VwGH 2010/21/0197

VwGH2010/21/019724.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über den Antrag des J, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lerchenfelder Straße 120/2/28, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 24. November 2009, Zl. E1/177.894/2007, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
B-VG Art144 Abs3;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
B-VG Art144 Abs3;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 24. November 2009 wurden dem Antragsteller in seiner Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer eines näher genannten Unternehmens gemäß § 113 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 im Einzelnen aufgeschlüsselte Kosten zur Zahlung vorgeschrieben.

Den durch seinen rechtsanwaltlichen Vertreter fristgerecht an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen den genannten Bescheid wies der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 28. Jänner 2010 wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung ab. Die Zustellung dieses Beschlusses an den Rechtsvertreter des Antragstellers erfolgte am 15. Februar 2010.

Hierauf stellte er mit Eingabe vom 18. Februar 2010 den Antrag, den Verfahrenshilfeantrag an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten. Diesen Antrag wies der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 27. April 2010 zurück. In der Begründung verwies er - unter beispielsweiser Zitierung von Vorjudikatur (VfSlg. 12.714/1991; VfSlg. 14.242/1995) - darauf, dass Art. 144 Abs. 3 B-VG nur eine Abtretung von Beschwerden, nicht aber auch eine Abtretung von Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof für den Fall ihrer Abweisung vorsehe.

Unter Bezugnahme auf die Zustellung dieses Beschlusses am 17. Mai 2010 begehrt der Antragsteller nunmehr mit der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten, von dem ihn vertretenden Rechtsanwalt verfassten Eingabe vom 1. Juni 2010 die Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang zur Erhebung einer Beschwerde gegen den eingangs genannten Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien. Dieser Antrag wurde mit einem "allfälligen" Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Verfahrenshilfeantrages verbunden. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wurde nach Darstellung des oben wiedergegebenen Verfahrensganges nur Folgendes ausgeführt:

"Im Sinne eines Wiedereinsetzungsantrages richtet der Antragsteller seinen Antrag auf Genehmigung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nunmehr binnen 14 Tagen nach Wegfall des Hindernisses, welches ihn an der Einbringung eines Antrages beim Verwaltungsgerichtshof gehindert hat, nämlich durch Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 27.4.2010, den Antrag auf Genehmigung der Verfahrenshilfe zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde.

Der Antragsteller hat den ebenfalls beiliegenden Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für Wien vom 24.11.2009 an diesem Tag auch zugestellt erhalten und hat dann fristgerecht beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Genehmigung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde eingebracht."

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Nach Abs. 3 der genannten Bestimmung ist der Antrag in den Fällen des Abs. 1 binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses beim Verwaltungsgerichtshof zu stellen; die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen. Gemäß § 46 Abs. 4 VwGG ist über den Antrag in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zu entscheiden. Demnach ist über alle Wiedereinsetzungsanträge im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, also auch über einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung einer Frist in einer Angelegenheit der Verfahrenshilfe, durch Beschluss des Senates zu entscheiden (vgl. etwa den Beschluss vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0320, mwN; siehe auch den Beschluss vom 29. Jänner 2010, Zl. 2009/10/0258).

Nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag bestand das "Ereignis", das den Antragsteller an der rechtzeitigen Stellung eines an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Verfahrenshilfeantrages (binnen sechs Wochen nach Zustellung des anzufechtenden Bescheides) hinderte, offenbar darin, dass der ihn vertretende Rechtsanwalt der Meinung war, ein rechtzeitig beim Verfassungsgerichtshof eingebrachter, von diesem jedoch abgewiesener Verfahrenshilfeantrag könne über entsprechenden Antrag an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten werden und wirke dann fristwahrend. Dieses Hindernis sei mit der Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 27. April 2010 am 17. Mai 2010 weggefallen, und zwar erkennbar deshalb, weil der Rechtsvertreter des Antragstellers durch dessen Begründung über seinen Rechtsirrtum aufgeklärt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt die Auffassung vertreten, dass auch ein Rechtsirrtum als Wiedereinsetzungsgrund in Betracht kommen kann. Wenn ein solcher Irrtum als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht wird, ist im Einzelfall die Verschuldensfrage zu prüfen (vgl. etwa den Beschluss vom 25. Mai 2007, Zl. 2006/12/0219; siehe ergänzend auch Punkt 1. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 6. Mai 2004, Zl. 2001/20/0195, mwN). Der Begriff des minderen Grades des Versehens im letzten Satz des § 46 Abs. 1 VwGG ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an behördlichen oder gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (siehe etwa das zum insoweit inhaltsgleichen § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ergangene hg. Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 2001/01/0559; vgl. allgemein zum Verschuldensmaßstab auch das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2004/01/0558).

Vor diesem Hintergrund ist es einem Rechtsanwalt als auffallende Sorglosigkeit vorzuwerfen, sich nicht (rechtzeitig und ausreichend) Kenntnis über den Inhalt des Art. 144 Abs. 3 B-VG und die dazu ergangene einschlägige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes betreffend die nicht gegebene Möglichkeit der (fristwahrenden) Abtretung eines abgewiesenen Verfahrenshilfeantrages an den Verwaltungsgerichtshof (siehe dazu auch noch die Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Februar 2001, B 1306/00, 18. September 2004, B 590/04, vom 9. Oktober 2004, B 679/04 u.a., vom 7. Juni 2005, B 107/05, und vom 25. September 2007, B 1089/07, VfSlg. 18.209/2007) verschafft und dadurch die Stellung eines die Beschwerdefrist wahrenden Verfahrenshilfeantrages an den Verwaltungsgerichtshof unterlassen zu haben. Dieser grob fahrlässige Irrtum seines Vertreters über die maßgebliche Rechtslage ist dem Antragsteller zuzurechnen (vgl. unter vielen etwa den hg. Beschluss vom 18. September 2008, Zlen. 2007/21/0116, 2008/21/0400).

Der Wiedereinsetzungsantrag war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 lit. e VwGG gebildeten Senat in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen. Über den damit verbundenen Verfahrenshilfeantrag ist von dem hiefür gemäß § 14 Abs. 2 VwGG zuständigen Berichter zu entscheiden.

Wien, am 24. Juni 2010

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