Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.
Begründung
Die beschwerdeführenden Parteien sind Mitglieder einer Familie (die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers) und kirgisische Staatsbürger. Sie reisten am 10. Oktober 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragten am selben Tag Asyl.
Zu ihren Fluchtgründen gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie habe sich im Jänner 2000 von einem (sowohl gegen sie als auch den Zweitbeschwerdeführer) gewalttätigen Ehemann, mit dem sie gegen ihren Willen verheiratet worden sei, scheiden lassen und es sei ihr das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn (den Zweitbeschwerdeführer) zugesprochen worden. Der frühere Ehemann habe die Scheidung nicht akzeptiert und auch nicht verkraftet, dass das gemeinsame Kind bei der Erstbeschwerdeführerin verblieben sei. Er habe sie deshalb mit dem Umbringen bedroht, auf offener Straße überfallen lassen, und sie auch selbst mehrfach geschlagen und vergewaltigt. Die Erstbeschwerdeführerin habe wegen dieser Vorfälle zwar Anzeigen bei der kirgisischen Polizei und Staatsanwaltschaft erstattet; da der Täter aber selbst im Innenministerium beschäftigt sei (er arbeite bei der Sicherheitsbehörde, die für Wirtschaftskriminalität und Korruption zuständig sei), seien die Anzeigen ohne Erfolg geblieben bzw. nicht weiter verfolgt worden. Die Erstbeschwerdeführerin habe deshalb mit ihrem Sohn, dem Zweitbeschwerdeführer, die Flucht aus dem Herkunftsstaat ergriffen.
Mit Bescheiden jeweils vom 19. September 2006 wies das Bundesasylamt diese Asylanträge gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien nach Kirgisistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für nicht zulässig (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG (Spruchpunkt III.).
Die gegen Spruchpunkt I. erhobenen Berufungen wies die belangte Behörde, nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, mit den angefochtenen Bescheiden gemäß § 7 AsylG ab.
In der Bescheidbegründung betreffend die Erstbeschwerdeführerin stellte die belangte Behörde zunächst u. a. fest, die Erstbeschwerdeführerin sei von ihrem früheren Ehemann, von dem sie sich wegen dessen Gewalttätigkeit scheiden habe lassen, auch nach der Scheidung weiterhin "belästigt" worden. Im Folgenden führte die Berufungsbehörde aus, schon das Bundesasylamt sei "grundsätzlich von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens" der Erstbeschwerdeführerin ausgegangen. Es habe jedoch erkannt, dass es sich bei der erlittenen Verfolgung um eine rein private gehandelt habe, der jeglicher asylrelevanter Anknüpfungspunkt in der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) fehle, weshalb kein Asyl zu gewähren gewesen sei. Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin habe das Bundesasylamt jedoch subsidiären Schutz gewährt und begründend ausgeführt, es könne nicht mit der geforderten Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Erstbeschwerdeführerin bei Rückkehr nach Kirgisistan nicht einer im Sinn des Art. 3 EMRK unmenschlichen Behandlung ausgehend von der Person ihres ehemaligen Ehemannes ausgesetzt sein könnte, gegen die ihr kein staatlicher Schutz gewährt werde. Die Erstbeschwerdeführerin sei auch in der mündlichen Berufungsverhandlung nicht in der Lage gewesen, eine asylrelevante Verfolgung in Kirgisistan glaubhaft darzulegen. Vielmehr habe sie lediglich die privaten Übergriffe durch ihren ehemaligen Ehemann und den damit in Zusammenhang stehenden fehlenden staatlichen Schutz wiederholt. Darauf sei aber schon durch die Gewährung eines subsidiären Schutzes seitens des Bundesasylamts ausreichend Bedacht genommen worden. Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen komme die Berufungsbehörde zu dem Schluss, dass keine asylrelevante Verfolgung vorliege. Da die Erstbeschwerdeführerin sich von ihrem Ehemann scheiden habe lassen, sei sie - entgegen ihrem Rechtsstandpunkt im Berufungsverfahren - auch nicht mehr als Angehörige der sozialen Gruppe der Opfer von Zwangsverheiratungen (sollte man eine solche soziale Gruppe grundsätzlich anerkennen) anzusehen.
In der Bescheidbegründung betreffend den Zweitbeschwerdeführer bezog sich die belangte Behörde weitgehend auf den Berufungsbescheid betreffend die Erstbeschwerdeführerin und hielt abschließend fest, die Übergriffe durch den Vater basierten nicht auf einem in der FlKonv angeführten Grund, sondern seien "rein im Zuge von häuslicher bzw. familiärer Gewalt" geschehen.
Dagegen wenden sich die vorliegenden, wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerden machen unter anderem geltend, dass die Erstbeschwerdeführerin die Unterdrückung durch den mit ihr zwangsverheirateten Ehemann nicht hinnehmen habe wollen und sich scheiden habe lassen. Der frühere Ehemann habe das jedoch nie akzeptiert und sie deshalb verfolgt. Vor dieser Verfolgung finde die Erstbeschwerdeführerin in Kirgisistan, einem islamischfundamentalistisch und religiös geprägten Land, keinen staatlichen Schutz. Sie sei daher als Flüchtling aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe von zwangsverheirateten und misshandelten Frauen, die sich gegen ihr Schicksal auflehnten, anzusehen.
Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerde - im Ergebnis - im Recht.
Die belangte Behörde hat in ihrem Bescheid betreffend die Erstbeschwerdeführerin ausdrücklich nur festgestellt, die Erstbeschwerdeführerin sei nach der Scheidung von ihrem früheren Ehemann von diesem weiterhin "belästigt" worden, ohne diese Übergriffe näher zu präzisieren. Die weitere Begründung des Bescheides lässt sich jedoch nur so verstehen, dass die belangte Behörde ihrer rechtlichen Beurteilung das Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin - wie schon das Bundesasylamt - zugrunde gelegt hat. Ausgehend davon kann angesichts der massiven Übergriffe des früheren Ehemannes gegen die Erstbeschwerdeführerin (Misshandlungen, Vergewaltigungen) an einer Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin kein Zweifel bestehen. Auch hinsichtlich des von der Erstinstanz als erwiesen angenommenen Umstands, dass die Erstbeschwerdeführerin gegen diese Verfolgung keinen staatlichen Schutz erhalten kann, wurde im Berufungsbescheid keine anders lautende Beurteilung vorgenommen.
Somit stellt sich lediglich die Frage, ob die erlittene Verfolgung einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe zugeordnet werden kann, zumal diese für die Asylgewährung gemäß § 7 AsylG maßgeblich sind.
Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv ist "Flüchtling", wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Fälle wie der vorliegende stehen - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgeführt hat - im Spannungsfeld zwischen einer Verfolgung wegen des Geschlechtes oder der Zugehörigkeit zur Familie des Verfolgers (jeweils unter dem Gesichtspunkt des Konventionsgrundes der Zugehörigkeit zu einer "sozialen Gruppe") einerseits und rein kriminellen, keinem Konventionsgrund zuordenbaren Bedrohungen andererseits (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, 99/20/0497, mwN). Dass sowohl die Verfolgung wegen des Geschlechts als auch wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie" von Asylrelevanz ist, wurde im Übrigen in der hg. Rechtsprechung schon wiederholt klargestellt (vgl. dazu neben dem zitierten Erkenntnis etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Dezember 2001, 98/20/0312, vom 16. April 2002, 99/20/0483, vom 15. Mai 2003, 2001/01/0503, vom 30. November 2004, 2003/01/0504, vom 9. Mai 2006, 2004/01/0455, vom 21. Dezember 2006, 2003/20/0550, und vom 26. Jänner 2007, 2006/19/0290, mit Hinweis auf die UNHCR-Richtlinie vom 7. Mai 2002 zum internationalen Schutz: Geschlechtsspezifische Verfolgung im Zusammenhang mit Art. 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge).
Die belangte Behörde sieht in der Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin (und des Zweitbeschwerdeführers) eine "rein private" Handlung ohne Bezug zu einem Konventionsgrund. Dem Hinweis der Erstbeschwerdeführerin, sie sei als Opfer einer Zwangsverheiratung anzusehen, begegnete sie bloß damit, die Erstbeschwerdeführerin habe sich scheiden lassen und unterliege keiner Zwangsehe mehr. Diese rechtliche Beurteilung greift zu kurz.
Legt man das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin zugrunde, so liegt der Grund ihrer Verfolgung durch den früheren Ehemann darin, dass dieser die Beendigung der erzwungenen Ehe mit ihm durch die Erstbeschwerdeführerin (unter Mitnahme des gemeinsamen Sohnes) nicht hinnehmen und die Erstbeschwerdeführerin deshalb unter Einsatz brutaler Gewalt (bis hin zur Vergewaltigung als einem der massivsten Mittel geschlechtlicher Nötigung) zu einem dem Verfolger genehmen Verhalten zwingen wollte und will. Der frühere Ehemann betrachtet somit die Erstbeschwerdeführerin (und den Zweitbeschwerdeführer) weiterhin als Teil seiner Familie, hinsichtlich dessen er sich das Recht anmaßt, durch Anwendung von (auch geschlechtsspezifischer) Gewalt seinen Willen durchzusetzen.
Bei dieser Sachlage sieht der Verwaltungsgerichtshof den Grund für die Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin in ihrer (früheren) Zugehörigkeit zur Familie des Verfolgers, womit schon deshalb ein Konventionsgrund nicht zu verneinen ist.
Der angefochtene Bescheid betreffend die Erstbeschwerdeführerin beruht daher auf einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht und vermag deshalb keinen Bestand zu haben.
Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren gemäß dem im vorliegenden Fall noch anzuwendenden § 10 Abs. 5 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003, BGBl. Nr. 101, auch auf den Berufungsbescheid des Zweitbeschwerdeführers durch.
Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 28. August 2009
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