VwGH 99/20/0497

VwGH99/20/049731.1.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der A in W, geboren am 13. Juni 1978, vertreten durch Dr. Martin Benning, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Bauernmarkt 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Juli 1999, Zl. 211.029/0-V/15/99, betreffend §§ 6 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 22. Oktober 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am gleichen Tag Asyl. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 24. März 1999 gab sie im Wesentlichen an, sie sei von ihren Adoptiveltern um 30.000 Dollar an einen Afrikaner verkauft worden, der sie nach Italien gebracht habe, wo sie unter schweren Misshandlungen dazu gezwungen werden sollte, der Prostitution nachzugehen. Es sei ihr gesagt worden, sie müsse solange als Prostituierte arbeiten, bis sie 50.000 Dollar "hereingebracht" hätte. Von Italien aus sei der Beschwerdeführerin die Flucht nach Österreich gelungen. Wenn sie nach Nigeria zurückgeschickt würde, drohe ihr die Ermordung, weil sie das für sie ausgegebene Geld nicht zurückzahlen könne.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 7. Juli 1999 gemäß § 6 Z 2 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria sei zulässig. Begründet wurde dies damit, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin zwar glaubwürdig sei, die von ihr behauptete Bedrohung aber offensichtlich nicht auf einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe beruhe und die Beschwerdeführerin keine stichhältigen Gründe dafür vorgebracht habe, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Nigeria unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe.

In ihrer Berufung gegen diese Entscheidung machte die Beschwerdeführerin geltend, auf ihren Fall sei der Konventionsgrund der Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" anzuwenden. Sie sei als Adoptivtochter von ihrem Adoptivvater als Wirtschaftsgut angesehen und ohne ihr Wissen an einen Frauenhändler verkauft worden. Solche Vorkommnisse seien in Nigeria nicht selten und staatlicher Schutz sei aus näher dargestellten Gründen nicht gegeben. Unter dem Gesichtspunkt des § 8 AsylG verwies die Beschwerdeführerin auf das Verbot der Sklaverei und auf die Gefahr, dass sie bei ihrer Rückkehr nach Nigeria getötet würde. Sie könne in Nigeria auf Grund der ihr drohenden Gefahr keinerlei Kontakt mehr zu ihrer Familie oder zu Bekannten oder Freunden herstellen, könne als junge, mittellose Frau in Nigeria aber nicht ohne irgendwelche sozialen Kontakte existieren und würde außerdem in ständiger Furcht, von dem Mann, an den sie verkauft worden sei, oder von ihrem Adoptivvater entdeckt zu werden, leben müssen.

Die belangte Behörde wies die Berufung der Beschwerdeführerin mit dem angefochtenen, ohne Berufungsverhandlung ergangenen Bescheid gemäß § 6 Z 2 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG "in Verbindung mit § 57 Abs. 1" FrG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria sei zulässig. Die belangte Behörde ging dabei von der Glaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin aus und stellte eine knappe Zusammenfassung ihres Vorbringens als "entscheidungswesentlichen Sachverhalt" fest, wobei hervorgehoben wurde, die Beschwerdeführerin sei (zu ergänzen: aus Italien) nach Österreich gekommen, "ohne sich zuvor zwecks Abhilfe an die staatlichen Behörden Nigerias gewendet zu haben". In der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes führte die belangte Behörde aus, die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Bedrohung könne nicht als Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" verstanden werden. Die Beschwerdeführerin stütze sich "lediglich" auf das "Faktum, in Nigeria auf Grund ihres Geschlechtes verkauft werden zu können". Diese "sämtlichen Einwohnerinnen Nigerias gleichermaßen drohende Gefahr" vermöge keine "soziale Gruppe" (gemeint: Gefahr der Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe") zu begründen, so wie es auch "nicht ausreichen" könne, "Opfer eines Verbrechens zu werden". Die Berufung (gemeint: der Asylantrag der Beschwerdeführerin) sei daher als "offensichtlich unbegründet" abzuweisen.

Ihre Ansicht, der Beschwerdeführerin drohe bei ihrer Abschiebung nach Nigeria unter anderem keine unmenschliche Behandlung, stützte die belangte Behörde darauf, dass die Beschwerdeführerin "lediglich behauptet" habe, dass die geltend gemachte Bedrohung von den staatlichen Behörden Nigerias "gebilligt" würde, "ohne auf irgend eine Weise konkret dargetan zu haben, inwieweit sie sich durch Kontaktaufnahme mit den Behörden tatsächlich darum bemüht hätte, Abhilfe zu schaffen". Angesichts der jüngsten Entwicklungen in Nigeria könne "gegenwärtig nicht davon ausgegangen werden ..., dass eine Bedrohung relevanter Rechtsgüter durch staatliche Stellen gebilligt würde". Die Gefahr beziehe sich auch nicht auf das gesamte Staatsgebiet und schließlich stehe auch die Identität der Beschwerdeführerin nicht fest, weil es ihr "nicht gelungen" sei, "amtliche Dokumente oder sonstige Unterlagen" über ihre Identität vorzulegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der angefochtene Bescheid ist schon deshalb inhaltlich rechtswidrig, weil von einer behaupteten Verfolgung wegen des Geschlechtes nicht im Sinne des § 6 Z 2 AsylG gesagt werden kann, sie sei "offensichtlich" nicht auf die in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, und die dort angeführten Quellen verwiesen werden. Dass eine Ergänzung des Flüchtlingsbegriffes um den Verfolgungsgrund "des Geschlechtes" im Asylgesetz 1991 unter anderem deshalb unterblieb, weil aus diesem Grund verfolgte Personen "bereits jetzt als Zugehörige zu 'einer bestimmten sozialen Gruppe' geschützt" seien (270 BlgNR 18. GP 11), ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch bei der Auslegung des geltenden Gesetzes nicht außer Betracht zu lassen. Im vorliegenden Fall kommt aber hinzu, dass sich die Beschwerdeführerin darauf berufen hat, dass die ihr drohende Verfolgung an ihre Zugehörigkeit zu einer enger definierten Gruppe, nämlich an ihre Eigenschaft als Adoptivtochter, die als Wirtschaftsgut betrachtet werde, anknüpfe. Von einer Bedrohung, die "sämtlichen Einwohnerinnen Nigerias" - unabhängig von ihrer sozialen und familiären Stellung und etwa auch ihrem Alter - "gleichermaßen" drohe, kann beim vorliegenden Sachverhalt keine Rede sein, womit die Frage, ob die asylrechtliche Analyse des Falles dessen ungeachtet auf die "soziale Gruppe" nigerianischer Frauen schlechthin abzustellen hätte, freilich noch nicht beantwortet ist. Fälle wie der vorliegende stehen jedenfalls im Spannungsfeld zwischen Verfolgungen wegen des Geschlechtes (vgl. dazu nur beispielsweise die auf die USA bezogene Darstellung bei Musalo/Knight, International Journal of Refugee Law Vol. 13 No. 1/2 (2001), 51 ff) oder allenfalls der Zugehörigkeit zur Familie des Verfolgers (vgl. den bei Musalo/Knight, a.a.O., dargestellten, zuletzt allerdings von einer Sachverhaltsänderung betroffenen Fall Aguirre-Cervantes) jeweils unter dem Gesichtspunkt der "sozialen Gruppe" einerseits und rein kriminellen, keinem Konventionsgrund zuordenbaren Bedrohungen andererseits. Die damit verbundenen Fragen sind strittig und weit von dem entfernt, was sich unter § 6 Z 2 AsylG subsumieren ließe.

Mit der Aufhebung der Entscheidung der belangten Behörde über das Asylbegehren der Beschwerdeführerin verliert auch der Ausspruch gemäß § 8 AsylG seine rechtliche Grundlage. In Bezug auf diesen Ausspruch ist jedoch festzuhalten, dass er schon wegen seiner Beschränkung auf § 57 Abs. 1 FrG und wegen der Annahme, der Abschiebungsschutz setze den Besitz bestimmter Urkunden voraus, rechtswidrig ist (vgl. dazu die Nachweise in dem Erkenntnis von heute, Zl. 99/20/0411). Es kann auch in dem Hinweis der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe es versäumt, vor ihrer Einreise nach Österreich Kontakt mit nigerianischen Behörden aufzunehmen, und der in ihrer Allgemeinheit völlig unfundierten Schlussfolgerung der belangten Behörde aus der demokratischen Entwicklung in Nigeria keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin zur Verweigerung staatlichen Schutzes gesehen werden (wobei auch das angenommene Erfordernis einer staatlichen "Billigung" nicht den Gesetz entspricht; vgl. dazu aus asylrechtlicher Sicht - im Einklang mit der neueren Rechtsprechung zum FrG - das Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0208; darauf bezugnehmend etwa das schon zitierte Erkenntnis vom 31. Mai 2001). Eine solche Auseinandersetzung fehlt - vor allem angesichts der Zusammenhänge zwischen Menschenhandel und organisiertem Verbrechen - auch in Bezug auf die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Dass diese für die Entscheidung nach § 6 AsylG nicht maßgeblichen Fragen (vgl. die Nachweise in dem erwähnten Erkenntnis vom 31. Mai 2001) in Bezug auf § 8 AsylG in einer mündlichen Berufungsverhandlung zu erörtern gewesen wären, sei nur der Vollständigkeit halber hinzugefügt.

Der angefochtene Bescheid war daher - aus den zuvor dargestellten, gegenüber den Verletzungen von Verfahrensvorschriften vorrangigen Gründen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 31. Jänner 2002

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