Normen
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt II. (Feststellung, "dass die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen") wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein russischer Staatsangehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 31. März 2008 gemeinsam mit seiner schwangeren Ehefrau und dem 2006 geborenen gemeinsamen Sohn nach Österreich. Er und seine Familienmitglieder stellten hier Anträge auf internationalen Schutz, die - im Hinblick auf einen Voraufenthalt in Polen - mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 1. August 2008 gemäß § 5 AsylG 2005, iVm einer Ausweisung nach Polen gemäß § 10 AsylG 2005, zurückgewiesen wurden. Dagegen an ihn erhobenen Beschwerden erkannte der Asylgerichtshof aufschiebende Wirkung nicht zu.
Der Mitbeteiligte und seine Familie (im Juni 2008 war mittlerweile eine Tochter geboren worden) waren in der Betreuungsstelle Ost untergebracht. Für den 11. September 2008 war ihre Abschiebung nach Polen geplant, die durch den Mitbeteiligten jedoch vereitelt wurde.
Mit dem dann gemäß § 57 AVG erlassenen Bescheid vom 11. September 2008 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden (im Folgenden: BH) gegen den Mitbeteiligten zur Sicherung seiner Abschiebung, gestützt auf § 76 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), die Schubhaft an. Das begründete die BH zunächst damit, dass der Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. August 2008 seit dem 1. September 2008 durchführbar sei. Es sei beabsichtigt gewesen, den Mitbeteiligten und seine Familie im Zuge des "Dublinübereinkommens" nach Polen zu überstellen. Er habe sich jedoch der Abschiebung widersetzt und angegeben, dass er auf keinen Fall nach Polen fliegen würde.
Die BH führte weiter aus, dass der Mitbeteiligte kein gültiges Reisedokument besitze und nicht willens bzw. nicht in der Lage sei, das Bundesgebiet zu verlassen; es sei somit eine fremdenpolizeiliche Maßnahme zu treffen. Für den weiteren Aufenthalt in Österreich verfüge er nicht über ausreichende Barmittel und er könne mangels arbeitsmarkt- und aufenthaltsrechtlicher Bewilligung auch keine rechtmäßige Beschäftigung ausüben. Es müssten daher für seinen Aufenthalt öffentliche Mittel aufgewendet werden bzw. sei der Schluss zulässig, dass er versuchen werde, durch Begehung strafbarer Handlungen seinen Unterhalt zu fristen. Bei einer Gesamtwürdigung des vorliegenden Falles sei somit die Annahme gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Mitbeteiligten in Österreich die öffentliche Ordnung, insbesondere im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen und einen geordneten Arbeitsmarkt, und das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährde. Ein Verstoß gegen das Sichtvermerksabkommen stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit dar, die die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen könne. Eine gerechtfertigte Annahme einer Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen liege dann vor, wenn der Fremde den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht initiativ nachweisen könne.
Abschließend führte die BH noch aus, die Anwendung gelinderer Mittel sei im vorliegenden Fall ausgeschlossen, weil der Mitbeteiligte seinen Aufenthalt in Österreich "nicht legalisieren" könne und daher die Annahme gerechtfertigt sei, dass er sich dem behördlichen Zugriff entziehen werde, um die Vollstreckung der fremdenpolizeilichen Maßnahme gegen seine Person zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren. Die Behörde sei "auf Grund des ermittelten Sachverhaltes" zum Ergebnis gelangt, dass die Verhängung der Schubhaft zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis stehe und im Interesse des öffentlichen Wohles dringend erforderlich und geboten sei.
Mit Erkenntnis vom 15. September 2008 wies der Asylgerichtshof die gegen die zurückweisenden Bescheide des Bundesasylamtes vom 1. August 2008 erhobenen Beschwerden ab. Am 22. September 2008 wurde der Mitbeteiligte schließlich mit seiner Familie nach Polen abgeschoben.
Mittlerweile hatte der Mitbeteiligte Schubhaftbeschwerde erhoben. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 19. September 2008 gab der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) dieser Beschwerde Folge und traf die Feststellung, dass der Schubhaftbescheid der BH sowie die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft rechtswidrig seien (Spruchpunkt I.). Außerdem wurde festgestellt, dass die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft (des Mitbeteiligten) nicht vorlägen (Spruchpunkt II.).
Die belangte Behörde traf insbesondere nähere Feststellungen zum Abschiebeversuch vom 11. September 2008. Sie führte aus, dass der Mitbeteiligte und seine Familie am 10. September 2008 in der Betreuungsstelle Ost festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände in Wien überstellt worden seien. Als der Mitbeteiligte nach einer Untersuchung in seine Zelle habe zurückgebracht werden sollen, habe er begonnen wild zu gestikulieren und zu schreien, gegen Einrichtungsgegenstände zu laufen und zu treten und habe sich schließlich auf den Boden fallen lassen. Dabei sei es zu Verletzungen des Mitbeteiligten gekommen. Danach habe er mitgeteilt, auf keinen Fall nach Polen abgeschoben werden zu wollen. Am 11. September 2008 habe er sich im Zuge der Überstellung auf den Flughafen vor der Aufnahmekanzlei des Polizeianhaltezentrums auf den Boden fallen lassen und sich mit beiden Händen am Gitter festgeklammert. Nach Lösung des Festhaltegriffes habe er mit seiner Familie schließlich auf den Flughafen Wien-Schwechat gebracht werden können, habe aber dort nochmals zu verstehen gegeben, auf keinen Fall nach Polen zu fliegen. Hierauf sei die Abschiebung abgebrochen und der Mitbeteiligte gemeinsam mit seiner Familie wieder ins Polizeianhaltezentrum verbracht worden.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass bei Bescheiderlassung durch die BH der Schubhafttatbestand nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG vorgelegen habe. Die von der BH ihrem Schubhaftbescheid zugrundegelegte Begründung sei jedoch - was im Einzelnen näher dargelegt wurde - nicht nachvollziehbar bzw. für die Frage der Erforderlichkeit der Schubhaft nicht von Relevanz.
Die belangte Behörde führte weiter aus, dass der ab Asylantragstellung in der Betreuungsstelle Ost untergebrachte Mitbeteiligte sich im bisherigen Asylverfahren kooperativ gezeigt habe und der Behörde immer zur Verfügung gestanden sei. Auch nachdem sein Asylantrag zurückgewiesen und seine Ausweisung nach Polen verfügt worden sei, habe er die ihm zugewiesene Betreuungseinrichtung nicht verlassen und sei mit seiner Familie im Lager Traiskirchen verblieben, um dort den Ausgang des Beschwerdeverfahrens vor dem Asylgerichtshof abzuwarten. Es sei nicht zu ersehen, dass der Mitbeteiligte irgendwann versucht hätte, sich dem Verfahren zu entziehen und unterzutauchen. Fehlende Ausreisewilligkeit alleine könne aber kein besonderes Sicherungserfordernis begründen. Im konkreten Fall habe der Mitbeteiligte seine Abschiebung nach Polen durch die Ankündigung, er werde sich dieser Maßnahme widersetzen, vereitelt. Inwiefern die Schubhaft seine auf einen späteren Zeitpunkt verschobene Abschiebung sichern solle, sei dem Bescheid der BH nicht zu entnehmen, habe doch die Schubhaft nicht die Funktion einer Straf- oder Beugehaft, um den Fremden zu einem kooperativen Verhalten bei der Durchführung der Abschiebung zu veranlassen. Im Hinblick darauf, dass die Familie des Mitbeteiligten weiterhin in der Betreuungsstelle im Lager Traiskirchen versorgt werde, lasse der Bescheid der BH, welcher auf diesen Umstand mit keinem Wort eingehe, eine nachvollziehbare Begründung dahingehend vermissen, weshalb eine Trennung des Mitbeteiligten von seiner Familie erforderlich sei und andererseits ein Untertauchen des Mitbeteiligten angenommen werden müsste. Es sei daher davon auszugehen, dass die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft in ihrer gesamten Dauer rechtswidrig (gewesen) sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift seitens des Mitbeteiligten erwogen:
Die BH hatte in ihrer Schubhaftanordnung auf den Fall des Mitbeteiligten bezogen nur auf den bereits durchführbaren Zurückweisungsbescheid des Bundesasylamtes vom 1. August 2008 hingewiesen und ausgeführt, dass sich der Mitbeteiligte seiner für den 11. September 2009 geplanten Abschiebung widersetzt und angegeben habe, auf keinen Fall nach Polen zu fliegen. Nähere Feststellungen dazu waren nicht getroffen worden, vielmehr hatte die BH die Schubhaft des Mitbeteiligten im Weiteren mit Überlegungen begründet, die sich - wie von der belangten Behörde zutreffend erkannt - als nicht tauglich erweisen. Dazu kann des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0185, verwiesen werden, in dem ein im Wesentlichen gleichlautender Entscheidungsduktus der Bezirkshauptmannschaft Baden zu behandeln war (vgl. auch das schon von der belangten Behörde zitierte hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2008/21/0075). Der belangten Behörde kann daher nicht mit Erfolg entgegen getreten werden, wenn sie den Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft als rechtswidrig erachtete.
Die belangte Behörde hatte allerdings gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG auch darüber abzusprechen, ob zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Einen derartigen Ausspruch hat die belangte Behörde zwar getroffen, der Begründung ihres Bescheides ist eine eigenständige Beschäftigung mit der Frage der Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft des Mitbeteiligten - über die Beurteilung des Bescheides der BH hinaus - jedoch nur in Ansätzen zu entnehmen. Dabei hat sie aber jedenfalls die von ihr selbst getroffenen Feststellungen über das Verhalten des Mitbeteiligten am 10. und am 11. September 2008 vor dem zunächst geplanten Abschiebetermin nicht ausreichend berücksichtigt. Die Argumentationslinie, fehlende Ausreisewilligkeit alleine könne kein besonderes Sicherungserfordernis begründen, wird diesen Feststellungen nicht gerecht. Von bloßer Ausreiseunwilligkeit kann nämlich nicht die Rede sein, wenn ein Fremder wie hier der Mitbeteiligte einen bereits in die Wege geleiteten Abschiebevorgang durch Akte der Selbstbeschädigung oder durch mehrfache passive Widerstandshandlungen vereitelt. In einem solchen Fall liegt nämlich bereits eine konkrete, auf die Verhinderung einer Außerlandesschaffung gerichtete Vorgangsweise vor, woraus dann aber auch der Schluss zu ziehen ist, der betreffende Fremde werde ohne Verhängung von Schubhaft zur Verhinderung seiner Abschiebung auch vor einem Untertauchen nicht zurückschrecken. Dass der Mitbeteiligte nach seiner im Asylverfahren erfolgten erstinstanzlichen Ausweisung nach Polen in der ihm zugewiesenen Betreuungseinrichtung verblieben ist, um dort - wie im bekämpften Bescheid formuliert - den Ausgang des Beschwerdeverfahrens vor dem Asylgerichtshof abzuwarten, steht dieser Annahme fallbezogen nicht entgegen, weil der Mitbeteiligte infolge des - gescheiterten - Abschiebeversuches zur Kenntnis nehmen musste, dass ihm ein derartiges Abwarten in Österreich gerade nicht ermöglicht werden sollte. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass der Asylgerichtshof bereits mit Erkenntnis vom 15. September 2008 die Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den zurückweisenden und ihn ausweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. August 2008 abgewiesen hatte, was von der belangten Behörde bei ihrem Fortsetzungsausspruch noch hätte berücksichtigt werden können. Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen lässt sich aber schließlich auch nicht sagen, Schubhaft wäre nur die Funktion einer Straf- oder Beugehaft zugekommen, um den Mitbeteiligten zu einem kooperativen Verhalten bei der Durchführung der Abschiebung zu veranlassen.
Nach dem Gesagten beruht der Ausspruch der belangten Behörde nach § 83 Abs. 4 erster Satz FPG - mit dem auch unter dem Gesichtspunkt der Haftunfähigkeit erstatteten Vorbringen in der an sie erhobenen Beschwerde, das Verhalten des Mitbeteiligten sei auf psychische Probleme zurückzuführen, hat sich die belangte Behörde nicht beschäftigt - auf einer Verkennung der Rechtslage. Der bekämpfte Bescheid war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, während er im Hinblick auf die obigen Erwägungen im Übrigen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Wien, am 30. August 2011
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