Normen
61995CJ0351 Kadiman VORAB;
61997CJ0210 Akman VORAB;
ARB1/80 Art7;
VwRallg;
61995CJ0351 Kadiman VORAB;
61997CJ0210 Akman VORAB;
ARB1/80 Art7;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 908,-- EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, stellte beim Arbeitsmarktservice Imst am 29. Dezember 1998 mit dem amtlich aufgelegten Formular den Antrag auf "Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes". In diesem Antrag stützte sich die Beschwerdeführerin auf ihren (seit 13. September 1989 in Österreich aufhältigen und "derzeit bei Fa beschäftigten") Ehegatten H B als Familienangehörigen; Beschäftigungszeiten der Beschwerdeführerin enthält ihr Antrag nicht.
Mit Schreiben vom 24. November 1998 bestätigte die Bezirkshauptmannschaft Imst gegenüber dem Arbeitsmarktservice Imst, dass die Beschwerdeführerin "im Wege der Familienzusammenführung nach Österreich eingereist und sich am 23.11.1993 ordnungsgemäß bei der zuständigen Gemeinde gemeldet hat".
Mit Bescheid vom 29. Dezember 1998 lehnte das Arbeitsmarkservice Imst den Antrag der Beschwerdeführerin vom 29. Dezember 1998 auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975, in der geltenden Fassung, in Verbindung mit
Artikel 7 Abs. 1 zweiter Unterabsatz des Beschlusses 1/1980 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/1980) ab.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin unter anderem vor, auch wenn ihr Ehegatte gerade im Zeitpunkt ihrer Einreise arbeitslos gewesen sei, habe er dennoch dem regulären Arbeitsmarkt angehört, zumal er arbeitsfähig und arbeitswillig gewesen sei und aufgrund seiner Bemühungen bereits im Dezember 1993 wieder eine neue Arbeitsstelle gefunden habe. Im übrigen sei nicht der Zeitpunkt der Einreise entscheidend sondern jener der Antragstellung; der Ehegatte sei zu diesem Zeitpunkt beschäftigt und so Teil des regulären Arbeitsmarktes.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 25. Juni 1999 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 4c Abs. 2 AuslBG und Artikel 7 zweiter Untersatz des ARB Nr. 1/1980 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid vom 29. Dezember 1998 bestätigt.
Diese Entscheidung wurde - hinsichtlich der Voraussetzungen nach Art. 7 des ARB Nr. 1/1980 - von der belangten Behörde im Wesentlichen damit begründet, es sei festgestellt worden, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin im Zeitraum 27. Juni 1993 bis 31. Dezember 1993 keine Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz bezogen, nicht als arbeitssuchend gemeldet und der Arbeitsmarktverwaltung nicht für Zwecke der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden sei und damit nicht die in Österreich geltenden "Formalitäten" erfüllt habe. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin habe "im Ergebnis" während dieses Zeitraumes nicht dem österreichischen Arbeitsmarkt angehört. In diesen Zeitraum falle "die Antragstellung der Beschwerdeführerin zu ihrem Ehegatten nach Österreich zu ziehen und ihre tatsächliche Einreise in das Bundesgebiet". Der Ehegatte der Beschwerdeführerin hätte "auch zum Zeitpunkt der Genehmigung der Einreise der Beschwerdeführerin in das Bundesgebiet zum Zwecke der Familienzusammenführung und auch im Zeitpunkt der tatsächlichen Einreise dem regulären Arbeitsmarkt in Österreich angehören müssen". Da diese Voraussetzungen nicht erfüllt seien, habe der Berufung der Erfolg versagt bleiben müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid nach ihrem gesamten Beschwerdevorbringen in dem Recht auf Ausstellung des beantragten Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 des ARB Nr. 1/1980 verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass die Beschwerdeführerin sich im gesamten Verwaltungsverfahren nicht darauf berufen hat, sie selbst habe Beschäftigungszeiten in der Dauer von vier Jahren aufzuweisen. Die Ausstellung des begehrten Befreiungsscheines wurde demnach nicht auf die Anspruchsvoraussetzungen nach der Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz des Beschlusses des Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80) gestützt. Prüfungsgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist daher ausschließlich das Vorliegen der - für die Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG in Betracht kommenden anderen - Tatbestandsvoraussetzung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Unterabsatz ARB Nr. 1/80.
Art. 7 Satz 1 (Abs. 1) ARB Nr. 1/80 lautet:
"Artikel 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben."
Diese Bestimmung ist unmittelbar anwendbar und räumt subjektive Rechte ein. Den Betroffenen, die diese Voraussetzungen erfüllen, ist gemäß § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) von Amts wegen ein Befreiungsschein durch das Arbeitsmarktservice auszustellen.
Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 hat den Zweck, die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, dadurch zu fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung seiner familiären Bande garantiert wird; durch die Bestimmung sollen somit günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat geschaffen werden (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 17. April 1997, in der Rechtssache C-351/95 (Selma Kadiman), Slg. 1997, I-2133, Rand Nr. 34 und 36). Die im ersten Satz des Art. 7 ARB Nr. 1/80 den Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer eingeräumte Rechtsstellung ist nur den Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers eingeräumt; sie ist also davon abhängig, dass diese Bezugsperson dem regulären Arbeitsmarkt aktuell angehört (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 1998 in der Rechtssache C-210/19 97 (Haydar Akman), Rand Nr. 30).
Die im ersten Satz des Art. 7 ARB Nr. 1/80 den Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers eingeräumte Rechtsstellung ist davon abhängig, dass diese Bezugsperson (der türkische Arbeitnehmer) dem regulären Arbeitsmarkt aktuell angehört. Für die Beurteilung dieser Frage (ob die Bezugsperson im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehört) kommt es auf die Erlassung des angefochtenen Bescheides an (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. April 1999, Zl. 97/09/0235, und vom 19. Dezember 2000, Zl. 98/09/0220).
Die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde erweist sich daher, angesichts des Umstandes, dass die genannte Beurteilung nicht auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung abgestellt wurde, als rechtswidrig. Die belangte Behörde hat darüber, ob der Ehegatte der Beschwerdeführerin in diesem maßgebenden Zeitpunkt dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehört (wie dies in der Berufung behauptet wurde) nicht auseinander gesetzt und in dieser Hinsicht keine Feststellungen getroffen. Dass der Beschwerdeführerin die Genehmigung erteilt wurde, zu ihrem Ehegatten nach Österreich zu ziehen, ist aufgrund der von der Bezirkshauptmannschaft Imst erteilten Auskunft jedenfalls nicht strittig. Es war demnach nicht zu prüfen, ob gerade im Zeitpunkt der Einreise der Beschwerdeführerin ihr Ehegatte arbeitslos war oder nicht, weil es allein darauf ankommt, ob dieser türkische Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 angehört.
Da die belangte Behörde die Rechtslage im dargelegten Sinn verkannte war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001. Der zuerkannte Betrag betrifft den Schriftsatzaufwand (908 EUR).
Wien, am 18. April 2002
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