VwGH 2010/21/0388

VwGH2010/21/038828.8.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des E, zuletzt in W, vertreten durch die Preslmayr Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Universitätsring 12, gegen Spruchpunkt 2. und 3. des Bescheides des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 5. Juli 2010, Zl. Senat-FR-10-1025, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 2005 §10;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2a Z1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 2005 §10;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2a Z1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

1. zu Recht erkannt:

Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides (betreffend die Abweisung der Administrativbeschwerde in Bezug auf die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 9. Juni 2010 bis zum 5. Juli 2010) wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. den Beschluss gefasst:

Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt 3. des angefochtenen Bescheides (Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft gegen den Beschwerdeführer vorliegen) richtet, wird ihre Behandlung abgelehnt.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, kam am 5. Februar 2010 ohne gültiges Reisedokument nach Österreich, wo er von Wien-Westbahnhof mit einer auf den Zielbahnhof Würzburg ausgestellten Fahrkarte nach Deutschland weiterreiste. Vor seiner Einreise in Österreich hatte er sich (u.a.) in Griechenland aufgehalten, wo er am 18. September 2009 erkennungsdienstlich behandelt worden war. Nach seinem Aufgriff durch deutsche Polizeiorgane wurde der Beschwerdeführer dann am 8. Februar 2010 nach Österreich rücküberstellt. In der Folge beantragte er die Gewährung von internationalem Schutz. Aus der hierauf von der BH Schärding gemäß § 76 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 FPG verhängten Schubhaft wurde der Beschwerdeführer, nachdem er in einer Einvernahme im März 2010 nunmehr sein Alter mit erst 17 Jahren behauptet hatte, am 6. April 2010 entlassen.

Der Beschwerdeführer begab sich auftragsgemäß in die Erstaufnahmestelle Ost und befolgte im weiteren Verfahren alle Ladungen (auch zu den Untersuchungsterminen zwecks Altersfeststellung). Obwohl drei Gutachten verschiedener Fachrichtungen ergeben hatten, dass der Beschwerdeführer "mindestens 19 Jahre" alt sei, bestritt er im Rahmen einer am 2. Juni 2010 im Asylverfahren durchgeführten Einvernahme weiter seine Volljährigkeit und behauptete - entgegen früheren Angaben - nunmehr auch, niemals in Griechenland gewesen, sondern mit dem Flugzeug direkt aus der Türkei nach Wien gekommen zu sein.

Im Anschluss an diese Vernehmung wurde der Beschwerdeführer von Organen der Polizeiinspektion Traiskirchen festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft (BH) Baden vorgeführt, die eine ergänzende Befragung des Beschwerdeführers vornahm. Mit dem dann gemäß § 57 AVG erlassenen Bescheid vom 2. Juni 2010 ordnete die BH Baden gegen den Beschwerdeführer zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft an. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage wurde § 76 Abs. 2 Z 2 FPG angeführt.

Diesen Bescheid begründete die BH Baden nach Wiedergabe des Inhalts der maßgeblichen Rechtsvorschriften damit, dass gegen den Beschwerdeführer "durch die EAST-Ost" (gemeint: durch das Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen) am 10. Februar 2010 gemäß § 27 AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden sei. Es sei "daher" davon auszugehen, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz - im Hinblick auf den Voraufenthalt in Griechenland, einem Mitglied der Europäischen Union und "Unterzeichner des Dublin II Abkommens", mangels Zuständigkeit Österreichs - zurückgewiesen werde. "Aus diesem Grund" werde die Schubhaft verhängt.

Der Beschwerdeführer besitze kein gültiges Reisedokument und sei nicht willens bzw. nicht in der Lage, das Bundesgebiet zu verlassen, sodass eine fremdenpolizeiliche Maßnahme zu treffen sei. Für den weiteren Aufenthalt in Österreich verfüge er nicht über ausreichende Barmittel und er könne mangels arbeitsmarkt- und aufenthaltsrechtlicher Bewilligung auch keine rechtmäßige Beschäftigung ausüben. Es müssten daher für seinen Aufenthalt öffentliche Mittel aufgewendet werden bzw. es sei der Schluss zulässig, dass der Beschwerdeführer versuchen werde, durch Begehung strafbarer Handlungen "seinen Unterhalt zu fristen". Bei einer Gesamtwürdigung des vorliegenden Falles sei somit die Annahme gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich die öffentliche Ordnung, insbesondere im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen und einen geordneten Arbeitsmarkt, und das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährde. Ein Verstoß gegen das Sichtvermerksabkommen - so begründete die BH ohne ersichtlichen Zusammenhang daran anschließend noch - stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit dar, die die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen könne.

Eine gerechtfertigte Annahme einer Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen liege - so wiederholte die BH Baden in ihrer weiteren Bescheidbegründung - dann vor, wenn der Fremde den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht initiativ nachweisen könne. Wolle er "diese Rechtsfolgen vermeiden", so liege es an ihm, von sich aus initiativ zu beweisen, dass er über die zu seinem Unterhalt erforderlichen Mittel verfüge. Aufforderungen seitens der Behörde an den Fremden, dieser Beweislast entsprechend zu handeln, seien demnach keineswegs geboten.

Abschließend führte die BH Baden nach Wiedergabe des Inhalts des § 77 Abs. 1 FPG noch aus, die Anwendung gelinderer Mittel sei im vorliegenden Fall ausgeschlossen, weil der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt in Österreich "nicht legalisieren" könne. Es sei "daher" die Annahme gerechtfertigt, dass er sich dem behördlichen Zugriff entziehen werde, um die Vollstreckung der fremdenpolizeilichen Maßnahme gegen seine Person zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren. Die Behörde sei "auf Grund des ermittelten Sachverhaltes" zum Ergebnis gelangt, dass die Verhängung der Schubhaft zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis stehe und im Interesse des öffentlichen Wohles dringend erforderlich und geboten sei.

Gegen die Anhaltung in Schubhaft erhob der Beschwerdeführer mit dem am 28. Juni 2010 beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (der belangten Behörde) eingelangten Schriftsatz Administrativbeschwerde.

Dieser Beschwerde gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Juli 2010, der noch am selben Tag erlassen wurde, teilweise Folge, indem sie die Verhängung der Schubhaft und die Anhaltung des Beschwerdeführers im Zeitraum vom 2. Juni 2010 bis 8. Juni 2010 für rechtswidrig erklärte (Spruchpunkt 1.). Mit Spruchpunkt 2. wurde die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Anhaltung in Schubhaft im Zeitraum vom 9. Juni 2010 "bis dato" (gemeint: 5. Juli 2010) richtete, als unbegründet abgewiesen. Im Spruchpunkt 3. wurde sodann gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen "zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt" vorlägen.

Erkennbar nur gegen Spruchpunkt 2. und 3. richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde, erwogen hat:

Die Begründung des angefochtenen Bescheides lässt sich dahin zusammenfassen, dass die belangte Behörde für die Zeit bis zum 9. Juni 2010 das Vorliegen eines ausreichenden Sicherungsbedarfs im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer vor seiner Festnahme am 2. Juni 2010 allen Ladungen im Asylverfahren Folge geleistet und die Betreuungsstelle in Traiskirchen nicht verlassen hatte, als nicht gegeben sah. Die Situation habe sich erst am 9. Juni 2010 mit Erlassung des den Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz gemäß § 5 AsylG 2005 zurückweisenden Bescheides des Bundesasylamtes, mit dem auch die Zuständigkeit Griechenlands festgestellt und in durchsetzbarer Weise die Ausweisung des Beschwerdeführers dorthin verfügt worden sei, maßgeblich geändert. Die belangte Behörde erachtete daher den Bescheid der BH Baden vom 2. Juni 2010 und die daran anschließende Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft bis 8. Juni 2010 für rechtswidrig.

Die dem entsprechende teilweise Stattgebung der Administrativbeschwerde in Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides wurde nicht mit Amtsbeschwerde bekämpft. Sie erweist sich im Übrigen auch deshalb im Ergebnis als berechtigt, weil die BH Baden die Notwendigkeit der Schubhaft in ihrem Bescheid vom 2. Juni 2010 - außer mit der (allerdings schon im Februar 2010 erfolgten) Einleitung des Ausweisungsverfahrens - mit keinen fallbezogenen Argumenten begründete und ihre allgemein gehaltenen weiteren Textbausteine, insbesondere zur Mittellosigkeit des Beschwerdeführers, nicht tragfähig sind. Dazu kann des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0185, verwiesen werden, in dem ein im Wesentlichen gleichlautender Entscheidungsduktus der BH Baden in einem Bescheid vom 20. Februar 2006 zu behandeln war (vgl. daran anschließend auch das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0588, betreffend einen in gleicher Weise begründeten Bescheid der BH Baden vom 11. September 2008; siehe zum Ganzen auch das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2008/21/0075).

Die belangte Behörde hat aber verkannt, dass ein einmal rechtswidriger Schubhaftbescheid nicht - quasi partiell für einen "Teilzeitraum" - konvalidieren kann, zumal dies im Ergebnis einer im Gesetz insoweit nicht vorgesehenen Schubhaftverhängung "auf Vorrat" gleichkommen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, Zl. 2008/21/0626, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 8. September 2009, Zl. 2009/21/0162). War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die gesamte Zeit der auf ihn gestützten Anhaltung gelten, und zwar ungeachtet des Umstandes, dass mit der Erlassung der durchsetzbaren asylrechtlichen Ausweisung ab 9. Juni 2010 die Verhängung der Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 bzw. § 76 Abs. 2a Z 1 FPG in Betracht gekommen wäre. Zu einer "Heilung" hätte es nur durch einen neuen Schubhafttitel kommen können (siehe auch dazu die schon zitierten Erkenntnisse).

Ein solcher neuer Schubhafttitel ist im vorliegenden Fall in dem mit Spruchpunkt 3. vorgenommenen Fortsetzungsausspruch der belangten Behörde nach § 83 Abs. 4 erster Satz FPG zu erblicken, dem die belangte Behörde zu Recht die Verwirklichung der genannten Schubhaftgründe zugrunde legte. Soweit sich die Beschwerde auch gegen diesen Spruchpunkt richtet, hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, ihre Behandlung abzulehnen. Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof nämlich die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Bescheid von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft in Bezug auf den bekämpften Spruchpunkt 3. keine entscheidungswesentlichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung in diesem Umfang sprechen würden, liegen nicht vor. Die insoweit vorgenommene Prüfung hat nämlich keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende und für das Verfahrensergebnis entscheidende Fehlbeurteilung durch die belangte Behörde ergeben, zumal die Annahme eines die Schubhaft erforderlich machenden Sicherungsbedarfs ab dem 5. Juli 2010 in dem dann gegebenen Stadium des Vorliegens einer durchsetzbaren und (mangels Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobene Beschwerde durch den Asylgerichtshof auch) durchführbaren asylrechtlichen Ausweisung des Beschwerdeführers nach Griechenland im Hinblick auf sein Vorverhalten (Reisebewegungen in Europa mit dem Ziel Deutschland, keine initiative Asylantragstellung in Österreich, durch Gutachten widerlegte nachträgliche Behauptung der Minderjährigkeit, mehrfach bekundete Ausreiseunwilligkeit nach Griechenland, spätere Bestreitung des Voraufenthaltes in Griechenland trotz "Eurodac-Treffers" und Behauptung einer direkten Einreise aus der Türkei, Widerruf der freiwilligen Rückkehrabsicht nach Afghanistan zwei Tage vor dem schon gebuchten Flug am 16. Juni 2010) gerechtfertigt war.

Zusammenfassend folgt daraus, dass Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war. Der diesbezügliche Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Im Übrigen, nämlich soweit sich die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt 3. des angefochtenen Bescheides richtet, war mit einer Ablehnung ihrer Behandlung vorzugehen.

Wien, am 28. August 2012

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