorist attack on Biafraland". ESN is active in the South-East region of Nigeria and some parts of South-South region.

2. Answer to Question 2: There is an Eastern Security Network (ESN). Nigeria Government has not classified the security outfit as a terrorist organization but it classified its parent body, IPOB, as a terrorist organization in 2017 under the Nigerian Terrorism Act. Having classified the parent body as a terrorist organization, it logically follows that its military wing is automatically a terrorist organization in the eyes of Nigeria government. In 2017, when the Nigeria government designated IPOB a terrorist organization, both the United Kingdom and the US government did not share that idea with the Nigeria government. They refused to be persuaded that IPOB is a terrorist organization. They saw IPOB as aplatform set up by the Oppressed people of Eastern Nigeria to actualize their quest for self-determination. However, recent developments have made the two sympathetic countries to reconsider their position. In May 2022, the United Kingdom started denying asylum to members of IPOB who they accused of engaging in human rights abuses.

3. Answer to Question 3: There is an Eastern Security Network (ESN) whose membership according to the Nigerian Army sources is in the region of 50 thousand. Membership is voluntary and prospective members are made to fill forms after meeting the conditions/requirements stated below as follows:

 Applicants must come from South-East or South-South Region

 Must possess Senior School Certificate Examination (SSCE), or National Diploma (ND) or Certificate of Education, or Higher National Diploma (HND), or Bachelor Degree

 Certificate of identification

 Guarantors form to be filled and submitted

 Birth certificate or baptism card

 Other supporting documents

There is no online portal for application. However, interested applicants are directed to visit their various zonal IPOB leaders to process their application. This means that recruitment is done at the zonal level.

4. Answer to Question 4: The ESN has its own flag different from the one used by its parent body, IPOB. It also has other insignas. All these objects are collectively attached as Annexure 1. The slogan of the ESN is “In defence of freedom". It appears this slogan is used by its members to identify each other.

5. Answer to Question 5: The ESN maintains training camps in different parts of the South-East Nigeria. They also claim to have training camps in other parts of South-South region especially Akwa Ibom State but there is no evidence of such camps there. These training camps are mainly located in the bush/forest in the remote part of a town or settlement. They have a training camp which they also use as operational base at Osumoghu in Anambra State. They also train their members at Awomamam in Orlu East Local Government of Imo State. A self-confessed member of the group, 17 years old Daniel Elom, captured by the Nigerian forces confessed that the ESN trained him and his colleagues at a place called Alanso in Arochukwu, Abia State. The ESN also had training camp in Okporo in Orlu Local Government of Imo State which the federal forces dislodged on 20th May, 2022.

6. Answer to Question 6: Like we said before, ESN is the military wing of the IPOB. It has a command structure. The leader of the IPOB, Mazi Nnamdi Kanu, may be said to be its supreme commander. As a military or vigilante organization it has a commander. This commander reports to the supreme or overall commander, Nnamdi Kanu. Under the commander are zonal or state coordinators. These coordinators oversee operations in their respective areas of command. They report to commander who finally reports to Mr. Nnamdi Kanu, the leader of the IPOB. The pioneer commander of ESN named Ikonso (not his real name) was killed along with six members of his band when Nigerian forces stormed his operational base at Awomama in Oru East Local Government of Imo State on 24th April, 2021. Immediately he died, the IPOB top command announced his replacement but did not mention the name of the new commander. It was rumored that this new commander was Joesph Uka Osinachi also know as “Dragon". Dragon was also killed in a attack he led against Imo State Police Command Headquarters on 6thJune, 2021. As things stand now, it is very difficult if not impossible to know the top commanders of ESN. In the face of rising tension and security challenges in the South-East, they have made their modus operandimore complex and secretive. More so, given that all members of the group take both oath of allegiance and oath of secrecy, getting information about them is so difficult. That is why some people refer to them as a faceless organization.

7. Answer o Question 7: ESN exists but is not on social media per se. The organization that is active on social media is its parent body, the IPOB. Everything the public knows about ESN is what the IPOB says about it on the social media. Members and officers of the ESN do not talk or say anything about the organization in the social media. They only two persons that talk about ESN and its operations on social media are the IPOB information director, Mr. Emma Powerful, and Nnamdi Kanu, the IPOB leader. Since Nnamdi Kanu has been incarcerated, it is only Emma Powerful that speaks for the organization presently and the social media platforms he uses to get across his messages are: Instagram, Facebook, YouTube, WhatsApp, Twitter etc.

8. Conclusion: We consider the above adequate response to numerous questions raised and believe they will meet your purposes.

ÖB in Abuja(27.5.2022): Antwort des VA in Abuja übermittelt am 27.5.2022

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Grundversorgung (GVS), und dem Hauptverband österreichischen Sozialversicherungsträger (AJ-WEB) wurden ergänzend zu den vorliegenden Akten eingeholt. Außerdem wurde das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria (Stand 16.11.2022), die Anfragebeantwortung des IRB-Immigration and Refugee Board of Canada vom 02.06.2022 (Nigeria and Canada: The Indigenous People of Biafra (IPOB), including objectives, structure, activities, and relations with other Biafran independence groups; treatment by the authorities and state protection; the ability for the government to monitor IPOB organizations abroad, particularly in Canada (2020–May 2022) [ZZZ200991.E]) sowie jene der Staatendokumentation vom 27.05.2022 (Nigeria, Eastern Security Network (ESN)), berücksichtigt.

2.2. Zur Person des BF:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Die Identität des BF steht aufgrund des im Administrativverfahren im Original vorgelegten nigerianischen Reisepasses fest.

Die Feststellungen zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie zum Familienstand ergeben sich aus den dahingehend glaubhaften Ausführungen des BF.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des BF stützen sich ebenso auf seine Angaben und sind schließlich auch aus der Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte auf schwere chronische oder gar lebensbedrohliche Erkrankungen des BF hervorgekommen. Zuletzt hat der BF in der mündlichen Verhandlung am 16.12.2022 selbst angeführt gesund zu sein und sich in keiner medizinischen Behandlung zu befinden.

Die Feststellungen zur regionalen Herkunft, zu den Sprachkenntnissen, den familiären Anbindungen sowie zur Berufsausbildung und -erfahrung des BF fußen auf seinen Angaben vor der belangten Behörde und der erkennenden Richterin und hat der BF in der Beschwerdeverhandlung insbesondere ausgeführt von seinen Familienangehörigen über das Internet kontaktiert zu werden. Die getroffenen Feststellungen zum Studium des BF in der Ukraine basieren zudem auf den dahingehend vorgelegten Nachweisen.

Die Feststellungen zum ukrainischen Aufenthaltstitel sowie zum Aufenthalt des BF in Österreich ergeben sich aus den dazu vorgelegten Dokumenten, seinen dahingehenden Angaben sowie aus einem aktuell eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse, die Lebensumstände und die Integration des BF in Österreich beruhen ebenfalls auf seinen Aussagen. Dass der BF über keine zertifizierten Deutschkenntnisse verfügt, er nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation ist und er auch keine nachhaltige Erwerbstätigkeit ausübt, ergibt sich aus dem Umstand, dass der BF bislang weder vor der belangten Behörde noch im gegenständlichen Beschwerdeverfahren entsprechende Nachweise vorgelegt hat und lässt sich dies überdies mit seinen dahingehenden Angaben in der mündlichen Verhandlung in Einklang bringen. Dass der BF Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht, ist durch den im Akt erliegenden Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem des Bundes belegt.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.3. Zum Vorbringen des BF:

Der BF führte befragt zu seinem Fluchtgrund eine Zugehörigkeit zur IPOB („Indigenous People of Biafra“) ins Treffen, wobei er aktives Mitglied derselben gewesen sei, die Position eines „Unit-Leaders“ innegehabt und regelmäßig an Meetings sowie an weiteren Aktivitäten derselben teilgenommen hätte. Die nigerianische Regierung habe mehrere Operationen gegen die Gruppierung durchgeführt, im Zuge derer viele Anhänger verhaftet oder getötet worden seien. Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria drohe auch ihm die Festnahme oder gar der Tod.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt auf Grundlage der ergänzenden Ermittlungen zum Ergebnis, dass das Vorbringen des BF zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft ist. Der BF machte im Zuge seiner Befragungen vor dem BFA und vor dem Bundesverwaltungsgericht vage, unplausible und widersprüchliche Angaben, sodass - wie darzulegen sein wird - von der Konstruiertheit seines gesamten Fluchtvorbringens auszugehen und ihm die Glaubwürdigkeit zu versagen war.

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

Das Vorbringen des BF entspricht diesen Anforderungen nicht und ist somit als nicht glaubhaft zu qualifizieren.

Bemerkenswert ist zunächst, dass der BF das von ihm ins Treffen geführte Fluchtvorbringen im Zuge des Verfahrens mehrfach steigerte und durch weitere durchaus relevante Details ergänzte. So führte der BF in seiner Erstbefragung im Wesentlichen an, seine Heimat aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der IPOB und den vermehrten Verhaftungen von Mitgliedern derselben verlassen zu haben. In seiner erstmaligen Einvernahme vor der belangten Behörde konkretisierte er sein bisheriges Vorbringen und gab unter anderem an, auch an Demonstrationen der Gruppierung teilgenommen zu haben. Zumal die Situation in Nigeria „zu heiß“ für ihn geworden sei und Mitglieder im Zuge der Proteste verhaftet und getötet worden seien, habe er beschlossen, die Flucht zu ergreifen. Erst als der BF ein weiteres Mal vom BFA einer niederschriftlichen Einvernahme unterzogen wurde, erklärte er aktiv in der IPOB tätig gewesen zu sein und Leute zur Mitgliedschaft angeworben sowie zur Teilnahme an den Protesten animiert zu haben, weswegen die Angehörigen der IPOB von der Polizei gejagt worden seien. Im Falle einer Rückkehr in seine Heimat würde ihm daher die Festnahme drohen. Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung vermeinte der BF schließlich die Position eines „Unit-Leaders“ inne gehabt zu haben, wobei er sogar in die Erstellung von Guidelines für die ESN (Eastern Security Network) eingebunden gewesen sei. Im August 2020 habe er zudem – wie auch zuvor regelmäßig – an einem Meeting der Gruppierung teilgenommen, dieses sei allerdings durch das Auftauchen von Sicherheitskräften unterbrochen worden, dem BF sei in weiterer Folge jedoch die Flucht gelungen. Insgesamt hat der BF demnach sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens mehrfach gesteigert und nicht unwesentlich ergänzt, wodurch der Eindruck entsteht, dass er den Versuch unternahm, seinem ursprünglichen Fluchtvorbringen mehr Substanz zu verleihen. So ist ein Asylwerber, der bemüht ist in einem Land Aufnahme und Schutz zu finden, in der Regel auch bestrebt, alles diesem Wunsch Dienliche vorzubringen und wäre nach der allgemeinen Lebenserfahrung anzunehmen, dass der BF bei Wahrunterstellung zumindest seine hohe Position in der IPOB als „Unit-Leader“ und den damit einhergehenden Einflussbereich sowie die Geschehnisse rund um das erstmals in der Beschwerdeverhandlung vorgebrachten Meeting von Beginn an zumindest ansatzweise ins Treffen geführt hätte. Daran vermag schließlich auch der Erklärungsversuch des BF auf Frage der erkennenden Richterin, weshalb er seine hohe Funktion vor der belangten Behörde gänzlich unerwähnt gelassen hat, keineswegs zu überzeugen: „Ich war in einer sehr ungünstigen Situation, als ich von der Ukraine gekommen bin. Ich verlor dort einen Freund. Meine online-Klassen fanden zur selben Zeit statt“ (S 13 Verhandlungsprotokoll).

Hinzukommen weitere Divergenzen im Hinblick auf die Ausführungen des BF zu seiner Mitgliedschaft in der IPOB. So vermeinte er vor der belangten Behörde auf Nachfrage ausdrücklich „Ich bin seit vier Jahren Mitglied von IPOB“ (S 5 Einvernahmeprotokoll BFA vom 21.03.2022), wohingegen er im Zuge der mündlichen Verhandlung erklärte, der Gruppierung bereits im Jahr 2016 beigetreten zu sein. Außerdem gab der BF vor dem BFA befragt zum Zeitpunkt seiner erstmaligen Demonstrationsteilnahme an, „Ich glaube, es war die im Jahr 2020“ (S 5 Einvernahmeprotokoll BFA vom 21.03.2022), während im vorbereitenden Schriftsatz vom 14.12.2022 explizit angeführt wird, dass der BF bereits im Jahr 2018 an Protesten der IPOB teilgenommen hätte.

Insoweit der BF darüber hinaus nicht imstande war, das Datum des durchaus gewichtigen „Biafra-Tages“ gleichbleibend darzulegen und er dahingehend zunächst den 30.08. ins Treffen führte, schließlich vermeinte, „Ich möchte noch anführen, dass ich nicht genau weiß, ob dieser Biafra-Tag im August oder im September ist. Ich werde recherchieren und Ihnen das bekanntgeben“ (S 7 Einvernahmeprotkoll BFA vom 21.03.2022) und seine Angaben sodann im Laufe seiner neuerlichen Einvernahme vor dem BFA am 30.03.2022 auf den 30.05. abänderte, so trägt dies ebenso zu seiner Unglaubwürdigkeit bei, insbesondere, wenn man bedenkt, dass der BF die Position eines „Unit-Leaders“ innegehabt haben will.

Davon abgesehen vermochten auch die Darlegungen des BF in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich seiner Funktion und seinen Aufgaben als Einheitsleiter nicht zu überzeugen. Diese waren überaus vage gehalten und bedurfte es ständiger Nachfragen seitens der erkennenden Richterin. So erklärte er etwa auf Frage, in welcher Funktion er die Guidelines der ESN besprochen habe, zunächst lediglich „Wenn die ESN in gewissen Situationen keine Vorgangsweise hat bzw. weiß, dann besprechen wir meine Ideen, wie solche Situationen gelöst werden sollen“ (S 11 Verhandlungsprotokoll) und führte im weiteren Verlauf der Verhandlung erstmals an, sogar „Unit-Leader“ gewesen zu sein. Auch seinen mit dieser Position einhergehenden Aufgabenbereich konnte der BF nicht von Vornherein nachvollziehbar erläutern: „Meine Funktion bestand darin, dass ich mit Menschen über IPOB spreche. (…). Es geht um die kulturelle Identität der Menschen. (…). Wir sprechen mit den Mitgliedern und diese sprechen zu den Menschen“ (S 11 Verhandlungsprotokoll). In weiterer Folge schilderte er schließlich, „Wir organisieren Protest-Demonstrationen“ (S 12 Verhandlungsprotokoll).

Der BF widersprach sich ferner insofern, als er vor der belangten Behörde befragt zu etwaigen Beweisen zur Untermauerung seines Vorbringens darlegte, „Ich hatte viel auf meinem Handy. (…). Die Polizei hat bei den Kontrollen immer die Handys kontrolliert. Wenn die Polizei dann Fotos oder dergleichen gefunden hat, wurde man festgenommen. Deswegen habe ich dann mein Handy sogar weggeworfen“ (S 4 Einvernahmeprotokoll BFA vom 21.03.2022) und beharrte er im Zuge der weiteren Einvernahme sowie in jener vom 30.03.2022 auf diesen Umstand. Auch im vorbereitenden Schriftsatz vom 14.12.2022 wird hierzu ausgeführt, dass der BF aufgrund der Einstufung der IPOB als terroristische Gruppierung gezwungen gewesen sei, sich seines Mobiltelefones zu entledigen, zumal ihn dieses in Verbindung mit der IPOB gebracht hätte. Demgegenüber gab der BF vor der erkennenden Richterin zu Protokoll, seinen Ausweis (ID) samt Mobiltelefon bei einem Meeting, welches von der Polizei aufgelöst worden sei, verloren zu haben, als er um sein Leben gelaufen sei. Auf nochmalige Nachfrage bestätigte er explizit, „Ich habe sie verloren, als ich von der Polizei geflüchtet bin, ich habe sie nicht weggeworfen“ (S 13 Verhandlungsprotokoll). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ferner, dass der BF befragt zum Verbleib eines etwaigen Mitgliedausweises erstmals in der mündlichen Verhandlung erklärte, „Das war bei den Dingen, die ich verloren habe, als ich von der Polizei davongelaufen bin“ (S 13 Verhandlungsprotokoll).

Der belangten Behörde ist außerdem beizutreten, dass die Ausführungen des BF, wonach er Leute dazu animiert habe, Mitglieder der IPOB zu werden sowie an der für den 30.05.2020 geplanten Demonstration teilzunehmen und sie infolgedessen gejagt und gesucht worden seien, nicht glaubwürdig erscheinen, lassen sich diese doch nicht mit dem Umstand in Einklang bringen, dass dem BF am 17.06.2020 ein Reisepass ausgestellt wurde, er nach Beantragung eines Studentenvisums auf legalem Wege das Land verlassen konnte und es offenbar nicht zu Verfolgungshandlungen seitens der Sicherheitskräfte gekommen ist.

Für die Unglaubhaftigkeit des Vorbringens des BF spricht überdies, dass er in der Ukraine keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, was bei Wahrunterstellung der von ihm ins Treffen geführten fluchtauslösenden Ereignisse jedenfalls zu erwarten gewesen wäre.

Wenn darüber hinaus in der Beschwerde darauf hingewiesen wird, dass der BF selbst nicht gewusst hätte, ob er von der Polizei aktiv gesucht werden würde und auch in der Beschwerdeverhandlung angab, „Nein, niemand hat mich gesucht, als ich noch in Nigeria war“ (S 17 Verhandlungsprotokoll), so gilt festzuhalten, dass sich dies wiederum nicht mit den Angaben im vorbereitenden Schriftsatz vom 14.12.2022 in Einklang bringen lässt, wonach der BF im Zuge der Demonstration am 30.05.2020 von einem Bekannten erfahren habe, dass er von den nigerianischen Sicherheitskräften gesucht werden würde und sich diese sogar bei seiner Familie nach ihm erkundigt hätten, als er sich noch in Nigeria aufgehalten habe. Vor der erkennenden Richterin vermeinte er divergierend dazu, „Das Einzige ist, dass sie zu meinen Eltern kamen und nach mir gesucht haben. Das war, nachdem ich bereits vier Monate in der Ukraine war“ (S 17 Verhandlungsprotokoll).

Abschließend sei erwähnt, dass der BF erstmals in der mündlichen Verhandlung angab, seinen Lebensunterhalt auch durch den Verkauf von Taschen bestritten zu haben, während er diese Tätigkeit im Administrativverfahren gänzlich unerwähnt ließ und wird seine Unglaubwürdigkeit dadurch nur noch mehr unterstrichen.

Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Widersprüchlichkeiten und der daraus resultierenden persönlichen Unglaubwürdigkeit des BF ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts insgesamt nicht davon auszugehen, dass der BF die von ihm dargelegten Geschehnissen tatsächlich erlebt hat und seine Verfolgung aufgrund der vermeintlichen Zugehörigkeit zur IPOB ein gedankliches Konstrukt darstellt, weshalb dem Vorbringen insgesamt die Glaubhaftigkeit zu versagen war. Es ist dem BF daher nicht gelungen, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen, der auch Asylrelevanz zukommt.

Aufgrund des bereits allgemein als unglaubhaft zu qualifizierenden Fluchtvorbringens und der persönlichen Unglaubwürdigkeit des BF erübrigte sich letztlich auch die Einholung der in der Stellungnahme vom 09.01.2023 beantragten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation.

2.4. Zu den Länderfeststellungen:

Der gegenständlichen Entscheidung wurde das Länderinformationsblatt zu Nigeria vom 16.11.2022, die Anfragebeantwortung des IRB-Immigration and Refugee Board of Canada vom 02.06.2022 (Nigeria and Canada: The Indigenous People of Biafra (IPOB), including objectives, structure, activities, and relations with other Biafran independence groups; treatment by the authorities and state protection; the ability for the government to monitor IPOB organizations abroad, particularly in Canada (2020–May 2022) [ZZZ200991.E]) sowie jene der Staatendokumentation vom 27.05.2022 (Nigeria, Eastern Security Network (ESN)) zugrunde gelegt.

Zu den darin verwendeten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der BF trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland im Zuge des Verfahrens auch nicht substantiiert entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes – wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt – die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht gegeben. Dies im Hinblick darauf, dass der BF, die von ihm behaupteten Fluchtgründe nicht glaubhaft machen konnte. Eine sonstige aktuelle zu berücksichtigende Verfolgungsgefahr wird vom BF nicht dargelegt und ergibt sich auch nicht aus den Umständen, die von Amts wegen zu berücksichtigen wären.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - "real risk" einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl. VwGH 28.06.2011, 2008/01/0102). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 15.12.2010, 2006/19/1354; 31.05.2005, 2005/20/0095, 31.03.2005, 2002/20/0582).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK angenommen werden kann (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 ua). Das Vorliegen solcher exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 07.09.2016, Ra 2015/19/0303 ua).

Dem BF droht in Nigeria - wie oben bereits dargelegt wurde - keine asylrelevante Verfolgung.

Auch dafür, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Der BF ist volljährig, gesund und erwerbsfähig. Er spricht Igbo und Englisch und hat vor seiner Ausreise als KFZ-Mechaniker gearbeitet und am Markt Taschen verkauft. Außerdem verfügt er über ein abgeschlossenes Studium der Physiologie und kann beim BF demnach die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden. Der BF hat in Nigeria überdies familiäre Anbindungen in Form seiner Eltern und Geschwister und ist davon auszugehen, dass ihm in seiner Heimat im Rahmen seines Familienverbandes eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteilwird. Auch ist er mit den gesellschaftlichen, religiösen und kulturellen Verhältnissen seines Herkunftsstaates vertraut. Der BF wird daher im Herkunftsstaat – wie dies auch vor seiner Ausreise der Fall war – in der Lage sein, sich, wenn auch nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften, um seine existenziellen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Aus den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Länderberichten geht überdies hervor, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern kann, dies insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird.

In Nigeria herrscht darüber hinaus keine allgemeine existenzbedrohende Notlage (in Form einer allgemeinen Hungersnot, Seuche, Naturkatastrophe oder sonstigen diesen Sachverhalten gleichwertigen existenzbedrohenden Elementarereignissen), weshalb auch aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Erregers kann unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten Entwicklungen im Herkunftsland bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die im Hinblick auf eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK eine entscheidungsrelevante Lageänderung erkennen lässt. Als junger und gesunder Mann fällt der BF zudem nicht in die durch das COVID-Virus besonders betroffene Risikogruppe der vorerkrankten oder älteren Menschen, weswegen es nicht ausreichend wahrscheinlich ist, dass er in diesem Zusammenhang in relevanter Weise gefährdet wäre.

Darüber hinaus steht dem BF auch für den Fall, dass er in Nigeria wider Erwarten nicht auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen können sollte, die Möglichkeit offen sich an spezielle Einrichtungen für Rückkehrer zu wenden, die ihn bei der Wiedereingliederung unterstützen. So betreiben etwa internationale Akteure Rückkehrer- bzw. Migrationszentren. Eine entsprechend Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten. Zudem steht es dem BF frei gegebenenfalls Rückkehrhilfe und Reintegrationsprogramme in Anspruch zu nehmen.

Damit ist der BF durch die Abschiebung nach Nigeria nicht in seinem Recht gemäß Art. 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass er allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in Nigeria besser gestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde in Nigeria keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Ganz allgemein besteht in Nigeria derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre. Es kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden und ergeben sich auch nicht aus dem amtliches Wissen darstellenden Länderinformationsblatt für Nigeria, die nahelegen würden, dass bezogen auf den BF ein reales Risiko einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 abzuweisen war.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das BFA unter Zitierung des § 57 AsylG zwar ausgesprochen hat, dass ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde, dass sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides jedoch unzweifelhaft ergibt, dass das BFA tatsächlich rechtsrichtig über eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG abgesprochen und eine solche nicht erteilt hat.

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem BF daher nicht zuzuerkennen.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG abzuweisen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Nachdem der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen war, hat sich die belangte Behörde zutreffend auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtige Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 05.12.2018, Ra 2018/20/0371; 05.11.2019, Ro 2019/01/0008).

Zu prüfen ist daher, ob die vom BFA verfügte Rückkehrentscheidung mit Art. 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK ist aus folgenden Gründen gegeben:

Zunächst ist festzuhalten, dass der seit 11.03.2022 andauernde Aufenthalt des BF im Bundesgebiet auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage beruhte, weshalb dieser während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann.

Ein schützenswertes Familienleben führt der BF in Österreich nicht. Zu prüfen wäre daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des BF. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

Wie festgestellt, hält sich der BF seit dem 11.03.2022 und damit seit rund zehn Monaten im Bundesgebiet auf. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt und in Fällen, in denen eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vorliegt, regelmäßig erwartet wird, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (VwGH 19.01.2022, Ra 2021/19/0436, mwN).

Gegenständlich liegen jedoch auch keine Hinweise vor, dass der BF während seines rund zehn Monate andauernden Aufenthaltes in Österreich einen maßgeblichen Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen entscheidendes Gewicht verleihen würde. So hat der BF weder zertifizierte Deutschkenntnisse erworben, noch ist er Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und hat er sich auch ehrenamtlich nicht engagiert. Er übt keine nachhaltige Erwerbstätigkeit aus, bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Es haben sich keine Integrationsbemühungen in Form einer aktiven Teilnahme am sozialen bzw. kulturellen Leben in Österreich ergeben, vielmehr geht er lediglich seinem Studium in der Ukraine via Online-Kursen nach. Insgesamt fehlt es sohin an außergewöhnlichen, vom BF gesetzten Integrationsschritten und kann eine nachhaltige Aufenthaltsverfestigung demnach nicht festgestellt werden.

Somit besteht keine derartige Verdichtung seiner persönlichen Interessen, dass bereits von „außergewöhnlichen Umständen“ gesprochen werden kann und ihm schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste.

Hinsichtlich der strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF gilt es auszuführen, dass dies nach Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen darstellt (VwGH 21.01.1999, 98/18/0420), da der VwGH davon ausgeht, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

Das BVwG kann aber auch sonst keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr des BF erkennen:

Insbesondere beherrscht der BF die Sprache seines Herkunftsstaates, sodass auch eine Resozialisierung und die (Wieder)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit an keiner Sprachbarriere scheitert und von diesem Gesichtspunkt her möglich ist. Im Hinblick auf den Umstand, dass der BF den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat und ihm die dortige Kultur vertraut ist, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen. Es kann daher nicht gesagt werden, dass der BF seinem Kulturkreis völlig entrückt wäre und sich in seiner Heimat überhaupt nicht mehr zurechtfinden würde. Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz - letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.4.2010, 2009/21/0055).

Dem allenfalls bestehenden Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen öffentliche Interessen gegenüber. Ihm steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung – und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses – ein hoher Stellenwert zukommt (vgl zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen des BF am Verbleib in Österreich.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht in Betracht kommt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet abzuweisen.

3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005, 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 - 0062, und 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem BF keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria erfolgte daher zu Recht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 52 Abs. 9 FPG abzuweisen war.

3.6. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides):

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Der BF führte weder im Verfahren vor der belangten Behörde noch im Beschwerdeverfahren besondere Umstände im Hinblick auf einen Regelungsbedarf seiner persönlichen Verhältnisse ins Treffen, die dem Ausspruch einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides entgegenstünden. Solche sind auch amtswegig nicht hervorgetreten. Es ist daher für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen festzulegen.

Insofern war die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

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