VwGH 2011/22/0212

VwGH2011/22/021224.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Werner Zach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 25. März 2011, Zl. 320.325/2-III/4/10, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

12010E020 AEUV Art20;
32003L0086 Familienzusammenführung-RL;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
12010E020 AEUV Art20;
32003L0086 Familienzusammenführung-RL;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgewiesen wird, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen - im Devolutionsweg ergangenen - Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines mazedonischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 und § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe den gegenständlichen Antrag am 17. März 2010 eingebracht. Er sei seit 3. November 2009 mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die am 29. Juni 1991 geboren sei, verheiratet. Die Erteilung des Aufenthaltstitels habe er "zum Zwecke der Familiengemeinschaft" mit seiner Ehefrau beantragt.

Zur Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 NAG sei erforderlich, dass der Drittstaatsangehörige als "Familienangehöriger" anzusehen sei. Ein solcher könne ein Ehegatte aber gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG nur sein, wenn beide Ehepartner im Zeitpunkt der Antragstellung das 21. Lebensjahr bereits vollendet hätten. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe aber "noch nicht das 21. Lebensjahr erreicht". Es sei somit die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 47 Abs. 2 NAG, "Familienangehöriger" (im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG) sein zu müssen, nicht erfüllt. Der begehrte Aufenthaltstitel könne daher nicht erteilt werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 29. Juni 2011, Zl. B 517/11, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass angesichts des in der Beschwerdeergänzung zum Ausdruck gebrachten Beschwerdepunktes, im Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verletzt worden zu sein, der dem Devolutionsantrag des Beschwerdeführers stattgebende Ausspruch der belangten Behörde nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist.

Mit Blick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (28. März 2011) ist des Weiteren anzumerken, dass hier für die Beurteilung das NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 111/2010 heranzuziehen war.

§ 2 Abs. 1 Z 9 und § 47 Abs. 2 NAG (jeweils mit Überschrift)

lauten:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

...

9. Familienangehöriger: wer Ehegatte oder

minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;

...

Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'

§ 47. ...

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Dieser Aufenthaltstitel ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des 1. Teiles einmal um den Zeitraum von zwölf Monaten, danach jeweils um 24 Monate zu verlängern.

..."

Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei "begünstigter Drittstaatsangehöriger", weil seine Ehefrau österreichische Staatsbürgerin sei. Es werde durch die vorliegende Entscheidung in rechtswidriger Weise Unionsrecht zu seinem Nachteil angewendet und damit seine Ehe "zerstört". Seine Ehefrau halte sich seit ihrer Geburt in Österreich auf und habe hier den alleinigen Mittelpunkt. Eine Zwangsehe, von der auch die belangte Behörde nicht ausgehe, liege nicht vor.

Die Beschwerde ist berechtigt.

Der gegenständliche Beschwerdefall gleicht vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 15. November 2011, C-256/11 , darin, dass die belangte Behörde in Verkennung der durch den EuGH nunmehr klargestellten Rechtslage nicht anhand des unionsrechtlich vorgegebenen Maßstabes geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solchen Ausnahmefall, wonach es das Unionsrecht gebietet, dem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt zu gewähren, darstellt, jenem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 2012, Zl. 2011/22/0309, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

Auch im vorliegenden Fall wird die belangte Behörde dazu im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

Mit Blick auf die von der belangten Behörde zur Antragsabweisung herangezogene Bestimmung des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG ist Folgendes auszuführen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 28. März 2012, Zl. 2008/22/0140, dargelegt, dass jedenfalls für den Fall, dass Gründe im soeben genannten Sinn vorliegen sollten, bei der Beurteilung, ob der Aufenthalt des Fremden eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen könnte, zu beachten ist, dass die Verweigerung des Aufenthaltstitels nur dann zulässig wäre, wenn die Trennung des Fremden von seinem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden (und somit auch die Unionsbürgerschaft besitzenden) Angehörigen hinzunehmen wäre. Da es sich dabei um die Einschränkung von aus der Unionsbürgerschaft herrührender Rechte handelt, ist es nunmehr unzweifelhaft, dass bei der Beurteilung kein geringerer Maßstab angelegt werden kann, als vom Unionsrecht im Fall eines Angehörigen eines sonstigen ("gewanderten") Unionsbürgers vorgegeben wird. Nur dann hat auch dieser die Trennung von seinen Angehörigen und somit allenfalls damit verbunden die Einschränkung der Rechte aus der Unionsbürgerschaft hinzunehmen.

Der Verwaltungsgerichtshof hegt vor diesem Hintergrund keine Zweifel, dass auch andere Gründe, die zur Versagung des Aufenthaltstitels gemäß dem NAG herangezogen werden, anhand dieses Maßstabes zu messen sind. Ausgehend davon kann aber nun nicht gesagt werden, dieser wäre bloß deshalb erfüllt, weil beide oder einer der Ehepartner im Zeitpunkt der Antragstellung das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt hätten.

Dass aus gleichheitsrechtlichen - also innerstaatlichen, nicht aber unionsrechtlichen - Überlegungen durch die RL 2003/86/EG geschaffene Mindeststandards auch beim Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen zu Österreichern zu beachten sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2009/21/0002, und dem folgend das hg. Erkenntnis vom 22. März 2011, Zl. 2007/18/0689), hat aber nicht zur Folge, dass andere für die Beurteilung maßgebliche unionsrechtliche Bestimmungen (hier: Art. 20 AEUV) irrelevant wären. Insofern kann die Bestimmung des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG, die der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17. Juni 2011, B 711/10, als verfassungsrechtlich unbedenklich eingestuft hat, im Fall von Angehörigen von Österreichern im Hinblick auf die oben zitierte Rechtsprechung des EuGH nur dann Platz greifen, wenn dem Unionsrecht nicht entgegensteht.

Vor diesem Hintergrund steht diesem Ergebnis auch das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2010/21/0509, nicht entgegen, zumal dort lediglich auf verfassungsrechtliche Fragen einzugehen war.

Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. April 2012

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