VwGH 94/08/0276

VwGH94/08/027616.3.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des B in L, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 24. Oktober 1994, Zl. VII/2-5973/2-1994, betreffend Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei:

Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Dr. Karl-Renner-Promenade 14-16), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §67 Abs10 idF 1989/642;
ASVG §67 Abs10;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
BAO §9 Abs1;
KO §1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1;
ASVG §67 Abs10 idF 1989/642;
ASVG §67 Abs10;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
BAO §9 Abs1;
KO §1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 25. Juli 1994 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, der Beschwerdeführer hafte als Geschäftsführer zusammen mit der Magna Video Handel GmbH (in der Folge: M-GmbH) zur ungeteilten Hand für die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren in der Höhe von S 831.776,90 zuzüglich Verzugszinsen ab 1. März 1994 aus dem Betrag von S 685.398,69 und sei verpflichtet, diesen Betrag binnen vierzehn Tagen nach Zustellung dieses Bescheides an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu bezahlen. Begründend wurde ausgeführt, über das Vermögen der M-GmbH sei mit Beschluß des Landesgerichtes Korneuburg am 15. März 1994 der Konkurs eröffnet worden. Der Beschwerdeführer sei als Geschäftsführer Vertreter der Beitragsschuldnerin und hafte gemäß § 67 Abs. 10 ASVG iVm § 83 ASVG. Mit Schreiben vom 15. Juni 1994 sei er ersucht worden, die Schuld zu begleichen oder Tatsachen vorzubringen, die seiner Ansicht nach gegen seine Haftung sprechen würden. Da er diesem Ersuchen jedoch nicht nachgekommen und die Bezahlung schuldhaft unterblieben sei, sei die Haftung auszusprechen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch, worin er die mangelhafte Begründung des erstinstanzlichen Bescheides geltend machte. Er sei in keiner Weise in der Lage gewesen, die Richtigkeit der Höhe der rückständigen Beiträge zu überprüfen, da es an einer sachverhaltsbezogenen überprüfbaren Begründung mangle. Da die Mittel für die Entrichtung der Verbindlichkeiten gegenüber der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gefehlt hätten, habe er auch andere Verbindlichkeiten nicht oder anteilig gleich mit den gegenständlichen Beitragsforderungen beglichen. Er habe diese sogar gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt, was den Masseverwalter veranlaßt habe, einen entsprechenden Betrag von der Gebietskrankenkasse erfolgreich zurückzufordern. Dieser Betrag sei ganz offensichtlich im gegenständlichen Haftungsbetrag enthalten, was bedeute, daß der Beschwerdeführer hinsichtlich einer Summe in Haftung gezogen werde, die die von ihm vertretene Gesellschaft ohnehin bezahlt habe. Darüber hinaus stehe in keiner Weise fest, daß im Konkursverfahren nicht zumindest ein Teil der auch von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse angemeldeten Beitragsforderung als Quote ausgeschüttet werden könne. Da noch nicht feststehe, daß die Beiträge nicht eingebracht werden könnten, sei die Forderung noch nicht fällig.

In ihrer Stellungnahme zum Einspruch schränkte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Haftungsbetrag laut Rückstandsausweis auf S 139.234,83 (für offene Beitragsschulden für Juni 1993 und August 1993, zuzüglich Verzugszinsen ab 1. März 1994 aus S 129.178,44 ein. Darüber hinaus wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer hätte als Geschäftsführer der M-GmbH die Möglichkeit gehabt, monatlich in die Kontoauszüge der Kassa Einsicht zu nehmen, aus welchen die Höhe der Beitragsvorschreibungen erkennbar gewesen sei. Zum gegenständlichen Konkursverfahren seien Gesamtforderungen von ca. S 41.000.000 angemeldet worden, laut Bericht des Masseverwalters anläßlich der Prüfungstagsatzung am 6. Mai 1994 sei ein Massebarvermögen von derzeit S 123.779,92 vorhanden. Es sei daher mit keiner Zuweisung für Konkursgläubiger zu rechnen.

In einer vom Beschwerdeführer daraufhin erstatteten Stellungnahme wurde geltend gemacht, daß nach eigenem Vorbringen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse noch nicht definitiv feststehe, daß nicht doch, zumindest teilweise, Beiträge einbringlich gemacht werden könnten. Bei Ansehung des Wortlautes des § 67 ASVG müsse für die Fälligkeit einer Haftungsforderung dem vertretungsberechtigten Organ gegenüber definitiv und endgültig feststehen, daß die Forderung durch die Beiträge von der vertretenen Gesellschaft nicht eingebracht werden könnten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. Oktober 1994 gab die belangte Behörde dem Einspruch insoweit Folge, als der Haftungsbetrag auf S 139.234,83 zuzüglich Verzugszinsen ab 1. März 1994 aus S 129.178,44 eingeschränkt wurde. Im übrigen wurde der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Begründend wurde im wesentlichen die Stellungnahme der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zum Einspruch des Beschwerdeführers wiedergegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Beschwerdeführer hat dazu eine Gegenäußerung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In den Beschwerdeausführungen wird im wesentlichen vorgebracht, § 67 Abs. 10 ASVG normiere eine Ausfallshaftung dergestalt, daß der danach Haftungspflichtige jedenfalls solange nicht in Anspruch genommen werden dürfe, als ein Ausfall beim Beitragsschuldner als Primärschuldner noch nicht angenommen werden könne. Der Beschwerdeführer habe im Administrativverfahren ausdrücklich vorgebracht, es stehe keineswegs definitiv und endgültig fest, daß die Beitragsforderung gegenüber der vom Beschwerdeführer vertretenen Gesellschaft bzw. der Konkursmasse nicht (zumindest teilweise) eingebracht werden könne. Wenn die belangte Behörde auf den Bericht des Masseverwalters anläßlich der Prüfungstagsatzung vom 6. Mai 1994 verweise, so sei dem entgegenzuhalten, daß der angefochtene Bescheid vom 24. Oktober 1994 datiere und die Berufungsbehörde in ihrer Berufungsentscheidung von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung auszugehen habe. In der Zwischenzeit könne es zu einer wesentlichen Veränderung der Vermögenslage der Konkursmasse gekommen sein, sodaß die belangte Behörde umsomehr die Aufmerksamkeit auf den Sachverhalt zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung hätte richten müssen. Entscheidend sei, daß im Verlauf des Insolvenzverfahrens feststehe, daß die Abgabenforderung im Konkurs mangels ausreichenden Vermögens nicht befriedigt werden könne. Die belangte Behörde hätte dies jedoch nicht festgestellt, sondern nur auf Annahmen des Masseverwalters (arg.: "zu rechnen") verwiesen. Im übrigen könne der Masseverwalter bei der ersten Prüfungstagsatzung noch kein abschließendes Bild über die Aktiven und Passiven der Masse gewinnen. Ausgehend von der Tatsache, daß die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse ihre Forderung unter anderem auch um einen Betrag von S 165.000,-- eingeschränkt habe, welcher aufgrund einer Anfechtung gemäß § 31 KO der Masse zugeflossen sei, bedeute dies, daß das Massevermögen nach dem 6. Mai 1994 um diesen Betrag höher sein müsse als das vom Masseverwalter genannte Vermögen von S 123.779,92. Es sei auch nicht auszuschließen, daß weitere Forderungen vom Masseverwalter bestritten worden seien, und es insbesondere zu Anfechtungen gekommen sei. Diesbezüglich könne jedoch der Beschwerdeführer nichts substantiiert vorbringen, da er nicht Partei des Konkursverfahrens sei. Eine präzise Feststellung über den Ausfall der Beiträge bei der M-GmbH wäre daher notwendig gewesen.

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften unter anderem die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 22. März 1994, VwSlg. NF Nr. 14.021/A, ausgeführt hat, normiert § 67 Abs. 10 ASVG demgemäß - seit der am 1. Jänner 1990 wirksamen Neufassung dieser Bestimmung in Angleichung an die abgabenrechtlichen Haftungsnormen durch die 48. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 642 (vgl. die Erläuterungen der Regierungsvorlage, 1098, Blg NR XVII. GP, 10 f) - eine Ausfallshaftung dergestalt, daß der danach Haftungspflichtige jedenfalls solange nicht in Anspruch genommen werden darf, als ein Ausfall beim Beitragsschuldner als Primärschuldner noch nicht angenommen werden kann (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 23. Oktober 1987, Zl. 85/17/0011, und vom 10. Juni 1991, Zl. 90/15/0175, die zwar zu abgabenrechtlichen Haftungsnormen ergangen sind, deren Grundsätze aber bei der Beurteilung der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG wegen der Ähnlichkeit der zu lösenden Rechtsfragen insofern herangezogen werden können). Wesentliche (und primäre) sachliche Voraussetzung der subsidiären Haftung eines Vertreters nach § 67 Abs. 10 ASVG ist daher die objektive (gänzliche oder zumindest teilweise) Uneinbringlichkeit der betreffenden Beiträge beim Primärschuldner. Erst wenn sie feststeht, ist auf die Prüfung der für eine Haftung nach dieser Bestimmung maßgebenden weiteren, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen (vgl. die Erkenntnisse vom 9. Februar 1982, Slg. Nr. 5652/F, und vom 16. September 1991, Zl. 91/15/0028). Andernfalls, d.h. wenn (noch) nicht einmal eine teilweise (ziffernmäßig bestimmbare) Uneinbringlichkeit feststeht, kommt eine Haftung (noch) nicht in Betracht (vgl. das Erkenntnis vom 16. September 1991, Zl. 91/15/0028) und ist ein dennoch von der erstinstanzlichen Behörde von Amts wegen erlassener Haftungsbescheid von der Einspruchsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG mit der Rechtsfolge zu beheben, daß die erstinstanzliche Behörde über diesen Gegenstand (bei gleicher Sach- und Rechtslage) nicht mehr neuerlich entscheiden darf (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 17. September 1991, Zl. 91/08/0004, 0093, und vom 12. Jänner 1993, Zl. 91/08/0176), d.h. - in Bindung an den Behebungsgrund - solange nicht, als nicht die (gänzliche oder zumindest teilweise) Uneinbringlichkeit feststeht.

Nach ständiger Rechtsprechung der Abgabensenate kann aus der Tatsache der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen einer GmbH allein noch nicht zwingend auf die (gänzliche oder zumindest teilweise) Uneinbringlichkeit der gegenüber der Gesellschaft entstandenen Abgabenforderungen geschlossen werden. Andererseits bedarf es zur Beurteilung dieser Uneinbringlichkeit auch nicht notwendig der vollständigen Abwicklung (bis zur Aufhebung) des Konkurses; sie ist vielmehr bereits anzunehmen, sobald im Lauf des Insolvenzverfahrens feststeht, daß die Abgabenforderung im Konkurs mangels ausreichenden Vermögens nicht (nicht einmal mit einem ziffernmäßig bestimmbaren Teilbetrag) wird befriedigt werden können (vgl. die Erkenntnisse vom 10. Juni 1980, Zl. 65/79, vom 23. Oktober 1987, Zl. 85/17/0011, und vom 10. Juni 1991, Zl. 90/15/0175, sowie das im erstgenannten Erkenntnis bezogene, nicht zu einer Haftungsfrage ergangene Erkenntnis vom 13. November 1978, Zl. 1636/77). Diese Grundsätze sind aus den obgenannten Erwägungen auch bei der Auslegung des § 67 Abs. 10 ASVG heranzuziehen.

Allgemeine und durch die Bezugnahme auf die "bisher überblickbare Situation" oder die Erwartungen nach dem "derzeitigen Stand" unbestimmt gehaltene Auskünfte des Masseverwalters sind dabei aber keine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Es bedarf konkreter, im einzelnen nachprüfbarer Feststellungen der Behörde über die Befriedigungsaussichten, insbesondere über das zur Befriedigung der Konkursforderungen verfügbare Massevermögen (vgl. dazu das Erkenntnis vom 30. September 1997, 95/08/0321).

Im vorliegenden Fall kann - gemessen an den oben dargestellten Kriterien - von ausreichenden Feststellungen über die Befriedigungsaussichten nicht die Rede sein. Die belangte Behörde stützt sich lediglich auf einen Bericht des Masseverwalters anläßlich einer Prüfungstagsatzung am 6. Mai 1994, der bei Erlassung des angefochtenen Bescheides schon mehr als fünf Monate zurücklag. Dazu kommt, daß in der Zwischenzeit, wie die Gebietskrankenkasse selbst vorgebracht hat, weitere Geldmittel - jedenfalls aufgrund einer erfolgreichen Anfechtung durch den Masseverwalter - in Höhe von S 165.000,-- der Masse zugeflossen sind. Da andererseits nicht feststeht, wie hoch die voraussichtlichen Kosten des Konkursverfahrens sein werden, kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich dadurch die Befriedigungsaussichten für die allein noch in Haftung gezogenen Beitragsschulden für Juni und August 1993 sowie Anhang in einer für die angenommene gänzliche Uneinbringlichkeit dieser Schulden relevanten Weise verändert haben. Wenn die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in der Gegenschrift darauf hinweist, daß der Masseverwalter am 10. Jänner 1995 um dezidierte Auskunft bezüglich des Standes in der gegenständlichen Insolvenzsache gebeten worden sei und er eine Stellungnahme abgegeben habe, so ist dem entgegenzuhalten, daß diese Ermittlungstätigkeit erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides vorgenommen wurde. In der Gegenschrift enthaltene Ausführungen können im übrigen fehlende Erörterungen und eine unterlassene Begründung nicht ersetzen (vgl. z.B. aus der ständigen Rechtsprechung das Erkenntnis vom 2. Dezember 1997, Zl. 94/05/0191).

Da zur Uneinbringlichkeit der gegenständlichen Beitragsforderungen bei der GmbH und somit zur primären Voraussetzung einer Haftung des Beschwerdeführers als Geschäftsführer keine für eine Beurteilung im obgenannten Sinn ausreichenden Feststellungen getroffen wurden, bedarf der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt jedenfalls der Ergänzung. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.

Wien, am 16. März 1999

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