Normen
11997E010 EG Art10;
11997E220 EG Art220;
61997CJ0329 Ergat VORAB;
62002CJ0467 Cetinkaya VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §4c Abs2 idF 1997/I/078;
AuslBG §4c idF 1997/I/078;
EURallg;
VwGG §13 Abs1 Z1;
11997E010 EG Art10;
11997E220 EG Art220;
61997CJ0329 Ergat VORAB;
62002CJ0467 Cetinkaya VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §4c Abs2 idF 1997/I/078;
AuslBG §4c idF 1997/I/078;
EURallg;
VwGG §13 Abs1 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle Linz des Arbeitsmarktservice wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsbürgers, auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) abgewiesen.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, die er im Wesentlichen damit begründete, dass er im Wege der Familienzusammenführung nach Österreich gekommen sei, sein Vater im Zeitpunkt seines Nachzuges dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehört habe, und dass er selbst sich mehr als fünf Jahre ordnungsgemäß mit Wohnsitz in Österreich aufhalte. Er erfülle daher die Voraussetzungen des Art. 7 ARB. Es sei unerheblich, dass sich sein Vater mittlerweile im Ruhestand befinde.
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m.
§ 4c Abs. 2 des AuslBG keine Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer 24 Jahre alt sei, über einen Arbeitsplatz bei einem Unternehmen in W verfüge und ihm sein Vater bzw. seine Eltern keinen Unterhalt gewährten. Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme keinen Nachweis beigebracht bzw. auch gar nicht behauptet, dass sein Vater an ihn Unterhalt bezahle. Auch hätten der Beschwerdeführer und sein Vater einen getrennten Wohnsitz, sodass eine Zurverfügungstellung einer Wohnmöglichkeit durch den Vater an den Sohn ebenfalls nicht vorliege. Der Beschwerdeführer sei daher nicht als ein Familienangehöriger im Sinne des Art. 7 Satz (Abs. ) 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 anzusehen. Auch die zusätzliche Voraussetzung der Familienangehörigkeit eines der Elternteile zum regulären Arbeitsmarkt sei infolge ihrer Pensionierung nicht gegeben. Der Beschwerdeführer habe zwar ausgeführt, es sei unrichtig, dass ein bereits in Pension befindlicher Vater als Bezugsperson im Sinne des Art. 7 erster Satz ARB Nr. 1/80 ausscheide, er habe seine Rechtsansicht jedoch nicht näher begründet, weshalb der Antrag abzuweisen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und begründete in einer Gegenschrift ihren Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/80) lautet:
"Artikel 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt
eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die
die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das
Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort
seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten
Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."
§ 4c des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 78/1997, lautet:
"Türkische Staatsangehörige
§ 4c. (1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei - ARB - Nr. 1/1980 erfüllen.
(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.
(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.''
Zunächst kann der Auffassung der belangten Behörde nicht beigepflichtet werden, die Versagung des beantragten Befreiungsscheines könne damit begründet werden, dass dem Beschwerdeführer durch seine Eltern kein Unterhalt gewährt werde bzw. dass er mit seinen Eltern nicht mehr zusammen wohne. Nach dem Wortlaut des ersten Satzes des Art. 7 ARB Nr. 1/80 stehen die darin den Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers eingeräumten Rechte nämlich unabhängig davon zu, ob dem Familienangehörigen von seiner Bezugsperson Unterhalt gewährt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. September 1998, Zl. 97/09/0255). Auch muss ein Familienangehöriger im Sinn des Art. 7 erster Satz, nachdem er bereits drei oder sogar fünf Jahre mit seinem familienangehörigen türkischen Arbeitnehmer gemeinsam gewohnt hat, nicht weiter bei diesem wohnhaft bleiben, um in den Genuss der in Art. 7 erster Satz zustehenden Rechte zu kommen (vgl. das Urteil des EuGH vom 16. März 2000 in der Rechtssache C-329/97 , Ergat, Slg. 2000, I-01487, RdNrn. 37 ff), wo der EuGH wie folgt ausgeführt hat:
"37. Der Gerichtshof hat den Beschluss Nr. 1/80 deshalb dahin ausgelegt, dass es den Behörden eines Mitgliedstaats grundsätzlich nicht verwehrt ist, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers davon abhängig zu machen, dass der Betroffene während des in Artikel 7 Satz 1 erster Gedankenstrich vorgesehenen Dreijahreszeitraums tatsächlich eine Lebensgemeinschaft mit diesem Arbeitnehmer führt (Urteil Kadiman, Randnrn. 41 und 44).
38. Aus dem Urteil Kadiman folgt jedoch zwingend, dass
die Mitgliedstaaten nicht befugt sind, auch noch nach Ablauf dieser drei Jahre den Aufenthalt eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers in dieser Weise von Voraussetzungen abhängig zu machen.
39. Dies gilt erst recht für einen türkischen
Migranten wie den Kläger, der die Voraussetzungen des Artikels 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllt."
Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die Urteile des EuGH in den Rechtssachen Kadiman und Akman die Auffassung vertreten, dass die im ersten Satz des Art. 7 ARB Nr. 1/80 den Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer eingeräumte Rechtsstellung nur den Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers eingeräumt und daher davon abhängig sei, dass diese Bezugsperson dem regulären Arbeitsmarkt aktuell angehöre. Dadurch unterscheide sich der erste Satz des Art. 7 leg. cit. vom zweiten Satz dieser Bestimmung, wonach für bestimmte, den Kindern türkischer Arbeitnehmer eingeräumte Rechte ausreichend ist, dass ein Elternteil in der Vergangenheit ordnungsgemäß "beschäftigt war" (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse 7. April 1999, Zl. 97/09/0235, vom 26. Mai 1999, Zl. 97/09/0179, vom 18. Oktober 2000, Zl. 98/09/0012, vom 29. November 2000, Zl. 99/09/0103, vom 19. Dezember 2000, Zl. 98/09/0220, vom 31. Jänner 2001, Zl. 98/09/0267, vom 18. April 2002, Zl. 99/09/0222).
Nunmehr hat der EuGH in seinem Urteil vom 11. November 2004 in der Rechtssache C-467/02 , Inan Cetinkaya, aber wie folgt erkannt:
"29. Aus dem Wortlaut von Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 lässt sich nicht herleiten, dass die darin genannten Familienangehörigen die ihnen durch diese Bestimmung verliehenen Rechte bereits dann wieder verlören, wenn der betreffende Arbeitnehmer zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehört.
30. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, sind die
Mitgliedstaaten nicht befugt, den Aufenthalt eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers auch noch nach Ablauf des in Artikel 7 Satz 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vorgesehenen Dreijahreszeitraums, in dem der Betroffene grundsätzlich eine tatsächliche Lebensgemeinschaft mit diesem Arbeitnehmer führen muss, von Voraussetzungen abhängig zu machen; das gilt erst recht für einen türkischen Migranten, der die Voraussetzungen des Artikels 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllt (vgl. u. a. Urteil vom 16. März 2000 in der Rechtssache C329/97 , Ergat, Slg. 2000, I1487, Randnrn. 37 bis 39).
31. Was die in Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 genannten Familienangehörigen angeht, die, wie Herr Cetinkaya, nach fünfjährigem ordnungsgemäßem Wohnsitz bei dem Arbeitnehmer gemäss dem zweiten Gedankenstrich dieser Bestimmung ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat erworben haben, folgt daher aus der unmittelbaren Wirkung dieser Bestimmung nicht nur, dass die Betroffenen hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem Beschluss Nr. 1/80 herleiten können, sondern die praktische Wirksamkeit dieses Rechts setzt außerdem zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist (vgl. u. a. Urteil Ergat, Randnr. 40).
32. Unter diesen Umständen können die durch Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte von dem Familienangehörigen nach drei- oder fünfjährigem Wohnsitz bei dem dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmer auch dann ausgeübt werden, wenn dieser Arbeitnehmer nach diesen Zeiten des Wohnsitzes, etwa weil er seinen Anspruch auf Altersrente geltend gemacht hat, nicht mehr dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats angehört.
33. Somit können in einem Fall wie dem des
Ausgangsverfahrens dem Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers, der mit diesem während des Fünfjahreszeitraums nach
Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 tatsächlich zusammengelebt hat und Anspruch auf die Rechte aus dieser Bestimmung erhebt, diese Rechte nicht mehr dadurch genommen werden, dass der türkische Arbeitnehmer nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehört."
Im Lichte dieses Urteiles des EuGH vom 11. November 2004 vermag der Verwaltungsgerichtshof seine oben dargestellte Auffassung, die im ersten Satz des Art. 7 ARB Nr. 1/80 den Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer eingeräumten Rechtsstellung sei in allen Fällen davon abhängig, dass diese Bezugsperson dem regulären Arbeitsmarkt aktuell angehört, nicht mehr aufrecht zu erhalten. Vielmehr können die durch Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte nach drei- oder fünfjährigem Wohnsitz bei dem dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmer nicht mehr dadurch genommen werden, dass der türkische Arbeitnehmer nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehört. Für diesen Ausspruch war die Verstärkung des erkennenden Senates gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG im Hinblick auf die Wirkungen des angeführten Urteils im Lichte der Art. 10 und 220 EG nicht erforderlich.
§ 4c AuslBG hat den Sinn, die innerstaatliche Umsetzung der Art. 6 und 7 ARB in Form der Rechtsinstitute der Beschäftigungsbewilligung und des Befreiungsscheines zu bewirken (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2004, Zl. 2001/09/0058). Daher hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer mit ihrer Auffassung, ihm könne ein Befreiungsschein allein deswegen nicht ausgestellt werden, weil ihm sein Vater keinen Unterhalt gewährt, er mit diesem nicht mehr im gemeinsamen Haushalt lebt und vor allem auch, weil sein Vater dem regulären Arbeitsmarkt nicht mehr angehöre, in Rechten verletzt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. Dieser Ausspruch war angesichts des Art. 10 EG ungeachtet des Umstandes zu treffen, dass die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach dem Stand der Rechtsprechung des EuGH sowie des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der letztangeführten Rechtsfrage noch davon ausgehen durfte, der Beschwerdeführer könne sich mangels Zugehörigkeit seines Vaters zum regulären Arbeitsmarkt nicht auf Art. 7 zweiter Unterabsatz ARB berufen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 15. Dezember 2004
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