VwGH 2009/22/0185

VwGH2009/22/018513.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde

1. der SA, geboren am 23. Juni 1987, 2. des SA, geboren am 3. Mai 2006, 3. der MA, geboren am 3. November 2007, alle in Pakistan, alle vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres je vom 2. Juni 2009,

  1. 1.) Zl. 152.914/4-III/4/09 (hg. Zl. 2009/22/0185),
  2. 2.) Zl. 152.914/5-III/4/09 (hg. Zl. 2009/22/0186),
  3. 3.) Zl. 152.914/6-III/4/09 (hg. Zl. 2009/22/0187), jeweils betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §293 Abs1;
ASVG §293;
AVG §45 Abs3;
AVG §66 Abs4;
NAG 2005 §11 Abs2 Z2;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3;
ASVG §293 Abs1;
ASVG §293;
AVG §45 Abs3;
AVG §66 Abs4;
NAG 2005 §11 Abs2 Z2;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der beiden anderen - im Jahr 2006 und 2007 geborenen - beschwerdeführenden Parteien. Sie alle sind pakistanische Staatsangehörige.

Am 4. August 2008 brachten die beschwerdeführenden Parteien im Weg der Österreichischen Botschaft Islamabad Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln ein, die sie mit der Familienzusammenführung mit ihrem in Österreich lebenden Ehemann bzw. Vater, der ebenfalls pakistanischer Staatsangehöriger ist und dem zuletzt (nach dem Fremdengesetz 1997) ein Niederlassungsnachweis ausgestellt wurde, begründeten.

Die Behörde erster Instanz (Landeshauptmann von Wien) wies die Anträge gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Den dagegen erhobenen Berufungen gab die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 19 Abs. 2 iVm § 29 Abs. 1 sowie § 46 Abs. 4 Z 1, § 11 Abs. 2 Z 2 und Z 4 iVm Abs. 5 NAG keine Folge.

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde - im Wesentlichen in allen Bescheiden gleichlautend - darauf ab, dass Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 46 Abs. 4 Z 1 NAG nur dann zu erteilen sei, wenn die Voraussetzungen des ersten Teiles des NAG erfüllt seien.

Nach Wiedergabe der Bestimmung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG führte die belangte Behörde aus, die Erstbeschwerdeführerin verfüge über kein eigenes Einkommen. Es sei aber auch nicht nachgewiesen worden, dass ihr Ehemann über ausreichende Mittel verfüge, um für die beschwerdeführenden Parteien die notwendigen Unterhaltsmittel aufbringen zu können.

Es wäre ausgehend von den Richtsätzen des § 293 Abs. 1 ASVG erforderlich, dass der Zusammenführende über ein Monatsnettoeinkommen von EUR 1.319,98 verfüge, um für sich selbst, die Erstbeschwerdeführerin und die beiden weiteren - minderjährigen - beschwerdeführenden Parteien den notwendigen Unterhalt sicherstellen zu können.

Den vorgelegten Urkunden zufolge bringe der Zusammenführende "scheinbar monatsdurchschnittlich" EUR 1.778,31 ins Verdienen. Anhand der vorgelegten Unterlagen sei aber ersichtlich, dass er monatlich EUR 239,57 an Kreditrückzahlung zu leisten habe.

Der Beschwerdeführer verfüge über Einkommen aus zwei Tätigkeiten. Hinsichtlich jenes Einkommensanteiles, den er vom Unternehmen M beziehe, handle es sich um einen Bruttobetrag von EUR 626,67. Es sei aber davon auszugehen, dass noch - im angefochtenen Bescheid genannte - Abgaben zu entrichten seien. Ob diese Abgaben fallbezogen dem Grunde nach tatsächlich anfallen und bejahendenfalls in welcher Höhe, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen.

Als entscheidungsmaßgeblich für ihre Annahme des Fehlens eines ausreichenden Einkommens erachtete die belangte Behörde aber, dass "anhand der Aktenlage zu beobachten" sei, dass der Zusammenführende das gesetzliche Kriterium, über ausreichende feste und regelmäßige Einkünfte verfügen zu müssen, nicht erfülle. Es bestehe nämlich angesichts der beruflichen Doppelbelastung, durch welche er "erst seine Einkünfte in oa. Höhe erzielen" könne, ein erhöhtes Risiko des Entfalls eines Einkommensteiles. Somit würde der Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen, weshalb ihnen gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG kein Aufenthaltstitel erteilt werden dürfe.

Weiters gehe aus dem Mietvertrag zu jener Wohnung, die der gesamten Familie als Unterkunft dienen solle, hervor, dass diese ein Ausmaß von etwa 65 m2 aufweise. Sie bestehe aus zwei großen Räumen und einem kleineren Raum sowie einem Waschraum (Bad mit WC), Küche und einem Vorraum. In dieser Wohnung seien den Eintragungen im Zentralen Melderegister zufolge außer dem Zusammenführenden noch vier weitere Personen mit Hauptwohnsitz gemeldet. Sohin werde diese Wohnung derzeit bereits von fünf Personen bewohnt. Nach der Definition von "Wiener Wohnen" für einen "Überbelag in der Wohnung" gelte für den Bereich des Bundeslandes Wien eine Wohnung wie die gegenständliche, ab einer Bewohnung durch fünf Personen als überbelegt. In den gegenständlichen Fällen würde die Wohnung im Falle des Zuzuges der beschwerdeführenden Parteien sogar von acht Personen bewohnt. Sie wäre somit jedenfalls als überbelegt und daher auch nicht mehr als ortsüblich anzusehen. Aus diesem Grund stehe der Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel auch das Fehlen der Voraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 2 NAG entgegen.

Im Anschluss legte die belangte Behörde noch dar, weshalb ihrer Ansicht nach auch nach § 11 Abs. 3 NAG die Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel nicht geboten sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

§ 11 Abs. 2 Z 2 und Z 4 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) sowie § 11 Abs. 5 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 157/2005) samt Überschrift lauten:

"Allgemeine Voraussetzungen

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

...

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

...

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, nicht zu berücksichtigen.

..."

Zutreffend ging die belangte Behörde am Boden der in § 293 Abs. 1 ASVG (in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. II Nr. 7/2009) festgelegten Richtsätze davon aus, dass der Zusammenführende - dass die Erstbeschwerdeführerin über ein eigenes Einkommen verfüge oder im Fall der Erteilung des Aufenthaltstitels verfügen werde, wurde nicht vorgebracht - über monatliche Mittel von EUR 1.319,98 verfügen müsse, um allen beschwerdeführenden Parteien die gesetzlich geforderten Unterhaltsmittel bereitstellen zu können (vgl. zur Berechnung für eine Konstellation, wie sie hier vorliegt, des näheren das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0711).

Mit noch hinreichender Deutlichkeit ist den angefochtenen Bescheiden zu entnehmen, dass die belangte Behörde die Auffassung vertritt, das dem Zusammenführenden monatlich zur Verfügung stehende Einkommen werde durch jenen Betrag von EUR 239,57, den er als monatliche Rate für die Tilgung eines Kredites zu leisten habe, geschmälert. Diese Ansicht entspricht dem Gesetz (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. April 2011, Zlen. 2010/21/0003, 0004, mwN).

Weshalb aber vor diesem Hintergrund das von der belangten Behörde festgestellte monatliche Nettoeinkommen des Zusammenführenden von EUR 1.778,31 selbst unter Abzug des Betrages der monatlichen Kreditrate nicht ausreichend sein soll, um die für die gesamte Familie notwendigen Unterhaltsmittel von EUR 1.319,98 aufzubringen, ist nicht nachvollziehbar. Schon auf der Basis ihrer eigenen Berechnungen ergibt sich ein verbleibendes monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.538,74, weshalb die geforderten Mittel von EUR 1.319,98 jedenfalls vorlägen. Wenn die belangte Behörde davon spricht, es handle sich beim von ihr errechneten Einkommen um ein solches, dass "scheinbar monatsdurchschnittlich" ins Verdienen gebracht werde, weil von einem Einkommensbestandteil noch Abgaben zu leisten wären, bleibt sie nicht nur dafür eine Begründung schuldig, sondern es kann den angefochtenen Bescheiden darüber hinaus auch nicht entnommen werden, von welchem konkreten (geringeren) Monatseinkommen die belangte Behörde allenfalls ausgeht.

Die angefochtenen Bescheide enthalten aber auch keine schlüssige Begründung dafür, weshalb die - der Antragsabweisung wegen nicht ausreichender Unterhaltsmittel zentral zu Grund gelegte - Annahme gerechtfertigt sei, es bestehe infolge der beruflichen Doppelbelastung des Zusammenführenden ein "erhöhtes Risiko" des Entfalls eines seiner Einkommen. Dass konkrete Hinweise dafür bestünden, der Zusammenführende werde eine seiner beiden beruflichen Tätigkeiten in absehbarer (in Bezug auf die Dauer der im Fall der Bewilligung festzulegenden Gültigkeit der Aufenthaltstiteln relevanter) Zeit aufgeben (müssen), führte - was die Beschwerde zutreffend aufzeigt - die belangte Behörde nicht ins Treffen; solche sind auch anhand der Aktenlage nicht erkennbar.

Die belangte Behörde spricht darüber hinaus aber auch der in Aussicht genommenen Unterkunft der beschwerdeführenden Parteien das in § 11 Abs. 2 Z 2 NAG enthaltene Kriterium der Ortsüblichkeit mit der Begründung, die Wohnung sei überbelegt, ab.

In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass das Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 2 NAG erstmals von der belangten Behörde zur Begründung der Abweisung der gegenständlichen Anträge herangezogen wurde und dazu erstmals in den Berufungsverfahren Feststellungen getroffen wurden. Zutreffend rügen die beschwerdeführenden Parteien, dass ihnen nicht die Möglichkeit eingeräumt worden sei, zum Ergebnis der Erhebungen der belangten Behörde Stellung zu nehmen. Zur Relevanz des - der Aktenlage zufolge tatsächlich gegebenen - Verfahrensfehlers wird vorgebracht, im Fall der Einräumung von Parteiengehör hätten die beschwerdeführenden Parteien vorbringen und nachweisen können, dass die Eintragungen im Zentralen Melderegister, wonach noch vier andere Personen an der gegenständlichen Adresse gemeldet seien, unrichtig seien. Diese Personen seien dort nicht mehr aufhältig; die Wohnung werde nur vom Zusammenführenden und den beschwerdeführenden Parteien bewohnt werden.

In den vorliegenden Fällen kann nun dahingestellt bleiben, ob die Auffassung der belangten Behörde, die gegenständliche Wohnung sei ab einer Bewohnung von fünf Personen als überbelegt anzusehen, zutrifft, weil im Falle der Richtigkeit des (nach dem oben Gesagten nicht dem Neuerungsverbot unterliegenden) Vorbringens ohnedies nur von vier Bewohnern, nämlich zwei Erwachsenen und zwei - im Jahr 2006 bzw. 2007 geborenen - Kindern, auszugehen wäre. Daran, dass die - oben näher beschriebene - Wohnung dann in Bezug auf ihre Bewohner als ortsüblich anzusehen wäre, hegt der Verwaltungsgerichtshof keine Zweifel.

Sohin waren die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung - im begehrten Ausmaß - gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. September 2011

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