VwGH 2012/08/0012

VwGH2012/08/001213.11.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde der J W in E, vertreten durch Dr. Herbert Grass, Rechtsanwalt in 8530 Deutschlandsberg, Hauptplatz 42/I, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 21. September 2011, Zl. LGS600/SfA/0566/2011-Fa/S, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §36 Abs2;
NotstandshilfeV §2 Abs2;
AlVG 1977 §36 Abs2;
NotstandshilfeV §2 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 13. Juli 2011 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice D (im Folgenden: AMS) aus, dass der Antrag der Beschwerdeführerin vom 21. Juni 2011 auf Zuerkennung der Notstandshilfe (als Pensionsvorschuss) gemäß § 33 AlVG iVm § 2 Notstandshilfeverordnung mangels Notlage abgewiesen werde.

Mit Bescheid vom 18. Juli 2011 sprach das AMS aus, dass der Bezug der Notstandshilfe für die Zeit vom 8. April 2009 bis zum 31. Oktober 2010 gemäß § 38 iVm § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und die unberechtigt empfangene Notstandshilfe in Höhe von EUR 7.951,13 gemäß § 38 iVm § 25 Abs. 1 AlVG widerrufen werde, weil die Beschwerdeführerin die Lebensgemeinschaft mit G. P. nicht angegeben habe.

Den gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid keine Folge gegeben.

Am 21. Juni 2011 habe die Beschwerdeführerin in ihrem Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe als Pensionsvorschuss erstmals angegeben, dass in ihrem Haushalt ihr Lebensgefährte, G. P., wohne. Bei ihrer Befragung zur Lebensgemeinschaft habe sie am 5. Juli 2011 niederschriftlich bekannt gegeben, dass G. P. seit 25. Juli 2008 bei ihr wohne. Er arbeite in ihrer Landwirtschaft und dürfe dafür bei ihr wohnen. Er kaufe seine Lebensmittel selbst ein und habe sein eigenes Zimmer. Die Wäsche werde gemeinsam gewaschen. Er beteilige sich an den Betriebskosten. Es gebe einen gemeinsamen Hauseingang. Küche und Bad würden gemeinsam benützt. Die Beschwerdeführerin habe G. P. nur einziehen lassen, weil er eine Wohnung gebraucht habe und er die Beschwerdeführerin bei der Arbeit (Landwirtschaft und Holzarbeiten) unterstütze.

In ihren Berufungen habe die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass G. P. "in Untermiete als Pfleger" bei ihr wohne. Sie habe ihn bei einer Kursmaßnahme des AMS kennen gelernt. Sie sei seit 2004 ständig krank. G. P. habe sich im Jahr 2004 bereit erklärt, ihr in ihrer misslichen Situation zu helfen und sie zu pflegen. Sie verdanke G. P. ihr Leben, weil sie ohne ihn und seine pflegerische Betreuung seit 2004 alleine nicht hätte überleben können. Er habe von 2004 bis 2008 im Winter geheizt, er habe gewaschen, für sie gekocht, geputzt und ihr Überleben gesichert. Aus diesem Grund habe sie ihm unentgeltlich ein Schlafzimmer in ihrem Wohnhaus überlassen. Sie sei froh, dass G. P. bei ihr eingezogen sei. Es handle sich nicht um eine Lebensgemeinschaft. Sie würden lediglich gemeinsam den Vorraum, die Toilette und das Bad benützen. G. P. habe sein eigenes Schlafzimmer. Die Küche würde nur sehr eingeschränkt gemeinsam genützt. Jeder habe seinen eigenen Kühlschrank. Sie würden nie die gleichen Speisen essen. Sie koche nicht für G. P. Er kaufe seine eigenen Lebensmittel und bereite diese für sich zu. Die Beschwerdeführerin esse andere Dinge nach ihrem Geschmack. Sie lasse G. P. unentgeltlich bei sich wohnen, weil er auch hin und wieder ihr Auto reparieren könne und ihr beim Rasenmähen und Beschaffen von Heizmaterial helfe. G. P. stärke ihren Lebensmut und leiste ihr seelischen Beistand. Ohne ihn könne sie in ihrem entlegenen Wohnhaus nicht überleben. Sie müsste sich als Pflegefall in ein Alten- und Betreuungsheim begeben.

Die Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde weiter - versuche die erstmals am 21. Juni 2011 in ihrem Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe einbekannte Lebensgemeinschaft mit G. P. immer mehr zu relativieren. Unbestritten habe sie mit G. P. seit 25. Juli 2008 einen gemeinsamen Hauptwohnsitz. G. P. sei bei der Beschwerdeführerin ohne Abschluss eines Mietvertrages oder Dienstvertrages bzw. ohne Anmeldung zur Sozialversicherung als Arbeiter bzw. Pfleger eingezogen. Sie würden seit ca. 3 Jahren gemeinsam das Bad, die Toilette und auch die Küche benützen. Abgetrennte Wohneinheiten bestünden nicht. G. P. stehe lediglich ein eigenes Schlafzimmer zur Verfügung. Die Wäsche werde gemeinsam gewaschen.

Wenn die Beschwerdeführerin angebe, dass sie nie die gleichen Speisen essen würden, so sei das praktisch unvorstellbar, zumal sie selbst angegeben habe, dass G. P. von 2004 bis 2008 - also bevor er seinen Wohnsitz zu dem der Beschwerdeführerin verlegt habe - für sie gekocht habe. Er betreue bzw. pflege sie, wenn es ihr Gesundheitszustand erfordere, repariere ihr Auto, mähe den Rasen, beschaffe Heizmaterial und bewirtschafte die Landwirtschaft. Er stärke den Lebensmut der Beschwerdeführerin und leiste ihr seelischen Beistand. Sie würde sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen können. G. P. sei mit Unterbrechungen als Baggerfahrer unselbständig erwerbstätig. Er habe sich maßgeblich an den anfallenden Betriebskosten beteiligt. Ihn und die Beschwerdeführerin würde eine stark ausgeprägte, geradezu existenzielle Wirtschaftsgemeinschaft verbinden. Sie würden ein langjähriges, inniges Naheverhältnis unterhalten. Es sei von einer Lebensgemeinschaft auszugehen. Zwischen der Beschwerdeführerin und G. P. bestehe ein eheähnlicher Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspreche.

Durch die Anerkennung des Erwerbseinkommens bzw. des Arbeitslosengeldbezuges des G. P. ergebe sich vom 8. April bis zum 30. April 2009 ein Notstandshilfeanspruch der Beschwerdeführerin in Höhe von EUR 4,10 täglich. Vom 1. Mai 2009 bis zum 31. Oktober 2010 und vom 1. Juni 2011 bis zum 31. Juli 2011 bestehe mangels Notlage kein Anspruch auf Notstandshilfe. Da die Beschwerdeführerin dem AMS das Bestehen der Lebensgemeinschaft erst im Juni 2011 gemeldet habe, habe der Bezug richtiggestellt und der zu viel ausbezahlte Betrag in Höhe von EUR 7.951,13 rückgefordert werden müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, zwischen ihr und G. P. liege eine getrennte Haushaltsführung vor, weil dieser seine Lebensmittel selbst einkaufe, die Küche nur sehr eingeschränkt für die Zubereitung seiner Speisen nutze und jeder seinen eigenen Kühlschrank besitze. Zudem habe G. P. ein eigenes Schlafzimmer, das ausschließlich ihm zur Verfügung stehe. Die Beschwerdeführerin decke die Kosten ihrer Lebensführung (Wohnungs-, Nahrungs- und Bekleidungsaufwand) ausschließlich aus eigenen Mitteln ab. Für die Beschwerdeführerin sei einerseits ihre Krankheit und andererseits die "Wohnungslosigkeit" des G. P. Motiv gewesen, diesen bei sich aufzunehmen. Er habe unentgeltlich wohnen können und erbringe im Gegenzug Pflege- und Arbeitsleistungen, welche von der Beschwerdeführerin nicht verrichtet werden könnten. Darüber hinaus würde sich G. P. anteilig an den Betriebskosten beteiligen. Dies rechtfertige aber nicht die Annahme, dass eine Wirtschaftsgemeinschaft vorliege. Die Annahme einer "finanziellen Unterstützung" lasse sich aus den Feststellungen der Behörde nicht schlüssig ableiten,

"zumal der gesamte Wohnungs- und Betriebskostenaufwand nicht festgestellt wurde und bei Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin für die Wohnkosten des gesamten Wohnhauses aufkommt, da der höhere Anteil an den Gesamtkosten auch daraus erklärt werden kann, dass die Beschwerdeführerin das überwiegende Wohnhaus gegenüber dem von G. P. geleisteten Betriebskostenanteil für einen Wohnraum trägt, ohne dass dies als finanzielle Unterstützung der Beschwerdeführerin zu beurteilen wäre, zumal keine Mitfinanzierung einer (zur Gänze) gemeinsam genutzten Wohnung vorliegt, sondern die Beschwerdeführerin das überwiegende Wohnhaus allein bewohnt und G. P. für seine Wohnmöglichkeit, nämlich ein Schlafzimmer, anteilig Vorraum, Toilette, Bad und Küche seine Zahlungen an die Beschwerdeführerin leistet."

Dass die Leistungen der Beschwerdeführerin im Verhältnis zu den von G. P. aufgewendeten Beträgen für das Wohnhaus unüblich hoch oder niedrig wären, sodass daraus auf eine finanzielle Unterstützung entweder der Beschwerdeführerin durch G. P. oder des G. P. durch die Beschwerdeführerin - und damit auf eine Wirtschaftsgemeinschaft - geschlossen werden konnte, könne nach den vorliegenden Feststellungen nicht gesagt werden.

2. Das Wesen einer Lebensgemeinschaft besteht in einem eheähnlichen Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen die Geschlechts-, Wohnungs- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber - wie auch bei einer Ehe - das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich das gemeinsame Wirtschaften, ist jedoch unverzichtbar. Der im Gesetz angeordneten Berücksichtigung des Einkommens des Lebensgefährten liegt offenkundig die Annahme zu Grunde, dass dieser wegen der Lebens-(Wohn-)gemeinschaft auch zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil (etwa durch Mitfinanzierung der gemeinsamen Wohnkosten oder der Ernährung) beiträgt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 2011, Zl. 2010/08/0118, mwN). Unter dem Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft ist zu verstehen, dass beide Partner einander Beistand und Dienste leisten und an den zur Bestreitung des Unterhaltes, der Zerstreuung und Erholung zur Verfügung stehenden Gütern teilnehmen lassen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Mai 2006, Zl. 2004/08/0263, und vom 18. November 2009, Zl. 2009/08/0081).

Der Beschwerdeführerin ist einzuräumen, dass in einem Fall, in dem keine zur Gänze gemeinsam genutzte Wohnung vorliegt, das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft nicht auf den bloßen Umstand gestützt werden kann, dass der Lebenspartner zu den Wohnkosten beiträgt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. März 2011, Zl. 2007/08/0023).

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde aber keineswegs nur darauf gestützt, dass G. P. sich maßgeblich an den anfallenden Betriebskosten beteilige. Sie hat darüber hinaus - in einer vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner Überprüfungsbefugnis nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung - festgestellt, dass die Wäsche gemeinsam gewaschen wird, dass die gleichen Speisen gegessen werden, dass G. P. die Beschwerdeführerin betreut und pflegt, dass er ihr Auto repariert, ihren Rasen mäht, das Heizmaterial beschafft und die Landwirtschaft betreut. Er stärkt den Lebensmut der Beschwerdeführerin und leistet ihr seelischen Beistand, sodass sie sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen kann.

Unabhängig von den Merkmalen der Geschlechts- und Wohnungsgemeinschaft ist - wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat - eine Wirtschaftsgemeinschaft in so ausgeprägtem Maß vorhanden, dass die belangte Behörde im Sinn der oben wiedergegebenen Rechtsprechung das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft zutreffend bejaht hat.

3. Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerde schließlich geltend, dass die belangte Behörde die Beschwerdeführerin nicht gemäß § 13a AVG angeleitet habe, die Einvernahme des G. P. zu beantragen. Sie unterlässt es jedoch darzulegen, welcher Sachverhalt durch die Vernehmung des G. P. erwiesen werden sollte, der zu einem anderen, für die Beschwerdeführerin günstigeren Bescheid geführt hätte, und hat damit die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht aufgezeigt.

4. Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 13. November 2013

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