BVwG I405 2204388-4

BVwGI405 2204388-426.1.2022

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z2
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z3
AsylG-DV 2005 §4 Abs2
AsylG-DV 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG-DV 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:I405.2204388.4.00

 

Spruch:

I405 2204388-4/2E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX (auch XXXX ), geb. XXXX (alias XXXX , alias XXXX ), StA. Nigeria, vertreten durch RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, Herrengasse 13/II, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.12.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF1) reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 01.02.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 25.07.2018 wurde der Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz (AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Antrag wurde gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

3. Die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.02.2019, Zl. I407 2204388-1/6E, als unbegründet abgewiesen.

4. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12.06.2019, E 1190/2019-7, wurde die Behandlung der dagegen gerichteten Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

5. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.09.2019, Ra 2019/20/0458-4, wurde die außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.02.2019, Zl. I407 2204388-1/6E, zurückgewiesen.

6. In weiterer kam der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 17.03.2021 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG.

7. Er wurde hierzu am 12.04.2021 vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen und darauf „aufmerksam“ gemacht, dass zur Bearbeitung seines gegenständlichen Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels die Vorlage eines gültigen nigerianischen Reisepasses notwendig sei sowie sein Antrag gemäß § 58 (11) AsylG zurückgewiesen werde, wenn er den Reisepass nicht vorlegen würde. Daraufhin stellte der BF einen Antrag auf Mängelheilung gem. § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005, da er keinen nigerianischen Reisepass vorlegen könne, zumal er über die notwendigen Dokumente für die Beantragung eines solchen nicht verfüge.

8. Mit Bescheid des BFA vom 07.06.2021 wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 17.03.2021 gem. § 58 Abs 10 AsylG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde ausgeführt, dass sich keine Änderungen im Vergleich zur Entscheidung des BVwG vom 18.02.2019, Zl. I407 2204388-1/6E ergeben hätten, weshalb der Antrag zurückzuweisen sei.

9. Der dagegen gerichteten Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.07.2021 stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) idgF. aufgehoben sowie die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen, zumal die belangte Behörde über den Antrag auf Heilung vom Erfordernis des § 8 AsylG-DV nicht formell abgesprochen und den Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG zu Unrecht gem. § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen hatte.

10. In der Folge wurde der BF am 05.11.2021 erneut einvernommen und nach § 58 Abs. 11 AsylG belehrt. Der BF wiederholte seine bisherigen Angaben bzw. seinen Antrag auf Mängelheilung gem. § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005. Er habe nach seiner letzten Einvernahme die nigerianische Botschaft angerufen, diese habe ihm jedoch mitgeteilt, dass die Ausstellung eines Reisepasses ohne Vorlage von Dokumenten nicht möglich sei.

11. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des BFA vom 22.12.2021 wurde der Antrag des BF auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Des Weiteren wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG vom 17.03.2021 gemäß §§ 55, 58 Abs. 11 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF iVm § 8 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG-DV 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt III.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt V.). Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der BF trotz erfolgter Belehrung kein gültiges Reisedokument und keine Geburtsurkunde gemäß § 8 AsylG – DV vorgelegt habe. Sofern der BF vorbringe, dass er sich keinen nigerianischen Reisepass ausstellen lassen könnte, weil er die dazu notwendigen Dokumente nicht hätte, stellte dies eine bloße Schutzbehauptung dar. Entsprechend dem Amtswissen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl als auch des Bundesverwaltungsgerichts stellen Botschaften bzw. deren Konsularabteilungen bei entsprechender Mitwirkung ihren Staatsangehörigen Reisedokumente aus. Der BF habe jedoch weder einen Nachweis darüber vorgelegt, dass es ihm unmöglich, bzw. unzumutbar wäre, das geforderte Reisedokument oder ein entsprechendes Notreisedokument zu beschaffen, noch habe er – außer die von ihm behaupteten Telefonanrufe bei der Botschaft – einen ernsthaften Versuch unternommen, seine Identität durch die Beschaffung eines Reisedokumentes zu belegen, obwohl ihm dies durchaus möglich gewesen wäre. Es hätten sich auch keine Hinweise darauf ergeben, dass die Heilung iSd § 4 Abs. 1 Z 2 AsyG-DV zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens zuzulassen wäre. Eine außergewöhnliche Integration des BF liege nicht vor. Daher sei auch sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

12. Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, worin Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes moniert wurden. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde habe der BF zahlreiche Dokumente vorgelegt, die seine außerordentliche Integration dokumentieren würden. Zudem sei die Zurückweisung des Antrags gem. § 55 AsylG iVm Art. 8 EMRK zu Unrecht zurückgewiesen worden, wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 05.11.2021 zum gegenständlichen Antrag festgehalten habe. Die belangte Behörde habe sich auch mit dem Privatleben des BF nicht auseinandergesetzt bzw. geeignete Feststellungen getroffen, um sodann eine Interessensabwägung vornehmen zu können. Daher sei die Entscheidung der belangten willkürlich und rechtswidrig.

13. Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 22.12.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt und darüber hinaus folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des BF:

Der volljährige BF ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Nigeria und bekennt sich zum christlichen Glauben. Er gehört der Volksgruppe Igbo an. Seine Identität steht nicht fest.

Der BF besuchte in Nigeria neun Jahre lang die Schule. Er hat in Österreich Berufserfahrung als Fliesenleger gesammelt.

Es leben noch Angehörige des BF in Nigeria, zu denen Kontakt besteht. Außerdem verfügt seine Familie über ein Eigentumshaus.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Der BF gehört nicht einer COVID-19-Risikogruppe an.

Der BF reiste (spätestens) am 01.02.2017 in das Bundesgebiet ein und hält er sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf. Spätestens mit der rechtkräftigen Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz durch das Bundesverwaltungsgericht am 18.02.2019 kommt ihm kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet mehr zu. Der BF hat seiner Ausreiseverpflichtung bisher nicht entsprochen und verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet.

In Österreich verfügt der BF über keine familiären Anbindungen und leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des BF im Bundesgebiet. Ein Privatleben des BF im Bundesgebiet ist jedoch zu bejahen.

Der BF schloss die Übergangsstufe an XXXX mit der Fachpraxis „Werkstatt“ ab, bestand eine Deutschprüfung Niveau A1 und A2 positiv, absolvierte 236 Unterrichtseinheiten bei „ XXXX “. Des Weiteren ging der BF im Zeitraum vom 04.07.2018 bis 20.02.2019 einer Lehre als Fliesenleger nach, welche aufgrund des negativen Ausganges seines Asylverfahrens abgebrochen wurde.

Derzeit geht der BF einer Verkaufstätigkeit einer Straßenzeitung nach und bringt etwa € 300,00 im Monat ins Verdienen. Eine Selbsterhaltungsfähigkeit liegt nicht vor. Er bezieht Leistungen von der staatlichen Grundversorgung.

Der engagiert sich ehrenamtlich bei der Österreichischen Gesellschaft für Herpetologie. Er ist auch Mitglied bei der christlichen Kirche XXXX und engagiert sich auch für das Evangelische Pfarramt in XXXX . Er ist auch in einer Musikgruppe. Der BF verfügt über zahlreiche freundschaftliche Kontakte, welche ihn auch unterstützen.

Der BF ist in Österreich nicht vorbestraft.

Das dargestellte Privatleben des BF stellt jedoch keine außergewöhnliche Integration in sprachlicher, beruflicher, sozialer oder kultureller Hinsicht dar und es haben sich auch keine solche Hinweise im Verfahren ergeben.

Der BF legte im Administrativerfahren bislang weder ein gültiges Reisedokument noch eine Geburtsurkunde oder ein sonstiges diesen gleichzuhaltenden Dokumenten im Original vor. Die Beschaffung dieser Dokumente ist für den BF nachweislich nicht unmöglich oder unzumutbar.

Es besteht keine reale Gefahr, dass der BF im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria einer wie auch immer gearteten existenziellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Es sind bei der Rückkehr nach Nigeria in Bezug auf seine Person auch keine Umstände hinsichtlich etwaiger staatlicher Repressalien oder anderweitiger Probleme bekannt.

1.2. Zur Situation in Nigeria:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des BF sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 11.11.2021 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria auszugsweise zitiert. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt.

 

COVID-19

Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-MillionenBevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19-Maßnahmen. Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering (ÖB 10.2020).

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden. Mit Stand 22.8.2021 sind in Nigeria 187.023 COVID-19 Fälle erfasst, die zu 2.268 Toten geführt haben; getestet wurden 2.648.684 Personen (Africa CDC 22.8.2021).

Bedingt durch COVID-19 sind öffentliche Versammlungen beschränkt, mit Stand September 2020 auf 50 Personen (USDOS 30.3.2021). Im ganzen Land gilt eine Ausgangssperre von Mitternacht bis 4 Uhr. Bei Flugreisen nach Nigeria ist beim Einchecken ein negativer COVID- 19 PCR-Befund vorzulegen, der nicht älter als 72 Stunden sein darf. Zusätzlich muss vor der Abreise nach Nigeria ein weiterer COVID-19 PCR-Test gebucht und bezahlt werden, der nach der siebentägigen Selbstquarantäne durchzuführen ist. Die Befolgung der Quarantäne wird nicht kontrolliert. Vor der Abreise ist ein Formular auszufüllen (WKO 7.8.2021).

2020 wurde die Wirtschaft des Landes schwer durch den COVID-bedingten Verfall der internationalen Ölpreise getroffen. Für 2020 wird mit einem Rückgang des BIP von ca. 3,2 Prozent bei einem Wachstum der Bevölkerung in etwa gleicher Höhe gerechnet. Bereits im 4. Quartal 2020 hat die Wirtschaft jedoch wieder zu expandieren begonnen. 2021 sollte sie, getragen von Ölpreisen um 60 USD pro Fass, um 1,5 bis 2,5 Prozent real wachsen (WKO 16.6.2021).

Quellen:

• Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (22.8.2021): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/ covid-19/, Zugriff 23.8.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021

• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021

• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (7.8.2021): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria .html , Zugriff 23.8.2021

• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (16.6.2021): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko. at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 23.8.2021

Politische Lage

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2020; vgl. AA 5.12.2020; GIZ 12.2020a) mit insgesamt

774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 12.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 12.2020a; vgl. AA

5.12.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 5.12.2020).

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem präsidialen Regierungssystem (AA 23.3.2021). Die Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Elemente eines demokratischen Rechtsstaates, einschließlich eines Grundrechtskataloges, und orientiert sich insgesamt am US-Präsidialsystem. Einem starken Präsidenten, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, und einem Vizepräsidenten, stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und der ebenfalls direkt gewählten Gouverneure. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität und häufig auch mit undemokratischen und gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 5.12.2020).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Parteizugehörigkeit orientiert sich meist an

Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten.

Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische

Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 5.12.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 3.3.2021).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 12.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 12.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation(GIZ 12.2020a).

Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat und Repräsentantenhaus. Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei All Progressives‘ Congress (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der

Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die People’s Democratic Party

(PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA

5.12.2020).

Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.3.2021): Nigeria - Politisches Porträt, https://www.ausw aertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844 , Zugriff 20.5.2021

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021

• BBC - BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/ news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3 , Zugriff 23.8.2021

• DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by ’systemic failings’, https: //www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a-47858131 , Zugriff 20.5.2021

• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org /country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021

• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021

• Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/go vernor/2019 , Zugriff 20.5.2021

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 5.12.2020).

Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz (AA 5.12.2020), vorwiegend durch Boko Haram (FH 2021; vgl. UKFCDO 19.5.2021), sowie ISWA [Islamischer Staat Westafrika] und anderen Gruppen (UKFCDO 16.8.2021). Die Aktivitäten der Islamisten haben sich von den nordöstlichen Staaten in die nordwestlichen Staaten ausgeweitet (EASO 6.2021). Obwohl Präsident Buhari in den ersten Jahren seiner Regierungszeit angab, Boko Haram „technisch“ besiegt zu haben, gibt er nun [Anm.: Stand Juli 2021] zu, dass es seiner Regierung nicht gelingt, den Aufstand zu stoppen (BBC 19.7.2021).

Im Middle Belt kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern (AA 5.12.2020; vgl. FH 3.3.2021). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig (AA 5.12.2020). Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 5.12.2020; vgl. EASO 6.2021). Tausende sind in dem Konflikt um knappe Ressourcen getötet worden (BBC 19.7.2021).

Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnensezessionistischen Bewegungen [u.a. IPOB - Indigenous People of Biafra] und der Staatsgewalt. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 5.12.2020).

Zunehmend kritisch für die allgemeine Sicherheitslage in Nord- und Zentralnigeria ist die aus den nordwestlichen Bundesstaaten Sokoto, Zamfara, Katsina und Kaduna ausgehende Bandenkriminalität (insb. Viehdiebstähle, Überfälle, Entführungen) (AA 5.12.2020; vgl. EASO 6.2021). Bemühungen der Sicherheitskräfte haben eher zur Verdrängung der Aktivitäten in bisher nicht betroffene Gebiete als zur effektiven Verfolgung der Kriminellen geführt (AA 5.12.2020). Seit Dezember 2020 wurden mehr als 1.000 Schüler entführt und viele wurden erst wieder nach Zahlung eines hohen Lösegelds freigelassen (BBC 19.7.2021).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen. In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen am 19.5.2021 die „Operation Restore Peace“ in diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen. In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 und im Oktober 2020 [Anm.: im Rahmen der EndSARS Proteste] forderten diese in Abuja, Lagos und anderen Städten zahlreiche Todesopfer (AA 3.8.2021).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden (DS 16.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Nach Oktober 2020 wurde eine Kommission aus Nationaler Menschenrechtskommission (NHRC) und zivilgesellschaftlichen Gruppen zur Untersuchung der Polizeieinsätze während der Protestwelle eingesetzt (EASO 6.2021).

In der Zeitspanne März 2020 bis März 2021 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohenAnzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.888), Kaduna (1.103), Zamfara (938). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (5), Bauchi (16), Jigawa (16) (CFR 12.4.2021). Gemäß dem Global Peace Index 2020 findet sich Nigeria auf Platz 147 von 163 Ländern. Gemäß Brooking haben intensive Unsicherheit und Gewalt seit 2018 in Nigeria Bestand bzw. haben diese zugenommen (EASO 6.2021).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.8.2021): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise(Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeri asicherheit/205788#content_5 , 18.8.2021

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf, Zugriff 17.5.2021

• BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria’s security crises - five different threats, https://www.bbc.co m/news/world-africa-57860993 , Zugriff 18.8.2021

• BBC - BBC News (25.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345 , Zugriff 21.2.2021

• CFR - Council on Foreign Relations (12.4.2021): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nige ria/nigeria-security-tracker/p29483 , Zugriff 18.8.2021

• DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-niger ia-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 28.10.2020

• EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021

• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org /country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021

• Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-kil lings-and-brutality , Zugriff 28.10.2020

• UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (16.8.2021): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 18.8.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 5.12.2020; ÖB 10.2020). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 5.12.2020). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2020). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court ofAppeal und der State Sharia and Customary Court ofAppeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 5.12.2020). In Militärgerichten finden nur Verfahren gegen Militärangehörige statt (USDOS 30.3.2021).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 5.12.2020). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem („Common Law“ oder „Customary Law“) durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben „Scharia-Gerichte“ neben „Common Law“ und „Customary Courts“ geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2020).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 5.12.2020; vgl. FH 3.3.2021; ÖB 10.2020; USDOS 30.3.2021). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021; FH 3.3.2021). Vor allem auf Bundesstaatsund Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 30.3.2021). Die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme (ÖB 10.2020; vgl. BS 2020) sowie die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 5.12.2020; vgl. FH 3.3.2021; USDOS 30.3.2021; ÖB 10.2020; BS 2020). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 3.3.2021).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 5.12.2020). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren in angemessener Zeit, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen werden auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet, v.a. aufgrund von Personalmangel (USDOS 30.3.2021). V.a. das Recht auf ein zügiges Verfahren wird jedoch kaum gewährleistet. Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 5.12.2020).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 5.12.2020). Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 5.12.2020).

Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt (UKHO

3.2019).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021

• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/l ocal/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 28.5.2021

• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org /country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021

• UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (3.2019): Country Policy and Information Note - Nigeria: Actors of protection, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/ system/uploads/attachment_data/file/794316/CPIN_-_NGA_-_Actors_of_Protection.final_v.1.G.P DF , Zugriff 28.5.2021

• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021

Allgemeine Menschenrechtslage

Die 1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog inkl. Grund- und Freiheitsrechten (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020). Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen (AA 5 .12.202). Die Menschenrechtslage hat sich seit Amtsantritt der Zivilregierung 1999 deutlich verbessert (ÖB 10.2020; vgl. AA 5.12.2020, GIZ 12.2020a) - etwa durch die Freilassung politischer Gefangener, relative Presse- und Meinungsfreiheit, die nur vereinzelte Vollstreckung der Todesstrafe (ÖB 10.2020).

Auch bekennt sich die Regierung ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, die auch in der Verfassung als einklagbar verankert sind. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2020).

Viele Probleme bleiben ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen (ÖB 10.2020), Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 12.2020a), die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen (ÖB 10.2020; vgl. GIZ 12.2020a) sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels (ÖB 10.2020). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf Meinungsfreiheit und auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 30.3.2021).

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021).

Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 12.2020a).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf, Zugriff 17.5.2021

• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021

• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021

Grundversorgung

Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas. Die Erdölproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Aufgrund des weltweiten Verfalls der Erdölpreise rutschte Nigeria 2016 jedoch in eine schwere Rezession, die bis zum zweiten Quartal 2017 andauerte. 2018 wuchs die nigerianische Wirtschaft erstmals wieder um 1,9 Prozent. Getragen wurde das Wachstum vor allem durch die positive Entwicklung von Teilen des Nicht-Öl-Sektors (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe) (GIZ 6.2020). 2020 wurde die Wirtschaft des Landes schwer durch den COVID-bedingten Verfall der internationalen Ölpreise getroffen. Für 2020 wird mit einem Rückgang des BIP von ca. 3,2 Prozent bei einem Wachstum der Bevölkerung in etwa gleicher Höhe gerechnet. Bereits im 4. Quartal 2020 hat die Wirtschaft jedoch wieder zu expandieren begonnen. 2021 sollte sie, getragen von Ölpreisen um 60 US-Dollar pro Fass, um 1,5 bis 2,5 Prozent real wachsen (WKO 16.6.2021).

Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 5.12.2020). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat – gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 6.2020). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 5.12.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 6.2020).

Über 70 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 6.2020). Dennoch ist Nigeria in diesem Bereich keineswegs autark, sondern auf Importe, vor allem von Reis, angewiesen. Aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten (ÖB 10.2020).

Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2020). Mit Stand August 2020 benötigen gemäß UN 10,6 Millionen Menschen in Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa humanitäre Hilfe (HumAngle 11.8.2020).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 12.2020b). 87 Millionen Nigerianer (40 Prozent der Bevölkerung) leben in absoluter Armut, d.h. sie haben weniger als 1 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2020). Gemäß Schätzungen der Weltbank leben mehr als 90 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag und 92 Prozent der Bevölkerung müssen mit einem Einkommen von weniger als 5,50 Dollar pro Tag auskommen (ÖB 10.2020). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 12.2020b). Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 6.2020).

Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 12.2020b). Die letzten offiziellen Zahlen dazu stammen aus dem 3. Quartal 2018. Demnach waren damals 42 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Seither werden Arbeitslosenzahlen, angeblich aus Kostengründen, nicht mehr veröffentlicht. Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen (ÖB 10.2020). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2020; vgl. BS 2020).

Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als „self-employed“ suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 12.2020b). Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).

Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2020). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2020).

Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmittelpreise variieren nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2020).

Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf, Zugriff 17.5.2021

• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/l ocal/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 18.5.2020

• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

• HumAngle (11.8.2020): Number of People Requiring Humanitarian Aid in North-East Nigeria Highest in Five Years, https://humanglemedia.com/number-of-people-requiring-humanitarian-aid-in-n orth-east-nigeria-highest-in-five-years/ , Zugriff 6.8.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021

• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (16.6.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko. at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 23.8.2021

Medizinische Versorgung

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 12.2020b); und im Norden des

Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 12.2020b; vgl. ÖB 10.2020). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 3.8.2021). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2020). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 12.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro

1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2020).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 5.12.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. inAbuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020). Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 5.12.2020). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über eine moderne Ausstattung (ÖB 10.2020).

In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittler-

weile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 5.12.2020).

Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 5.12.2020). In Nigeria stehen 250 Psychiater für eine Bevölkerung von 200 Millionen Menschen zur Verfügung (Devex 29.9.2020). Es gibt weniger als 15 auf psychische Erkrankungen spezialisierte Spitäler

(IRB 12.1.2020) und 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 5.12.2020).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor (AA 5.12.2020). Die Rate der im NHIS versicherten Personen ist von 10 Prozent (5,6 Millionen Nigerianer) vor zehn Jahren auf 1,72 Prozent (eine Million Nigerianer) in aktualisierten Statistiken [Stand: 2020] gefallen. 90 Prozent der Nigerianer sind nicht versichert. 3-5 Prozent der Bevölkerung sind in irgendeiner Form krankenversichert (TG 25.9.2020). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).

Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 12.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 5.12.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2020). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 5.12.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2020).

Apotheken und in geringerem Maße v.a. private Kliniken verfügen über eine Auswahl essentieller Medikamente. Hier sind die gängigen Antiphlogistika und Schmerzmittel sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente für Herz-Kreislauferkrankungen und zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden erhältlich (AA 5.12.2020). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2020).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 5.12.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2020).

Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ

12.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2020).

In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 22.8.2021).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.8.2021): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https: //www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#con tent_5 , Zugriff 3.8.2021

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020

• Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (22.8.2021): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/ covid-19/ , Zugriff 23.8.2021

• Devex (29.9.2020): Short of mental health professionals, Nigeria tries a new approach, https: //www.devex.com/news/short-of-mental-health-professionals-nigeria-tries-a-new-approach-98176 , Zugriff 3.8.2020

• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

• HRW - Human Rights Watch (11.11.2019). Nigeria: People With Mental Health Conditions Chained, Abused, https://www.hrw.org/news/2019/11/11/nigeria-people-mental-health-conditions-chainedabused , Zugriff 3.8.2021

• IRB - Immigration and Refugee Board [Kanada] (12.1.2020): Response to information request, https://www.justice.gov/eoir/page/file/1342146/download , Zugriff 3.8.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021

• TG - The Guardian (25.9.2020): Over 170 million Nigerians without health insurance, https://guar dian.ng/features/over-170-million-nigerians-without-health-insurance/ , Zugriff 3.8.2021

• VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

• VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Rückkehr

Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet

wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2020).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt

werden (AA 5.12.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2020). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 5.12.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 5.12.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2020). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 5.12.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2020) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2020).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 5.12.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für

Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2020).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure betreiben Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten (AA 5.12.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung des Antrages des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 17.03.2021, der Antragsbegründung und den beigelegten Unterlagen, den Einvernahmeprotokollen der belangten Behörde vom 12.04.2021 und 05.11.2021, dem bekämpften Bescheid und der Angaben des BF im Beschwerdeschriftsatz. Zudem wurde Einsicht genommen in die Gerichtsakten der bereits abgeschlossenen Verfahren zur Zl. I407 2204388-1/6E vom 18.02.2019, und zur Zl. I405 2163262-3/2E vom 27.07.2021. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Betreuungsinformationssystems über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung (GVS), des Registers der Sozialversicherungsträger (AJ-Web) sowie des Strafregisters der Republik Österreich eingeholt.

2.2. Zur Person des BF:

Die Feststellung zur Person des BF, insbesondere seiner Staatsangehörigkeit, Volljährigkeit, seiner Volksgruppen- und Glaubenszugehörigkeit, beruhen auf seinen Angaben im bereits abgeschlossenen Asylverfahren und sind dem Gerichtsakt zu I407 2204388-1/6E zu entnehmen. In Ermangelung der Vorlage entsprechender Dokumente steht die Identität des BF nicht fest.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF gründen auf den Angaben des BF in den bisher geführten Verfahren und seinen Einvernahmen vom 12.04.2021 und 05.11.2021. Aus der Einsichtnahme in die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung leitet sich die Feststellung ab, dass der BF keiner COVID-19-Risikogruppen angehört. Aus der Zusammenschau seines Alters und seiner (bisherigen) beruflichen Tätigkeit ergibt sich die Feststellung zu seiner Arbeits- und Erwerbsfähigkeit.

Auf seinen Ausführungen im Verfahren zur Zl. I407 2204388-1/6E basieren die Feststellungen zu seinem Familienstand, seiner Herkunft und der Schul- und Berufsausbildung. Aus den Angaben im Administrativverfahren und vor dem Bundesverwaltungsgericht resultieren die Feststellungen zu seiner familiären Situation im Herkunftsstaat.

Die Feststellungen zu seiner Einreise in das Bundesgebiet, seinem rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren und dem Nichtbestehen eines Aufenthaltsrechtes ergeben sich aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes und der Gerichtsakten.

Dass der BF im Bundesgebiet über keine familiären Anbindungen verfügt und keine Familienangehörigen oder Verwandten des BF im Bundesgebiet leben, basiert auf seinen Angaben vor der belangten Behörde im Asylverfahren und im gegenständlichen Verfahren.

Aus seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von knapp fünf Jahren resultiert zweifelsfrei ein Privatleben des BF. Die Feststellungen zu den von ihm gesetzten integrativen Schritten fußen einerseits auf den von ihm im Administrativ- und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen und Dokumenten sowie aus seinen Angaben in seinen Stellungnahmen und seinen Ausführungen im Zuge seiner Einvernahmen vor der belangten Behörde am 12.04.2021 und 05.11.2021.

Aus der Einsichtnahme in einen aktuellen GVS-Auszug ergeben sich die Feststellungen zum Bezug der Grundversorgung.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ist durch einen aktuellen Auszug des Strafregisterauszuges bestätigt.

Aus dem vorliegenden Gerichtsakt zu I407 2204388-1/6E und der Einsichtnahme in das IZR gründet sich die Feststellung zu seinem bereits rechtskräftig negativ entschiedenen Antrag auf internationalen Schutz.

Dass der BF seiner Ausreiseverpflichtung bisher nicht entsprochen hat und er unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieb, bestätigte er zuletzt in seiner niederschriftlichen Einvernahme am 05.11.2021. Ebenso brachte er in dieser Einvernahme vor, dass er keinen Reisepass besitze. Er habe zwar bei der nigerianischen Botschaft angerufen, jedoch habe er die Auskunft erhalten, dass die Ausstellung eines Reisepasses ohne Vorlage von Dokumenten nicht möglich sei, jedoch blieb diese Behauptung bis dato unbelegt. Der BF vermochte keine Bestätigungen darüber zu erbringen, dass er sich zwecks Ausstellung eines Reisedokumentes an die zuständige Botschaft gewandt hat, obwohl ihm die Einholung einer solchen Bestätigung bei der nigerianischen Botschaft in Wien möglich und zumutbar war. Zudem ergibt sich aus dem Amtswissen des erkennenden Gericht, dass über die nigerianische Botschaft in Wien Reisepässe bezogen werden können bzw. die Botschaft Reisepässe ausstellt (https://portal.immigration.gov.ng/index.htm ).

Bereits mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.02.2019, Zl. I407 2204388-1/6E, wurde festgestellt, dass eine Rückkehr des BF nach Nigeria keine Gefährdung seiner Person bzw. eine Verletzung seiner in Art. 2 oder 3 EMRK geschützten Rechte mit sich bringt. Durch die Aufnahme einer Beschäftigung sollte er zudem zum Verdienst seines Lebensunterhaltes imstande sein.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria vom 03.09.2021 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die zitierten Länderberichte wurden im angefochtenen Bescheid angeführt und wurde diesen Berichten in der Beschwerde nicht entgegengetreten. Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung ergeben sich keine Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher diesen Feststellungen vollinhaltlich an.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zur Abweisung des Antrags auf Mängelheilung und zur Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 4 Abs. 1 AsylG-Durchführungsverordnung (AsylG-DV 2005) kann die Behörde kann auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 4 Abs. 2 AsylG-DV 2005 hat die Behörde – beabsichtigt sie den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen – darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG-DV 2005 sind folgende Urkunden und Nachweise – unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 – im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschaftsurkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde.

Gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 ist, kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach,

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

Das VwG darf in Fällen in denen das BFA den Antrag eines Fremden auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen hat, keine inhaltliche Entscheidung treffen. Vielmehr kommt nur die Bestätigung der Zurückweisung oder aber deren ersatzlose Behebung in Betracht (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0134). Somit ist daher lediglich zu überprüfen, ob die belangte Behörde den Antrag auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK“ gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 („Aufenthaltsberechtigung“) zu Recht zurückgewiesen hat.

Gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 kann die Behörde auf begründeten Antrag eines Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 leg. cit (und damit die Vorlage von Reisepass und Geburtsurkunde) zulassen, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK notwendig ist (vgl. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

Zur Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Bedingung, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK erforderlich sein muss, in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, voraussetzungsgemäß erfüllt ist (vgl. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168). Auch im Fall eines Antrags auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels gilt, dass die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 die gleichen sind wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrags. Die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 stattzugeben ist, unterscheidet sich also inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist. Daraus folgt auch, dass bei einem Antrag nach § 55 AsylG 2005 in Bezug auf die Heilung nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 in erster Linie und vorrangig die Voraussetzungen der Z 2 der genannten Bestimmung zum Tragen kommen und dass es unzulässig ist, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0092 bis 0094). Wie nachstehend unter Punkt 3.2. gezeigt wird, liegen die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 aber gegenständlich nicht vor.

Gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 kann die Behörde auf begründeten Antrag eines Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 leg. cit. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise auch dann zulassen, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Fallgegenständlich stellte der BF zugleich nach seinem Antrag auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 einen Mängelheilungsantrag gemäß 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV. Begründend führte er aus, dass er keinen Reisepass besitze und die nigerianische Botschaft ohne Dokumente keinen Reisepass ausstellen könne. Zudem weise er eine Integrationsverfestigung auf und halte er sich seit mehreren Jahren legal im Bundesgebiet auf.

Der Verwaltungsgerichtshof sprach aus, dass einem Heilungsantrag im Hinblick auf die Nichtvorlage von Identitätsnachweisen immer dann gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 stattzugeben ist, wenn die vom Fremden nicht zu vertretenden Gründe für die Unmöglichkeit der Abschiebung darin liegen, dass die Beschaffung der notwendigen Urkunden oder Nachweise für den Fremden (iSd § 4 Abs. 1 Z 3 AsylGDV 2005) nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war (vgl. VwGH 31.08.2017, Ro 2016/21/0019).

Im gegenständlichen Fall vermochte der BF jedoch nicht darzulegen, inwiefern ihm die Beschaffung der notwendigen Urkunden oder Nachweise nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar wäre. Wie bereits in der Beweiswürdigung unter Punkt 2.2. ausführlich dargelegt, ergibt sich zunächst aus dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes, dass die nigerianische Botschaft Reisepässe ausstellt und ergaben sich keinerlei (begründete) Anhaltspunkte dafür, weshalb dem BF dem Grunde nach kein Reisepass seitens der nigerianischen Botschaft in Wien ausgestellt werden sollte oder könnte. Des Weiteren konnte der BF auch nicht mittels Belegen nachweisen, dass er von sich aus bei der nigerianischen Botschaft in Wien vorstellig war und die Ausstellung eines Reisepasses bei der nigerianischen Botschaft in Wien auch beantragt hat. Aber auch in Hinblick auf die Beibringung einer Geburtsurkunde oder eines dem gleichzuhaltenden Dokument verwies der BF im Administrativverfahren lediglich darauf, dass er keine Dokumente besitzen würde. Warum es ihm jedoch nicht möglich sein sollte, über seine Familie in Nigeria zu einer Geburtsurkunde zu gelangen, vermochte er nicht plausibel darzulegen.

Somit konnte der BF nicht belegen, dass ihm die Beschaffung eines Reisepasses, einer Geburtsurkunde oder einem dem gleichzuhaltenden Dokument für ihn nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

Der Antrag des BF auf Heilung des Mangels der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise war demnach auch gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 Abs. 1 AsylG-DV 2005 abzuweisen, da ihm deren Beschaffung weder nachweislich unmöglich noch unzumutbar war.

Wie § 58 Abs. 11 AsylG 2005 überdies zum Ausdruck bringt, treffen einen Drittstaatsangehörigen im Antragsverfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „allgemeine Mitwirkungspflichten“, unter welche nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch die in § 8 Abs. 1 AsylG-DV 2005 angeordnete Vorlage von Identitätsurkunden wie etwa eines gültigen Reisedokuments sowie einer Geburtsurkunde oder eines dieser gleichzuhaltenden Dokuments zu subsumieren ist (vgl. VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0039). Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass die Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses grundsätzlich, wenn es nicht zu einer Heilung nach § 4 AsylG-DV 2005 zu kommen hat, eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung rechtfertigt (vgl. zuletzt VwGH 04.03.2020, Ra 2019/21/0214). Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, stellen die Nichtvorlage der betreffenden Dokumente somit – angesichts der rechtmäßigen Abweisung des Mängelheilungsantrages – eine Verletzung der allgemeinen Mitwirkungspflicht des BF dar und rechtfertigt dies eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte, zurückweisende Entscheidung.

Insofern in der Beschwerde moniert wird, dass die Zurückweisung des Antrages des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK rechtswidrig sei und diesbezüglich auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.07.2021 verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass die Zurückweisung des gegenständlichen Antrags sich zuvor auf § 58 Abs. 10 AsylG stützte, welche auch rechtswidrig war, jedoch stützt sich die nunmehrige Zurückweisung auf Abs. 11 leg.cit., welche wie oben beurteilt zulässig und auch zu bestätigen war.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.2. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Wird gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

Gemäß § 52 Abs. 3 FPG hat das Bundesamt Gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 MRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG 2014 zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FrPolG 2005, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0301).

In diesem Zusammenhang ist zunächst anzumerken, dass der BF über kein Familienleben im Bundesgebiet verfügt.

Somit bleibt zu prüfen, inwieweit ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des BF erfolgt. Unter „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg Lettland, EuGRZ 2006, 554).

Der BF hält sich seit seiner Einreise im Bundesgebiet – im Februar 2017 – seit knapp fünf Jahren im Bundesgebiet auf. Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG 2014 stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. VwGH 16.02.2021, Ra 2019/19/0212). Allerdings nimmt das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet – unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände – ein großes Gewicht verleihen und ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen (vgl. VwGH 04.03.2020, Ra 2020/21/0010).

Berücksichtigt wird im Hinblick auf die rund knapp fünfjährige Aufenthaltsdauer des BF zunächst, dass er unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist ist und sich lediglich auf Grundlage eines letztlich unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz in Österreich aufhielt. Des Weiteren wurde sein Asylantrag vom Februar 2017 bereits zwei Jahre später im Rechtsmittelweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.02.2019, Zl. I407 2204388-1/6E, als unbegründet abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen und erwuchs diese Entscheidung in Rechtskraft. Der BF musste sich somit spätestens ab diesem Zeitpunkt seines unrechtmäßigen Aufenthaltes bewusst sein und relativiert dies seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Nach rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrags mit 18.02.2019 kam er seiner Ausreiseverpflichtung beharrlich nicht nach und verblieb er unrechtmäßig im Bundesgebiet. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK muss zudem nicht akzeptiert werden, dass ein Fremder mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. VwGH 22.01.2021, Ra 2020/20/0426).

Hinsichtlich seines Privatlebens ist auszuführen, dass die bisherige Aufenthaltsdauer knapp fünf Jahre beträgt, woraus sich per se das Vorhandensein eines Privatlebens ergibt. Auch sind seine geschlossenen Bekanntschaften unbestritten und werden seine integrativen Bemühungen wie Sprachkursbesuche, sein Abschluss einer Übergangsstufe an XXXX , seine Absolvierung von 236 Unterrichtseinheiten bei „ XXXX “, seine abgebrochene Lehre als Fliesenleger, sein ehrenamtliches Engagement, seine Tätigkeit als Verkäufer einer Straßenzeitung durchaus nicht verkannt. Allerdings haben sich keine Hinweise auf eine außergewöhnliche Intensität der privaten Bindungen oder Merkmale einer wechselseitigen Abhängigkeit ergeben. Außerdem ist der BF immer noch auf Leistungen der Grundversorgung angewiesen und liegt somit keine Selbsterhaltungsfähigkeit vor.

Es fällt auch entscheidend ins Gewicht, dass gegen den BF bereits eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung bestand, er seiner Ausreiseverpflichtung jedoch nicht nachkam, sondern den gegenständlichen - unbegründeten - Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stellte. Zudem hat der BF in Nigeria den weit überwiegenden Teil seines Lebens verbracht, hat sprachliche, familiäre und kulturelle Verbindungen und besteht kein Anhaltspunkt für eine völlige Entfremdung. Er ist gesund, arbeitsfähig und verfügt über Berufserfahrung. Es ist somit davon auszugehen, dass er in der Lage sein wird, einen zumindest bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen, selbst wenn er keine finanzielle Unterstützung seiner in Nigeria lebenden Familie erfahren sollte. Raum für die Annahme einer völligen Entwurzelung im Hinblick auf seinen Herkunftsstaat besteht sohin nicht.

Dem allenfalls bestehenden Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind nach Abschluss eines Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Auch wenn der BF durchaus Integrationsbemühungen erkennen hat lassen, wiegt bei einer Gesamtbetrachtung unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers vermag seine persönlichen Interessen nicht entscheidend zu stärken (vgl. VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit im Rahmen einer Gesamtschau zuungunsten des BF und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Ausreise aus. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Ausreise als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann und war die von der belangten Behörde erlassene Rückkehrentscheidung daher nicht zu beanstanden, weshalb auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen war.

3.3. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist.

Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.02.2019, Zl. I407 2204388-1/6E, wurde bereits festgestellt, dass eine Rückkehr des BF nach Nigeria keine Gefährdung seiner Person bzw. eine Verletzung seiner in Art. 2 oder 3 EMRK geschützten Rechte mit sich bringt.

Auch im gegenständlichen Verfahren ergaben sich keinerlei wie auch immer geartete Rückkehrgefährdungen. Der BF ist volljährig, arbeits- und erwerbsfähig und war bislang imstande sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen für Nigeria nicht vor, sodass aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Schließlich ist im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie aufgrund des Corona-Virus festzuhalten, dass es sich beim BF um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann handelt, der an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet, womit er nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen fällt. Ein bei einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Nigeria vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK ist somit auch hier nicht zu erkennen.

Somit sind im gegenständlichen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den BF ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

Eine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte steht der Abschiebung nicht entgegen.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.

3.4. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Im gegenständlichen Fall hat der BF nichts vorgebracht, was auf solche „besonderen Umstände“ im Sinne des § 55 Abs. 2 FPG schließen lässt. Es sind aus dem Verwaltungsakt keine Umstände hervorgekommen, die als „besondere Umstände“ im Sinne des § 55 Abs. 2 FPG zu werten wären. Daher traf die belangte Behörde zu Recht den Ausspruch, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage beträgt.

Zu Recht hat daher die belangte Behörde § 55 Abs. 1 FPG zur Anwendung gebracht. Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn – wie im vorliegenden Fall – deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht zur Gänze angeschlossen. In der Beschwerde wurde keinerlei sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet. Es lagen somit keine strittigen Sachverhalts- oder Rechtsfragen vor und es waren auch keine Beweise aufzunehmen. Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzte sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Thematik der Mängelheilung nach § 4 und § 8 AsylG-DV 2005, der Zurückweisung von Anträgen bei fehlender Mitwirkung nach § 58 Abs. 11 AsylG 2005 sowie der Interessensabwägung bei einer Rückkehrentscheidung auseinander.

Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

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