VwGH 2003/08/0237

VwGH2003/08/023722.12.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. Lukas Kozak, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 47-49, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 26. September 2003, Zl. LGSW/Abt. 10- AlV/1218/56/2003-957, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §2;
AlVG 1977 §17 Abs1;
AlVG 1977 §24 Abs1;
AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §33 Abs1;
AlVG 1977 §33 Abs2;
AlVG 1977 §33 Abs3;
AlVG 1977 §36;
AlVG 1977 §36a;
AlVG 1977 §38;
AVG §66 Abs4;
NotstandshilfeV §1;
NotstandshilfeV §2;
NotstandshilfeV §5 Abs1;
ABGB §2;
AlVG 1977 §17 Abs1;
AlVG 1977 §24 Abs1;
AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §33 Abs1;
AlVG 1977 §33 Abs2;
AlVG 1977 §33 Abs3;
AlVG 1977 §36;
AlVG 1977 §36a;
AlVG 1977 §38;
AVG §66 Abs4;
NotstandshilfeV §1;
NotstandshilfeV §2;
NotstandshilfeV §5 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Notstandshilfeanspruch der Beschwerdeführerin "gemäß § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 33 20 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (BGBl. Nr. 609/1977 - AlVG) in geltender Fassung für den Zeitraum 9.4.2002 bis 31.3.2003 von EUR 13,04 auf EUR 0,06 täglich neu bemessen und der zu Unrecht bezogene Betrag von EUR 4.633,85 gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zum Rückersatz vorgeschrieben."

In der Begründung führte die Behörde nach der Wiedergabe des Berufungsvorbringens aus, die Beschwerdeführerin habe im gegenständlichen Zeitraum von Seiten ihres geschiedenen Ehemannes "Unterhalt in Höhe von EUR 395,21 monatlich" bezogen. Der "Leistungsbezug" der Beschwerdeführerin sei ursprünglich mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 12. April 2002 für die Zeit ab 1. April 2002 eingestellt worden bzw. ihr Antrag auf Zuerkennung von Notstandshilfe vom 27. März 2002 betreffend den Zeitraum ab 1. April 2002 mangels Notlage abgewiesen worden; dies mit der Begründung, der auf die Notstandshilfe anzurechnende Unterhalt übersteige die der Beschwerdeführerin gebührende Notstandshilfe. Dagegen habe die Beschwerdeführerin ein Rechtsmittel erhoben, dem mit Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 21. Mai 2002 Folge gegeben worden sei.

In der Bescheidbegründung dieses zuletzt genannten Bescheides sei eine genaue Aufschlüsselung der grundsätzlich gebührenden Notstandshilfe einerseits ohne Anrechnung sowie eine genaue Berechnung des Anrechnungsbetrages erfolgt. Der letzte Satz (der Begründung) des Bescheides vom 21. Mai 2002 habe wörtlich gelautet:

"Subtrahiert man von diesem theoretischen Notstandshilfeanspruch Ihre Unterhaltszahlung EUR 395,21 x 12 Monate/365 Tage, also 12,98 ergibt sich ein reduzierter Anspruch auf Notstandshilfe."

In der Folge habe es das Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz bei der EDV-Kodierung des Leistungsanspruches der Beschwerdeführerin allerdings verabsäumt, den Unterhalt, welchen sie von Seiten ihres geschiedenen Mannes bezog, zu berücksichtigen, und habe irrtümlich weiterhin Notstandshilfe in vollem Ausmaß (also ohne Anrechnung der Unterhaltszahlungen) an die Beschwerdeführerin ausbezahlt. Der Beschwerdeführerin sei daher anstatt des ihr tatsächlich gebührenden Betrages von EUR 0,06 ein Betrag von EUR 13,04 (jeweils täglich) angewiesen worden. Anlässlich ihres nächsten Antrages auf Zuerkennung von Notstandshilfe sei dieser Irrtum offenkundig geworden.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde neben einer Wiedergabe anzuwendender Rechtsnormen aus, dass Unterhaltszahlungen "nach dem klaren Wortlaut des § 36a AlVG" auf die Notstandshilfe anzurechnen seien. Auch die Ansicht der Beschwerdeführerin, sie hätte nicht erkennen können, dass sie im berufungsgegenständlichen Zeitraum Notstandshilfe in einem Ausmaß bezogen habe, auf das sie keinen Anspruch hatte, werde von der belangten Behörde nicht geteilt. Dem Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 21. Mai 2002 sei eindeutig zu entnehmen gewesen, dass die Beschwerdeführerin lediglich einen durch Anrechnung ihres eigenen Einkommens in Form von Unterhaltsleistungen reduzierten (minimalen) Anspruch auf Notstandshilfe gehabt habe. Sie hätte daher sehr wohl, ohne ihren "Aufmerksamkeitsgrad ungebührlich zu strapazieren", erkennen müssen, dass ihr Notstandshilfe in einem weit überhöhten Ausmaß ausbezahlt worden sei. Der Rückforderungsbetrag errechne sich durch Subtraktion der tatsächlich gebührenden Notstandshilfe im Ausmaß von EUR 0,06 von der (fälschlicherweise) bezogenen Notstandshilfe im Ausmaß von EUR 13,04 multipliziert mit 357 Tagen, dem Zeitraum vom 9. April 2002 bis 31. März 2003.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der ständigen, auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A, gestützten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der geltend gemachte Anspruch auf Notstandshilfe zeitraumbezogen zu beurteilen. Daraus folgt, dass die in den jeweiligen - frühestens mit der Antragstellung beginnenden und mit der Erlassung des Berufungsbescheides endenden - Zeiträumen, für welche die Leistung beantragt wurde, gegebene Sach- und Rechtslage maßgebend ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2002, Zl. 2000/08/0196).

Gemäß § 24 Abs. 1 i.V.m. § 38 AlVG - in der hier maßgebenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 73/2003 - ist, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Notstandshilfe wegfällt, diese einzustellen; wenn sich eine für das Ausmaß der Notstandshilfe maßgebende Voraussetzung ändert, ist sie neu zu bemessen.

Gemäß § 24 Abs. 2 i.V.m. § 38 AlVG ist die Zuerkennung der Notstandshilfe zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung der Notstandshilfe nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt.

Gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz i.V.m. § 38 AlVG ist der Empfänger der Notstandshilfe u.a. bei Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

1. Zur Berichtigung der Bemessung des Anspruchs auf Notstandshilfe:

Für die Frage, ob und in welcher Höhe der Beschwerdeführerin die Notstandshilfe trotz der von ihrem geschiedenen Ehemann entrichteten Unterhaltsbeträge gebühren konnte, sind vor allem folgende Vorschriften maßgebend:

Gemäß § 33 Abs. 2 AlVG ist Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe u.a., dass sich der Arbeitslose in Notlage befindet. Gemäß § 33 Abs. 3 AlVG liegt Notlage vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist.

Die näheren Voraussetzungen "im Sinne des § 33 Abs. 4" (gemeint seit der Novelle BGBl. Nr. 416/1992: § 33 Abs. 3) AlVG, unter denen Notlage als gegeben anzusehen ist, sind gemäß § 36 Abs. 2 AlVG in den nach dem ersten Absatz dieser Bestimmung zu erlassenden Richtlinien festzulegen.

Gemäß § 2 der auf Grund dieser Bestimmung erlassenen Notstandshilfeverordnung BGBl. Nr. 352/1973, in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung der Verordnung BGBl. Nr. 388/1989, liegt Notlage vor, wenn das Einkommen des (der) Arbeitslosen und das seines Ehepartners (Lebensgefährten bzw. seiner Lebensgefährtin) zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des (der) Arbeitslosen nicht ausreicht (§ 2 Abs. 1 NH-VO). Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen (der Arbeitslosen) im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Durch eine vorübergehende Abwesenheit (Kur-, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsverrichtung an einem anderen Ort u.ä.) wird der gemeinsame Haushalt nicht aufgelöst. Gleiches gilt, wenn der (die) Arbeitslose die Hausgemeinschaft mit dem Ehepartner (Lebensgefährte bzw. der Lebensgefährtin) nur deshalb aufgegeben hat oder ihr ferngeblieben ist, um der Anrechnung des Einkommens zu entgehen (§ 2 Abs. 1 NH-VO).

§ 5 NH-VO (in der hier anzuwendenden Fassung der Verordnung BGBl. Nr. 240/1996) enthält Einzelheiten darüber, wie bei der Anrechnung von Einkommen des Arbeitslosen vorzugehen ist.

Was unter "Einkommen" im Sinne des AlVG zu verstehen ist, ergibt sich aus § 36a AlVG in der zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 47/2001. Diese Fassung bezieht sich u.a. auf die Feststellung des Einkommens für die Anrechnung auf die Notstandshilfe (§ 36a Abs. 1 AlVG). Gemäß § 36a Abs. 2 AlVG gilt als Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes demnach das Einkommen gemäß § 2 Abs. 2 EStG 1988 in der jeweils geltenden Fassung mit - soweit hier wesentlich - den Hinzurechnungen nach § 36a Abs. 3 AlVG. Gemäß § 36a Abs. 3 Z. 1 AlVG sind dem Einkommen nach § 2 Abs. 2 EStG 1988 bestimmte steuerfreie Bezüge gemäß § 3 (und nach § 112 Z. 1) sowie - hier wesentlich - jene nach § 29 Z. 1 zweiter Satz EStG 1988 hinzuzurechnen.

§ 29 EStG 1988 bezieht sich in den hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassungen der Novellen BGBl. I Nr. 59/2001, BGBl. I Nr. 100/2002, BGBl. I Nr. 155/2002 und BGBl. I Nr. 71/2003 im zweiten Satz seiner Z. 1 übereinstimmend auf wiederkehrende Bezüge, welche (u.a.) freiwillig oder an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person gewährt werden.

Gesetzlich ist damit nach der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Rechtslage eindeutig - wenn auch nicht, wie die belangte Behörde meint, schon "nach dem klaren Wortlaut des § 36a AlVG", sondern durch mehrfache, für nicht rechtskundige Personen nicht leicht nachvollziehbare Verweise auf Bestimmungen in anderen Rechtsvorschriften - geregelt, dass Unterhaltsleistungen auf das Einkommen im Sinne des § 36a AlVG anzurechnen sind. Anders verhielt sich dies nur hinsichtlich des Einkommensbegriffs nach den zeitraumbezogenen Fassungen des § 36a AlVG ab Inkrafttreten der durch das Strukturanpassungsgesetz 1995 geänderten Bestimmungen des AlVG bis zum Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 87/1999. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 16. März 1999, Zl. 97/08/0554 - dieselbe Beschwerdeführerin wie im vorliegenden Beschwerdefall betreffend - ausgesprochen, dass die Anrechnung der Unterhaltszahlungen im Gesetz in der für jenen Zeitraum anzuwendenden Fassung keine Grundlage fand. Die für dieses Erkenntnis maßgebende Rechtslage ist aber im vorliegenden Fall zeitraumbezogen nicht mehr anzuwenden.

Zur behaupteten Rechtswidrigkeit der Neubemessung des Notstandshilfeanspruchs wendet die Beschwerdeführerin ein, es sei gleichheits- und damit verfassungswidrig, einem Arbeitslosen und Notleidenden die Unterhaltszahlungen eines geschiedenen Ehepartners in der vorliegenden Form der nahezu vollständigen Nichtgewährung der Notstandshilfe anzurechnen, da ja insbesondere keine Haushaltsgemeinschaft zwischen den Geschiedenen bestehe und somit eine finanzielle Entlastung durch eine gemeinsame Haushaltsführung nicht gegeben sei. Eine Notlage im Sinne des § 33 Abs. 3 AlVG liege vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich sei, was bei der Beschwerdeführerin mit einem Notstandshilfeanspruch von EUR 0,06 täglich und einem Unterhalt von EUR 395,21 monatlich tatsächlich der Fall sei.

Dieses Vorbringen vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Gemäß § 5 Abs. 1 NH-VO in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 240/1996 ist das Einkommen des Arbeitslosen, das er innerhalb eines Monats erzielt, nach Abzug der Steuern und sozialen Abgaben sowie des zur Erwerbung dieser Einkommen notwendigen Aufwandes auf die Notstandshilfe, die im Folgemonat gebührt, unter Bedachtnahme auf die darauf folgenden Bestimmungen anzurechnen. Eine Anrechnung unterbleibt gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung für Einkommen, welche die jeweils anzuwendende Geringfügigkeitsgrenze (2002: EUR 301,54; 2003: EUR 309,38) nicht überschreiten. Der der Beschwerdeführerin gewährte Unterhalt überschritt diese Grenze jeweils, weshalb er auch auf die ursprünglich errechnete Notstandshilfe anzurechnen war. Die Notstandshilfe hat - anders als das Arbeitslosengeld - den Charakter einer subsidiären Leistung, die nur dann gebührt, wenn dem Arbeitslosen (nach Maßgabe der auf Grund des § 36 AlVG erlassenen Notstandshilfeverordnung) die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist. Das Ausmaß der Notstandshilfe wird gemäß § 1 der Notstandshilfeverordnung mit einem Prozentsatz des in Betracht kommenden Grundbetrages des Arbeitslosengeldes bestimmt. Das Ausmaß der maximal zustehenden Notstandshilfe wird - entsprechend ihrer primär versicherungsrechtlichen Natur - nicht davon (zumindest mit-)bestimmt, ob der konkrete Arbeitslose mit ihrer Hilfe tatsächlich in die Lage versetzt wird, seine persönlichen notwendigen Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Die solcherart abstrakt berechnete Notstandshilfe gebührt schon dann nicht, wenn das nach § 5 Abs. 1 Notstandshilfeverordnung anzurechnende Einkommen des Arbeitslosen die für ihn an sich in Betracht kommende Notstandshilfe zumindest erreicht (vgl. z.B. das bereits zitierte Erkenntnis vom 3. Juli 2002, Zl. 2000/08/0196). Vor diesem Hintergrund vermag der Verwaltungsgerichtshof die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht zu teilen, zumal das aus Unterhaltsleistungen des geschiedenen Ehemannes bezogene Einkommen in gleicher Weise berücksichtigt wird wie ein Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit. Die ungeachtet der Berücksichtigung der konkreten Einkommenssituation primär versicherungsrechtlichen Charakter aufweisende Regelung der Notstandshilfe steht zudem einer darüber hinausgehenden Existenzsicherung durch die Sozialhilfe der Länder nicht entgegen.

Die Beschwerdeführerin wendet weiters ein, dass die Anrechnung von Unterhaltszahlungen eines geschiedenen Ehemannes auf den Notstandshilfebezug bzw. Notstandshilfeanspruch der geschiedenen Ehefrau aus den in den Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. November 2002, Zl. 2002/08/0038 und Zl. 2002/08/0202, genannten Gründen nicht dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Gleichbehandlungsrichtlinie (Richtlinie 79/7/EWG) und der Richtlinie 2002/73/EG vom 23. September 2002, entsprächen, weil darin eine mittelbare Diskriminierung der betroffenen Frauen zu erblicken sei.

Dem ist entgegenzuhalten, dass aus den im Erkenntnis vom 14. Jänner 2004, Zl. 2002/08/0038, angeführten Gründen (mit detaillierten Hinweisen auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH) keine europarechtlichen Bedenken gegen die Anrechnung eines Partnereinkommens vorliegen. Im Übrigen handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um die Anrechnung von Partnereinkommen, sondern um die Anrechnung eines eigenen Einkommens der geschiedenen Ehefrau, nämlich der an sie durch ihren geschiedenen Mann gezahlten Unterhaltsleistung. Eine allfällige mittelbare Diskriminierung von Frauen ist darin in europarechtlicher Hinsicht jedenfalls aus den im eben zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes dargelegten Gründen nicht erkennbar.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid ausdrücklich auf § 24 Abs. 1 AlVG gestützt und ausgesprochen, dass der Notstandshilfeanspruch der Beschwerdeführerin für einen vor dem Datum der Bescheiderlassung liegenden Zeitraum "neu bemessen" werde. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 31. Mai 2000, Slg. Nr. 15431/A, festgehalten hat, ist nicht zu erkennen, inwiefern eine Partei nur dadurch, dass statt des gebotenen Widerrufs eine Einstellung vorgenommen wurde, in ihren Rechten verletzt sein sollte. Dies gilt auch, wenn statt einer gebotenen Berichtigung der Bemessung im Sinne des § 24 Abs. 2 AlVG die Neubemessung im Sinne des § 24 Abs. 1 AlVG ausgesprochen wird.

Voraussetzung für die rückwirkende Berichtigung einer Geldleistung ist jedoch, dass sich der Änderungsgrund nachträglich herausgestellt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2001, Zl. 97/08/0424); darüber hinaus liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. das eben zitierte Erkenntnis) ein Widerrufsgrund auch dann vor, wenn ein Rückforderungstatbestand verwirklicht ist.

Im Beschwerdefall war der Behörde der Unterhaltsanspruch der Beschwerdeführerin, den diese stets wahrheitsgemäß angegeben hatte, bekannt. Ein Änderungsgrund, der sich erst nachträglich herausgestellt hätte, liegt daher nicht vor. Da - wie im Folgenden auszuführen ist - auch ein Rückforderungstatbestand nicht verwirklicht ist, erweist sich die rückwirkende Berichtigung sohin als rechtswidrig.

2. Zur Rückforderung des unberechtigt Empfangenen:

Bezüglich der Rückforderung der Notstandshilfe wendet die Beschwerdeführerin ein, dass sie angesichts der Tatsache, dass sie auch "die Jahre zuvor" immer Unterhalt von ihrem geschiedenen Mann erhalten hatte und ihr dennoch die Notstandshilfe im selben Ausmaß (ohne Abzug des Unterhaltes) ausbezahlt worden war, und auch angesichts der für sie "überhaupt nicht durchschaubaren Kompliziertheit der Materie (und der diesbezüglichen ständigen Gesetzesänderungen)", keineswegs habe erkennen können, dass ihr der Betrag von EUR 13,04 täglich nicht gebühren würde.

Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Recht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 3. April 2001, Zl. 2000/08/0016, m.w.N.) ist der dritte Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG schon nach dem isolierten Wortlaut der Wendung "wenn er erkennen musste, dass ..." nicht erst dann erfüllt, wenn der Leistungsempfänger die Ungebührlichkeit der Leistung an sich oder ihrer Höhe nach erkannt hat; das Gesetz stellt vielmehr auf das bloße Erkennen-Müssen ab und statuiert dadurch eine (freilich zunächst nicht näher bestimmte) Diligenzpflicht. Aus der Gegenüberstellung mit den zwei anderen in § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG genannten Rückforderungstatbeständen (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen) wird jedoch deutlich, dass für die Anwendung des dritten Rückforderungstatbestandes eine gegenüber den beiden anderen Tatbeständen abgeschwächte Verschuldensform, nämlich Fahrlässigkeit, genügt. Fahrlässige Unkenntnis davon, dass die Geldleistung nicht oder nicht in der konkreten Höhe gebührte, setzt voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (im Sinne des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen ist. Ob dies zutrifft, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist die allgemeine Vermutung von der Gesetzeskenntnis (§ 2 ABGB) bei Beurteilung der Sorgfaltspflichtverletzung nach § 25 Abs. 1 AlVG nicht ohne Weiteres heranzuziehen, weil der Gesetzgeber in dieser Bestimmung nicht schon die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung allein für die Rückforderung genügen lassen wollte. "Erkennen müssen" im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG kann daher nicht mit Rechtskenntnis und schon gar nicht mit Judikaturkenntnis gleichgesetzt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1998, Zl. 98/08/0161, m. w.N.).

Im Falle des "Erkennenmüssens" handelt es sich um Sachverhalte, bei denen nicht der Leistungsempfänger, sondern in der Regel die Behörde selbst den Überbezug einer Leistung verursacht hat. Da die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung dem Unterhalt des Leistungsempfängers zu dienen bestimmt sind und daher mit ihrem laufenden Verbrauch gerechnet werden muss, stellt die Rückforderung einer solchen Leistung in der Regel eine erhebliche Belastung für den Leistungsempfänger dar. Soweit daher der Leistungsempfänger am Entstehen eines Überbezuges nicht mitgewirkt hat, ist es sachlich nicht angebracht, Behördenfehler durch überstrenge Anforderungen an den vom Leistungsempfänger zu beobachtenden Sorgfaltsmaßstab zu beheben. Schlechtgläubig im Sinne des hier anzuwendenden Rückforderungstatbestandes ist daher nur ein Leistungsbezieher, der nach den konkret zu beurteilenden Umständen des Einzelfalles ohne Weiteres den Überbezug hätte erkennen müssen. Dem Leistungsbezieher muss der Umstand, dass er den Überbezug tatsächlich nicht erkannt hat - ohne dass ihn zunächst besondere Erkundigungspflichten träfen - nach seinen diesbezüglichen Lebens- und Rechtsverhältnissen vorwerfbar sein (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 20. Oktober 1998, Zl. 98/08/0161).

Im vorliegenden Fall hatte die Beschwerdeführerin den von ihrem geschiedenen Mann bezahlten Unterhalt immer wahrheitsgetreu angegeben und ab Februar 1996 dennoch Notstandshilfe ohne Abzüge des Unterhalts bezogen. Ein Bescheid über den Widerruf der Notstandshilfe wegen Anrechnung des Unterhalts für die Zeiträume 17. März 1996 bis 26. September 1996 und 26. Oktober 1996 bis 28. Februar 1997 wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 16. März 1999, Zl. 97/08/0554, auf Grund der damals anzuwendenden Rechtslage aufgehoben.

In der Folge änderte sich die Rechtslage, wie eingangs bereits dargelegt, jedoch wurde diese Änderung der Rechtslage der Beschwerdeführerin seitens der belangten Behörde offenbar nie zur Kenntnis gebracht. Die Bescheide des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 12. April 2002, mit welchen der Antrag auf Notstandshilfe der Beschwerdeführerin abgewiesen bzw. ihre Notstandshilfe eingestellt wurde, erschöpften sich in ihrer Begründung mit dem Hinweis, die Unterhaltszahlungen an die Beschwerdeführerin überstiegen ihren Anspruch auf Notstandshilfe. Ausführlicher, aber neuerlich nicht vollständig, fielen die Begründungen der Bescheide der belangten Behörde vom 21. Mai 2002 aus, mit welchen die zuvor genannten Bescheide vom 12. April 2002 behoben wurden. Folgerichtig stützt sich die belangte Behörde im nunmehr angefochtenen Bescheid vom 26. September 2003 in der Begründung auch darauf, dass (logisch zu ergänzen: nicht schon auf Grund der Bescheide der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 12. April 2002, sondern erst) dem Bescheid (eigentlich: den - in der Begründung nach dem ersten Absatz wortgleichen - Bescheiden) der belangten Behörde vom 21. Mai 2002 eindeutig zu entnehmen gewesen wäre, dass die Beschwerdeführerin lediglich einen "reduzierten (minimalen) Anspruch auf Notstandshilfe" gehabt habe. Dabei übersieht die belangte Behörde allerdings, dass diese Argumentation allenfalls eine Rückforderung ab Zustellung (zumindest eines) der Bescheide vom 21. Mai 2002 an die Beschwerdeführerin, keinesfalls jedoch rückwirkend ab 9. April 2002, hätte rechtfertigen können.

Auf Grund der spezifischen Fallgeschichte des Notstandshilfebezuges der Beschwerdeführerin war für sie allerdings erst ab Zustellung des angefochtenen Bescheides vom 26. September 2003 erkennbar, dass sie die im Zeitraum vom 9. April 2002 bis zum 31. März 2003 bezogene Notstandshilfe unberechtigt empfangen hat:

Den Bescheiden vom 21. Mai 2002 ist nämlich zwar durchaus nachvollziehbar zu entnehmen, wie sich der theoretische Notstandshilfeanspruch der Beschwerdeführerin (EUR 13,04 täglich) errechnet. Auch folgt dieser Berechnung der Satz "Subtrahiert man von diesem theoretischen Notstandshilfeanspruch Ihre Unterhaltszahlung EUR 395,21 x 12 Monate/365 Tage, also EUR 12,99, ergibt sich ein reduzierter Anspruch auf Notstandshilfe."

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hätte die belangte Behörde in den Bescheiden vom 21. Mai 2002 über die ihr vorliegenden Berufungen gegen die Bescheide der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 12. April 2002 in der Sache selbst zu entscheiden gehabt; sie hätte daher die begonnene Rechnung zu Ende zu führen und die Bescheide der Behörde erster Instanz entsprechend abzuändern gehabt. Stattdessen formulierte die Behörde in den Bescheiden vom 21. Mai 2002 (wortgleich) wie folgt:

"Das Arbeitsmarktservice Esteplatz wird Ihren Antrag auf Notstandshilfe vom 27.3.2002 unter Zugrundelegung von Notlage neuerlich in Bearbeitung nehmen.

Bei Zutreffen der sonstigen gesetzlich geforderten Voraussetzungen wird die Nachzahlung der Ihnen gebührenden Leistung bewilligt."

Beide Bescheide vom 21. Mai 2002 wurden der Beschwerdeführerin, die damals nicht anwaltlich vertreten war, persönlich zugestellt. Unmittelbar darauf erhielt die Beschwerdeführerin eine "Mitteilung über den Leistungsanspruch" des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 28. Mai 2002, worin ihr mitgeteilt wurde, dass das Arbeitsmarktservice ihre Leistung "auf Grund der von Ihnen vorgelegten Unterlagen sowie Ihren Angaben und der gesetzlichen Bestimmungen" mit täglich EUR 13,04 Notstandshilfe für den Zeitraum 9. April 2002 bis 7. April 2003 "bemessen konnte".

Vor diesem Hintergrund kann - insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin auf Grund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. März 1999, Zl. 97/08/0554, für einen vor dem beschwerdegegenständlichen Anlassfall liegenden Zeitraum bei vergleichbarer Sachlage berechtigt Notstandshilfe bezogen hat und sie auf die mittlerweile eingetretene Änderung der Rechtslage auch in den kursorischen Begründungen der genannten Bescheide vom 12. April 2002 und vom 21. Mai 2002 nicht hingewiesen wurde - nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin hätte erkennen müssen, dass ihr die bezogene Leistung nicht gebührt hat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Da die Beschwerdeführerin im Rahmen der Verfahrenshilfe von der Entrichtung der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG befreit war, war ein diesbezüglicher Aufwandersatz nicht zuzusprechen.

Wien, am 22. Dezember 2004

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