VwGH 2008/08/0243

VwGH2008/08/024318.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des J G in Wien, vertreten durch Dr. Lukas Flener, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausplatz 4, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 29. Juli 2008, Zl. 2008-0566-9-001589, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §10 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegenüber dem Beschwerdeführer der Verlust seines Anspruchs auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 5. Mai bis 16. Juni 2008 ausgesprochen.

Als entscheidungserheblichen Sachverhalt stellte die belangte Behörde fest, dem Beschwerdeführer sei anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 17. April 2008 bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice D eine Stelle als Kassa- und Regalbetreuer bei der Firma B. im Ausmaß von 20 bzw. 38,5 Wochenstunden von Montag bis Freitag zwischen 7:30 Uhr bis 19:30 Uhr und Samstag bis 17:30 Uhr mit einer kollektivvertraglichen Entlohnung angeboten worden. Im Inserat der Firma B. stehe vermerkt, dass persönliche Vorstellungen im Rahmen einer Vorauswahl am 24. April 2008 beim Arbeitsmarktservice R erfolgen würden. Nach Angaben des Arbeitsmarktservice R sei der Beschwerdeführer zur Vorauswahl am 24. April 2008 nicht erschienen.

Dieser Sachverhalt sei dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 16. Juni 2008 nachweislich zur Kenntnis gebracht worden, um ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme zu geben bzw. sei er aufgefordert worden mitzuteilen, warum er am 24. April 2008 nicht zur Vorauswahl erschienen sei.

In seiner Stellungnahme vom 30. Juni (gemeint wohl: 19. Juni) 2008 habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er am 24. April 2008 wegen Brechdurchfalls die Wohnung nicht verlassen habe können. Er sei davon ausgegangen, dass ihm das Arbeitsmarktservice einen Ersatztermin geben würde.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die angebotene Beschäftigung bei der Firma B. sei zumutbar im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen gewesen. Unstrittig sei im gegenständlichen Verfahren, dass es sich im Fall des Beschwerdeführers um ein Vorauswahlverfahren gehandelt habe, bei dem dem Arbeitsmarktservice die Aufgabe zukomme, Bewerber für die jeweiligen Betriebe bzw. Arbeitgeber vorzuselektieren, damit sich beim Auftraggeber (anschließend) nur passende Personen melden würden. Die Vorgangsweise eines Arbeitslosen, trotz Kenntnis einer Beschäftigungsmöglichkeit keinerlei Anstrengungen unternommen zu haben, die Arbeitsstelle zu erlangen, könne als Vereitelung im Sinne des § 10 AlVG gewertet werden. Dies treffe auch für Vorauswahlverfahren beim Arbeitsmarktservice zu.

Die vom Beschwerdeführer erst im Berufungsverfahren geltenden gemachten Gründe (Brechdurchfall), weshalb er bei der Vorauswahl am 24. April 2008 nicht erschienen sei, hätten von ihm nicht belegt werden können. Weiters sei auch kein Anruf des Beschwerdeführers am 24. April 2008 in der EDV des Arbeitsmarktservice ersichtlich.

Die belangte Behörde gelange daher zu der Ansicht, dass der Beschwerdeführer die Annahme einer zumutbaren Beschäftigung durch sein Nichterscheinen zur Vorauswahl vereitelt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert die arbeitslose Person, wenn sie sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Gemäß § 38 AlVG ist diese Bestimmung auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns des Arbeitslosen und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen- somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht. Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 2006, Zl. 2005/08/0049, uva).

2. Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst, die Beschäftigung vorsätzlich vereitelt zu haben. Die belangte Behörde habe keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen zur "objektiven und subjektiven Tatseite des § 10 AlVG" getroffen und es weiters unterlassen, geeignete Beweise aufzunehmen. Die belangte Behörde hätte Beweise erheben müssen, aufgrund derer ein vorsätzliches Handeln des Beschwerdeführers festgestellt hätte werden können, wie zum Beispiel der Nachweis, dass der Beschwerdeführer nicht erkrankt gewesen sei. Insbesondere habe es die belangte Behörde unterlassen, den Beschwerdeführer mündlich zu den Ereignissen zu befragen um ihm zu ermöglichen, seine Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen und Zeugen für seine Krankheit zu hören. Diese Befragungen hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer nicht vorsätzlich dem Vorstellungstermin ferngeblieben sei und daher die Voraussetzungen für die Entziehung der Notstandshilfe nicht erfüllt gewesen seien.

3. Zu diesem Vorbringen ist zunächst anzumerken, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren keine Beweisanträge gestellt hat. Er hat auch sonst kein Vorbringen erstattet, das die belangte Behörde zu weiteren Ermittlungen veranlassen hätte müssen. Insbesondere hat er keine Beweismittel zum Beweis der von ihm behaupteten Erkrankung am 24. April 2008 benannt und auch gar nicht dargelegt, dass es dafür überhaupt Zeugen oder andere Beweismittel gäbe. In seiner Beschwerde legt er zudem nicht dar, welches - zu einem anderen Ergebnis führende - Vorbringen er bei einer persönlichen Einvernahme erstattet hätte. Dem Beschwerdeführer wurde im Rahmen des Berufungsverfahrens außerdem förmlich Parteiengehör eingeräumt, in dessen Rahmen er weiteres Vorbringen, gegebenenfalls auch hinsichtlich möglicher Beweismittel, hätte erstatten können.

4. In einer Stellungnahme vom 19. Juni 2008 behauptete der Beschwerdeführer, es sei ihm am 24. April 2008 wegen Brechdurchfalls nicht möglich gewesen, die Wohnung zu verlassen. Er sei davon ausgegangen, dass ihm das Arbeitsmarktservice einen Ersatztermin "stellen würde", was aber nicht geschehen sei. Dazu führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, dass die vom Beschwerdeführer erst im Berufungsverfahren geltend gemachten krankheitsbedingten Gründe seiner Abwesenheit am 24. April 2008 "nicht belegt werden" hätten können. Somit ist die belangte Behörde zweifellos davon ausgegangen, dass keine solche hinderliche Erkrankung vorgelegen ist, weshalb diesbezüglich keine fehlenden Feststellungen - wie in der Beschwerde gerügt - erkannt werden können.

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheids niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d. h. sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2005, Zl. 2003/08/0233, mwN).

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde zum Nichtvorliegen einer Erkrankung des Beschwerdeführers am 24. April 2008 begegnet vor diesem Hintergrund keinen Bedenken. Der Beschwerdeführer hat erstmals in seiner Stellungnahme vom 19. Juni 2008 - damit mehr als zwei Monate nach dem versäumten Termin - das Vorliegen einer solchen Erkrankung behauptet. Noch in seiner verhältnismäßig umfangreichen Berufung vom 1. Juni 2008 hatte der Beschwerdeführer keine Erkrankung als Grund für das Versäumen des Termins zur persönlichen Vorstellung genannt. Schon aus diesem Grund ist es nachvollziehbar, wenn die belangte Behörde dem späten und nicht weiter konkretisierten oder durch Beweismittel belegten Vorbringen des Beschwerdeführers, das es ihm wegen einer näher bezeichneten plötzlichen Erkrankung nicht möglich gewesen sei, die Wohnung zu verlassen, nicht gefolgt ist.

Die belangte Behörde hat zum Vereitelungsvorsatz des Beschwerdeführers weiters ausgeführt, dass die Vorgangsweise eines Arbeitslosen, trotz Kenntnis einer Beschäftigungsmöglichkeit keinerlei Anstrengungen zu unternehmen, die Arbeitsstelle zu erlangen, als Vereitelung des § 10 AlVG gewertet werden könne. Der Beschwerdeführer bringt selbst vor, er habe geglaubt, das Arbeitsmarktservice würde ihm einen "Ersatztermin" geben. Angesichts dessen bestehen keine Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer dem Auswahltermin am 24. April 2008 absichtlich ferngeblieben ist und (zumindest bedingten) Vorsatz hatte, die angebotene Beschäftigung zu vereiteln.

5. Der Beschwerdeführer rügt als weiteren Begründungsmangel, die belangte Behörde habe nicht überprüft, ob er einen Anruf beim Arbeitsmarktservice unterlassen habe. Es bestehe die Möglichkeit, dass ein solcher zwar getätigt, aber nicht in der EDV erfasst worden sei.

Mit diesem Vorbringen behauptet der Beschwerdeführer nicht, dass ein entsprechender Telefonanruf beim Arbeitsmarktservice (etwa um sich für den Vorauswahltermin am 24. April 2008 krank zu melden) tatsächlich stattgefunden hätte. Zudem bringt der Beschwerdeführer in der Beschwerde an anderer Stelle selbst vor, es verabsäumt zu haben, der Behörde aufgrund seiner Erkrankung rechtzeitig telefonisch Bescheid gegeben zu haben.

6. Schließlich wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, dass sein Verhalten ursächlich für das Nichtzustandekommen der Beschäftigung bei der Firma B. war. Zum Zeitpunkt der Vorauswahl sei das Beschäftigungsverhältnis nämlich maßgeblich von anderen Faktoren, wie der Entscheidung der Firma B. über die Eignung des Beschwerdeführers, abhängig gewesen. Auch wenn der Beschwerdeführer zu der Vorauswahl erschienen wäre, wäre es nicht mit Sicherheit zu einem Beschäftigungsverhältnis gekommen.

Dabei verkennt der Beschwerdeführer das Wesen der Kausalität einer Vereitelungshandlung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG. Es ist dabei nämlich nicht Voraussetzung, dass das Beschäftigungsverhältnis ohne die Vereitelungshandlung in jedem Fall zustande gekommen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. September 2006, Zl. 2005/08/0106). Vielmehr ist Kausalität dann gegeben, wenn die Chancen für das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses aufgrund der Vereitelungshandlung jedenfalls verringert wurden. Dem Beschwerdeführer ist vorzuwerfen, dass er vorsätzlich einen Vorauswahltermin für eine zugewiesene Beschäftigung versäumt hat, weshalb die weiteren Stufen des Bewerbungsprozesses gar nicht erreicht werden konnten. Somit besteht am Vorliegen einer - für das Nichtzustandekommen der Beschäftigung kausalen -Vereitelungshandlung kein Zweifel.

Dass das versäumte Vorstellungsgespräch im Rahmen eines Vorauswahlverfahrens bei einer regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice - und nicht unmittelbar beim Dienstgeber - stattfinden hätte sollen, schadet schließlich dem Charakter einer nach § 10 Abs. 1 AlVG sanktionierbaren Zuweisung nicht (vgl. das zu einem ähnlichen Vorauswahlverfahren ergangene hg. Erkenntnis vom 2. April 2008, Zl. 2007/08/0008, mwN).

7. Die Beschwerde erweist sich daher als insgesamt unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 18. Jänner 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte