VwGH 2010/12/0128

VwGH2010/12/012826.1.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Thoma, Dr. Pfiel und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Köhler, über die Beschwerde der BS in W, vertreten durch galanda . oberkofler Rechtsanwälte in 1010 Wien, Gonzagagasse 1/9b, gegen die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit betreffend eine Berufung i.A. Rechtswidrigkeit einer Weisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art132;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §27;
VwGG §36 Abs2;
VwRallg;
AVG §56;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art132;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §27;
VwGG §36 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG wird die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die Erledigung des Stadtschulrates von Wien vom 16. Mai 2007, Zl. 1323.090455/0028- bmhs/2007, zurückgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 2009, Zl. 2008/12/0177, verwiesen.

Hervorzuheben ist, dass am 16. Mai 2007 an die Beschwerdeführerin eine Erledigung des Stadtschulrates für Wien betreffend eine Weisung erging, in Ansehung deren die Beschwerdeführerin zuvor die bescheidmäßige Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit beantragt hatte.

Gegen die genannte Erledigung erhob die Beschwerdeführerin sodann Berufung an die belangte Behörde.

Mit Spruchpunkt 1. eines Bescheides der belangten Behörde vom 12. August 2008 wurde diese Berufung als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass es zu den Dienstpflichten der Beschwerdeführerin gehöre, Weisungen der Schulleitung bzw. ihres Dienstvorgesetzten zu befolgen, als Reserve für Informationsgespräche im Rahmen des Aufnahmeverfahrens an ihrer Schule anwesend zu sein und gegebenenfalls diese Gespräche auch durchzuführen.

Gegen diesen Spruchpunkt erhob die Beschwerdeführerin die zur hg. Zl. 2008/12/0177 protokollierte Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Mit dem bereits zitierten hg. Erkenntnis vom 2. Juli 2009 wurde der genannte Spruchpunkt wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben. Tragender Aufhebungsgrund war, dass es sich bei der mit Berufung angefochtenen Erledigung des Stadtschulrates für Wien vom 16. Mai 2007 nicht um einen Bescheid gehandelt habe. Die belangte Behörde wäre daher gehalten gewesen, die Berufung der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückzuweisen.

Mit der vorliegenden, am 29. Juli 2010 zur Post gegebenen Säumnisbeschwerde macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Entscheidungspflicht der belangten Behörde in Ansehung der Berufung gegen die Erledigung vom 16. Mai 2007 geltend. Die belangte Behörde habe es unterlassen, innerhalb von sechs Monaten ab Zustellung des zitierten hg. Erkenntnisses vom 2. Juli 2009 die gebotene Zurückweisung der Berufung vorzunehmen.

Mit Verfügung vom 3. August 2010 trug der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG auf, den Bescheid binnen drei Monaten zu erlassen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt. Diese Verfügung wurde der belangten Behörde am 10. August 2010 zugestellt.

Die belangte Behörde legte sodann die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Zurückweisung der Beschwerde beantragt. Zur Begründung dieses Antrages heißt es in der Gegenschrift (auszugsweise) wie folgt:

"Wie der Verwaltungsgerichtshof etwa in seinem Beschluss vom 28. März 1974, Zl. 1989/73, judiziert hat, ist eine Berufung gegen eine nichtbescheidmäßige Erledigung unzulässig. Die Zurückweisung einer Berufung ist keine Sachentscheidung. Nach Auffassung des BMUKK besteht daher in der gegenständlichen Fallkonstellation einer unzulässigen Berufung gegen einen Nicht-Bescheid keine Legitimation der Beschwerführerin zur Erwirkung einer zurückweisenden Entscheidung des BMUKK durch eine Säumnisbeschwerde. Diese Auslegung findet auch Deckung in ähnlichen Fallkonstellationen, aus denen ableitbar ist, dass die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde auch dann abgelehnt wird, wenn eine Partei einen Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten der Behörde, das keinen Bescheid darstellt, geltend macht (vgl. H. Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht, Kommentar zu §27 VwGG). Mit Säumnisbeschwerde kann, wie sich aus den §§ 36 Abs. 2 und 42 Abs. 5 VwGG ergibt, nur die Erlassung eines Bescheides begehrt werden. Auch eine Säumnisbeschwerde, mit der die Erlassung einer Verordnung oder eines ihr im Verordnungserlassungsverfahren vorgelagerten und ihre Zulässigkeit und/oder Rechtmäßigkeit bedingenden (Teil)Aktes begehrt wird, kann mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung (§ 34 Abs. 1 VwGG) keiner Erledigung in der Sache zugeführt werden (VfGH 4.10.1995, K I-9/94).

Eine behördliche Säumnis kann nach dem vorstehend Gesagten nur dort eintreten, wo ein Anspruch auf eine Sachentscheidung in einem Verwaltungsverfahren vorliegt. Bei einer differenzierten Vorgangsweise sind dabei unterschiedliche Ausgangslagen zu unterscheiden. Dies kann einerseits die mangelnde Zuständigkeit (als Grundlage für eine Zurückweisung) als auch die materielle Gesetzmäßigkeit (als Grundlage für eine meritorische Entscheidung) sein.

Wie der VwGH in seinem im Fall ergangenen Vorerkenntnis ausführt, lag der Grund für die Aufhebung der (abweisenden) Berufungsentscheidung in einer unzulässigen meritorischen Entscheidung der Behörde statt einer Zurückweisung. Mit dieser Zurückweisung kann jedoch keine Beschwer für die Genannte verbunden sein, wonach ein Anspruch auf eine abweisende bzw. zurückweisende Entscheidung vorliegt. Der Anspruch auf eine Zurückweisung würde nur dort zweckmäßig erscheinen, wenn der/die Adressatin die bescheidmäßige Erledigung für die Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche brauchen würde. Solche rechtlichen Interessen sind im konkreten Fall nicht erkennbar.

Gemäß § 27 VwGG kann die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht ("Säumnisbeschwerde") nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht (...) angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten (...) in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Gegenstand einer Säumnisbeschwerde kann nur sein, was Gegenstand des Verwaltungsverfahrens war. Die Säumnis und deren Rechtswidrigkeit sind im Säumnisbeschwerdeverfahren Prozessvoraussetzung. Fehlt es an der Säumnis, so ist die Beschwerde daher zurückzuweisen (vgl. Beschluss des VwGH vom 23. Jänner 2002, Zl. 99/07/0194).

Gegenständlich kann mangels erstinstanzlicher Erledigung auch nicht von einem Verwaltungsverfahren gesprochen werden. Sollte dieser Rechtsansicht nicht gefolgt werden können, so erscheint die Beschwerde auch aus der mangelnden Beschwer durch eine 'Nichtentscheidung' unberechtigt, weil damit der Beschwerdeführerin (auch auf Grund des bereits vorliegenden Erkenntnisses des VwGH) keine rechtliche Kontrollmöglichkeit entzogen oder verkürzt werden würde. In dem Ziel rein der Erreichung eines formalen Verfahrensabschlusses kann keine entsprechende Beschwer für die Beschwerdeführerin gesehen werden, die die Ausübung dieses Rechtsinstruments bzw. einer Säumnisbeschwerde rechtfertigen würde."

I. Zur Zulässigkeit der vorliegenden Säumnisbeschwerde:

Da der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde eine Berufung eingebracht hat, war die belangte Behörde (ungeachtet der Rechtsaktqualität der Erledigung der erstinstanzlichen Dienstbehörde) jedenfalls verpflichtet, über diese Berufung mit Bescheid zu entscheiden. Die Erfüllung dieser Verpflichtung kann auch darin bestehen, dass die Behörde die Berufung wegen Unzulässigkeit zurückweist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Februar 1995, Zl. 93/12/0198, und vom 15. Oktober 1986, Zl. 85/01/0296).

Die Ausführungen der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift bieten keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Ein Verwaltungsverfahren im Verständnis des § 27 Abs. 1 VwGG liegt schon im Hinblick auf den von der Beschwerdeführerin gestellten Feststellungsantrag vor; überdies zielt die erhobene Berufung auf ein Verfahren vor der Berufungsbehörde ab. Die Wortfolge "in der Sache entschieden hat" in § 27 Abs. 1 VwGG ist offenkundig nicht gleichbedeutend mit der Wortfolge "in der Sache selbst zu entscheiden" in § 66 Abs. 4 erster Satz AVG. Vielmehr besteht - wie in den zitierten Erkenntnissen dargelegt - die Entscheidungspflicht und die Zulässigkeit der Geltendmachung ihrer Verletzung auch dann, wenn in einem konkreten Fall eine andere als die in § 66 Abs. 4 erster Satz AVG erwähnte Entscheidung "in der Sache selbst" geboten ist, also etwa in Fällen, in denen die Berufung zurückzuweisen oder eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG zu treffen ist. Daraus wiederum folgt - umgekehrt -, dass eine Säumnisbeschwerde auch dann unzulässig ist, wenn etwa eine Berufungsbehörde durch Zurückweisung der Berufung oder durch eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG ihrer Entscheidungspflicht nachkommt. Mit Entscheidung "in der Sache" im Verständnis des § 27 Abs. 1 VwGG ist daher jede Entscheidung gemeint, welche die in Rede stehende Rechtssache für den anhängigen Rechtsgang erledigt.

Da die gebotene Zurückweisung der Berufung durch Bescheid zu ergehen hat, ist die hier vorliegende Fallkonstellation auch nicht jener vergleichbar, in denen eine Behörde mit der Setzung eines (nicht in der Erlassung eines Bescheides bestehenden) bestimmten Verhaltens säumig ist.

Auch Überlegungen zur Beschwer führen zu keinem anderen Ergebnis, weil diese hier schon auf Grund einer Verletzung des subjektiven Rechtes der Beschwerdeführerin auf fristgerechte Entscheidung über ihre Berufung vorliegt. Im Übrigen läge aber auch erst nach Zurückweisung der Berufung ein Bescheid vor, auf Grund dessen es feststeht, dass es sich bei der mit Berufung angefochtenen Erledigung der erstinstanzlichen Dienstbehörde ihrerseits nicht um einen Bescheid gehandelt hat. Zwar gilt grundsätzlich, dass nur der Spruch des Bescheides, nicht aber dessen Begründung in Rechtskraft erwachsen kann. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt für verfahrensrechtliche Bescheide. So wird der normative Gehalt einer Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet oder unzulässig von jenem der Zurückweisung eines Rechtsmittels mangels Vorliegens einer anfechtbaren Entscheidung unterschieden (vgl. den hg. Beschluss vom 26. April 2006, Zl. 2006/12/0040, und das hg. Erkenntnis vom 26. April 1996, Zl. 95/17/0033 = VwSlg. 7093 F/1996).

Aus diesen Erwägungen erweist sich die vorliegende Säumnisbeschwerde als zulässig. Infolge des ungenutzten Verstreichens der der belangten Behörde gesetzten dreimonatigen Nachfrist ist die Befugnis zur Entscheidung über die Berufung der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde auf den Verwaltungsgerichtshof übergegangen.

II. Zur inhaltlichen Entscheidung:

Aus dem bereits mehrfach zitierten hg. Erkenntnis vom 2. Juli 2009, Zl. 2008/12/0177, folgt die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde oder hier des im Säumnisbeschwerdeverfahren an ihre Stelle tretenden Verwaltungsgerichtshofes, die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die erstinstanzliche Erledigung zurückzuweisen, weil es sich bei letzterer nicht um einen Bescheid gehandelt hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 26. Jänner 2011

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