AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:I404.2205909.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. am XXXX , vertreten durch die Mutter als gesetzliche Vertreterin und 3. XXXX , geb. am XXXX , vertreten durch die Mutter als gesetzliche Vertreterin, alle StA. ÄGYPTEN, alle vertreten durch: Verein Legal Focus, Lazarettgasse 28/3, 1090 Wien, gegen die Bescheide des BFA, Regionaldirektion Burgenland (BAE) vom 24.08.2018, Zlen. XXXX , XXXX und XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführer, eine Frau mit ihren zwei minderjährigen Kindern, reisten legal am 08.05.2018 mit einem Touristenvisum in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 17.05.2018 Anträge auf internationalen Schutz.
2. Die Erstbeschwerdeführerin gab in ihrer Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.05.2018 an, dass sie die ägyptische Staatangehörigkeit habe und islamischen Glaubens sei. Zu ihrem Fluchtgrund befragt führte sie an, dass sie ursprünglich nach Österreich gekommen sei, um ihren Cousin zu besuchen. Heute wäre sie zurückgeflogen. Als sie heute ihren Mann in der Früh angerufen habe, habe dieser ihr mitgeteilt, dass er von Personen der Moslembruderschaft und von den „Badu“ bedroht werde und sie auf keinen Fall zurückkommen solle, da ihr Leben und das der Kinder in Gefahr sei.
Für die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer wurden keine weiteren Fluchtgründe geltend gemacht.
3. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland (in der Folge: belangte Behörde) vom 04.07.2018 gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie Angst um ihr Leben habe, da sie in Ägypten bedroht gewesen seien. Jeden Tag seien dort Bedrohungen und Explosionen gewesen und hätten sie dort in Angst gelebt. Auf Nachfrage gab sie an, dass die Polizei bedroht sei. Auf den Widerspruch angesprochen, wonach die Erstbeschwerdeführerin in der Erstbefragung angegeben habe, nach Österreich gekommen zu sein, um ihren Cousin zu besuchen und sie erst am 17.05.2018 durch ihren Mann von der Bedrohung in Kenntnis gesetzt worden sei, gab sie an, dass sie gefragt worden sei, ob sie jemanden besuche. Sie sei auch nicht gefragt worden, ob die Bedrohung bereits vorher bestanden habe. In Österreich lebe ihr Cousin. Sie lebe nicht mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt und habe etwa zwei bis dreimal pro Woche mit ihm Kontakt. Ihr älterer Sohn, der Zweitbeschwerdeführer, sei gesund, beim jüngeren Sohn, dem Drittbeschwerdeführer, sei bereits in Ägypten eine Nervenschädigung festgestellt worden. Seit 2011 stehe er deshalb in Behandlung. Er sei alle drei Monate untersucht worden und bekomme alle sechs Monate eine Spritze. Die Behandlung in Ägypten sei hilfreich gewesen und sie sei mit der medizinischen Betreuung auch zufrieden. Die Behandlungskosten übernehme ihr Mann. Ihr Mann lebe und arbeite in XXXX . Er sei Unteroffizier und arbeite in der Kriminalabteilung der Polizei. Sie sei gesund. Sie habe bis zu Heirat bei ihrer Familie in XXXX gelebt. Zu ihren Fluchtgründen befragt, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass ihr Mann und sie mit den Kindern in XXXX gewesen seien, wo sie bedroht worden seien und das Leben sehr schwer gewesen sei. Ihr Mann sei nach XXXX versetzt worden und sie sei zu ihren Eltern. Das Jahr wisse sie nicht mehr. Sie habe ein normales Leben gehabt, habe aber gehört, dass die Kollegen ihres Mannes, die noch in XXXX gearbeitet hätten, bedroht worden seien. Es seien auch viele getötet worden und sie sei bei vielen Begräbnissen gewesen. Dann habe sie nach dem Schulabschluss das Visum beantragt. Ihr Mann habe ihr oft erzählt, dass seine Polizeistation von der Muslimbruderschaft bedroht werde, diese solle gesprengt werden. Aber das sei sehr weit weg von ihr – ungefähr eine halbe Stunde. Sie habe daher nicht vorgehabt, hier einen Asylantrag zu stellen, aber dann habe ihr Mann sie angerufen und ihr gesagt, dass er bedroht worden sei. Er habe gesagt, ALBADW habe ihn bedroht, dass er entweder zu denen komme, sonst würden sie seine Kinder töten. Nachdem die Erstbeschwerdeführerin aufgefordert wurde, Einzelheiten der Bedrohung anzugeben, führt sei aus, dass die ALBADW sehr unberechenbar seien, sie würden immer eine Liste schreiben und es würden alle Leute, deren Namen auf der Liste stehen würden, umgebracht werden. Auf Frage, ob der Mann der Erstbeschwerdeführerin persönlich bedroht worden sei, oder ob die Polizei bzw. Polizeistation bedroht werde, gab sie an, dass sie das nicht wisse. Auf Frage, warum ihr Mann bedroht werde, gab sie an, dass sie den Grund nicht wisse, sein Name stehe auf einer Liste. Diese Liste könne sie nicht besorgen, sie sei beim ägyptischen Geheimdienst. Ihr Mann habe davon erfahren. Der letzte Vorgesetzte in XXXX habe ihrem Mann davon erzählt. Auf Frage, warum ihr Mann dann noch in Ägypten sei, gab sie an, dass sie nur das sage, was ihr Mann ihr erzähle. Auf die Frage, wann es genau zu dieser Bedrohung ihres Mannes gekommen sie, gab sie an, dass dies gewesen sei, als sie in XXXX gewesen seien. Auf Vorhalt, warum dann ihr Mann sie in Österreich angerufen habe, führte sie an, dass er in XXXX bedroht worden sei und als er dann nach XXXX versetzt worden sei, habe er erfahren, dass diese erfahren hätten, wo ihr Haus und ihre Kinder seien. Er habe sie angerufen und habe gesagt, dass sie wissen würden, wo die Kinder seien und hätten ihn mit den Kindern gedroht. Sie wisse nicht, wie ihrem Mann gedroht worden sei. Sie wisse auch nicht, wie oft ihm gedroht worden sei. Die Polizei könnte ihren Mann schon schützen, aber nicht jede Familie. Jeden Tag würden viele Leute getötet und es gebe viele Explosionen.
4. Mit Bescheiden der belangten Behörde vom 24.08.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Ägypten (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich erteilte sie den Beschwerdeführern keinen „Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gewährte den Beschwerdeführern eine Frist für die freiwillige Ausreise von 2 Wochen ab Rechtskraft (Spruchpunkt VI.).
Begründend stellte die belangte Behörde zusammengefasst fest, dass nicht festgestellt werden könne, dass die Beschwerdeführer ihr Heimatland aus wohlbegründete Furcht vor Verfolgung verlassen hätten. Das Vorliegen von wohlbegründete Furcht vor Verfolgung habe die Erstbeschwerdeführerin nicht glaubhaft gemacht, weshalb internationaler Schutz nicht gewährt werden könne. Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer hätten keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, sondern sich auf die Fluchtgründe der Erstbeschwerdeführerin bezogen.
Die Beschwerdeführer würden in Ägypten genügend Rückhalt in Form von finanzieller Unterstützung durch die Familie haben. Ebenso wenig stehe die Berücksichtigung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer einer Abschiebung entgegen. Schließlich führe eine Abwägung des Privat-und Familienlebens der Beschwerdeführer mit dem Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK zu dem Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung nach § 9 Abs. 1-3 BFA-B-VG zulässig sei.
5. Gegen diese Bescheide haben die Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und zusammengefasst ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin ihre Fluchtgründe schlüssig und glaubhaft angeführt habe. Der Zweit- und Drittbeschwerdeführer würden die Schule besuchen, ein wenig Deutsch sprechen und den Umgang mit anderen Kindern schätzen. Der Drittbeschwerdeführer leide an einer spastischen Diplegie. Es handle sich dabei um eine Körperbehinderung, bei welcher vor allem die Beine gelähmt seien. Der Drittbeschwerdeführer habe dadurch eine neurologische Fußfehlstellung beidseitig. Eine regelmäßige Physiotherapie und diverse Heilbehelfe seien verordnet worden. Es werde um Berücksichtigung des Gesundheitszustandes im Rahmen einer Gesamtabwägung ersucht.
6. Die Beschwerde samt Akt wurde dem BVwG zur Entscheidung vorgelegt.
7. Mit 03.08.2020 wurde der Akt der Gerichtsabteilung I404 neu zugeteilt.
8. Am 22.09.2020 und am 30.09.2020 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Zur Person der Beschwerdeführer
Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Ägyptens, sunnitischen Glaubens und gehören der Volksgruppe der Araber an. Ihre Identitäten stehen fest.
Es handelt sich bei den Beschwerdeführern um eine volljährige Frau (die Erstbeschwerdeführerin) und ihre zwei minderjährigen Kinder (die Zweit- und Drittbeschwerdeführer). Der Exmann der Erstbeschwerdeführerin und Vater der Zweit- und Drittbeschwerdeführer ist in Ägypten aufhältig. Auch die Familie der Erstbeschwerdeführerin (ihre Eltern und drei Geschwister) lebt in Ägypten. Die Erstbeschwerdeführerin steht mit ihren Eltern in regelmäßigem Kontakt, die Zweit- und Drittbeschwerdeführer auch mit ihrem Vater.
Sie lebten den überwiegenden Großteil ihres bisherigen Lebens in Ägypten, wurden dort sozialisiert und sprechen ihre Landessprache auf muttersprachlichem Niveau. Seit dem 08.05.2018 halten sie sich durchgehend in Österreich auf.
Die Erstbeschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig. Sie hat in Ägypten eine zwölfjährige Schulausbildung sowie einen Universitätsabschluss als Buchhalterin absolviert und zwei Jahre lang ein Masterstudium besucht, ohne dieses jedoch abzuschließen. Sie lebte zuletzt bei ihrer Familie im Dorf XXXX bei XXXX und wurde von ihrem damaligen Ehemann finanziell unterstützt. Im Juni 2019 ließ sich der Mann der Beschwerdeführerin in deren Abwesenheit von ihr scheiden. Der Exmann der Erstbeschwerdeführerin ist als Polizist auf einer Polizeistation in XXXX – etwa 40 km von XXXX entfernt - tätig. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin bezieht in Ägypten eine Pension von zumindest monatlich 2.248 ägyptischen Pfund.
Die Erstbeschwerdeführerin hat in Österreich am 07.09.2020 ein ÖSD Zertifikat A1 „gut“ bestanden und besucht seit 15.09.2020 einen Deutschkurs A2. Sie pflegt in Österreich mehrere freundschaftliche Kontakte. Im Februar und April 2019 war sie für insgesamt 27 Stunden als Remunerantin für die Caritas XXXX tätig. Sie arbeitet seit 03.08.2020 im Ausmaß von 10 Wochenstunden ehrenamtlich im XXXX . Ansonsten ging sie im Bundesgebiet keiner weiteren Tätigkeit nach und lebt von Leistungen aus der Grundversorgung.
Der im XXXX 2007 geborene Zweitbeschwerdeführer ist gesund und besuchte bis zu seiner Ausreise aus Ägypten die Schule. Er ist derzeit Schüler der vierten Klasse der Neuen Mittelschule, spricht gut Deutsch und hat altersadäquate freundschaftliche Kontakte.
Der im XXXX 2010 geborene Drittbeschwerdeführer leidet an einer spastischen Diplegie aufgrund einer bilateralen posterioren parietalen Leucomalazie. Weder handelt sich dabei um eine lebensbedrohliche Erkrankung, noch gehört der Drittbeschwerdeführer dadurch der COVID-19-Risikogruppe an. Seine Krankheit manifestierte sich bereits ab seinem ersten Lebensjahr, wobei eine Diagnose in Ägypten erst im Jahr 2016 gestellt wurde.
In Österreich erhält der Beschwerdeführer Physiotherapie (Laufbandtraining und Massagen) und besucht die Botoxambulanz. Ihm wurden als Hilfsmittel ICP-Sandalen und eine Unterschenkel-Nachtlagerungsschiene links verordnet.
Eine adäquate Behandlung ist auch in Ägypten möglich, wo sich der Drittbeschwerdeführer vor seiner Ausreise in regelmäßiger ärztlicher Behandlung in der Privatklinik „ XXXX “ in Kairo befand. In Ägypten erfolgten orthopädische Kontrollen mit Röntgen und der Beschwerdeführer erhielt Hilfsmittel wie ICP-Schuhe, sowie alle sechs Monate eine Behandlung mit Botox. Eine Ampulle Botox kostet in Ägypten 2.300 ägyptische Pfund (entspricht derzeit ca. 124 Euro). Die Behandlung wurde in Ägypten von seinem Vater finanziert, der bei einer Rückkehr neuerlich dafür aufkommen wird können. Außerdem werden auch in Ägypten Physiotherapien angeboten (siehe dazu die Ausführungen in 1.3.15 Relevante Bevölkerungsgruppen, Menschen mit Behinderung).
In Ägypten besuchte der Drittbeschwerdeführer die Volksschule. Er besucht derzeit die vierte Klasse der Volksschule, wobei er aufgrund seiner krankheitsbedingten Bedürfnisse sonderpädagogische Unterstützung erhält. Er hat in der Schule Deutschkenntnisse erworben und Freundschaften geschlossen.
Ihren Lebensunterhalt in Ägypten bestritten die Zweit- und Drittbeschwerdeführer, ebenso wie ihre Mutter, durch die Einkünfte ihres Vaters. In Österreich leben sie von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
Die Erstbeschwerdeführerin ist unbescholten, die Zweit- und Drittbeschwerdeführer sind nicht strafmündig.
Die Beschwerdeführer haben keine Verwandten in der EU.
1.2 Zu den Fluchtgründen
Die Erstbeschwerdeführerin gab an, dass ihr Mann von der Muslimbruderschaft bedroht wurde, weshalb sie in Gefahr seien. Für den Zweit- und Drittbeschwerdeführer wurden vor der belangten Behörde keine weiteren Fluchtgründe geltend gemacht. Dieses Vorbringen konnte die Erstbeschwerdeführerin nicht glaubhaft machen.
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung machte die Erstbeschwerdeführerin zusätzlich geltend, dass der Drittbeschwerdeführer aufgrund seiner Behinderung in Ägypten diskriminiert werde. Sie brachte dazu vor, dass ihr Sohn damals immer weinend aus der Schule gekommen ist, weil er gehänselt wurde. Weitere Vorfälle gab sie keine an.
1.3 Zur Situation in Ägypten:
1.3.1 Politische Lage
2013 übernahm Präsident Abdel Fattah Al-Sisi, damals Verteidigungsminister und Befehlshaber der Streitkräfte (FH 4.2.2019; GIZ 12.2018), die Macht durch einen Putsch und stürzte den gewählten Präsidenten Mohamed Morsi von der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit der Muslimbrüder (FJP) (FH 4.2.2019). Al-Sisi war seit 12.8.2012 Minister für Verteidigung und Militärproduktion unter Ministerpräsident Hesham Qandil in der Regierung von Mohamed Mursi (GIZ 12.2018). Seit dem 8.6.2014 ist Abdel Fattah Al-Sisi, Präsident Ägyptens. Der Verfassung zufolge ist eine Kandidatur nur einem Zivilisten erlaubt. Al-Sisi musste aus dem Militärdienst austreten, um bei den Wahlen antreten zu können (GIZ 12.2018).
Am 17.6.2019 brach der ehemalige, erste frei gewählte Präsident Ägyptens, Mohammed Mursi, in einer Gerichtsverhandlung zusammen und starb später in einem Krankenhaus. Offizielle Todesursache ist Herzversagen (BAMF 24.6.2019).
Der Präsident wird durch Volksabstimmung für bis zu zwei Amtszeiten gewählt (FH 4.2.2019). Bei den Präsidentschaftswahlen im März 2018 gewann Präsident Abdel Fattah Al-Sisi mit 97% der gültigen Stimmen eine zweite Amtszeit (AA 24.6.2019a; vgl. AI 26.2.2019; FH 4.2.2019) und setzte sich deutlich gegen den einzig verbliebenen Gegenkandidaten Mousa Mostafa Mousa durch (AA 24.6.2019a).
Die Wahlen waren durch Unterdrückung und Überwachungsbemühungen der Regierung beeinträchtigt, und die Amtszeit von Präsident Sisi ist von einem harten Vorgehen gegen abweichende Stimmen geprägt (TI 23.2.2019). Die Präsidentschaftswahl 2018 bot den Wählern keine echte demokratische Wahl und wurde unter anderem durch Einschüchterung der Wähler und Stimmenkauf beeinträchtigt (FH 4.2.2019). Vor der Abstimmung wurden lautstarke Oppositionelle inhaftiert und zum Schweigen gebracht (FH 4.2.2019). Die übrigen Kandidaten wurden im Vorfeld verhaftet oder zogen ihre Kandidatur zurück (AA 24.6.2019a). Legitime Oppositionskandidaten wurden unter Druck gesetzt, sich noch vor dem Wahlkampf zurückzuziehen. Schließlich stand Al- Sisi einem anerkannten Herausforderer gegenüber, Mousa Mostafa Mousa, dem Vorsitzenden der Oppositionspartei Al-Ghad. Mousa warb für Al-Sisi, bevor er selbst ins Rennen ging (FH 4.2.2019).
Kritische Äußerungen über Ägypten und politische Kommentare, auch in den sozialen Medien, können unter anderem als strafbare Beleidigung und Diffamierung Ägyptens oder des Staatspräsidenten bzw. als strafbares „Verbreiten falscher Gerüchte" angesehen werden und eine Strafverfolgung nach sich ziehen (AA 1.7.2019). Bereits im Jänner 2018 verstärkten die Behörden das Vorgehen gegen Dissens und verhafteten willkürlich mindestens 113 Personen, nur weil sie friedlich ihre Meinung äußerten. Unter den Verhafteten befanden sich viele hochrangige Politiker, die den Präsidenten öffentlich kritisiert oder bei den Präsidentschaftswahlen gegen ihn kandidiert hatten. Sami Anan, der ehemalige Stabschef des Militärs, wurde im Jänner 2018 verhaftet, nachdem er seine Kandidatur angekündigt hatte. Abdelmonim Aboulfotoh, Gründer der Misr Al- Qawia-Partei, wurde im Feber 2018 in Bezug auf von ihm gegebene Medieninterviews verhaftet. Im April 2018 verurteilte ein Militärgericht Hisham Genina, den ehemaligen obersten Wirtschaftsprüfer Ägyptens, zu fünf Jahren Gefängnis, nachdem er den Präsidenten in einem Medieninterview kritisiert hatte. Im Oktober 2018 bestätigte ein Gericht eine Bewährungsstrafe von drei Monaten wegen "öffentlicher Unsittlichkeit" gegen den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Khalid Ali und disqualifizierte ihn damit erneut von der Kandidatur (AI 26.2.2019).
Die Wahl wurde durch eine geringe Wahlbeteiligung, die Nutzung staatlicher Ressourcen und Medien zur Unterstützung der Kandidatur von Al-Sisi, Einschüchterung der Wähler und Stimmenkauf beeinträchtigt. Die Wahlkommission drohte Nichtwählern mit Geldstrafen, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen (FH 4.2.2019).
Im Feber 2019 verabschiedeten Parlamentarier in Ägypten eine Reihe von Verfassungsänderungen, welche die Macht des Präsidenten konsolidieren und gleichzeitig das Militär als die ultimative Autorität des Landes wiederherstellen soll (TI 23.2.2019). Die im April 2019 in Kraft getretenen Verfassungsänderungen eröffneten mit einer Spezialklausel dem Staatspräsidenten die Möglichkeit, über die gegenwärtig festgelegten zwei Amtsperioden hinaus bis 2030 im Amt zu bleiben. Zudem sehen diese Verfassungsänderungen erhebliche Eingriffe in die Gewaltenteilung und eine weitere Stärkung der Kontrolle des Militärs über das zivile Leben vor (AA 24.6.2019a). Die vorgeschlagenen Änderungen würden die Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre verlängern. Präsident Sisi sollte im Jahr 2022 zurücktreten (TI 23.2.2019).
Seit Amtsantritt setzt Präsident Al-Sisi den Schwerpunkt auf Reformen im Wirtschaftsbereich, um Ägypten aus der Krise zu führen (ÖB 1.2019). Arbeitsschwerpunkte der ägyptischen Regierung unter Ministerpräsident Mustafa Madbouly bleiben Stabilitätserhalt und Wirtschaftsförderung. Mit der „Egypt Vision 2030“ legte die ägyptische Regierung einen ambitionierten Entwicklungsplan vor, der sich auch an den internationalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) orientiert (AA 24.6.2019a). Nach Zuspitzung der Wirtschaftskrise (u.a. akuter Devisenmangel) wurden im Herbst 2016 im Rahmen eines vom IWF gestützten Reformprogramms der ägyptischen Regierung die Wechselkurse freigegeben und schrittweise Subventionskürzungen (Strom, Treibstoff) vorgenommen. Das Reformprogramm zeigt mittlerweile deutliche Erfolge und Verbesserungen bei den wirtschaftlichen Eckdaten, birgt aber auch weiterhin die Gefahr sozioökonomisch bedingter Unruhen, da Maßnahmen kurz- bis mittelfristig eine starke Belastung für die Bevölkerung darstellen (starker Anstieg der Inflation und Verlust von Arbeitsplätzen) (ÖB 1.2019). Durch die Preiserhöhung kam es sporadisch zu kleinen Protesten, die von der Polizei unterdrückt wurden. Die Polizei reagierte mit Härte auf die friedlich gegen Sparmaßnahmen protestierenden Demonstranten (AI 26.2.2019).
Ein neues Gesetz, das im Juli 2018 verabschiedet wurde, erlaubt es dem Präsidenten, hochrangige Führer der Streitkräfte zu benennen, die er für begangene Vergehen vor Strafverfolgung schützen will. Der Zeitraum umfasst den 14.8.2013, als die Sicherheitskräfte und die Armee während der Auflösung der Sitzblockaden (Sit-ins) von Rabaa al-Adawiya und Nahda an einem einzigen Tag bis zu 1.000 Menschen töteten (AI 26.2.2019). Die vorgeschlagenen Änderungen würden auch die Rechtsstaatlichkeit und die Aufsicht über die Exekutive untergraben. Das Militär würde "Hüter des Staates" werden. Die Änderungen würden auch zur Auflösung der Nationalen Medienbehörde führen (TI 23.2.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (1.7.2019): Ägypten - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/ aegyptensicherheit/212622, Zugriff 1.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (24.6.2019a): Ägypten - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/-/212652 Zugriff 1.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 1.7.2019
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Egypt, httPs://www.ecoi.net/en/file/local/2003690/MDE1299162019ENGLISH.pdf Zugriff 1.7.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (24.6.2019): Briefing Notes 24. Juni 2019, Zugriff 9.7.2019
- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019: Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006365.html Zugriff 1.7.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2018): Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegypten/geschichte-staat/ , Zugriff 1.7.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (1.2019): Asylländerbericht Ägypten, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002309/ALB Ägypten 2018.pdf. Zugriff 1.7.2019
- TI - Transparency International (13.2.2019): The alarming message of Egypt’s constitutional amendments, https://www.transparency.org/news/feature/the_alarming_message_of_egypts_constitutional_amendments , Zugriff 5.7.2019
1.3.2 Sicherheitslage
Die terroristische Bedrohung ist auf ägyptischem Gebiet chronisch (FD 1.7.2019b). Es besteht landesweit weiterhin ein erhöhtes Risiko terroristischer Anschläge. Diese richten sich meist gegen ägyptische Sicherheitsbehörden, vereinzelt aber auch gegen ausländische Ziele und Staatsbürger (AA 1.7.2019; vgl. FD 1.7.2019a).
Das Risiko besteht auch bei politischen Kundgebungen, Demonstrationen und religiösen Veranstaltungen in Ballungsräumen. Insbesondere bei christlich-orthodoxen Feiertagen ist in der Umgebung von christlichen Einrichtungen erhöhte Vorsicht geboten (BMEIA 1.7.2019). Nach der
Zündung eines Sprengkörpers am 19.5.2019 in Gizeh wird empfohlen wachsam zu sein und stark frequentierte Bereiche zu meiden (FD 1.7.2019a). In den letzten Jahren wurden mehrere Terroranschläge verübt. Nach einer Reihe von Anschlägen wurde im April 2017 für drei Monate der landesweite Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser wird seitdem regelmäßig alle drei Monate verlängert (AA 1.7.2019; AI 26.2.2019; vgl. FD 1.7.2019). Die Maßnahme geht mit erhöhten Eingriffsbefugnissen für Sicherheitskräfte und Militär einher. Es kommt vor allem nachts zu verstärkten Kontrollen durch Sicherheitskräfte (AA 1.7.2019). Zu Demonstrationen kommt es seit der Wahl von Staatspräsident Al-Sisi im Mai 2014 kaum noch (AA 1.7.2019).
Es kam auch zu einem erneuten religiös motivierten Angriff, auf einen koptischen Pilgerbus in Minya, bei dem 29 Menschen getötet wurden (FD 1.7.2019). Seit 2016 ist es wiederholt zu Anschlägen auf koptische Christen und koptische Kirchen gekommen. Dabei gab es zahlreiche Tote und Verletzte (AA 1.7.2019). Am 28.12.2018 wurden bei der Aktivierung eines Sprengsatzes in der Nähe der Pyramiden von Gizeh vier Menschen getötet. Am 15.2.2019 versuchten die Sicherheitskräfte, drei in Kairo gefundene Sprengsätze zu entschärfen, von denen einer explodierte. Am 18.2.2019 tötete eine Person mit einem Sprengstoffgürtel drei Menschen (FD 1.7.2019b).
Vor Reisen in den Norden der Sinai-Halbinsel und das ägyptisch-israelische Grenzgebiet wird gewarnt (AA 1.7.2019). Am 9.2.2019 begann die ägyptische Armee ihre umfassende Operation „Sinai 2018" gegen militante Islamisten auf der Sinai Halbinsel (AA 24.6.2019a; AI 26.2.2019). Es kam zu Angriffen auf Touristen am Strand und in Hotels. Ein besonders schwerer terroristischer Anschlag nach dem Freitagsgebet in einer Moschee im November 2017 im Dorf Bir el Abed im Nord-Sinai forderte mehr als 300 Menschenleben (AA 1.7.2019; vgl. AA 24.6.2019a; FD 1.7.2019b) und zahlreiche weitere verletzt (AA 1.7.2019). Bereits im August 2013 wurde im Gouvernorat Nordsinai der Ausnahmezustand verhängt und seitdem immer wieder verlängert. Es gilt auch eine nächtliche Ausgangssperre (AA 1.7.2019). Bereits Im April 2017 wurden in Folge von Anschlägen auf zwei Kirchen in Alexandria und Tanta 45 Menschen getötet und über 100 verletzt. Die Terrororganisation „Islamischer Staat" hat sich zu den Anschlägen bekannt. Staatspräsident Al-Sisi verhängte einen Tag später den Ausnahmezustand, der seitdem alle drei Monate verlängert wurde. Die Politik der Härte und des permanenten Ausnahmezustands hat die Terrorgefahr jedoch nicht beseitigen können (AA 24.6.2019a). Das Österreichische Außenministerium ruft für den Nordsinai ein partielles Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 5) aus wie auch für die Saharagebiete an den Grenzen zu Libyen (einschließlich Mittelmeergebiet) und zum Sudan (BMEIA 1.7.2019). Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) besteht in den restlichen Gebieten der Sinai-Halbinsel, inklusive der Ostküste im Bereich von Nuweiba bis Taba sowie auch für das Innere des Südsinai (BMEIA 1.7.2019). Es kommt auch weiterhin zu terroristischen Anschlägen, zuletzt am 2.11.2018 in der ägyptischen Provinz Minya, wo sieben koptische Pilger starben, und am 28.12.2018 sowie am 19.5.2019 in der Nähe der Pyramiden von Gizeh, wo ausländische Touristen zu Tode kamen oder verletzt wurden (AA 24.6.2019a). Am 24.6.2019 kam es auf dem Sinai zu einem Gefecht zwischen der Armee und Kämpfern des Islamischen Staates (IS). Laut Auskunft des Innenministeriums seien dabei sieben Polizisten und vier Kämpfer des IS getötet worden (BAMF 1.7.2019).
Vor Reisen in entlegene Gebiete der Sahara einschließlich der Grenzgebiete zu Libyen und Sudan wird gewarnt (AA 1.7.2019). Die ägyptischen Behörden haben die Grenzregionen zu Libyen und zum Sudan zu Sperrgebieten erklärt (AA 1.7.2019). Minenfelder sind häufig unzureichend gekennzeichnet, insbesondere auf dem Sinai, in einigen nicht erschlossenen Küstenbereichen des Roten Meeres, am nicht erschlossenen Mittelmeerküstenstreifen westlich von El Alamein und in Grenzregionen zu Sudan und Libyen (AA 1.7.2019).
Die Kriminalitätsrate ist in Ägypten vergleichsweise niedrig. Kleinkriminalität wie Taschendiebstähle und auch vereinzelte Übergriffe speziell auf Frauen haben etwas zugenommen (AA 1.7.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (1.7.2019): Ägypten - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/ aegvptensicherheit/212622. Zugriff 1.7.3019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (1.7.2019): Briefing Notes 1 Juli 2019, Zugriff 1.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (24.6.2019a): Ägypten - Innenpolitik. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/-/212652 Zugriff 1.7.2019
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003690/MDE1299162019ENGLISH.pdf Zugriff 1.7.2019
- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (1.7.2019): Reiseinformation, Ägypten - Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aegypten/ , Zugriff 1.7.2019
- FD - France diplomatique (1.7.2019a): Egypte - Derniere minute, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/egypte/ Zugriff 1.7.2019
- FD - France diplomatique (1.7.2019b): Egypte - Securite, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/egypte/#securite , Zugriff 1.7.2019
1.3.3 Rechtsschutz / Justizwesen
Die Unabhängigkeit der Justiz ist vor allem im Bereich der äußerst weit verstandenen Terrorismusbekämpfung erheblich beeinträchtigt. Willkürliche Verhaftungen, Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen von Personen durch die Staatssicherheit und politisch motivierte Gerichtsverfahren sind an der Tagesordnung. Folter und Misshandlungen in Haft sind verbreitet. Die Sicherheitsdienste genießen de facto Straffreiheit. Sie agieren zunehmend außerhalb jedweder rechtlicher Vorgaben und entziehen sich der Kontrolle durch Justiz und Politik (AA 22.2.2019).
Die Todesstrafe wird verhängt und gegenwärtig auch vollstreckt. Zu diskriminierender Strafverfolgung oder Strafzumessung aufgrund bestimmter Merkmale liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor. In diesem Bereich macht sich häufig der Druck der öffentlichen Meinung bemerkbar. Harte Strafen gegen Angehörige der Muslimbruderschaft und oppositionspolitische Aktivisten sind häufig Ausdruck einer politisierten Justiz, die nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verfährt. Vor dem Hintergrund allgemein harter und häufig menschenrechtswidriger Haftbedingungen gibt es Hinweise, dass insbesondere junge und unbekannte politische Straftäter besonders harten Haftbedingungen ausgesetzt sind. Amnestien werden wiederholt angekündigt und auch umgesetzt. Anlässlich ägyptischer Feiertage werden immer wieder Gefangene amnestiert bzw. im formellen Sinne begnadigt. Allerdings profitieren hiervon in der Regel keine politischen Gefangenen, sondern ausschließlich Strafgefangene. Allgemeine Voraussetzungen sind in der Regel die Verbüßung von mindestens der Hälfte der Haftzeit und gute Führung in Haft. Im November 2016 kam es jedoch zur Amnestierung von über 100 Studenten und Journalisten, die wegen Teilnahme an Demonstrationen oder wegen ihrer Berichterstattung festgenommen wurden (AA 22.2.2019).
Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Andersdenkende inhaftieren zu können und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und Mitarbeiter ein. Die Behörden verwendeten Einzelhaft, Folter und andere Misshandlungen und ließen weiterhin Hunderter von Menschen ungestraft verschwinden. Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen wurden nicht untersucht. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten zahlreiche Menschen zum Tode (AI 26.2.2019; vgl. AI 23.5.2018). Sie hatten im August 2013 an Massenprotesten vor der al-Fateh-Moschee teilgenommen. Das Verfahren gegen die insgesamt 494 Angeklagten war grob unfair. Gerichte verließen sich bei der Urteilsfindung maßgeblich auf Berichte des nationalen Geheimdienstes und ließen Beweise zu, die nicht stichhaltig waren, darunter auch unter Folter erpresste »Geständnisse«. Zivilpersonen mussten nach wie vor mit unfairen Gerichtsverfahren vor Militärgerichten rechnen. Mindestens 384 Zivilpersonen wurde 2017 vor Militärgerichten der Prozess gemacht (AI 23.5.2018).
Die Verfassung sieht die Unabhängigkeit und Immunität der Richter vor. Die Gerichte handelten in der Regel unabhängig, obwohl es einzelnen Gerichten manchmal an Unparteilichkeit fehlte und diese zu politisch motivierten Ergebnissen gelangten. Die Regierung respektierte in der Regel Gerichtsbeschlüsse. Das Gesetz geht von einer Unschuld der Angeklagten aus, und die Behörden informieren sie in der Regel unverzüglich und im Detail über die Anklagen gegen sie. Die Angeklagten haben das Recht, bei den Verfahren anwesend zu sein. Die Teilnahme ist verpflichtend für Personen, die eines Verbrechens angeklagt werden, und fakultativ für diejenigen, die wegen Vergehen angeklagt sind. Zivilverhandlungen sind in der Regel öffentlich. Die Angeklagten haben das Recht, einen Anwalt zu konsultieren, und die Regierung ist zuständig für den Rechtsbeistand, wenn der Angeklagte sich keinen Rechtsanwalt leisten kann. Verhandlungen vor dem Militärgericht sind nicht öffentlich (USDOS 13.3.2019).
Die ägyptische Justiz ist in Zivil- und Strafgerichte einerseits und Verwaltungsgerichte andererseits unterteilt. Jeweils höchste Instanz ist das Kassationsgericht bzw. das Hohe Verwaltungsgericht. Darüber hinaus existieren Sonder- und Militärgerichte. Seit 1969 ist das Oberste Verfassungsgericht das höchste Gericht. Obwohl die Gerichte in Ägypten - mit gewissen Einschränkungen - als relativ unabhängig gelten und sich Richter immer wieder offen gegen den Präsidenten stellten, gab es immer wieder Vorwürfe gegen Richter, Prozesse im Sinn des Regimes zu manipulieren. Solche Vorwürfe werden auch heute noch in Bezug auf die Prozessführung gegen die angeklagten Spitzen des alten Regimes sowie hohe Offiziere der Sicherheitskräfte erhoben. Das Mubarak-Regime bediente sich immer wieder der durch den Ausnahmezustand legitimierten Militärgerichte, um politische Urteile durchzusetzen. Auch nach der Revolution wurden zahlreiche Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt (GIZ 12.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 1.7.2019
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003690/MDE1299162019ENGLISH.pdf Zugriff 1.7.2019
- AI - Amnesty International (23.5.2018): Amnesty International Report 2017/18 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Ägypten, https://www.amnestv.org/download/Documents/POL1067002018GERMAN.PDF Zugriff 2.7.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2018): GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH: Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegvpten/geschichte-staat/ Zugriff 2.7.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004258.html Zugriff 2.7.2019
1.3.4 Sicherheitsbehörden
Die primären Sicherheitskräfte des Innenministeriums sind die Polizei und die Zentralen Sicherheitskräfte. Die Polizei ist für die Strafverfolgung bundesweit verantwortlich. Die Zentralen Sicherheitskräfte sorgen für die Sicherheit der Infrastruktur und wichtigen in- und ausländischen Beamten. Zivile Behörden behielten die wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte bei (USDOS 13.3.2019).
Lang andauernde Haft ohne Anklage ist auf Veranlassung der Sicherheitsbehörden weit verbreitet. Urteile in politisch motivierten Verfahren basieren in der Regel nicht auf rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 22.2.2019). In den meisten Fällen hat die Regierung Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, die zu einem Umfeld der Straflosigkeit beitragen, nicht umfassend untersucht. Die Regierung verfügt nicht über wirksame Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch. Die offizielle Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 13.3.2019).
Militär und Sicherheitsbehörden nehmen im Staatsgefüge eine dominierende Position ein und verfügen über weitreichende Befugnisse und Einflussmöglichkeiten. Gerade auf dem Gebiet der begrifflich sehr weit verstandenen Terrorismusbekämpfung sind die Sicherheitsbehörden der Kontrolle durch die Justiz und andere Verfassungsorgane weitgehend entzogen. Polizei und Staatsschutz (National Security Services) sind formal getrennt, unterstehen jedoch gemeinsam dem Innenministerium (AA 22.2.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 1.7.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004258.html Zugriff 2.7.2019
1.3.5 NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Internationale und lokale Menschenrechtsorganisationen bestätigten, dass die Regierung weiterhin unkooperativ ist (USDOS 13.3.2019). NGOs bleiben weiterhin Belästigungen und Einschränkungen ausgesetzt und sehen sich in den letzten Jahren mit Massenschließungen und Schikanen in Form von Bürodurchsuchungen, Verhaftungen von Mitgliedern, langwierigen Rechtsfällen und Reisebeschränkungen konfrontiert (AI 26.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).
Ein neues sehr restriktives Gesetz über die Gründung und Kontrolle von NGOs wurde im Mai 2017 vom Präsidenten unterzeichnet (AI 23.5.2019; FH 4.2.2019). Dieses räumt den Behörden weitreichende Befugnisse ein, um NGOs die offizielle Registrierung zu verweigern, sie aufzulösen und ihre Verwaltungsräte zu entlassen. Das Gesetz sieht fünf Jahre Gefängnis vor, sollten die Organisationen Rechercheergebnisse ohne Genehmigung der Regierung veröffentlichen (AI 23.5.2019). Die Arbeit von NGOs und Vereinigungen wird soweit eingeschränkt, dass eine freie Zivilgesellschaft unmöglich gemacht wird. Verstöße gegen das Gesetz können mit drakonischen Haftstrafen geahndet werden. Viele prominente Menschenrechtsverteidiger sind wegen ihrer Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen (u. a. aus Protest gegen das Demonstrationsgesetz) in Haft (AA 22.2.2019). Die Bestimmungen sehen Strafen bis hin zur lebenslangen Freiheitsstrafe für die Beantragung oder Annahme ausländischer Mittel zur Untergrabung der Staatssicherheit vor (USDOS 13.3.2019). Ausländische Finanzierung („Foreign Funding“) von NGOs wird mit empfindlichen Geldstrafen belegt (AA 22.2.2019). Das Gesetz ermöglichte die Errichtung einer neuen Regulierungsbehörde, die von den Sicherheitsbehörden dominiert wird. Für jede Art von Forschung oder Umfrage vor Ort und jede Art von Zusammenarbeit mit ausländischen NGOs wird die Zustimmung der Regulierungsbehörde eingefordert. Gesetzesverstöße können zu Bußgeldern und bis zu fünf Jahren Gefängnis führen (FH 4.2.2019).
Für NGOs bleibt das Klima sehr repressiv (FH 4.2.2019). Zahlreiche Personen und Organisationen der Zivilgesellschaft sind weiterhin von Ermittlungsverfahren, Kontensperrungen, Ausreiseverboten, Einschüchterungen und unverhältnismäßig langer Untersuchungshaft betroffen. Zudem gibt es glaubhafte Berichte über zahlreiche Fälle erzwungenen Verschwindenlassens (AA 24.6.2019a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 9.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt (24.6.2019a): Ägypten - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/-/212652#content_1 Zugriff 9.7.2019
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003690/MDE1299162019ENGLISH.pdf Zugriff 9.7.2019
- AI - Amnesty International (23.5.2018): Amnesty International Report 2017/18 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Ägypten, https://www.amnesty.org/download/Documents/POL1067002018GERMAN.PDF Zugriff 9.7.2019
- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2006365.html. Zugriff 9.7.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004258.html Zugriff 9.7.2019
1.3.6 Allgemeine Menschenrechtslage
Die Lage der Menschenrechte ist besorgniserregend (AA 24.6.2019a). Die im Januar 2014 angenommene Verfassung enthält einen im Vergleich zu früheren Verfassungen erweiterten Grundrechtskatalog, der sowohl bürgerlich-politische wie auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Viele dieser Grundrechte stehen jedoch unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt. In der Praxis werden diese Rechte immer weiter eingeschränkt, vor allem bürgerlich-politische Rechte. Allerdings hat Ägypten den Kernbestand internationaler Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, so etwa den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die UN-Folterkonvention und die UN--Behindertenrechtskonvention, wie auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Erhebliche Vorbehalte zu diesen Instrumenten betreffen unter anderem Bestimmungen betreffend die Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund islamischen Rechts (Scharia-¬Vorbehalt) (AA 22.2.2018).
Obwohl Ägypten alle wichtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnete und Personen- und Freiheitsrechte in der Verfassung geschützt sind, wurde und wird das Land regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen stark kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie viele der über 30 ägyptischen Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen regelmäßig englisch- und arabischsprachige Berichte zur Menschenrechtslage in Ägypten, darunter die Egyptian Organization for Human Rights EOHR, das Nadim Zentrum für Gewaltopfer, die Egyptian Initiative for Personal Rights EIPR und das Budgetary and Human Rights Observatory (GIZ 12.2018).
Das Ausmaß der ägyptischen Menschenrechtskrise weitete sich aus, da die Behörden Gegner, Kritiker, Satiriker, aktuelle und ehemalige Menschenrechts- und Arbeitsrechtsaktivisten, Journalisten, Präsidentschaftskandidaten und Überlebende sexueller Belästigung verhafteten. Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Gegner zu inhaftieren, und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Mitarbeiter ein. Die Behörden wandten Einzelhaft, Folter und weitere Arten von Misshandlungen an und ließen Hunderte von Menschen ungestraft verschwinden. Untersuchungen von Fällen außergerichtlicher Hinrichtungen wurden unterlassen. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten Hunderte von Menschen zum Tode. Menschen wurden aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung verhaftet. Die Behörden hinderten Christen daran, ihren Glauben frei auszuüben, und verabsäumten es, die Verantwortlichen für sektiererische Gewalt zur Verantwortung zu ziehen. Die Streitkräfte setzten bei einer laufenden Militäroperation im Sinai verbotene Streubomben ein (AI 26.2.2019).
Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme waren der übermäßige Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte, Defizite in ordentlichen Gerichtsverfahren und die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten. Übermäßiger Einsatz von Gewalt umfasste rechtswidrige Tötungen und Folter. Zu den prozessbedingten Problemen gehörten die übermäßige Verwendung von präventiver Haft und Untersuchungshaft. Das Problemfeld bei den bürgerlichen Freiheiten beinhaltet gesellschaftliche und staatliche Beschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit, sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Andere Menschenrechtsprobleme beinhalteten das Verschwindenlassen, harte Gefängnisbedingungen, willkürliche Verhaftungen, eine Justiz, die in einigen Fällen zu Ergebnissen kam, die nicht durch öffentlich zugängliche Beweise gestützt wurden oder die politische Motivationen zu reflektieren schienen, Straflosigkeit für Sicherheitskräfte, Begrenzung der Religionsfreiheit, Korruption, Gewalt, Belästigung und gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen und Mädchen, einschließlich weiblicher Genitalverstümmelung, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Menschenhandel, gesellschaftliche Diskriminierung religiöser Minderheiten, Diskriminierung und Verhaftungen auf der Grundlage sexueller Orientierung (USDOS 13.3.2019).
Weiters gibt es glaubhafte Berichte über Folter und Misshandlungen auch mit Todesfolge in Haftanstalten der Staatssicherheit und Polizeistationen. Die Todesstrafe kommt unter Staatspräsident Al-Sisi wieder verstärkt zur Anwendung und wird seit Dezember 2017 auch vermehrt vollstreckt. Im Namen der Terrorismusbekämpfung und Sicherung der Stabilität geht die staatliche Repression mit erheblichen Verletzungen grundlegender Menschenrechte einher. (AA 24.6.2019a).
Quellen:
- AA - Auswärtig (24.6.2019a): Ägypten - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/-/212652 Zugriff 11.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 11.7.2019
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003690/MDE1299162019ENGLISH.pdf Zugriff 11.7.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2018): Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegypten/geschichte-staat/ , Zugriff 11.7.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004258.html Zugriff 11.7.2019
1.3.7 Meinungs- und Pressefreiheit
Die Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt (AA 22.2.2019). Im World Press Freedom Index 2019 belegt Ägypten Rang 163 von 180 (AA 24.6.2019a). Das Antiterrorismusgesetz von 2015 sieht für Journalisten empfindliche Geldstrafen für das Abweichen von der offiziellen Linie der Berichterstattung, etwa über Terroranschläge, vor (AA 22.2.2019). Die Verfassung sieht die Redefreiheit und die der Presse vor, beinhaltet aber eine Klausel, wonach diese in Kriegszeiten oder anlässlich einer öffentlichen Mobilisierung einer begrenzten Zensur unterworfen werden kann (USDOS 13.3.2.2019).
Kritische Stimmen finden in den Medien kaum Gehör - sei es in den direkt gesteuerten Staatsmedien oder in den privaten Medien, die durch Selbstzensur auf Regierungslinie berichten oder kommentieren. Nur einzelne Zeitungen und vor allem Onlineportale bieten kritischen Stimmen noch einen gewissen Raum. Auf diese Medien wird zunehmender Druck ausgeübt. Seit Mai 2017 sind über 400 Webseiten, darunter die von zahlreichen (Online-)Medien, wie u.a. Al Jazeera, MadaMasr, Daily News Egypt, ohne Angabe zu Urheber und Rechtsgrundlage gesperrt. Durch das neue Presse- und Cybercrime-Gesetz wurden neue Rechtsgrundlagen für die Sperrung von Webseiten und die Kontrolle klassischer und sozialer Medien geschaffen. Insbesondere im Fernsehen wird fast alles ausgeblendet, was die offizielle Sicht in Frage stellt. Das Anti--Terrorismusgesetz von 2015 stellt einen tiefen Einschnitt in die professionelle Arbeit von Journalisten in Ägypten dar. Es schränkt ihre Recherchemöglichkeiten erheblich ein und entzieht ihnen die freie Wahl ihrer Quellen. Journalisten wurden im Berichtszeitraum wiederholt an freier Berichterstattung gehindert und zahlreiche Journalisten befinden sich in Haft (AA 22.2.2019). Die Flut von Verhaftungen von Regierungskritikern vor den Präsidentschaftswahlen 2018 hat deutlich gemacht, dass die Äußerung von Dissens zu Verhaftungen und Inhaftierungen führen kann, was zu mehr Selbstzensur und vorsichtiger Diskussion in der Zivilgesellschaft geführt hat (FH 4.2.2019).
Laut Committee to Protect Journalists weist Ägypten die weltweit dritthöchste Zahl inhaftierter Journalisten (25) auf. Regelmäßig kommt es zur Verhaftung und Verurteilung von Journalisten, Bloggern und Autoren kritischer Beiträge in sozialen Medien wegen u.a. „Verbreitung falscher Nachrichten“. Im August/September 2018 in Kraft getretene neuen Presse- und Cybercrime-Gesetze vergrößern staatliche Kontroll- und Sanktionierungsmöglichkeiten weiter durch Verwendung vager Rechtsbegriffe, Drohung mit hohen Geldstrafen und Genehmigungsauflagen. Entgegen dem in der Verfassung verankerten Zensurverbot erhielt der Supreme Council for Media Regulation im März 2019 das Recht, Fernsehsendungen und Zeitungen zu verbieten, Webseiten zu blockieren, den Auftritt von Personen in Fernsehen und Radio zu verhindern und harte finanzielle Sanktionen zu verhängen. Unterstellung von SocialMedia-Accounts mit mehr als 5.000 Nutzern unter die Presseaufsicht und neue Sperrbefugnisse für Webseiten legalisieren die Sperrung von über 500 Webseiten seit Mai 2017 (AA 24.6.2019a).
Die Regierung regulierte die Lizenzierung von Zeitungen und kontrollierte den Druck und die Verteilung der Mehrheit der Zeitungen, darunter private Zeitungen und die der oppositionellen politischen Parteien. Die Verfassung schützt das Recht auf Privatsphäre, auch im Internet. Die Verfassung sieht die Vertraulichkeit und die "Unverletzlichkeit" der postalischen, telegraphischen und elektronischen Korrespondenz vor. Die Verfassung verbietet es der Regierung, Bürger, die alle Formen der Internetkommunikation nutzen wollen, "willkürlich" zu unterbrechen, zu trennen oder zu entziehen. Das Anti-Terror-Gesetz kriminalisiert die Nutzung des Internets, wenn durch die Verwendung terroristische Ideen, Überzeugungen, oder Handlungen gefördert werden. Das
Gesetz ermächtigt den Staatsanwalt und die Ermittler auch, die Online-Kommunikation zwischen Verdächtigen 30 Tage zu überwachen und aufzuzeichnen. Das vom Präsidenten im August 2018 ratifizierte Gesetz zur Cyberkriminalität befähigt die zuständige Untersuchungsbehörde die Blockade einer Website anzuordnen (USDOS 13.3.2.2019).
Die Verfassung von 2014 hat in Ägypten nur auf dem Papier mehr Presse- und Meinungsfreiheit gebracht. Regierung und Justiz gehen systematisch gegen Medien mit Verbindungen zur oder Sympathien für die Muslimbruderschaft vor. Militärprozesse gegen Journalisten sind unverändert möglich. Reporter müssen mit Gewalt von Sicherheitskräften und Demonstranten rechnen, häufig werden sie von aufgebrachten Menschenmengen bedrängt. Willkürliche Festnahmen und Folter sind an der Tagesordnung. Selbstzensur ist verbreitet. Viele Medien ergreifen offen Partei für Armee und Regierung, nur wenige ägyptische Journalisten wagen Kritik. Ägypten befindet sich laut Reporter ohne Grenzen betreffend Pressefreiheit auf Platz 163 von 180 Ländern (ROG 2019).
Quellen:
- AA - Auswärtig (24.6.2019a): Ägypten - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/-/212652 , Zugriff 11.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 11.7.2019
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003690/MDE1299162019ENGLISH.pdf , Zugriff 11.7.2019
- ROG - Reporter ohne Grenzen (2019): Ägypten, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/ägypten/. Zugriff 11.7.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004258.html Zugriff 11.7.2019
1.3.8 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Die Verfassung garantiert die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Die Versammlungsfreiheit setzt eine gesetzlich vorgeschriebene Anmeldung voraus. Die Vereinigungsfreiheit wurde durch Gesetz erheblich beschränkt (USDOS 13.3.2019). Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind stark eingeschränkt, was besonders im Vorlauf des Referendums zu den Verfassungsänderungen im April 2019 deutlich wurde. Zahlreiche Personen und Organisationen der Zivilgesellschaft sind weiterhin von Ermittlungsverfahren, Kontensperrungen, Ausreiseverboten, Einschüchterungen und unverhältnismäßig langer Untersuchungshaft betroffen. Zudem gibt es glaubhafte Berichte über zahlreiche Fälle erzwungenen Verschwindenlassens (AA 24.6.2019a).
Die in der Verfassung garantierte Versammlungsfreiheit wird durch das im November 2013 in Kraft getretene Demonstrationsgesetz weitgehend eingeschränkt. Seither müssen Demonstrationen im Vorfeld genehmigt werden. Zivilgesellschaftliche Akteure berichten von Problemen bereits bei der Antragsstellung und von Ablehnungen ohne Angaben von Gründen. In der Nähe von Militäreinrichtungen sind Versammlungen generell verboten. Bei Verstößen drohen lange Haftstrafen (AA 22.2.2019).
Das neue, repressive NGO-Gesetz Ägyptens, welches seit Mai 2017 in Kraft ist, verstößt gegen eine Reihe internationaler Verpflichtungen, insbesondere im Hinblick auf die Vereinigungsfreiheit (z.B. gemäß Art. 22 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte). Auf der Grundlage des verschärften Demonstrationsgesetzes haben die Sicherheitskräfte hart gegen öffentliche Protestveranstaltungen durchgegriffen. Viele prominente Menschenrechtsverteidiger sind wegen ihrer Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen (u. a. aus Protest gegen das Demonstrationsgesetz) in Haft (AA 22.2.2019).
Im Rahmen des aktuell andauernden Ausnahmezustands wird das Recht auf Versammlungsfreiheit noch weiter eingeschränkt. Die Zahl der Demonstrationen ist zuletzt stark zurückgegangen. Gegen die wenigen Proteste geht die Polizei weiterhin mit Härte häufig schon präventiv vor. Dabei kam es wiederholt zu Toten und Verletzten. Polizeigewalt gegen Demonstrationen bleibt in der Regel straffrei. Allerdings fallen auch spontane Versammlungen vor den Werkstoren unter das Demonstrationsrecht und müssen daher im Vorfeld genehmigt werden. Dies schränkt die Möglichkeiten der Arbeitnehmer ein, sich zu organisieren. Innerbetriebliche Auseinandersetzungen und die Zahl der Arbeitsniederlegungen haben zugenommen. Unverhältnismäßig hoch sind Strafandrohungen im Versammlungsrecht, insbesondere im Zusammenhang mit der Teilnahme an unangemeldeten Demonstrationen. In diesem Kontext wurden Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren verhängt (AA 22.2.2019).
Im Mai 2018 verhafteten die Sicherheitskräfte mindestens 35 Personen unter dem Vorwurf der "Teilnahme an unbefugten Protesten" und der "Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe" wegen Protestes gegen den Anstieg der Ticketpreise für die Metro in Kairo (AI 26.2.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (24.6.2019a): Ägypten - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/-/212652#content_1 Zugriff 16.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 16.7.2019
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003690/MDE1299162019ENGLISH.pdf Zugriff 16.7.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004258.html , Zugriff 16.7.2019
1.3.9 Opposition
Rechtlich gesehen ist die Bildung politischer Parteien erlaubt und diese dürfen auch operieren; In der Praxis gibt es keine politischen Parteien, die der herrschenden Partei Widerstand bietet. Die Bedingungen für Oppositionsparteien haben sich 2018 verschlechtert, insbesondere mit den Präsidentschaftswahlen. Viele zogen sich wegen des Drucks vonseiten der Regierung zurück, weitere prominente Oppositionskandidaten wurden verhaftet oder festgehalten. Verhaftungen, harte Haftstrafen, Todesurteile, außergerichtliche Gewalt und verschieden Formen von Druck auf Aktivisten, Parteien und politische Bewegungen, die die Regierung kritisieren, waren 2018 üblich (FH 4.2.2019).
Die Betätigungsmöglichkeiten der politischen Opposition sind sehr eingeschränkt. Die Regierung geht gegen die Opposition repressiv vor. In einem politischen Klima, in dem die gegenwärtige Politik unter Staatspräsident Al-Sisi als nationaler Überlebenskampf gegen Terrorismus und fremde Einflüsse stilisiert wird, steht oppositionelle Betätigung unter dem Generalverdacht der Staatsfeindlichkeit. Kritik am Präsidenten wird zunehmend strafrechtlich geahndet. Die oppositionelle Muslimbruderschaft, die im Volk nach wie vor über eine eigene Anhängerschaft verfügt, ist als Terrororganisation klassifiziert und verboten. Ein Großteil der Führungskader befindet sich in Haft oder im Exil. Auch liberale Aktivisten sind Ziel von Verfolgungsmaßnahmen und einem harten, oft willkürlichen Vorgehen seitens der Sicherheitsbehörden (AA 22 .2 2019).
Zyad Elelaimy, führendes Mitglied einer sozialdemokratischen Oppositionspartei, wurde am zusammen mit sieben weiteren Mitgliedern der Partei unter dem Vorwurf verhaftet, einen von den Muslimbrüdern finanzierten Plan zur Durchführung von Terrorakten vorangetrieben zu haben. Die Partei wies die Anschuldigungen als absurd zurück. Beobachter vermuten, dass die Partei und die Parteienkoalition, der sie angehört, an der Vorbereitung für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr gehindert werden sollen (BAMF 1.7.2019).
Die in Ägypten verbotene Muslimbruderschaft ist exilpolitisch aktiv und operiert vorwiegend von Büros in London und Istanbul aus. Von repressiven Maßnahmen gegen zurückgekehrte Aktivisten ist, angesichts der allgemeinen Repression gegen Angehörige der Organisation im Land, bei Führungskadern auszugehen. Prominente regimekritische Aktivisten müssen mit Ausreisesperren, Inhaftierung und Strafverfolgung rechnen. Vermutete politische Aktivitäten im Ausland können selbst bei nur kurzen Aufenthalten (z. B. zur Teilnahme an Seminaren) zu längeren Befragungen durch die Sicherheitsbehörden nach Rückkehr führen (AA 22.2.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 11.7.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (1.7.2019): Briefing Notes 1. Juli 2019, Zugriff 1.7.2019
- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2006365.html. Zugriff 11.7.2019
1.3.10 Bewegungsfreiheit
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Wiedereinbürgerung vor. Zudem darf laut Verfassung kein Bürger daran gehindert werden, das Staatsgebiet zu verlassen. Dennoch dürfen Männer, die den Wehrdienst nicht absolviert und keine Ausnahmegenehmigung erhalten haben, nicht ins Ausland reisen oder auswandern. Nationale Personalausweise belegen den Abschluss des Militärdienstes (USDOS 13.3.2019).
Die Behörden verlangten sporadisch von Bürgern im Alter von 18 bis 40 Jahren, eine Erlaubnis des Innenministeriums, um in bestimmte Länder zu reisen, um so den Beitritt zu terroristischen Gruppen zu erschweren und die Flucht von Kriminellen zu verhindern (USDOS 13.3.2019).
Die Regierung verhängte zunehmend Reiseverbote für Menschenrechtsverteidiger und politische Aktivisten, die wegen Straftaten angeklagt oder untersucht wurden. Weiters gibt es kein von der Regierung auferlegtes Exil, und die Verfassung verbietet der Regierung, Bürger auszuweisen oder Bürgern die Rückkehr ins Land zu verbieten. Einige Politiker leben freiwillig außerhalb des Landes, da sie von der Regierung mit Strafverfolgung bedroht wurden (USDOS 13.3.2019).
Quellen:
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004258.html Zugriff 9.7.2019
1.3.11 Meldewesen
Für ägyptische Staatsangehörige besteht keine zentrale Meldepflicht. Bei Forderungen gegen unbekannt verzogene ägyptische Staatsangehörige ist daher der Versuch einer Aufenthaltsermittlung nahezu aussichtslos (DBK 3.2014).
Quellen:
- DBK - Deutsche Botschaft Kairo (03.2014): Rechtsverfolgung in Ägypten in Zivil- und Handelssachen, http://www.kairo.diplo.de/contentblob/4044670/Daten/4042325/rk_merkblatt_rechtsverfolgung.pdf , Zugriff 9.7.2019
1.3.12 Grundversorgung
Subventionen zur Absicherung der Grundversorgung der ägyptischen Bevölkerung haben eine lange Tradition und zehren einen erheblichen Teil des Staatshaushaltes auf. Daran ändert auch das mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte Reformprogramm, das Kürzungen der staatlichen Subventionen für Elektrizität, Treibstoff, aber auch für Brotgetreide einschließt, nichts. So wurde z.B. nach Kürzung von Subventionen im Sommer 2017 und damit verbundenen Preissteigerungen die Zahl der Berechtigten für Lebensmittelkarten erhöht (bisher schon ca. 70 Mio. Personen) und auch der Umfang der über diese Karten zu beziehenden Güter nochmals ausgedehnt. Nicht-Ägypter haben nach hiesiger Kenntnis keinen Zugang zu diesem System (AA 22.2.2019). Im Rahmen des mit dem IWF verhandelten Reformprogramms versucht die Regierung, den notwendigen Strukturwandel in die Wege zu leiten. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 4,2 % und 2018 bei 5,3 %. Subventionen für Benzin, Diesel und Elektrizität werden von der Regierung sukzessive reduziert. Bis Juni 2021 ist eine vollständige Eliminierung aller Energiesubventionen vorgesehen (AA 24.6.2019c).
Ein weiteres Instrument der sozialen Sicherung liegt im Mietrecht begründet. Für einen Großteil von Mietverträgen, die in den 1950er und 1960er Jahren geschlossen wurden und seitdem innerhalb der Großfamilie weitergegeben wurden, gilt noch eine Mietpreisbindung, die im Altbestand zu teilweise grotesk niedrigen Mieten führt. Für neue Verträge seit ca. 1990 gelten ohnehin die Gesetze des Marktes. Im Rahmen der Erschließung von Wüstenregionen wird ein gewisser Prozentsatz an Land und Wohnungen an arme Bevölkerungsteile verlost (AA 22.2.2019).
Im Rahmen von zwei Sozialhilfeprogrammen KARAMA und TAKAFUL werden zudem verstärkte Schritte für eine gezielte Unterstützung der Ärmsten vorgenommen. Das Karama Projekt sieht monatliche Geldleistungen im Umfang von 40-80 USD an die Ärmsten der Armen sowie an ältere Menschen und Behinderte vor. Das konditionierte Takaful Projekt zielt auf die finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern ab, vorausgesetzt diese besuchen regelmäßig eine Schule (AA 22.2.2019).
Darüber hinaus existiert ein zwar in seiner Leistungsfähigkeit beschränktes, aber funktionierendes Sozialversicherungssystem, welches Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Unfallversicherungselemente enthält und von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bezahlt wird. Die größten Probleme ergeben sich hier aus relativ geringen tatsächlichen Auszahlungen und der Nichterfassung der großen Anzahl an Personen ohne formelle Erwerbsaktivitäten (informeller Sektor) bzw. solche die arbeitslos sind. Einen erheblichen Beitrag zur sozialen Sicherung leisten karitative Einrichtungen, vornehmlich auf religiöser Basis und finanziert aus Spenden und wohltätigen Stiftungen (AA 22.2.2019).
Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind hier nicht bekannt. Subventionsabbau droht - trotz langsam sinkender Inflation und sozialen Gegenmaßnahmen der Regierung die wirtschaftliche Situation vor allem der armen Segmente der Gesellschaft weiter zu verschlechtern. Bisher hat sich der latent in der Bevölkerung vorhandene Unmut nur punktuell manifestiert. Viel wird davon abhängen, wie schnell eine wirtschaftliche Erholung auch diese Schichten erfasst. Daneben zeichnet sich ab, dass Militär und auch Sicherheitsdienste in sozialen Bereichen, beispielsweise in der Verteilung von Lebensmitteln, einspringen und staatliche Aufgaben verstärkt substituieren (AA 22.2.2019).
Ägypten ist das nach Südafrika am stärksten industrialisierte Land Afrikas. Die Landwirtschaft spielt eine erhebliche Rolle. Der große informelle Sektor (v.a. Dienstleistungen; Schätzungen gehen von 30-40 % des BIP aus) nimmt zudem einen Großteil der Arbeitskräfte auf. Bei einem Netto-Bevölkerungswachstum von jährlich rund 2,5 Millionen Menschen ist die Arbeitslosigkeit und insbesondere Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch (offiziell wird die Jugendarbeitslosigkeit mit 28 % angegeben, Schätzungen gehen von höheren Zahlen aus). Ägypten hat ein großes Interesse an ausländischen Direktinvestitionen und fördert diese gezielt. Zahlreiche Handelshemmnisse und Bürokratie schrecken potenzielle Investoren jedoch ab. Staatliche Unternehmen sowie das ägyptische Militär spielen im Wirtschaftsleben eine starke Rolle. Jeder dritte Ägypter ist in der Landwirtschaft beschäftigt. Die landwirtschaftliche Nutzfläche erstreckt sich vor allem entlang des Nils sowie im Nildelta, macht aber nur rund 4 % der Gesamtfläche des Landes aus (AA 24.6.2019c).
Der Dienstleistungssektor absorbiert einen erheblichen Teil der Erwerbstätigen und erwirtschaftet große Teile des Bruttoinlandsproduktes. Einen maßgeblichen Beitrag leistet hierbei der Tourismusbereich (AA 24.6.2019c). Der Dienstleistungssektor ist der größte Wirtschaftssektor (GIZ 9.2018c). Er bietet rund 50 % der ägyptischen Arbeitskräfte eine Beschäftigung und trägt mit rund 49 % etwa die Hälfte zum BIP bei (GIZ 9.2018c). Ein schwer zu erfassender und vermutlich erheblicher Teil des Dienstleistungsbereichs arbeitet informell (AA 24.6.2019c).
Nach einer Studie der staatlichen Statistikbehörde CAPMAS gibt eine ägyptische Durchschnittsfamilie rund 40 % ihres Einkommens nur für Nahrungsmittel aus, Familien aus ärmeren Schichten bis zu 63 %. Die Einkommensverteilung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten immer stärker zuungunsten der unteren Einkommensschichten entwickelt. Die meisten Ägypter verdienen jedoch wesentlich weniger als die Durchschnittslöhne und nur 60 % aller Lohnabhängigen haben überhaupt geregeltes Einkommen. Die dramatischen Preiserhöhungen für Grundlebensmittel in den letzten Jahren verschärften den Kaufkraftverlust und trafen vor allem die unteren Einkommensschichten, die nach Angaben von CAPMAS mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben (GIZ 9.2018).
Die staatlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung werden heute weithin als unzulänglich kritisiert. Sie bestehen im Wesentlichen aus nicht zielgruppenorientierten Subventionen für Grundnahrungsmittel und Energie, extrem niedrigen Sozialhilfe- und Pensionszahlungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen sowie Kredit-, und Entwicklungsprogrammen des Sozialfonds für Entwicklung (SfD), die jedoch weit hinter dem Bedarf zurückbleiben (GIZ 9.2018).
Die Armutsquote (2016/17) ist auf 27 % gestiegen (die höchste seit 2000). Über 10 Millionen Menschen in Ägypten haben weniger als 1 $ am Tag zur Verfügung. Rund 12,5 % der Bevölkerung sind arbeitslos und ca. 17 % der Familien werden von Frauenarbeit (im informellen Sektor) unterstützt (GIZ 9.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (24.6.2019c): Ägypten: Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/wirtschaft-/212624 , Zugriff 9.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 9.7.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (9.2018): Ägypten - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/aegypten/wirtschaft-entwicklung/ Zugriff 9.7.2019
1.3.13 Medizinische Versorgung
In Kairo ist eine ausreichende Versorgung gewährleistet. Die medizinische Versorgung außerhalb Kairos hat sich in den letzten Jahren zwar deutlich verbessert, dennoch entspricht sie nach wie vor oft nicht westeuropäischem Standard (AA 9.7.2019). Es kommt zu gravierenden Qualitätsmängel in der staatlichen Versorgung - mangelnde Hygiene oder vernachlässigte Wartung von Geräten ebenso wie unterbezahltes Personal (GIZ 2.2018).
Das grundlegend funktionierende Sozialversicherungssystem mit Elementen der Kranken- und Unfallversicherung ist eingeschränkt leistungsfähig. Eine minimale kostenlose Grundversorgung ist gegeben. Notfälle werden behandelt; die Grundversorgung chronischer Krankheiten ist minimal und oft nur mit Zuzahlungen gegeben (AA 22.2.2019). Der Großteil der ägyptischen Bevölkerung ist über den Staat versichert. Problematisch ist, dass diese Versicherung an Ausbildung oder Arbeitsplatz gekoppelt ist, und Arbeitslose oder Arme daher ausschließt (GIZ 2.2018).
Aktuell soll ein neuer Gesetzesentwurf das Problem angehen und eine adäquate Krankenversicherung schrittweise auf alle Bevölkerungsgruppen ausdehnen (GIZ 2.2018). Ein Gesetz über umfassende Gesundheitsvorsorge wurde im Herbst 2017 verabschiedet, aber dessen Finanzierung ist noch nicht abschließend geregelt. Es gibt im Großraum Kairo über 100 staatliche Krankenhäuser, u. a. die Uni-Kliniken Kasr El Aini und Ain Shams. Die Versorgung mit Medikamenten im örtlichen Markt ist ausreichend. Importe werden staatlich kontrolliert (AA 22.2.2019).
Im September 2017 kam es zum ersten Ausbruch von Dengue-Fieber am Roten Meer (Alquaseer) seit mehreren Jahren. Inzwischen wurden auch Fälle aus Hurghada gemeldet (AA 9.7.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.7.2019): Ägypten: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/ aegyptensicherheit/212622#content 5, Zugriff 9.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598 1551702084 auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asvl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf. Zugriff 9.7.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2018): Liportal, Ägypten - Gesellschaft, https://www.liportal.de/aegypten/gesellschaft/ , Zugriff 9.7.2019
1.3.14 Rückkehr
Es gibt keine gesonderten Aufnahmeeinrichtungen. Zur Situation von Rückkehrern liegen keine Erkenntnisse vor. Staatliche Maßnahmen als Reaktion auf Asylanträge im Ausland sind nicht bekannt. Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind nicht bekannt (AA 22.2.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 9.7.2019
1.3.15 Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Die Verfassung verpflichtet den Staat die Gleichheit von Männern und Frauen zu gewährleisten (AA 22.2.2019; vgl USDOS 13.3.2019), da Frauen in der ägyptischen Gesellschaft in einigen Bereichen schlechter gestellt sind als ihre männlichen Mitbürger (AA 24.6.2019a) und nicht die gleichen gesetzlichen Rechte und Chancen haben wie Männer (USDOS 13.3.2019). Gesetze und traditionelle Praktiken beeinträchtigten Frauen im Familien-, Sozial- und Wirtschaftsleben weiterhin. Frauen sehen sich auch weiterhin einer weit verbreiteten gesellschaftlichen Diskriminierung, Bedrohungen ihrer körperlichen Sicherheit und Vorurteilen am Arbeitsplatz ausgesetzt, die ihren sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt behinderten (USDOS 13.3.2019). Frauen werden auch durch Einzelvorschriften des ägyptischen Rechts diskriminiert. Insbesondere im Familienrecht kommt es zu einer systematischen Ungleichheit und auch im islamischen Erbrecht sind diskriminierende Regelungen vorhanden. Gesellschaftlich ist ein konservatives Rollenbild vorherrschend. Im öffentlichen Leben sind Frauen präsent, aber deutlich unterrepräsentiert. Bei der Beurteilung der Stellung der Frauen in der Gesellschaft ist nach der sozialen Stellung zu differenzieren. So sind die selbstbewusst und in angesehenen beruflichen Positionen oder öffentlichen Ämtern auftretenden Frauen in aller Regel Angehörige der Oberschicht (AA 22.2.2019). Sexuelle Belästigung und häusliche Gewalt gehören weithin zur gesellschaftlichen Realität und werden oft nicht strafrechtlich verfolgt. Auch die gesetzlich verbotene Praxis der Genitalverstümmelung wird, trotz verschärfter Strafen, weiterhin von weiten Teilen der Bevölkerung und unabhängig von der Religionszugehörigkeit praktiziert (AA 24.6.2019a).
Sexuelle Belästigung bleibt weit verbreitet und bleibt ein ernstes Problem (AI 26.2.2019; vgl. AA 22.2.2019; USDOS 13.3.2019). Die Behörden unternahmen begrenzt Schritte, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (AI 26.2.2019; vgl. AA 22.2.2019). Die Regierung hat die Bemühungen zur Bekämpfung der sexuellen Belästigung priorisiert (USDOS 13.3.2019). Laut einer Studie von UN Women von 2013 waren 99,3 % der befragten ägyptischen Frauen sexuellen Belästigungen und/oder Übergriffen ausgesetzt, insbesondere im familiären Umfeld. Strafvorschriften zur sexuellen Gewalt sind unzureichend und diskriminierend gegenüber Frauen und erschweren die juristische Aufarbeitung. Es besteht kein effektiver staatlicher Schutz vor sexueller Gewalt; selbst wenn es zu Verurteilungen kommt, bleiben Opfer oft lebenslänglich sozial stigmatisiert. Dem Problem der verbreiteten sexuellen Gewalt wird vorherrschend durch Wegsehen und Verschweigen begegnet. NGOs, die sich für die Rechte von Frauen und Gewaltopfern einsetzen, bemängeln das Fehlen einer Strategie der Regierung, sich dem Problem von Gewalt und Diskriminierung anzunehmen (AA 22.2.2019). Die Regierung hat es verabsäumt, Frauen und Mädchen angemessen vor sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen und sie in einigen Fällen sogar bestraft, weil sie sich zu diesem Thema geäußert haben. Andere Frauenrechtsgruppen und Frauenrechtsaktivistinnen stehen weiterhin vor Gericht wegen ihres Frauenrechtsaktivismus (HRW 17.1.2019). Der Prozess der offiziellen Meldung sexueller Belästigung blieb für weibliche Überlebende äußerst anstrengend. Staatliche Institutionen, einschließlich Staatsanwälte und Polizeistationen, haben es verabsäumt, die Privatsphäre der Überlebenden zu respektieren; ein Mangel, der in der Vergangenheit zu Repressalien gegen Überlebende geführt hat. In einem seltenen Fall, im September 2018, verurteilte ein Gericht einen Mann zu zwei Jahren Gefängnis, weil er zwei Frauen sexuell belästigt hatte. Die Behörden haben jedoch auch zwei Frauen verfolgt, die sich gegen sexuelle Belästigung gewehrt haben (AI 26.2.2019).
Genitalverstümmelung ist ein ernstes Problem und ein weit verbreitetes Phänomen, auch wenn die Praxis seit 2008 illegal und rechtlich verboten ist (AA 22.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die Höchststrafe liegt bei 15 Jahren Haft (AA 22.2.2019). Einem Bericht von UNICEF aus dem Jahr 2016 zufolge befindet sich Ägypten unter den Ländern mit der höchsten FGM-Rate. Eine Umfrage der Regierung von 2015 schätzt, dass 87 % der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren betroffen sind, im Vergleich zu 91 % im Jahr 2008. Die Anzahl der beschnittenen Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren ist von 74 % auf 61 % gesunken. FGM wird angewandt, um die Reinheit der Frau und Ehre der Familie zu bewahren. Familien aus bestimmten sozialen Schichten berichten, dass Töchter ohne FGM kaum Aussichten haben, einen Ehemann zu finden. Die Praxis ist in allen sozialen Schichten und Religionen verbreitet, besonders in den ländlichen Gegenden Oberägyptens. Im Durchschnitt wird der Eingriff im Alter von zehn Jahren durchgeführt. Im Feber 2018 haben sich 12 zivilgesellschaftliche Organisationen zur Task Force gegen FGM zusammengeschlossen (AA 22.2.2019). Im Mai 2018 gab die Task Force zur Bekämpfung von Genitalverstümmelung eine Erklärung heraus, in der sie die äußerst laschen Bemühungen zur Förderung der nationalen Strategie gegen Genitalverstümmelung (2016-2020) und den unzureichenden Schutz von Leben und Gesundheit von Mädchen verurteilte (HRW 17.1.2019).
Das Gesetz verbietet Vergewaltigung. Diese wird mit einer Freiheitsstrafe von 15 bis 25 Jahren bestraft. Das Gesetz wird jedoch nicht effektiv umgesetzt. Vergewaltigung in der Ehe ist nicht strafbar. Häusliche Gewalt bleibt weiterhin ein Problem. Das Gesetz verbietet nicht häusliche Gewalt oder Missbrauch durch den Ehegatten. Mehrere NGOs boten Beratung, Rechtshilfe und andere Dienstleistungen für Frauen an, die Opfer von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt waren. Das Ministerium für soziale Solidarität unterstützte neun Frauenhäuser (USDOS 13.3.2019).
Keine Gesetze beschränkten die Teilnahme von Frauen und Angehörigen von Minderheiten am politischen Prozess. Sowohl Frauen als auch Minderheiten nahmen an diesem teil. Frauen führten vier Kabinettsministerien. Jedoch gehörten keine Frauen zu den ernannten Gouverneuren der 27 Regierungsbezirke (USDOS 13.3.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (24.6.2019a): Ägypten - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/-/212652 , Zugriff 9.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asvl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf Zugriff 9.7.2019
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003690/MDE1299162019ENGLISH.pdf Zugriff 9.7.2019
- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Egypt. https://www.ecoi.net/de/ dokument/2002200.html, Zugriff 9.7.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Egypt. https://www.ecoi.net/de/dokument/2004258.html Zugriff 9.7.2019
Kinder
Artikel 80 der Verfassung garantiert umfassende Rechte für Kinder. wie z.B. das Recht auf Gesundheit. Bildung. Familie und Unterkunft. Laut einer Die Ägyptische Demographische und Gesundheitliche Umfrage hat 2014 Daten zu Kinderarbeit nach einem von UNICEF entwickelten Modul erhoben. Danach sind 7 % der Kinder zwischen sieben und 15 Jahren (ca. 1.6 Millionen) Opfer von Kinderarbeit. 2015 hat Ägypten einige Mechanismen eingeführt. um das Vorgehen der Regierung gegen Kinderarbeit besser zu koordinieren. Dazu gehört das „Nationale Koordinierungskomitee zur Bekämpfung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit“. Verschiedene staatliche Institutionen implementieren Hilfsprogramme in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen. Arbeitsminister Mohammad Saafan hat im Juni 2017 verkündet. dass im Vorjahr 23.316 Kinder durch staatliche Razzien aus der Kinderarbeit gerettet wurden (AA 22.2.2019).
Auch die Zahl der Straßenkinder ist hoch und nach offiziellen Angaben in den vergangenen Jahren stark angestiegen; Schätzungen gehen von bis zu einer Millionen Kindern aus (AA 22.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Straßenkinder leben in einem Zustand der völligen Schutzlosigkeit. Sie sind häufig Opfer von Ausbeutung. körperlicher Gewalt und sexuellen Übergriffen (AA 22.2.2019). Das Ministerium bot Straßenkindern Unterkünfte an (USDOS 13.3.2019).
Der Bildungssektor stellt eine der größten Herausforderungen für Ägypten dar: Trotz gestiegener Investitionen ist die Infrastruktur an Bildungseinrichtungen noch lückenhaft (GIZ 2.2018). Bildung. bzw. der Besuch der Grundschule ist verpflichtend und kostenlos (AA 22.2.2019; vgl. GIZ 2.2018; USDOS 13.3.2019). Jedoch ist die Qualität der Schulbildung nicht ausreichend, um eine ausreichende Grundbildung zu gewährleisten (AA 22.2.2019; vgl. GIZ 2.2018). Die bestehende Schulpflicht wird jedoch vielfach nicht durchgesetzt (AA 22.2.2019).
Die Verfassung schreibt vor, dass die Regierung Kinder vor allen Formen von Gewalt, Missbrauch, Misshandlung sowie kommerzieller und sexueller Ausbeutung schützt. Behörden registrieren jeden Monat Hunderte von Fällen von angeblichem Kindesmissbrauch. Es gibt keine spezielle Regierungsinstitution die sich mit Kindesmissbrauch beschäftigt (USDOS 13.3.2019).
Das gesetzliche Alter zur Eheschließung ist 18 Jahre. Laut UNICEF heirateten 17 % der Mädchen vor dem 18. Lebensjahr, und 2 % der Mädchen waren bereits mit 15 Jahren verheiratet. Weiters sieht das Gesetz Freiheitsstrafen von mindestens fünf Jahren und Geldstrafen von bis zu 200.000 LE (11.150 $) wegen Verurteilung der kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie vor. Die Regierung setzt das Gesetz nicht ausreichend durch (USDOS 13.3.2019).
Es gibt keine Jugendstrafanstalten, die den besonderen Bedürfnissen Minderjähriger entsprechen. Immer wieder werden Minderjährige im Zuge von politischen Prozessen inhaftiert (AA 22.2.2019). Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass Kinder in der Inhaftierung misshandelt wurden, einschließlich Folter, Teilen von Zellen mit Erwachsenen, Verweigerung ihres Rechts auf Beratung und Unterlassung der Behörden ihre Familien zu benachrichtigen. Das Gesetz sieht Freiheitsstrafen bis fünf Jahre und Geldstrafen für kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie vor. Die Regierung konnte das Gesetz nicht ausreichend durchsetzen (USDOS 13.3.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598 1551702084 auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf. Zugriff 9.7.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2018): Ägypten - Gesellschaft, https://www.liportal.de/aegypten/gesellschaft/ , Zugriff 9.7.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004258.html Zugriff 9.7.2019
Geschiedene Frauen
Nach ägyptischem Recht sind Frauen unter bestimmten Umständen für die Zeit nach der Scheidung, maximal für die Dauer eines Jahres, zum Erhalt von finanziellem Unterhalt berechtigt (iddah). Die Höhe hängt von der finanziellen Situation des Ehemanns ab.
Nach einer Scheidung bleibt der Vater für die finanzielle Unterstützung seiner Kinder verantwortlich, wenn die Kinder kein eigenes Vermögen haben. Hat die Mutter das Sorgerecht, so ist der Vater verpflichtet, eine Unterkunft sowohl für die Mutter, als auch für seine Kinder bereitzustellen. Dies kann entweder die Ehewohnung, oder aber eine gemietete Unterkunft sein. Außerdem muss er für die sonstigen Lebenserhaltungskosten seiner Kinder aufkommen.
Mit Art. 71 des Gesetzes No. 1/2000 wurde ein Familienversicherungsfonds eingerichtet, der von der Nasser Social Bank verwaltet wird. Dieser Fonds hat den Zweck, gerichtlich zugesprochene, fällige Unterhaltsansprüche von Ehemännern/Vätern deren Exfrauen/Kindern auszubezahlen, und diese Unterhaltszahlungen von den Ehemännern einzutreiben.
Jedoch kommt es mitunter zu Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Unterhaltssprüche und es fehlt in solchen Fällen bislang an einer funktionierenden Lösung für das Problem der Nichtzahlung von Unterhaltsleistungen.
Männer sind de facto die Hausherren und verantwortlich, für den Unterhalt ihrer Kinder zu sorgen. (Gesetz Nr. 100, 1985, Art. 18b). Gleichzeitig sind Frauen gesetzlich verpflichtet, ihren Ehemännern zu gehorchen (Gesetz Nr. 100, 1985, Art. 11b). In Fällen, in denen eine Frau dieser Pflicht nicht nachkommt und das eheliche Zuhause verlässt, hat der Mann die Möglichkeit, eine „Gehorsamsbeschwerde“ (ta’a) einzureichen, was zu einem Verlust des Unterhaltsanspruches der Frau führen kann. (Gesetz Nr. 100, 1985, Art. 11b, Farah, 2009: 139, OECD 7.12.2018).
Das ägyptische Personenstandsgesetz soll zwar die Rechte von Ehefrauen nach der Scheidung von ihren Ehemännern schützen, doch Kritiker bemängeln, das Gesetz habe zu viele Schlupflöcher, die von Ex-Ehemännern ausgenützt werden könnten. (World Economic Forum with News Deeply 6 Oct. 2017)
Quelle:
- IRB – Immigration and Refugee Board of Canada: Egypt: Situation and treatment of single women and women who head their own households, including availability of support services and ability to access housing and employment, including in Cairo and Alexandria (2017-September 2019) [EGY106353.E], 17 September 2019 https://www.ecoi.net/en/document/2017556.html , Zugriff 24.9.2020
Menschen mit Behinderungen
In den Artikeln 53, 81, 180 und 244 der ägyptischen Verfassung sind Bestimmungen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, zur Beseitigung jeglicher Form von Diskriminierung und zur Gewährleistung ihrer angemessenen Vertretung verankert.
Seit 2015 hat die ägyptische Regierung eine Reihe von Maßnahmen unternommen, um die Integration von Menschen mit Behinderungen zu fördern, etwa: die Förderung der Barrierefreiheit von öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen, die Verbilligung der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, die Einrichtung einer Hotline für die Betreuung und den Schutz von Kindern mit Behinderungen, oder die Vergabe von fünf Prozent der Sozialwohnungen an Menschen mit Behinderungen, wobei das Erdgeschoss für Menschen mit motorischen Einschränkungen bestimmt ist.
Um das Recht auf Arbeit zu fördern, sieht das Gesetz über den öffentlichen Dienst vor, dass fünf Prozent der Stellen im öffentlichen Dienst an Menschen mit Behinderungen vergeben werden, die eine Stunde weniger pro Tag arbeiten müssen und Anspruch auf zusätzlichen bezahlten Urlaub haben. Seit der Verabschiedung des Gesetzes wurden 40.000 Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Dienst und 10.000 im privaten Sektor angestellt.
Auch bemühte sich die Regierung um die Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten, wobei seit 2015 unter anderem die folgenden Maßnahmen getroffen wurden:
- Im Bildungsministerium wurde eine Abteilung für Sonderpädagogik eröffnet und in den Sonderschulen 440 Klassen eingerichtet, in denen 12.943 Lehrer ausgebildet werden. In diesen Schulen werden Bildung und Schuluniformen kostenlos zur Verfügung gestellt. In einigen Schulen werden die Schülerinnen und Schüler auch kostenlos untergebracht und versorgt.
- Insgesamt 472 Schulen wurden für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen zur Sicherstellung der Barrierefreiheit angepasst.
- Es wurden Richtlinien für Prüfungsarbeiten von Schülern mit besonderen Bedürfnissen festgelegt. Gleichzeitig wurden Schritte unternommen, um die Einbindung von Kindern mit Behinderungen in den allgemeinen und technischen Unterricht zu regeln.
Im gleichen Zeitraum wurde unter Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen eine Gesundheitsstrategie für Menschen mit Behinderungen entwickelt, um Gesundheitsprogramme zu einem angemessenen Preis anbieten zu können. Dazu gehörte unter anderem die Entwicklung von 108 Physiotherapiezentren in öffentlichen Kliniken und Krankenhäusern, die sich mit Fällen von Lähmungen befassen.
Um Menschen mit Behinderungen zur sportlichen Betätigung zu ermutigen, wurde eine Reihe von barrierefreien Jugendclubs gegründet.
Quelle:
- UN General Assembly, Human Rights Council – National report submitted in accordance with paragraph 5 of the annex to Human Rights Council resolution 16/12 – Egypt, A/HRC/WG.6/34/EG Y/1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2017471/A_HRC_WG.6_34_ –EGY_1_E.pdf, Zugriff 24.09.2020
2. Beweiswürdigung
2.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Da die Beschwerdeführer den österreichischen Behörden identitätsbezeugenden Dokumente vorgelegt haben, stehen ihre Identitäten fest.
Die Feststellungen zu Familienstand, Konfession, Volksgruppenzugehörigkeit und zu ihrer in Ägypten erfolgten Hauptsozialisierung ergeben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin vor der belangten Behörde, bestätigt in der mündlichen Verhandlung. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer aufkommen hat lassen.
Die vorliegenden familiären Anknüpfungspunkte in ihrem Herkunftsstaat sind durch die Angaben der Erstbeschwerdeführerin vor der belangten Behörde und vor dem Bundesverwaltungsgericht belegt. Dabei brachte sie auch vor, dass der Kontakt zu ihrer Familie noch aufrecht ist. Dass der Vater der Erstbeschwerdeführerin zumindest monatlich 2.248 ägyptische Pfund erhält, wurde der Bestätigung vom 28.09.2020 entnommen, wobei dort nicht angeführt ist, ob diese Pension öfter als monatlich ausbezahlt wird. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer konnte dies auch nicht mit Sicherheit angeben.
Die Feststellung zum Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich seit Mai 2018 ergibt sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit einer eingeholten zmr-Abfrage und ihren eigenen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Dass die Erstbeschwerdeführerin gesund und erwerbsfähig ist, basiert ebenso auf ihren Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung wie die Feststellungen zu ihrem Leben in Ägypten und ihrem Leben in Österreich. Die Feststellung zu ihrer Ausbildung und zu der im Juni 2019 erfolgten Scheidung von ihrem Ehemann ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen. Die Feststellung zur beruflichen Tätigkeit ihres Exmannes basiert aus den eigenen Angaben der Erstbeschwerdeführerin und den dazu vorgelegten Unterlagen. Die Feststellung zu den Integrationsbemühungen der Erstbeschwerdeführerin ergibt sich aus dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Ihre Deutschkenntnisse sind durch das vorgelegte ÖSD Zertifikat A1 belegt, ihr ehrenamtliches Engagement und die Tätigkeit als Remunerantin durch Bestätigungen des Vereins Ute Bock sowie der Caritas.
Dass der Zweitbeschwerdeführer gesund ist, in Ägypten die Schule besucht hat und in Österreich eine neue Mittelschule besucht, Deutschkenntnisse erworben und Freundschaften geschlossen hat, basiert auf den Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung und den vorgelegten Schulbesuchsbestätigungen.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Drittbeschwerdeführers wurden den vorgelegten ärztlichen Befunden, insbesondere dem Ambulanzbrief vom 25.09.2020 sowie der Ambulanzkarte vom 01.08.2018 und der Verordnung bezüglich der ICP Schuhe und der Unterschenkel-Nachtlagerungsorthese entnommen. Zusätzlich machte die Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung geltend, dass der Drittbeschwerdeführer aufgrund seiner Erkrankung unter Angstzuständen und Einschlafstörungen leide. Allerdings wurden dahingehend keine ärztlichen Bestätigungen vorgelegt, sodass keine entscheidungsrelevante Gravität der Erkrankung erkennbar ist.
Gemäß COVID-19-Risikogruppen-Verordnung bestehen keine medizinischen Indikationen für die Zuordnung des Drittbeschwerdeführers zur COVID-19-Risikogruppe und wurde dazu auch nichts Substantiiertes vorgebracht.
Aus den Länderfeststellungen zu Ägypten in Zusammenschau mit den Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin ergibt sich, dass die spastische Diplegie des Beschwerdeführers auch in Ägypten behandelbar ist. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung bestätigte die Erstbeschwerdeführerin, dass der Drittbeschwerdeführer auch in Ägypten Behandlungen mit Botox und ICP-Schuhe erhalten hat. In ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 04.07.2018 hatte sie zudem erklärt, mit der medizinischen Betreuung in Ägypten zufrieden gewesen zu sein. Zu dem in der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2020 vorgelegten „Medical Report“ ist auszuführen, dass dieser schlecht lesbar ist und die Beschwerdeführerin nicht in der Lage war, dazu nähere Angaben zu tätigen. Laut Angaben der Beschwerdeführerin handle es sich um eine Bestätigung eines Krankenhauses, dass ein Medikament nicht verfügbar ist. Angeführt ist in diesem Schreiben, dass „Botulinum Toxin“ für mehrere Injektionen bis zum Alter von 21 Jahre vom Patienten benötigt und dieses derzeit hier nicht verfügbar ist. Auf diesem Schreiben ist ein unleserlicher Stempel angebracht.
Dabei handelt es sich aber offensichtlich nicht um die Klinik „ XXXX “, in welcher der Drittbeschwerdeführer zuletzt in Behandlung stand und laut vorgelegter Unterlagen Injektionen bekam. Dies ergibt ein Vergleich der vorgelegten Unterlagen, zumal das Logo der XXXX keinerlei Ähnlichkeiten mit dem Stempel des vorgelegten Dokumentes aufweist.
Weiters wurde am 29.09.2020 eine Bestätigung des Gesundheitsamtes vom 27.09.2020 nachgereicht. Darin ist festgehalten, dass die Ampullen „Botulinum Toxin Type A“ in den staatlichen Krankenhäusern nicht zur Verfügung stehen und der Preis pro Ampulle 2.300 ägyptische Pfund kosten wird.
Insoweit kann jedenfalls geschlossen werden, dass der Drittbeschwerdeführer weiterhin in der „ XXXX “ seine Behandlungen mit Botox fortsetzen wird können. Dies wurde auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung am 30.09.2020 auch nicht bestritten.
Außerdem wurde festgestellt, dass der Vater des Drittbeschwerdeführers für die Behandlung weiter aufkommen wird können. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass er auch die Behandlungen vor der Ausreise fianziert hat. Wenn die Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung angibt, dass er dies bei einer Rückkehr nicht übernehmen wird, so wird diesem Vorbringen kein Glauben geschenkt. So hat die Erstbeschwerdeführerin selbst angegeben, dass ihr Exehemann mit seinen Kindern noch in Kontakt steht. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, warum er für seinen Sohn bei seiner Rückkehr nicht die notwendige Behandlung weiter übernehmen sollte. Darüberhinaus ist entgegen dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin der Exehemann für das Aufkommen des Unterhalts der Kinder verpflichtet (siehe dazu 1.3.15 1.3.15 Relevante Bevölkerungsgruppen- geschiedene Frauen) .
Dass auch in Ägypten Physiotherapien angeboten werden, wurde von der Erstbeschwerdeführerin nicht bestritten und wird auch durch die Länderfeststellungen belegt (siehe dazu die Ausführungen in 1.3.15 Relevante Bevölkerungsgruppen - Menschen mit Behinderung).
Die Feststellungen zum Schulbesuch des Drittbeschwerdeführers in Ägypten, zum Volksschulbesuch in Österreich, sowie zum Erwerb von Deutschkenntnissen und Freundschaften ergeben sich aus den vorgelegten Schulbesuchsbestätigungen und den Angaben der Erstbeschwerdeführerin. Aus dem vorgelegten Bescheid der Bildungsdirektion XXXX vom 25.03.2019 geht hervor, dass beim Beschwerdeführer ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht.
Die Feststellung zum Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung ergibt sich aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin sowie aus den am 22.09.2020 abgefragten Speicherauszügen aus dem Betreuungsinformationssystem des Bundes.
Die Unbescholtenheit der Erstbeschwerdeführerin ergibt sich aus Einsichtnahme in das Österreichische Strafregister vom 22.09.2020, die Strafunmündigkeit der Zweit- bis Drittbeschwerdeführer aus ihrem Alter unter 14 Jahren.
Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer über keine Familienangehörigen in Österreich oder der EU verfügen, basiert auf den Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung. Zwar hat die Beschwerdeführerin in ihren vorherigen Einvernahmen angegeben, einen Cousin in Österreich zu haben, dieser habe sie auch nach Österreich eingeladen, im Rahmen der mündlichen Verhandlung führte sie dann aus, dass dieser nicht mit ihr verwandt sei, sondern ein Freund der Familie sei.
2.2. Zu den Fluchtmotiven der Beschwerdeführer:
Das erkennende Gericht hat anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation der Beschwerdeführer und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten - z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Im gegenständlichen Fall war das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin, wonach ihre Familie in Ägypten von der Muslimbruderschaft bedroht werde, nicht glaubhaft. Dies aus folgenden Erwägungen:
Zunächst ist der belangten Behörde beizupflichten, wenn Sie in den Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der polizeilichen Erstbefragung vom 17.05.2018 und ihrer niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA vom 04.07.2018 Widersprüche erkennt. So machte sie in ihrer polizeilichen Erstbefragung geltend, ursprünglich mit ihren Kindern nach Österreich gekommen zu sein, um einen Cousin zu besuchen. Sie habe nicht geplant, zu bleiben. Am Tag ihres geplanten Rückfluges habe ihr Mann ihr mitgeteilt, dass er von der Moslembruderschaft bedroht werde und sie auf keinen Fall zurückkommen sollen, da ihr Leben und das Leben der Kinder in Gefahr sei. Dazu in Widerspruch machte sie bei der niederschriftlichen Einvernahme am 04.07.2018 gegenüber dem BFA geltend, dass es ihr wichtig gewesen sei, nach Österreich zu kommen, weil sie Angst um sich und ihr Leben gehabt habe. In Ägypten habe es jeden Tag Explosionen und Bedrohungen gegeben, jeden Tag haben sie dort in Angst gelebt. Im Rahmen derselben Einvernahme gibt sie - neuerlich in Widerspruch zu ihren übrigen Angaben -an, in Ägypten überhaupt keine Probleme gehabt zu haben.
Die Angaben der Erstbeschwerdeführerin zu der behaupteten Bedrohung durch die Moslembruderschaft waren außerdem sehr vage und allgemein gehalten und in sich widersprüchlich. Den genauen Grund für die Bedrohung konnte die Erstbeschwerdeführerin nicht nennen. Nicht nachvollziehbar ist insbesondere, dass sie vor der belangten Behörde erst angab, nicht zu wissen, ob die behaupteten Bedrohungen gezielt gegen ihren Mann oder ganz allgemein gegen die Polizei gerichtet waren, jedoch kurz darauf erklärte, der Name ihres Mannes stehe auf einer Liste, was wiederum eine persönlich gegen ihren Mann gerichtete Bedrohung impliziert. Die Liste befinde sich beim ägyptischen Geheimdienst und könne deshalb nicht vorgelegt werden. Ein weiterer Widerspruch ist, dass ihr Mann sie erst in Österreich gewarnt habe, dass sie nicht zurückkommen solle, obwohl er gleichzeitig angeblich schon zum Zeitpunkt seiner Versetzung nach XXXX von der Bedrohung erfahren habe, die laut den Erzählungen der Erstbeschwerdeführerin bereits im Jahr 2013 erfolgt war.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden der Erstbeschwerdeführerin diese Widersprüche vorgehalten und konnte sie diese nicht aufklären.
Aufgrund der eklatanten und gehäuften Widersprüche ist es der Erstbeschwerdeführerin daher nicht gelungen, die behauptete Bedrohung durch die Moslembruderschaft glaubhaft darzulegen.
Bei dem erstmals in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Vorbringen, wonach der Drittbeschwerdeführer in Ägypten aufgrund seiner Behinderung diskriminiert werde, handelt es sich um ein gesteigertes Fluchtvorbringen. Diesbezüglich ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).
Davon abgesehen, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, einen Fluchtgrund im Sinne der GFK darzulegen, siehe dazu näher die Ausführungen in Punkt 3.2.
2.3. Zu den Länderfeststellungen
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Ägypten samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.
Zusätzlich wurde den Feststellungen zur Lage in Ägypten ein Auszug aus dem gemäß Abs. 5 des Anhangs zur Resolution 16/21 des UN-Menschenrechtsrats übermittelten Staatenbericht Ägyptens vom 21.08.2019 betreffend die Rechte von Menschen mit Behinderung zugrunde gelegt.
Ergänzend wurde auch der Inhalt einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage alleinstehender Frauen und zur Behandlung von Frauen, die ihren eigenen Haushalt führen, berücksichtigt.
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen im angefochtenen Bescheid um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Der wesentliche Inhalt der Länderberichte und die ergänzenden Dokumente wurden den Beschwerdeführern übermittelt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlungen geboten. Sie traten den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert entgegen, auch die in der Verhandlung vorgelegten Unterlagen stehen dazu nicht im Widerspruch, weshalb die obgenannten Länderfeststellungen der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden konnten.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zur anzuwendenden Rechtslage:
Die maßgeblichen Bestimmungen des § 3 Abs. 1, 3, § 8 Abs. 1 Ziffer 1 sowie Abs. 2 und 3, § 10 Abs. 1 Ziffer 3, sowie die §§34 Abs. 1 und Abs. 4 und 57 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005, in der derzeit geltenden Fassung lauten:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) …
Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. … ,wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
(3a) …
Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme
§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. …
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. …
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
(2) …
Familienverfahren im Inland
§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von
1.einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3.einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
…
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
…
Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) … “.
Die maßgeblichen Bestimmungen des § 50, § 52 Abs. 2 Ziffer 2 und Abs. 9, sowie § 55 Abs. 1 bis 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der derzeit geltenden Fassung lauten: „Verbot der Abschiebung
§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Rückkehrentscheidung
§ 52. (1) …
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. …
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ...
und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) …
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) …
Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.“.
Zu Spruchpunkt A)
3.2. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide):
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abs. A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (Vergleiche auch die Verfolgungsdefinition im § 2 Abs. 1 Ziffer 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates verweist).
Im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279).
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).
Wie im Sachverhalt samt Beweiswürdigung unter Punkt 2.2. bereits dargelegt, vermochten die Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keine wohlbegründete Furcht vor einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen. Insbesondere wurde das Vorbringen, dass den Beschwerdeführer Verfolgung von der Muslimbruderschaft drohe, als unglaubwürdig gewertet. Ebenso waren die Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin hinsichtlich der Diskriminierung des Drittbeschwerdeführers nicht geeignet, eine andere rechtliche Beurteilung zu erwirken.
Selbst wenn man den Angaben der Erstbeschwerdeführerin Glauben schenkt, wonach der Drittbeschwerdeführer in der Schule wegen seiner Behinderung gehänselt wurde und deshalb weinend nach Hause kam, so ist damit keine Verfolgung im Sine der GFK dargelegt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als "Verfolgung" iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie)). Solch eine schwerwiegende Verletzung hat die Erstbeschwerdeführerin nicht einmal ansatzweise behauptet. Auch aus den zu Ägypten getroffenen Länderfeststellungen kann dies nicht abgeleitet werden. Vielmehr ist darin festgehalten, dass in den letzten Jahren zahlreiche Bemühungen zur Inklusion und Unterstützung von Menschen mit Behinderung getroffen wurden, die Barrierefreiheit vorangetrieben wird und es auch in Ägypten kostenlose Sonderschulen und zahlreiche Physiotherapiezentren gibt, die sich mit Fällen von Lähmungen befassen.
Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl nicht gegeben sind, war die Beschwerde gemäß Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.
3.3. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide):
Auch dafür, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr nach Ägypten die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Artikel 3 EMRK überschritten wäre (zur „Schwelle“ des Artikel 3 EMRK vergleiche VwGH vom 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt.
Die Erstbeschwerdeführerin ist volljährig und arbeitsfähig und verfügt mit ihrem Universitätsabschluss als Buchhalterin über eine überdurchschnittliche Ausbildung. In Ägypten leben nach wie vor ihre Eltern und drei Geschwister, zu denen regelmäßiger Kontakt besteht, sowie ihr Exmann. Zwar ist die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Exmann und dem Vater der Zweit- und Drittbeschwerdeführer geschieden, doch ist dieser der Zweit- und Drittbeschwerdeführer gegenüber weiterhin unterhaltspflichtig und er wäre verpflichtet den Beschwerdeführern eine Unterkunft zu stellen (siehe dazu die näheren Ausführungen zur Situation in Ägypten unter 1.3.15 Relevante Bevölkerungsgruppen- geschiedene Frauen).
Die Beschwerdeführer können daher bei einer Rückkehr nach wie vor auf die Unterstützung ihrer Familie bauen und ist ihr Lebensunterhalt somit gesichert.
Außerdem besteht ganz allgemein in Ägypten derzeit keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Artikel 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Artikel 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.
Akute und schwerwiegende Erkrankungen, welche in Ägypten nicht behandelbar wären und im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat allenfalls zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK führen könnten, liegen im gegenständlichen Fall nicht vor.
Wie im Sachverhalt dargelegt, wurde die spastische Diplegie des Drittbeschwerdeführers bereits in Ägypten diagnostiziert und behandelt.
Dazu ist anzumerken, dass laut den unbestritten gebliebenen Länderfeststellungen Ägypten eine vergleichsweise gute medizinische Versorgung bietet (vgl. dazu insbesondere die Feststellung zur medizinischen Versorgung in 1.3.13. der Feststellungen). Dass einer der Beschwerdeführer regelmäßig Medikamente oder Behandlungen benötigt, welche in Ägypten nicht verfügbar wären, ergibt sich weder aufgrund der vorgelegten Unterlagen, noch wurde substantiiert dargelegt, welche konkrete Behandlungsmöglichkeit in Ägypten nicht verfügbar wäre.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis U 48/08 vom 07.11.2008 zu verweisen, wonach im Allgemeinen ein Fremder kein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt (vgl. Fall Ndangoya). Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Derartige außergewöhnliche Umstände können jedoch im gegenständlichen Fall ausgeschlossen werden.
Weiters ist davon auszugehen, dass der Vater des Drittbeschwerdeführers auch weiter für die medizinische Behandlung seines Sohnes aufkommen wird, zumal er aufgrund seines regelmäßigen Einkommens als Polizist dazu finanziell in der Vergangenheit in der Lage war und er auch nach der Scheidung von der Erstbeschwerdeführerin noch in Kontakt mit seinen Kindern steht. Darüberhinaus besteht auch die Verpflichtung des Exehmanns für die sonstigen Lebenserhaltungskosten seiner Kinder aufzukommen (siehe Feststellungen unter 1.3.15 Relevante Bevölkerungsgruppen- geschiedene Frauen).
Aufgrund der zuvor genannten Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage geraten, sodass auch der erstinstanzliche Ausspruch in Spruchteil II. des angefochtenen Bescheides zu bestätigen war.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.
3.4. Zur Rückkehrentscheidung:
3.4.1. Zur Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide):
In Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide sprach die belangte Behörde aus, dass den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz nicht erteilt werde.
Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Asylgesetz 2005 wurde von den Beschwerdeführern nicht behauptet und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keinerlei Hinweise, die nahe legen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.
Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Asylgesetz nicht gegeben sind, waren die Beschwerden gegen Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.
3.4.2. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkte IV. und V. der angefochtenen Bescheide):
Da die Asylverfahren negativ abgeschlossen wurden, hat sich die belangte Behörde zutreffend auf § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG 2005 gestützt.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).
Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie – wie es hier bei den Beschwerdeführern der Fall ist - betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR in Cruz Varas).
Die Beschwerdeführer sind im Mai 2018 legal mit einem Touristenvisum mit zehntägiger Gültigkeitsdauer in das Bundesgebiet eingereist. Seit dem 17.05.2018 beruhte ihr bisheriges Aufenthaltsrecht auf dem letztlich unbegründeten Asylantrag.
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Unter Berücksichtigung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479 zu einem dreijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet oder auch Erkenntnis vom 15.12.2015, Ra 2015/19/0247 zu einem zweijährigem Aufenthalt in Verbindung mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet war), des Verfassungsgerichtshofes (29.11.2007, B 1958/07-9, wonach im Fall eines sich seit zwei Jahren im Bundesgebiet aufhältigen Berufungswerbers die Behandlung der Beschwerde wegen Verletzung des Art. 8 EMRK abgelehnt wurde; ebenso 26.04.2010, U 493/10-5 im Falle eines fünfjährigen Aufenthaltes) und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (siehe etwa EGMR, 08.04.2008, Nnyanzi v. UK, 21878/06) muss angesichts der kurzen Dauer des Inlandsaufenthaltes der Beschwerdeführer davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes der Beschwerdeführers das Interesse an der Achtung ihres Privatlebens überwiegt.
Der Aufenthalt der Beschwerdeführer beruhte zudem auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb diese während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durften, dass sie sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen können.
Hinweise, dass die Beschwerdeführer in Österreich einen maßgeblichen Grad an Integration erlangt hätten, der ihren persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde, liegen nicht vor.
Die Erstbeschwerdeführerin hat ein ÖSD Deutsch Zertifikat A1 absolviert und besucht derzeit einen Deutschkurs auf dem Niveau A2. Sie pflegt in Österreich mehrere freundschaftliche Kontakte, war als Remunerantin für die Caritas XXXX tätig und geht seit August 2020 einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Ausmaß von 10 Wochenstunden nach. Ansonsten ging sie im Bundesgebiet keiner weiteren Tätigkeit nach und lebt von Leistungen aus der Grundversorgung.
Die Bemühungen der Erstbeschwerdeführerin sind für sich alleine noch nicht dazu geeignet, eine Integration von derartiger Intensität zu begründen, die eine Rückkehrentscheidung unzulässig machen würde. Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer sind für eine eigene integrative Verfestigung noch zu jung.
Auch führen im vorliegenden Fall weder die Dauer der Asylverfahren noch sonstige Umstände dazu, dass den in Österreich entstandenen Bindungen der Beschwerdeführer ein so weitgehender Verlust derjenigen zu ihrem Herkunftsstaat gegenübersteht, dass die Ausweisung unverhältnismäßig wäre.
Dementgegen kann auch nach wie vor von einem Bestehen von Bindungen der Beschwerdeführer zu ihrem Heimatstaat Ägypten ausgegangen werden, zumal die Beschwerdeführer dort den Großteil ihres Lebens verbracht haben und dort hauptsozialisiert wurden, sie nach wie vor die Muttersprache sprechen und durchaus mit den regionalen Sitten und Gebräuchen der ägyptischen Kultur vertraut sind. Außerdem haben sie regelmäßig Kontakt mit ihrer Familie in Ägypten.
Insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des VwGH vom 24.09.2019, Ra 2019/20/0274, ist bezüglich der beiden minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer gesondert zu prüfen, inwiefern deren Kindeswohl einer Rückkehrentscheidung entgegensteht. Nach dieser Rechtsprechung sind gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG 2014 bei einer Rückkehrentscheidung, von welcher Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG 2014 dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, mwN zur diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR).
In der Rechtsprechung wurde für Kinder im Alter von sieben und elf Jahren eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit angenommen (VwGH vom 19.09.2012, 2012/22/0143 bis 0146). Weiter hat der VwGH ausgesprochen, dass wenn der Fremde erst im Alter von zirka zehn Jahren das Heimatland verlassen hat und demnach die grundsätzliche Sozialisierung bereits im Heimatland erfahren hat, dies eine Wiedereingliederung ermöglicht.
Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer wurden in Ägypten geboren. Zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Ägypten war der Zweitbeschwerdeführer zehn Jahre und der Drittbeschwerdeführer acht Jahre alt und besuchten vor ihrer Ausreise in Ägypten die Schule. Derzeit besuchen sie in Österreichisch die Schule und haben altersadäquate freundschaftliche Kontakte. Eine tiefgreifende und prägende Sozialisierung oder Integration ist in Österreich altersgemäß nicht gegeben. Ihre Hauptbezugsperson ist ihre Mutter. In der Familie wird Arabisch gesprochen. Von einer vollkommenen kulturellen Entwurzelung kann somit nicht ausgegangen werden, zumal sie in einem ägyptisch geprägten Haushalt aufgewachsen und ihr Vater und weitere Familienmitglieder nach wie vor in Ägypten leben. Nachdem ihr Leben aufgrund ihres Alters durch ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer Familie geprägt ist, ist ihre Anpassungsfähigkeit jedenfalls zu bejahen. Auch haben die Zweit- und Drittbeschwerdeführer dies bereits durch ihre schnelle Eingewöhnung in das österreichische Schulsystem bewiesen. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb ihnen ein neuerlicher Umstieg in das Schulsystem ihres Heimatlandes nicht gelingen sollte.
In einer Gesamtabwägung der vorangegangenen Ausführungen steht das Kindeswohl einer Rückkehrentscheidung somit nicht entgegen.
Bezüglich eine Rückkehrentscheidung sind aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119; 30.06.2016, Ra 2016/21/0076).
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind gesund, eine adäquate Behandlung der gesundheitlichen Beschwerden des Drittbeschwerdeführers ist - wie unter Punkt 1.1. festgestellt - auch in Ägypten möglich, ebenso ist in Ägypten sonderpädagogische Unterstützung verfügbar (siehe Punkt 1.3.15. Relevante Bevölkerungsgruppen -Menschen mit Behinderungen).
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die Beschwerdeführer erfolgreich auf ihr Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die seinen Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch seine Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.12.2003, 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass „eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.“).
Den persönlichen Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich steht somit das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gegenüber; diesen gewichtigen öffentlichen Interessen kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.01.2006, 2006/18/0001, und vom 09.09.2014, 2013/22/0246).
Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen kann ein Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführer jedenfalls als im Sinne des Artikels 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Erstbeschwerdeführerin vermag ihre persönlichen Interessen ebensowenig entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).
Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten der Beschwerdeführer und zugunsten des öffentlichen Interesses an ihrer Außerlandesschaffung aus.
Betreffend die mit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellenden Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG den Herkunftsstaat, ist auszuführen, dass keine Gründe vorliegen, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.
Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidungen über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 – 0062). Die in den angefochtenen Bescheiden getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Ägypten erfolgte daher zu Recht.
Die Beschwerden erweisen sich daher insoweit als unbegründet, dass sie auch hinsichtlich der Spruchpunkte IV. und V. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.
3.5. Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte VI. der angefochtenen Bescheide):
Gemäß § 55 Abs. 2FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Diesbezüglich ergeben sich aus dem Akt keine solchen besonderen Umstände und wurden solche in der Beschwerde auch nicht vorgebracht, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkte VI. der angefochtenen Bescheide ebenfalls gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen waren.
Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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