VwGH 2011/08/0020

VwGH2011/08/002017.10.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des SK in M, vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Traungasse 14, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservices Oberösterreich vom 15. Juni 2010, Zl. LGSOÖ/Abt.4/2010-0566-4-000477-11, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §25 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes an den Beschwerdeführer für die Zeit vom 18. Dezember 2009 bis zum 28. Februar 2010 widerrufen und von ihm EUR 2.013,34 zurückgefordert.

Der Beschwerdeführer habe der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservices W (im Folgenden: AMS) im Zuge der Antragstellung seine Asylkarte vorgelegt und den Eindruck erweckt, dass das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Das AMS habe daraufhin das Arbeitslosengeld angewiesen. Im März 2010 sei dem AMS bekannt geworden, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers bereits seit 10. März 2009 rechtskräftig negativ abgeschlossen sei.

Der Beschwerdeführer sei türkischer Staatsangehöriger und im Dezember 2000 in das Bundesgebiet eingereist. Sein am 4. Dezember 2000 gestellter Asylantrag sei am 10. März 2009 im Instanzenzug rechtskräftig abgewiesen worden. Am 23. April 2009 habe der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft W einen Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 NAG eingebracht. Über diesen Antrag sei noch nicht entschieden worden.

Da das Asylverfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen sei, sei der Beschwerdeführer seit dem 10. März 2009 in Österreich nicht mehr aufenthaltsberechtigt. Anspruch auf eine Leistung nach dem AlVG bestehe nur für Asylwerber (mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung). Die bloße Stellung eines Antrags auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung verschaffe kein Aufenthaltsrecht.

Mit einem Aufenthalt auf der Grundlage einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber könne der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Anwendung des Assoziationsrechtes EWG-Türkei nicht verwirklichen. Daran könne weder die Wiedereinstellungszusage des bisherigen Beschäftigers noch die auf Grund der verschwiegenen Tatsachen erteilte Beschäftigungsbewilligung etwas ändern.

Beschäftigungsbewilligungen würden mit dem Ende der bewilligten Beschäftigung erlöschen. Die für den Zeitraum vom 27. April 2009 bis zum 26. April 2010 erteilte Beschäftigungsbewilligung habe daher mit 17. Dezember 2009 ihre Gültigkeit verloren. Der Beschwerdeführer sei für den österreichischen Arbeitsmarkt nicht verfügbar. Daher bestehe ab dem 18. Dezember 2009 gemäß § 7 AlVG kein Leistungsanspruch. Hätte der Beschwerdeführer das AMS im Zuge der Antragstellung über das seit dem 10. März 2009 rechtskräftig negativ abgeschlossene Asylverfahren informiert, wäre es nicht zur Zuerkennung und Auszahlung des Arbeitslosengeldes gekommen. Durch die Vorlage seiner Asylkarte, die durch das negativ entschiedene Asylverfahren ihre Gültigkeit bereits verloren gehabt habe, habe er das AMS in den Glauben versetzt, das Asylverfahren wäre noch nicht abgeschlossen und ein Leistungsanspruch gegeben. Der Beschwerdeführer habe maßgebende Tatsachen verschwiegen und dadurch den unberechtigten Bezug des Arbeitslosengeldes herbeigeführt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung durch den Verfassungsgerichtshof und Abtretung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom 25. Jänner 2011, B 1021/10- 11, für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde, womit dessen Aufhebung begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe seit seiner Einreise ins Bundesgebiet überwiegend in sozialversicherungspflichtigen Dienstverhältnissen, zuletzt als Steinbrucharbeiter, gearbeitet. Das Arbeitsverhältnis sei in den Wintermonaten saisonbedingt ausgesetzt gewesen. Er habe seit dem 18. Dezember 2009 Arbeitslosengeld bezogen, jedoch über eine Wiedereinstellungszusage verfügt. Das AMS habe (seinem Arbeitgeber für den ausländischen Beschwerdeführer) mit Bescheid vom 1. März 2010 eine Beschäftigungsbewilligung für die Zeit vom 8. März 2010 bis zum 7. März 2011 erteilt. Der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses ARB Nr. 1/80. Damit liege (unabhängig von einem erteilten Aufenthaltstitel) seine Verfügbarkeit vor. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, einen seit über zehn Jahren in Österreich rechtmäßig aufhältigen (früheren) Asylwerber (welcher zudem die überwiegende Zeit im Bundesgebiet legal beschäftigt gewesen sei) schlechter zu stellen als einen anderen Fremden, der dieselbe Aufenthaltsdauer vorweisen könne bzw. schlechter zu stellen als einen Staatsangehörigen eines Vertragsstaates des EWR. Die Versagung des Arbeitslosengeldes würde zu einer Ungleichbehandlung türkischer Staatsangehöriger untereinander führen, die einzig darauf abstelle, ob der besser Gestellte das "Glück" gehabt habe, sofort eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen und nicht durch behördliche Versäumnisse darauf jahrelang warten zu müssen. Es sei nicht erkennbar, welchem Ziel und welchem öffentlichen Interesse die Regelung der "Verfügbarkeit" als Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld dienen solle. Der Beschwerdeführer erfülle alle Voraussetzungen für die Erteilung einer "humanitären" Niederlassungsbewilligung. Es liege kein "rechtskräftig negativ entschiedenes Aufenthaltsbewilligungsverfahren" vor.

Im Übrigen sei es nicht richtig, dass der Beschwerdeführer maßgebende Tatsachen verschwiegen habe. Das AMS habe mit Bescheid vom 1. März 2010 eine Beschäftigungsbewilligung ausgestellt. Andererseits habe eine Wiedereinstellungszusage des früheren Arbeitgebers vorgelegen. Für den Beschwerdeführer habe kein Grund bestanden, an der Berechtigung zum Bezug von Arbeitslosengeld zu zweifeln. In Anbetracht seines Antrags auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung sei er der begründeten Ansicht gewesen, dass ihm weiterhin ein Aufenthaltsrecht zukomme. Es seien keine aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen gesetzt worden. Er habe den Unrechtscharakter einer unterlassenen Mitteilung nicht erkennen können. Im Übrigen hätte die belangte Behörde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durchführen müssen.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Was den Ausspruch des Widerrufs der Zuerkennung von Arbeitslosengeld betrifft, so gleicht der vorliegende Beschwerdefall in den für seine Erledigung wesentlichen Punkten, insbesondere dem - auch unter dem Aspekt des Art. 6 ARB 1/80 und Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 - fehlenden Recht, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben, sowohl hinsichtlich des Sachverhalts als auch in Ansehung der zu lösenden Rechtsfragen jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 26. Mai 2010, Zl. 2008/08/0066, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, zu Grunde lag.

Der Beschwerdeführer bestreitet auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Rückforderung des Arbeitslosengeldes.

Nach § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG ist bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Aus der Gegenüberstellung der einzelnen Tatbestände des § 25 Abs. 1 AlVG (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen und Erkennenmüssen, dass die Leistung nicht oder nicht in voller Höhe gebühre) folgt, dass die ersten beiden Tatbestände zumindest mittelbaren Vorsatz - dolus eventualis - voraussetzen, während es für die Anwendung des dritten Tatbestandes genügt, dass Fahrlässigkeit gegeben war. Die sich aus der in § 25 Abs. 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) vorgesehenen Sanktionierung ergebende Verpflichtung von Antragstellern auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, hinsichtlich maßgebender Tatsachen wahrheitsgemäße und vollständige Angaben zu machen, soll sicherstellen, dass der Behörde, die zahlreiche gleichartige Verfahren relativ rasch abzuwickeln hat, grundsätzlich die für den Leistungsanspruch maßgebenden Umstände vollständig und wahrheitsgemäß zur Kenntnis gelangen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Juli 2012, Zl. 2010/08/0088, mwN).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dem AMS bei seiner Antragstellung auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld eine "Asylkarte" (Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005) vorgewiesen zu haben, obwohl er wusste, dass sein Asylverfahren zu diesem Zeitpunkt schon rechtskräftig (negativ) beendet war. Mit dieser Vorgangsweise hat der Beschwerdeführer gegenüber dem AMS das Tatbestandsmerkmal der (zumindest bedingt) vorsätzlichen unwahren Angabe (dass er nach wie vor Asylwerber sei) iSd § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG verwirklicht. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer - wie er in der Beschwerde behauptet - in Anbetracht seines Antrags auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung subjektiv der Überzeugung gewesen sein

will, "dass ihm ... weiterhin auch ein Aufenthaltsrecht zukommt",

weil das Risiko eines Rechtsirrtums, aus dem ein Arbeitsloser meint, die Unrichtigkeit seiner Angaben könne auf die Beurteilung seines Anspruchs auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung keinen Einfluss haben, von ihm zu tragen ist (vgl. zu Fällen unrichtiger Beantwortung von Fragen des Antragsformulars die hg. Erkenntnisse vom 19. September 2007, Zl. 2006/08/0315, mwN, sowie nochmals das Erkenntnis vom 11. Juli 2012, Zl. 2010/08/0088).

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend Art. 6 Abs. 1 EMRK und seinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch die belangte Behörde kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Begründung des Erkenntnisses vom 20. September 2006, Zl. 2003/08/0106, verwiesen werden.

Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 17. Oktober 2012

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