Normen
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §79;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwGG §67;
VwRallg;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §79;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwGG §67;
VwRallg;
Spruch:
Gemäß § 67 VwGG wird festgestellt, dass der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 20. Februar 2006, Zl. BNS3-F- 06 T, rechtswidrig war.
Begründung
Die aus Tschetschenien stammende russische Staatsangehörige T. Z. - das ist die erstgenannte weitere Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - reiste am 15. Februar 2006 (von der Slowakei kommend) illegal nach Österreich ein und stellte noch am selben Tag bei der Erstaufnahmestelle-Ost des Bundesasylamtes in Traiskirchen einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Nach den Eintragungen im Asylwerberinformationssystem legte sie in der Folge als echt qualifizierte Dokumente (insbesondere Reisepass und Personalausweis) vor. Ihr wurde eine Verfahrenskarte ausgestellt und sie war anschließend im Rahmen der ihr gewährten Grundversorgung in der Betreuungsstelle Traiskirchen untergebracht.
T. Z. hatte bereits davor in Polen einen Asylantrag gestellt und als Ergebnis dieses Verfahrens eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Bei ihrer Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 20. Februar 2006 erklärte die verwitwete T. Z. dazu, sie habe in Polen dreimal (erfolglos) "um Familienzusammenführung angesucht"; sie wolle bei ihren beiden in Österreich aufhältigen Söhnen, denen hier Asyl gewährt worden sei, bleiben.
Ihr wurde im Zuge dieser Befragung auch eine Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 ausgefolgt, die gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als Einleitung des Ausweisungsverfahrens gilt. Mit dieser Verständigung wurde T. Z. von der beabsichtigten Zurückweisung ihres Asylantrages nach § 5 AsylG 2005 (wegen Zuständigkeit eines anderen Staates) und von der Führung sogenannter "Dublin-Konsultationen" mit Polen in Kenntnis gesetzt.
Im Anschluss an diese Vernehmung wurde T. Z. festgenommen und vor der Bezirkshauptmannschaft Baden niederschriftlich einvernommen, wobei sie - zu Familienangehörigen in Österreich befragt - neuerlich darauf hinwies, dass ihre Söhne hier lebten.
Mit dem dann gemäß § 57 AVG erlassenen Bescheid vom 20. Februar 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden (kurz: BH) gegen T. Z. zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft an. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage wurde § 76 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 angeführt.
Begründend führte die BH nach Wiedergabe des Inhalts der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, es sei im Hinblick auf die vorgenommene Einleitung des Ausweisungsverfahrens und den Aufenthalt von T. Z. in Polen davon auszugehen, dass ihr Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werde. Zur Sicherung der Abschiebung werde die Schubhaft verhängt. T. Z. besitze nämlich kein gültiges Reisedokument und sei nicht willens bzw. nicht in der Lage, das Bundesgebiet zu verlassen, sodass eine fremdenpolizeiliche Maßnahme zu treffen sei.
Für den weiteren Aufenthalt in Österreich verfüge sie nicht über ausreichende Barmittel und sie könne mangels arbeitsmarkt- und aufenthaltsrechtlicher Bewilligung auch keine rechtmäßige Beschäftigung ausüben. Es müssten daher öffentliche Mittel aufgewendet werden bzw. es sei der Schluss zulässig, dass T. Z. versuchen werde, durch Begehung strafbarer Handlungen ihren Unterhalt zu fristen. Bei einer Gesamtwürdigung des vorliegenden Falles sei somit die Annahme gerechtfertigt, dass ihr Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ordnung, insbesondere im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen und einen geordneten Arbeitsmarkt und das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährde. Eine Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen liege nämlich dann vor, wenn der Fremde nicht initiativ den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nachweisen könne.
Abschließend führte die BH noch aus, die Anwendung gelinderer Mittel sei im vorliegenden Fall ausgeschlossen, weil T. Z. ihren Aufenthalt in Österreich "nicht legalisieren" könne und daher die Annahme gerechtfertigt sei, dass sie sich dem behördlichen Zugriff entziehen werde, um die Vollstreckung fremdenpolizeilicher Maßnahmen zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren. Die Behörde sei "auf Grund des ermittelten Sachverhaltes" zum Ergebnis gelangt, dass die Verhängung der Schubhaft zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis stehe und im Interesse des öffentlichen Wohles dringend erforderlich und geboten sei.
T. Z. wurde bis zum 4. April 2006 (im Polizeianhaltezentrum Graz) in Schubhaft angehalten. Die Enthaftung erfolgte, nachdem der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 28. März 2006 den antragszurückweisenden und die Ausweisung der T. Z. nach Polen verfügenden erstinstanzlichen Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. März 2006 behoben hatte.
Mit der am 20. November 2008 beim Landesgericht Wiener Neustadt eingebrachten Klage begehrt T. Z. von der beklagten Republik Österreich gestützt auf die Behauptung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung und der Anhaltung aus dem Titel der Amtshaftung den Betrag von EUR 4.840,-- (samt Zinsen und Kosten) als "Haftentschädigung".
Nach Erlassung eines rechtskräftigen Beschlusses auf Unterbrechung dieses Zivilprozesses stellte das Landesgericht Wiener Neustadt unter Bezugnahme auf Art. 131 Abs. 2 B-VG iVm § 11 Abs. 1 AHG den gegenständlichen Antrag vom 7. Juni 2009 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des dargestellten Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 20. Februar 2006 und der darauf gegründeten Anhaltung in Schubhaft. Mit näher begründeten Ausführungen vertrat das Prozessgericht die Auffassung, der Bescheid der BH sei rechtswidrig, weil im Hinblick auf den Anspruch auf Grundversorgung kein die Schubhaft rechtfertigender Sicherungsbedarf gegeben gewesen sei und die prognostizierte Unzuständigkeit Österreichs nicht bereits eine präventive Schubhaftverhängung gerechtfertigt habe.
Vorauszuschicken ist, dass die im Zivilverfahren beklagte Partei (Republik Österreich) dem Vorbringen der klagenden Partei (T. Z.), das im Wesentlichen der vorliegenden Antragsbegründung entsprochen hatte, nicht substanziiert entgegen getreten ist. Auch von der Möglichkeit ergänzender Ausführungen zur Frage der Rechtswidrigkeit des genannten Bescheides (§ 65 Abs. 1 letzter Satz VwGG) machten die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keinen Gebrauch. Entsprechend der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juli 2009 legte die Bezirkshauptmannschaft Baden die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der von der BH herangezogene § 76 Abs. 2 Z 2 des am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, der mit "Schubhaft" überschrieben ist, lautet:
"§ 76. (1) ...
(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn
- 1. ...
- 2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;"
Die BH hat die bereits kurz nach der Asylantragstellung über T. Z. am 20. Februar 2006 verhängte Schubhaft im Hinblick auf die an diesem Tag erfolgte Einleitung des asylrechtlichen Ausweisungsverfahrens grundsätzlich zulässig auf die zitierte Bestimmung gestützt. Sie hat jedoch bei Prüfung des Schubhaftgrundes verkannt, dass ungeachtet des Vorliegens eines Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 FPG die Schubhaftnahme eines Asylwerbers nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die (schon) in diesem Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen. Dass T. Z. damals mittellos war und keine Beschäftigungsmöglichkeit hatte, stellte aber - entgegen der Meinung der BH, die diese Umstände besonders in den Vordergrund gerückt hatte - keine Besonderheit dar, die in nachvollziehbarer Weise den Schluss zuließ, sie werde sich dem Verfahren (nach der Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005) durch Untertauchen entziehen. Bei der ins Treffen geführten Mittellosigkeit handelt es sich nämlich in Bezug auf (noch nicht lange in Österreich aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs (vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0402, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043). Vor diesem Hintergrund ist auch das Argument, die Verhängung der Schubhaft über T. Z. sei wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung in Bezug auf einen geordneten Arbeitsmarkt und das wirtschaftliche Wohl des Landes erforderlich, nicht nachvollziehbar (siehe dazu auch das Erkenntnis vom 27. Februar 2007, Zl. 2006/21/0311, mwN). Soweit die BH auch die mögliche Begehung strafbarer Handlungen unterstellte, bestanden dafür fallbezogen überhaupt keine Hinweise und solche wurden auch im Bescheid nicht dargelegt. Im Übrigen dient die Schubhaft grundsätzlich nicht der Verhinderung von strafbaren Handlungen (siehe das Erkenntnis vom 22. November 2007, Zl. 2006/21/0189; vgl. differenzierend bei schon erfolgter Verurteilung und Schubhaft nach § 76 Abs. 1 FPG das Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542).
Von der Begründung der BH verbleibt somit nur noch die Annahme, T. Z. sei nicht willens, das Bundesgebiet zu verlassen. Es entspricht aber ständiger, bereits zum Fremdengesetz 1997 ergangener Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Schubhaftverhängung nicht rechtfertigen könne (siehe grundlegend das Erkenntnis vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0301). Konkrete Anhaltspunkte dafür, die angenommene Ausreiseunwilligkeit sei derart ausgeprägt gewesen, dass T. Z. bereits in diesem (frühen) Stadium des Asylverfahrens in Erwartung einer Zurückweisung ihres Asylantrages und einer Abschiebung nach Polen in die Illegalität untertauchen und für die Behörden nicht mehr erreichbar sein werde, bestanden aber nicht.
Vielmehr sprach in der vorliegenden Konstellation gegen eine solche Annahme, dass T. Z. sofort nach ihrer Einreise von sich aus Kontakt mit den Behörden aufnahm und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, dabei jedenfalls richtige Angaben zu ihrer Identität machte und sich bis zu ihrer Festnahme im Rahmen der gewährten Grundversorgung in der ihr zugewiesenen Betreuungsstelle aufhielt (vgl. zum Ganzen auch das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2008, Zl. 2007/21/0391, in dem unter Bezugnahme auf Vorjudikatur neuerlich klargestellt wurde, dass die Verhängung der Schubhaft auch in "Dublin-Fällen" nicht zu einer "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber werden dürfe; siehe zu einem ähnlich begründeten Bescheid der BH auch noch das Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0027).
Außerdem ist der BH noch vorzuwerfen, dass ihre Prämisse, T. Z. besitze kein gültiges Reisedokument und sie sei daher nicht in der Lage, das Bundesgebiet auf legalem Weg zu verlassen, weshalb fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu treffen seien, auf einer aktenwidrigen Grundlage basiert. Entgegen dieser Annahme verfügte T. Z. nämlich nach der oben wiedergegebenen Aktenlage insbesondere auch über einen (bis 29. Dezember 2008) gültigen Reisepass.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die BH schon nach den dargestellten Erwägungen mehrfach die Rechtslage verkannte. Es bedarf daher keiner näheren Erörterung, dass die belangte Behörde auf die familiären Bindungen der T. Z. in Österreich (zu deren möglichen Relevanz siehe etwa das Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007721/0110) nicht einging und vor diesem Hintergrund auch die Nichtwendung gelinderer Mittel unzureichend begründete.
Als Ergebnis war daher gemäß § 67 VwGG die Rechtswidrigkeit des in Prüfung gezogenen Bescheides der BH vom 20. Februar 2006 festzustellen, woraus auch die Rechtswidrigkeit der darauf gegründeten Anhaltung der T. Z. in Schubhaft folgt.
Wien, am 22. Dezember 2009
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