VwGH 2006/21/0027

VwGH2006/21/002730.8.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des K, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 27. Jänner 2006, Zl. Senat-FR-06-1003, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs3;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs3;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus Tschetschenien stammender russischer Staatsangehöriger, ist am 10. Jänner 2006 gemeinsam mit seiner Ehefrau und zwei Kindern im Alter von zwei und drei Jahren (Blatt 17 und 141 der vorgelegten Verwaltungsakten) in das Bundesgebiet eingereist und hat die Gewährung von Asyl beantragt. Er wies darauf hin, dass sein Bruder als "anerkannter Flüchtling" bereits in Österreich lebe (Blatt 21 und 39 der Verwaltungsakten). Er und seine Familie wurden im Flüchtlingslager Traiskirchen untergebracht. Davor hatte der Beschwerdeführer bereits am 2. November 2005 in Polen einen Asylantrag gestellt.

Mit am selben Tag in Vollzug gesetztem Bescheid vom 18. Jänner 2006 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Baden gegen den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z. 4 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und seiner Abschiebung zu sichern.

In ihrer Begründung verwies sie auf den vom Beschwerdeführer bereits in Polen gestellten Asylantrag, weshalb der Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG verwirklicht sei. Der Beschwerdeführer besitze kein gültiges Reisedokument und sei nicht Willens bzw. nicht in der Lage, das Bundesgebiet zu verlassen. Seine Ausreise sei aus eigenem Entschluss und auf legalem Weg nicht möglich, sodass eine fremdenpolizeiliche Maßnahme zu treffen sei. Er verfüge für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht über ausreichende Barmittel und könne mangels arbeitsmarkt- oder aufenthaltsrechtlicher Bewilligung auch keine rechtmäßige Beschäftigung ausüben. Es müssten daher für den weiteren Aufenthalt öffentliche Mittel aufgewendet werden bzw. sei der Schluss zulässig, er werde versuchen, durch Begehung strafbarer Handlungen seinen "Unterhalt zu fristen".

Die Anwendung gelinderer Mittel sei auszuschließen, weil der Beschwerdeführer seinen "Aufenthalt in Österreich nicht legalisieren" könne. Es sei daher die Annahme gerechtfertigt, dass er sich dem behördlichen Zugriff entziehen werde, um die Vollstreckung der fremdenpolizeilichen Maßnahme gegen seine Person zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren, "weshalb der Zweck der Schubhaft somit nicht erreicht werden könnte".

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde einer dagegen vom Beschwerdeführer am 19. Jänner 2006 erhobenen und am 25. Jänner 2006 ergänzten Schubhaftbeschwerde gemäß § 67c Abs. 4 AVG iVm § 83 FPG keine Folge und stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

In ihrer Begründung bejahte die belangte Behörde das Vorliegen der Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG zur Anordnung der Schubhaft. Das Fehlen des Nachweises der Mittel zur Bestreitung des Unterhaltes rechtfertige den Schluss, der Fremde werde sich dem Verfahren entziehen, und reiche für die Anordnung der Schubhaft aus. Aus diesem Grund komme die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG auch bei Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers "bei gleich gelagertem Sachverhalt" in Österreich befänden, nicht in Betracht, weil dadurch nicht sichergestellt werden könnte, dass der Beschwerdeführer im weiteren Verfahren für die Behörde greifbar bleibe.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Abgesehen davon, ob die belangte Behörde den Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG in zulässiger Weise heranziehen durfte, sind die Gründe, aus denen über einen Asylwerber gemäß § 76 Abs. 2 FPG Schubhaft angeordnet werden kann, im Licht des Gebotes der Verhältnismäßigkeit auszulegen. Dabei ist eine verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Hieraus folgt eine Verpflichtung der die Schubhaft anordnenden Behörde, nachvollziehbar darzulegen, inwiefern die Anordnung der Schubhaft erforderlich ist, um den Sicherungszweck zu erreichen. In diesem Sinn sind auch Überlegungen darüber anzustellen, ob dem Sicherungszweck bereits durch die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG entsprochen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0051, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 2006, B 362/06, sowie das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0091, mwN).

Zur Prüfung des Sicherungserfordernisses ist auf alle Umstände des konkreten Falles Bedacht zu nehmen, um die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig anzusehen. Dabei kommt in einer Konstellation wie der vorliegenden insbesondere dem bisherigen Verhalten des Fremden Bedeutung zu. In diesem Sinn ist auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 2004, B 292/04, VfSlg. 17.288, hinzuweisen, wonach die konkrete Situation des (nach dem dort zu beurteilenden Sachverhalt wie im vorliegenden Beschwerdeverfahren von der Ehefrau und seinem Kind getrennten) Asylwerbers geprüft werden müsse, auch wenn er als Fremder vorher in einem sicheren Drittland einen Asylantrag gestellt habe.

Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner - nach seinem Vorbringen (Blatt 131 der vorgelegten Verwaltungsakten) psychisch erkrankten - Ehefrau und ihren beiden zwei und drei Jahre alten Kindern von der gemeinsamen Einreise am 10. Jänner 2006 bis zu seiner Festnahme am 18. Jänner 2006 in Bundesbetreuung untergebracht gewesen. Er hatte überdies geltend gemacht, dass sich sein Bruder legal und dauerhaft in Österreich aufhalte. Die Asylantragstellung in Polen hat er nicht verschwiegen und die Weiterreise damit begründet, dass er wüsste, von dort in sein Heimatland abgeschoben zu werden. Demnach wäre eine Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen und eine Begründung im angefochtenen Bescheid notwendig gewesen, welche Umstände es trotz dieser - ein Untertauchen nicht nahe legenden - Sachverhaltselemente konkret erfordert hätten, den Beschwerdeführer aus der Bundesbetreuung in die Schubhaft zu überstellen. Allein aus den Ausführungen der belangten Behörde ist nämlich nicht ersichtlich, weshalb er die ihm gewährte Unterstützung aufgeben und in die Anonymität abtauchen hätte sollen (vgl. die beiden zitierten hg. Erkenntnisse vom 28. Juni 2007 und das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2007/21/0043).

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. August 2007

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