VwGH 2008/22/0676

VwGH2008/22/067615.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 28, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. April 2008, Zl. 142.825/4-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Z2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
62008CJ0127 Metock VORAB;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Z2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
62008CJ0127 Metock VORAB;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer russischen Staatsangehörigen, vom 30. Oktober 2003 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als begünstigte Drittstaatsangehörige (§ 49 Abs. 1 Fremdengesetz 1997) gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Die belangte Behörde wertete diesen Antrag als auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gerichtet und führte zur Abweisung des Antrages im Wesentlichen aus: Gemäß § 81 Abs. 1 NAG seien anhängige Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen. Die Beschwerdeführerin begehre die Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Die Beschwerdeführerin sei nach eigenen Angaben zunächst am 5. Jänner 2000 nach Deutschland gelangt, habe dort als Prostituierte gearbeitet und sich mit einem gefälschten Reisepass eine Aufenthaltserlaubnis bis 10. April 2005 erschlichen. Im Mai 2002 sei sie nach Österreich gelangt und habe den gefälschten Reisepass auch in Österreich verwendet. Im Zuge einer am 11. April 2003 durchgeführten Kontrolle habe die Fälschung des Reisepasses erkannt werden können und es sei gegen die Beschwerdeführerin ein befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Nach Entlassung aus der Schubhaft sei sie trotz des Aufenthaltsverbotes im Bundesgebiet geblieben. Erst am 27. Juni 2003 sei sie nach Moskau ausgereist. Am 15. Oktober 2003 habe sie in Moskau die Erteilung eines Schengenvisums beantragt und das über sie verhängte Aufenthaltsverbot verschwiegen. Am 30. Oktober 2003 habe sie persönlich bei der Bundespolizeidirektion Wien einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels eingebracht. Sie habe angegeben, dass sie am 17. Oktober 2003 in Österreich eingereist sei und seither hier lebe.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung sei im Ausland abzuwarten. Die Beschwerdeführerin habe sich sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung als auch seit dem Inkrafttreten des NAG am 1. Jänner 2006 und somit auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht rechtmäßig im Inland aufgehalten. § 21 Abs. 1 NAG stehe einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen. Die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger "stellt keinesfalls ein Aufenthaltsrecht" dar. Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde sich unerlaubt in Österreich aufhielten.

Die Behörde könne einen im Inland gestellten Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen gemäß § 72 NAG von Amts wegen zulassen. Diese Zulassung sei jedoch nicht als zwingend zu verstehen. § 72 NAG entspreche dem bis 31. Dezember 2005 gültigen § 10 Abs. 4 Fremdengesetz 1997. Humanitäre Gründe im Sinn des § 72 NAG hätten trotz diesbezüglicher Prüfung seitens der Berufungsbehörde nicht festgestellt werden können. Die Ehe mit einem Österreicher stelle keinen besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Sinn des § 72 NAG dar. Eine Inlandsantragstellung werde daher von Amts wegen nicht zugelassen.

Die Beschwerdeführerin könne kein Recht auf Freizügigkeit gemäß den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften in Anspruch nehmen. Es sei aus dem gesamten Akteninhalt nicht ersichtlich, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde verweist darauf, dass während der Geltung des Fremdengesetzes 1997 (FrG) Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung von begünstigten Drittstaatsangehörigen im Inland gestellt werden durften. Somit hätte die belangte Behörde sich nicht auf § 21 NAG berufen dürfen.

Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass gemäß § 81 Abs. 1 NAG anhängige Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach den Bestimmungen des NAG zu Ende zu führen sind. Dem NAG ist weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen, der zufolge auf vor dessen Inkrafttreten verwirklichte Sachverhalt die Bestimmungen des mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen FrG anzuwenden wären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2010, 2008/22/0202, mwN). Zutreffend beurteilte die belangte Behörde daher den gegenständlichen Antrag anhand des NAG (in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 99/2006) und verneinte die Erfolgsvoraussetzung des § 21 Abs. 1 NAG (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis 2008/22/0202, mwN).

Weiters spricht die Beschwerdeführerin die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG an. Dabei lässt sie jedoch außer Acht, dass im Verwaltungsverfahren kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich war, dass sich der Ehemann der Beschwerdeführerin in einen anderen Mitgliedstaat als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begeben hat. Nur wer Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, kann aus der genannten Richtlinie das Recht ableiten, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union einzureisen und sich dort aufzuhalten (vgl. erneut das hg. Erkenntnis 2008/22/0202 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH).

Soweit die Beschwerde in den Bestimmungen der §§ 51 ff NAG über das gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsrecht, mit denen die genannte Richtlinie in Österreich umgesetzt wurde, eine verfassungsrechtlich unzulässige Schlechterstellung von Angehörigen österreichischer Staatsbürger sieht, ist ihr das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a., entgegenzuhalten, in dem der Verfassungsgerichtshof diesbezüglichen Bedenken nicht gefolgt ist.

Ausgehend von der zutreffenden Ansicht, dass eine Inlandsantragstellung und das Abwarten der Entscheidung im Inland ausnahmsweise nach den §§ 72 ff NAG zu bewilligen wäre, hat die belangte Behörde das Vorliegen eines humanitären Grundes im Sinn des § 72 NAG geprüft und verneint. In der Beschwerde wird diesbezüglich vorgebracht, dass die nunmehr von der belangten Behörde gewünschte Trennung der Beschwerdeführerin von ihrem österreichischen Ehemann nicht nur dem Sinn einer Ehe widerspreche, sondern auch unnötigerweise mit hohen Kosten verbunden wäre und Art. 8 EMRK widerspräche.

Entgegen der Beschwerdeansicht hat die belangte Behörde die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht rechtsirrig vorgenommen. Auch wenn sich die Beschwerdeführerin seit 2003 im Bundesgebiet aufhält und mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet ist, ist doch zu berücksichtigen, dass sie sich die Einreise durch Verschweigen des Aufenthaltsverbotes erschlichen hat und entgegen dem (auf drei Jahre befristeten) Aufenthaltsverbot im Inland geblieben ist. In Gesamtbetrachtung der Umstände kann der Gerichtshof nicht finden, dass die Verweigerung des Aufenthaltstitels einen unzulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin zur Folge habe.

Die Beschwerdeführerin legte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Wien vom 20. April 2009 vor, mit dem der Berufung gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid Folge gegeben worden war.

Schon im Hinblick darauf, dass der hier angefochtene Bescheid nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu prüfen ist, bewirkt der vorgelegte Bescheid keine Bindung der belangten Behörde.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 15. Juni 2010

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