VwGH 2013/18/0040

VwGH2013/18/004010.10.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der A R in W, vertreten durch Mag. Timo Gerersdorfer, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Ettenreichgasse 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 14. September 2010, Zl. UVS-FRG/56/11519/2009-16, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art16 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art28 Abs2;
EURallg;
FrPolG 2005 §66 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art16 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art28 Abs2;
EURallg;
FrPolG 2005 §66 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 14. September 2010 erließ der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) gegen die Beschwerdeführerin, eine ungarische Staatsangehörige, gemäß § 86 Abs. 1 FPG ein auf sechs Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Diese Maßnahme gründet sich auf die mit Ende 2004/Anfang 2005 beginnende Begehung von Delikten nach dem Suchtmittelgesetz, wofür die Beschwerdeführerin auch strafgerichtlich verurteilt wurde. Nach der Begründung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid hält sich die Beschwerdeführerin seit 6. Mai 1996 ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 19. September 2011, B 1537/10-12, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die nach Aufforderung ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die belangte Behörde erachtete im vorliegenden Fall den Gefährdungsmaßstab nach den ersten beiden Sätzen des § 86 Abs. 1 (in der damals geltenden Fassung vor dem FrÄG 2011) für maßgeblich. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (u.a.) gegen gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Für Ausweisungen von EWR-Bürgern, die bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, normierte § 86 Abs. 2 FPG (in der genannten Fassung), dass deren Erlassung nur "unter den Voraussetzungen des § 56" zulässig sei. Bei dieser durch das FrÄG 2009 eingefügten Bestimmung handelt es sich nach den Gesetzesmaterialien (RV 330 BlgNR 24. GP 33) lediglich um eine Klarstellung im Hinblick auf die bestehende Praxis; sie diene weiters der Umsetzung von Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu den Nachfolgeregelungen der genannten Bestimmungen - § 67 Abs. 1 FPG und § 66 Abs. 1 FPG (idF des FrÄG 2011) - im Erkenntnis vom 13. Dezember 2012, Zl. 2012/21/0181, festgehalten, im Anwendungsbereich der Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten) sei es geboten, dass nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der im Art. 28 Abs. 2 vorgesehene Maßstab heranzuziehen ist, wenn der Fremde nach dieser Richtlinie das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat (vgl. im Anschluss an dieses Erkenntnis auch jenes vom 12. März 2013, Zl. 2012/18/0228). Diese Überlegungen gelten sinngemäß auch für die hier maßgebliche Rechtslage vor dem FrÄG 2011.

Nach der genannten Richtlinienbestimmung darf eine Ausweisung nur "aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" verfügt werden. Dieser Gefährdungsmaßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen des FPG über dem von der belangten Behörde für maßgeblich erachteten Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 86 Abs. 1 FPG (siehe auch dazu die beiden schon genannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes).

Nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erwirbt ein Unionsbürger das Recht auf Daueraufenthalt im Hoheitsgebiet eines Aufnahmemitgliedstaates, wenn er sich dort rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen aufgehalten hat. Diese Voraussetzung wird von der Beschwerdeführerin erfüllt. Gegenteiliges lässt sich den Feststellungen der belangten Behörde nicht entnehmen. Daher hätte gegen die Beschwerdeführerin als ungarische Staatsangehörige mit Daueraufenthaltsrecht in Österreich nur bei Vorliegen von Gründen im Sinne des Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie ein Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfen.

Das wurde von der belangten Behörde nicht beachtet. Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Für die Erlassung des Ersatzbescheides wird angemerkt, dass dabei auch auf § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG im Hinblick auf dessen (im Verhältnis zu § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG) mit dem FrÄG 2011 geänderte Fassung Bedacht zu nehmen sein wird. Auf die Ausführungen in der Beschwerde zur letztgenannten Bestimmung kommt es vorliegend nicht an.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 10. Oktober 2013

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