VwGH 2009/21/0035

VwGH2009/21/003524.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des S, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 21. August 2007, Zl. St-124/06, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der aus dem Kosovo stammende Beschwerdeführer reiste im November 2005 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. In diesem Verfahren ist in der Folge Gegenstandslosigkeit eingetreten.

Am 17. Dezember 2005 heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin F. Hierauf gestützt stellte er am 27. Dezember 2005 den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Dieser Antrag wurde mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Mai 2007 gemäß § 21 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) abgewiesen. Eine dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 16. Oktober 2007, Zl. 2007/18/0389, als unbegründet abgewiesen.

Mit dem vorliegend angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 21. August 2007 wies die belangte Behörde (Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich) den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 und § 66 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer halte sich "seit 28.11.2005 (gegenstandsloser Asylantrag)" nicht (mehr) rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Ihm komme nämlich weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG bzw. ein Aufenthaltsrecht auf Grund einer anderen gesetzlichen Bestimmung zu.

Auf Grund der Verehelichung mit einer österreichischen Staatsbürgerin sei der mit dieser Maßnahme verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers nicht unerheblich, doch sei dieser "hinsichtlich der gesetzlich bestehenden Grundlagen zu relativieren". Daran vermöge auch die psychische Erkrankung der Ehefrau (der Beschwerdeführer habe in wiederholten Eingaben darauf hingewiesen, F. sei infolge einer psychischen Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis völlig darauf angewiesen, von ihm gepflegt und betreut zu werden; im Fall einer Trennung bestünde die Gefahr eines Rückfalls in eine schwere Depression mit möglicher suizidaler Konsequenz) nichts ändern. Der Beschwerdeführer halte sich nämlich schon "seit ca. einem Jahr" illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße, sodass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG zu ihrer Wahrung dringend geboten sei. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Die öffentliche Ordnung würde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. "Vor dem Hintergrund dieser Tatsache" habe auch von dem der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessen nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch gemacht werden können.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer einerseits Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. März 2008, B 2031/07-7, ablehnte.

Über die - parallel dazu erhobene - vorliegende Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 richtet.

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers beendet ist. Ihr sind auch keine Behauptungen dahin zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorläge. Dafür gibt es nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte, sodass keine Bedenken gegen die behördliche Annahme bestehen, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.

Die dem hg. Aussetzungsbeschluss vom 18. September 2008, Zl. 2007/21/0422, zu Grunde liegenden Überlegungen sind mittlerweile obsolet: Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im vorliegenden Zusammenhang ausgesprochen, dass es keine Rolle spielt, ob Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind, bevor oder nachdem sie Familienangehörige des Unionsbürgers wurden (vgl. das Urteil des EuGH von 25. Juli 2008, Rs. Metock u.a. C-127/08 ). In der sich daraus ergebenden aufenthaltsrechtichen Schlechterstellung von drittstaatszugehörigen Familienangehörigen von Österreichern - abhängig von der tatsächlichen Verwirklichung eines Freizügigkeitssachverhaltes durch diese - hat der Verfassungsgerichtshof allerdings auch im Licht der zitierten Judikatur des EuGH keine Unsachlichkeit erblickt (vgl. dazu das Erkenntnis des VfGH vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a.).

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG jedoch nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

In dieser Hinsicht kritisiert die Beschwerde, die belangte Behörde habe die im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Umstände betreffend die psychische Erkrankung der F., die eine Trennung vom Beschwerdeführer gesundheitlich nicht verkraften könne und in diesem Fall selbstmordgefährdet wäre, im Rahmen der wiedergegebenen Ausführungen des angefochtenen Bescheides nur unzureichend geprüft und demzufolge auch das ihr eingeräumte Ermessen (zu Unrecht) zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgeübt. Ein mängelfreies Verfahren hätte es erfordert, die psychische Gesundheit der F. - wie in der an die belangte Behörde gerichteten Berufung ausdrücklich beantragt - durch einen psychologischen oder psychiatrischen Gutachter überprüfen zu lassen.

Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung und unzureichenden Bescheidbegründung im Ergebnis zum Erfolg:

Zwar ist die belangte Behörde insoweit im Recht, als sie im Verhalten des Beschwerdeführers (illegale Einreise und unrechtmäßiger Verbleib in Österreich nach Eintritt der Gegenstandslosigkeit in seinem Asylverfahren) eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen gesehen hat. Auch trifft es zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt.

Diesem öffentlichen Interesse kommt jedoch kein absoluter Charakter zu (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Juli 2008, Zl. 2007/21/0074, mwN). Vielmehr ist zur Prüfung, ob eine Ausweisung iSd § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten ist, eine gewichtende Gegenüberstellung des erwähnten öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.

In diesem Zusammenhang hat der Beschwerdeführer die beschriebene depressive Erkrankung seiner österreichischen Ehefrau F. ins Treffen geführt, die aus diesem Grund suizidgefährdet sei sowie insgesamt umfassender Pflege und Betreuung bedürfe. Damit hat sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - zumal die von ihr in diesem Zusammenhang ausschließlich ins Treffen geführte Dauer des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet mit dem Pflegebedarf seiner Ehefrau F. und möglichen Folgen unzureichender Pflege in keinem erkennbaren Zusammenhang steht - im Ergebnis nicht inhaltlich auseinandergesetzt.

Ein mängelfreies Verfahren hätte die Klärung der im Einzelnen festzustellenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen der F., den Einfluss der Gegenwart des Beschwerdeführers auf ihren Gesundheitszustand sowie Feststellungen dazu erfordert, wie erforderliche Pflegeleistungen im Fall einer Abwesenheit des Beschwerdeführers erbracht werden könnten. Nur eine derartige Prüfung hätte das sich daraus möglicherweise ergebende Interesse des Beschwerdeführers iSd Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar gemacht (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0296, mwN) und darüber hinaus eine mängelfreie Begründung der Ermessensentscheidung ermöglicht.

Da nicht ausgeschlossen ist, dass die belangte Behörde bei mängelfreien Feststellungen zu den dargelegten Themen zu einer anderen Entscheidung hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. Juni 2010

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