VwGH 2008/22/0313

VwGH2008/22/03139.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der S, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/30, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. November 2007, Zl. 316.940/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 19. November 2007 wurde ein am 27. Oktober 2005 bei der Bundespolizeidirektion Wien eingebrachter Antrag der Beschwerdeführerin, einer mazedonischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass die Beschwerdeführerin am 2. Jänner 2005 mit einem vom 22. Dezember 2004 bis 22. Jänner 2005 gültigen deutschen Visum nach Österreich eingereist sei und am 12. April 2005 einen Asylantrag gestellt habe, der "mit Datum vom 2.6.2005" rechtskräftig in zweiter Instanz zurückgewiesen worden sei.

Die Beschwerdeführerin sei daraufhin am 1. August 2005 nach Deutschland überstellt worden, sei allerdings wiederum in das Bundesgebiet zurückgekehrt, habe am 27. September 2005 in Österreich einen österreichischen Staatsbürger geheiratet und am 27. Oktober 2005 den gegenständlichen Antrag im Inland gestellt. Die Beschwerdeführerin, die noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Republik Österreich gewesen sei, habe sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten.

Die Beschwerdeführerin sei vom 28. September 2005 bis 15. März 2006 durchgehend in Österreich gemeldet gewesen und sei dies wiederum seit 16. Oktober 2006. Seit 8. November 2005 sei sie laufend als Arbeiterin bei der R.P. GmbH beschäftigt. Laut Angaben ihrer Rechtsvertreterin habe sie gegenüber ihren drei Kindern keine Sorgepflichten, weil sich die Kinder beim geschiedenen Ehemann befänden.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen der §§ 82 Abs. 1, 81 Abs. 1, 21 Abs. 1 und 2 Z. 1, 74 und 72 Abs. 1 NAG - im Wesentlichen aus, dass das Verfahren über den gegenständlichen Antrag gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen sei.

§ 21 Abs. 1 NAG stehe einer Bewilligung des Antrags entgegen.

Hinsichtlich humanitärer Gründe im Sinn des § 72 NAG führte die belangte Behörde unter anderem aus, dass die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger allein "noch kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht" darstelle und dass im vorliegenden Fall kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde das Verfahren über den gegenständlichen Antrag zutreffend gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen) Bundesgesetzes zu Ende geführt hat.

Die Beschwerde bringt in diesem Zusammenhang vor, im Jahr 2005 sei es gängige Praxis gewesen, Anträge wie den gegenständlichen zu bewilligen.

Dem NAG ist allerdings weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen, der zufolge auf vor dessen In-Kraft-Treten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetz 1997 - FrG anzuwenden wären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Juni 2010, 2008/22/0676, mwN).

Soweit die Beschwerde vorbringt, dass "die Behörde nicht in angemessener Frist gemäß § 73 AVG" über den Antrag entschieden habe, so ist festzuhalten, dass selbst bei Einhaltung der Frist gemäß § 73 Abs. 1 AVG der am 27. Oktober 2005 eingebrachte Antrag ab 1. Jänner 2006 bereits nach der Rechtslage nach dem NAG beurteilt hätte werden müssen. Eine Verletzung des Rechtes auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 EMRK durch den angefochtenen Bescheid kommt - entgegen der in der Beschwerde im Weiteren vertretenen Auffassung - schon deshalb nicht in Betracht, weil ein einen Aufenthaltstitel versagender Bescheid kein "civil right" im Sinn des Art. 6 EMRK berührt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2010, 2008/22/0202, mwN). In Hinblick auf den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des NAG - und damit auch der Bestimmung des § 21 NAG - am 1. Jänner 2006 geht auch die Beschwerdebehauptung, die Behörde habe bei Stellung des Antrags im Jahr 2005 ihre Belehrungspflicht verletzt, ins Leere.

Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass die Beschwerdeführerin noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt, den gegenständlichen Antrag im Inland gestellt und sich auch nach Antragstellung im Inland aufgehalten hat. Die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei diesem Antrag um einen Erstantrag handle, auf den § 21 Abs. 1 NAG Anwendung finde, ist daher unbedenklich. Dem in der genannten Bestimmung verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend hätte die Beschwerdeführerin daher den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Ausland stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten müssen, zumal auch keiner der Ausnahmetatbestände des § 21 Abs. 2 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) vorliegt.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2008/22/0287, mwN).

Hinsichtlich der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der erkennbaren Ansicht der belangten Behörde, die Ehe mit einem Österreicher stelle keinen besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Sinn des § 72 NAG dar, nicht gefolgt werden kann. Vielmehr ist der familiären Bindung an einen österreichischen Ehepartner grundsätzlich großes Gewicht beizumessen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688, mwN).

Allerdings reichen im vorliegenden Fall die in einer Gesamtbetrachtung zu beurteilenden sozialen und beruflichen Bindungen der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet nicht aus, um deren Recht auf eine Antragstellung im Inland gemäß §§ 72, 74 NAG zu bejahen: Hiezu ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Inland von nur knapp drei Jahren hinzuweisen (vgl. im Gegensatz dazu den dem bereits zitierten Erkenntnis vom 26. Jänner 2010 zugrunde liegenden Sachverhalt); dieser Aufenthalt ist darüber hinaus seit der Rückkehr der Beschwerdeführerin aus Deutschland nach der rechtskräftigen Beendigung ihres Asylverfahrens in Österreich im Sommer 2005 unrechtmäßig (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2010, 2008/22/0657).

Im Zusammenhang mit der Beurteilung nach § 72 NAG bringt die Beschwerde im Wesentlichen vor, dass die Behörde, die in Kenntnis davon gewesen sei, dass die Beschwerdeführerin drei minderjährige Kinder in Österreich habe, Ermittlungen dahingehend durchführen hätte müssen, ob humanitäre Gründe bestünden; damit verbindet die Beschwerdeführerin kein näheres Vorbringen zu den Kindern der Beschwerdeführerin und der sich daraus ergebenden familiären Situation. Somit wird die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels, dass es die belangte Behörde entgegen § 45 Abs. 3 AVG unterlassen habe, die Beschwerdeführerin zur Geltendmachung humanitärer Gründe aufzufordern, nicht dargetan.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 9. September 2010

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