VwGH 2013/22/0320

VwGH2013/22/032018.3.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl, sowie die Hofräte Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Maga. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 13. Februar 2013, Zl. UVS-FRG/63/6204/2012-15, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art13 Abs2 lita;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
EURallg;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art13 Abs2 lita;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
EURallg;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen kolumbianischen Staatsangehörigen, gemäß § 63 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde dazu vor allem auf im angefochtenen Bescheid näher dargestellte strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers vom Oktober 2010 und vom Oktober 2011 ab. Weiters führte sie aus, dass der am 9. September 1994 geborene Beschwerdeführer erstmals am 6. April 2003 mit einem gültigen Visum in das Bundesgebiet eingereist sei, wo ihm im Hinblick auf die am 11. Jänner 2002 geschlossene Ehe seiner Mutter mit einem spanischen und deutschen Doppelstaatsangehörigen eine Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittstaatsangehöriger" erteilt und in der Folge verlängert worden sei. Nach Scheidung der Ehe seiner Mutter am 3. Mai 2007 sei dem Beschwerdeführer am 16. April 2009 eine "Niederlassungsbewilligung unbeschränkt" und anschließend am 17. April 2010 der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EG" erteilt worden. Der Beschwerdeführer absolviere eine Ausbildung als Koch und lebe mit seiner Mutter und seinen beiden Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Bedingt durch seinen langen Aufenthalt habe er im Bundesgebiet viele Freunde; eine feste Partnerschaft bestehe nicht. In Kolumbien lebe die Großmutter des Beschwerdeführers.

Rechtlich kam die belangte Behörde zusammengefasst zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer infolge Scheidung der Ehe seiner Mutter nicht (mehr) begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG und auch nicht Familienangehöriger nach § 2 Abs. 4 Z 12 FPG sei. Zwar habe das Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers durch die Ehescheidung seiner Mutter, die mehr als fünf Jahre mit einem EU-Bürger verheiratet gewesen sei, nach Art. 13 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) unter den dort genannten Voraussetzungen nicht verlustig gehen können. Daraus ergebe sich jedoch nicht, dass der Beschwerdeführer auch weiterhin Familienangehöriger im Sinn des Art. 2 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie bzw. begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des in dessen Umsetzung ergangenen § 2 Abs. 4 Z 11 FPG sei. Die Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbots sei daher am Maßstab des § 63 FPG zu prüfen gewesen, den die belangte Behörde mit näherer Begründung als erfüllt ansah.

Des Weiteren verneinte die belangte Behörde eine Aufenthaltsverfestigung nach § 64 FPG und hielt auch aufgrund der gemäß § 61 FPG gebotenen Abwägung der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers gegen die entgegenstehenden öffentlichen Interessen eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht für angezeigt. Abschließend wurde die Dauer des Aufenthaltsverbots damit begründet, dass der Beschwerdeführer die Straftaten als Jugendlicher begangen und sich seit der Begehung der letzten Straftat über einen Zeitraum von nunmehr fast drei Jahren wohlverhalten habe. Er bemühe sich auch um den Aufbau einer beruflichen Existenz, sodass davon ausgegangen werden könne, dass die Gründe für die Verhängung des Aufenthaltsverbots nach Ablauf von drei Jahren weggefallen seien würden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 12. Juni 2013, B 418/2013-7, ablehnte und sie über weiteren Antrag des Beschwerdeführers dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die nach Aufforderung ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Nach § 8 Verwaltungsgerichtsbarkeit-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) hat der Verwaltungsgerichtshof in einem Verfahren, in dem der Verfassungsgerichtshof bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 eine Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat, die Bestimmungen des B-VG und des VwGG jeweils in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Februar 2013) geltende Fassung, BGBl. I Nr. 50/2012.

Der Beschwerdeführer wendet sich der Sache nach gegen die Prognosebeurteilung durch die belangte Behörde und den dafür herangezogenen Gefährdungsmaßstab. Er bringt dazu vor, dass seine Mutter auf Grund ihrer Ehe mit einem im Bundesgebiet niedergelassenen Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht auf Grundlage der Freizügigkeitsrichtlinie habe, das sie auch durch die Scheidung nicht verloren habe. Auch ihm stehe daher weiterhin ein auf der Freizügigkeitsrichtlinie beruhendes Aufenthaltsrecht zu. Dort aber, wo die Freizügigkeitsrichtlinie ein Aufenthaltsrecht gewähre, sei dieses untrennbar mit dem durch die Richtlinie zugestandenen Ausweisungsschutz verbunden. Der angefochtene Bescheid sei daher schon deshalb rechtswidrig, weil dieser statt auf § 67 FPG bloß auf § 63 FPG gestützt werde.

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.

Zutreffend erkannte die belangte Behörde noch, dass die Scheidung der Ehe der Mutter des Beschwerdeführers von einem Unionsbürger, der von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, im vorliegenden Fall gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. a Freizügigkeitsrichtlinie nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts des Beschwerdeführers führte. Dabei handelt es sich jedoch um ein nach Unionsrecht erworbenes, also unionsrechtliches Aufenthaltsrecht, das die betreffenden Familienangehörigen gemäß Art. 13 Abs. 2 letzter Satz Freizügigkeitsrichtlinie ausschließlich auf persönlicher Grundlage behalten (vgl. das Erkenntnis vom 9. November 2010, Zl. 2007/21/0558). Dem Beschwerdeführer kam somit nach Art. 13 Abs. 2 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie weiterhin ein - national bloß zu beurkundendes (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom 9. November 2010 sowie grundlegend das Erkenntnis vom 19. März 2009, Zl. 2009/18/0024) - unionsrechtlich begründetes Recht auf Aufenthalt zu. Dass dem Beschwerdeführer zuletzt ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EG" erteilt worden war, ändert an diesem Umstand nichts. Bei richtlinienkonformer Auslegung ist der Beschwerdeführer somit weiterhin als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG anzusehen, gegen den ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen des in § 67 FPG festgelegten Gefährdungsmaßstabs zulässig ist.

Da die belangte Behörde dies verkannte und das erlassene Aufenthaltsverbot deshalb lediglich am Gefährdungsmaßstab des § 63 FPG anstatt am Maßstab der Bestimmung des § 67 Abs. 1 FPG prüfte, die - ebenso wie die Vorgängerbestimmung des § 86 Abs. 1 FPG idF vor dem FrÄG 2011 - der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben der Freizügigkeitsrichtlinie dient (vgl. das Erkenntnis vom 12. März 2013, Zl. 2012/18/0228), belastete sie ihre Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Im fortzusetzenden Verfahren wird sich die belangte Behörde zur Beurteilung des heranzuziehenden Gefährdungsmaßstabs im abgestuften System der Gefährdungsprognosen des FPG (vgl. das Erkenntnis vom 13. Dezember 2012, Zl. 2012/21/0181, sowie das bereits angeführte Erkenntnis vom 12. März 2013, und das Erkenntnis vom 10. Oktober 2013, Zl. 2013/18/0040) zudem damit zu befassen haben, ob der Beschwerdeführer nach Art. 18 der Freizügigkeitsrichtlinie bereits ein Recht auf Daueraufenthalt erworben hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 18. März 2014

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