Normen
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §52;
AVG §56;
AVG §60;
BDG 1979 §14 Abs1 Z1;
BDG 1979 §14 Abs3;
PG 1965 §36 Abs1;
PG 1965 §9 Abs1 idF 1985/426;
PG 1965 §9 Abs1;
VwRallg;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §52;
AVG §56;
AVG §60;
BDG 1979 §14 Abs1 Z1;
BDG 1979 §14 Abs3;
PG 1965 §36 Abs1;
PG 1965 §9 Abs1 idF 1985/426;
PG 1965 §9 Abs1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1947 geborene Beschwerdeführerin steht seit 1. November 1995 als Amtssekretärin i.R. in einem öffentlich-rechtlichen Pensionsverhältnis zum Bund.
Als Grundlage für die Versetzung der Beschwerdeführerin in den Ruhestand gemäß § 14 BDG 1979 diente ein medizinisches Fachgutachten für Neurologie und Psychiatrie vom 28. Juni 1995, worin die Beschwerdeführerin aufgrund einer länger bestehenden endogenen Depression mit Erschöpfungskomponenten und Somatisierungstendenz als "dauernd arbeitsunfähig" beurteilt wurde.
Die unter anderem verfahrensrelevanten letzten Sätze dieses Gutachtens lauten wie folgt:
"Aufgrund der derzeitigen Untersuchungssituation ist die Bedienstete nicht in der Lage, ihren Dienst weiter zu versehen. Die Untersuchte berichtet auch glaubhaft, daß sie die derzeit auch nur geringsten Anforderungen der Einschulung nicht erfüllen kann.
Nachdem der Zustand bereits seit 1992 anhält, ist auch mit einer wesentlichen Besserung nicht mehr zu rechnen, sodaß die Untersuchte für dauernd arbeitsunfähig ist."
Mit Schreiben vom 20. November 1995 beantragte die Beschwerdeführerin die Zurechnung des höchstmöglichen Zeitraumes zur ruhegenußfähigen Bundesdienstzeit gemäß § 9 PG 1965, die für die Erlangung des Ruhegenusses im Ausmaß der Ruhegenußbemessungsgrundlage erforderlich ist.
Zur Überprüfung der Erwerbsfähigkeit der Beschwerdeführerin holte die belangte Behörde (nach ihren eigenen Ausführungen in der Gegenschrift) neben dem bereits im Verfahren zur Versetzung in den Ruhestand gemäß § 14 BDG 1979 vorliegenden medizinischen Fachgutachten für Neurologie und Psychiatrie vom 28. Juni 1995 ein berufskundliches Gutachten ein, welches mit 14. Dezember 1995 erstellt wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. Jänner 1996, wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin ab.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe von einschlägiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im wesentlichen aus, daß sich aus den Feststellungen des berufskundlichen Sachverständigen ergebe, daß unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Beschwerdeführerin noch eine Erwerbsfähigkeit bestehe. Es kämen Tätigkeiten einer Sachbearbeiterin für Reisekosten bzw. in der Honorarverrechnung für die Beschwerdeführerin in Betracht, welche der Beschwerdeführerin auch billigerweise sozial zumutbar seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 (PG 1965), BGBl. Nr. 340, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 426/1985, lautet:
"Ist der Beamte ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden, so hat ihm seine oberste Dienstbehörde aus Anlaß der Versetzung in den Ruhestand den Zeitraum, der für die Erlangung des Ruhegenusses im Ausmaß der Ruhegenußbemessungsgrundlage erforderlich ist, höchstens jedoch zehn Jahre, zu seiner ruhegenußfähigen Bundesdienstzeit zuzurechnen."
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde die in einem Verfahren nach § 9 PG 1965 entscheidende Rechtsfrage, ob der Beamte noch "zu einem zumutbaren Erwerb" fähig ist, nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Versetzung des Beamten in den Ruhestand zu lösen; hiebei hat sie zunächst auf der Grundlage eines mängelfreien und schlüssigen ärztlichen Gutachtens die Frage zu beantworten, ob der Beamte überhaupt noch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit fähig ist; bejahendenfalls hat sie sodann auf der Grundlage dieses sowie eines mängelfreien und schlüssigen berufskundlichen Gutachtens die Frage zu klären, ob dem Beamten jene Erwerbstätigkeiten, die er nach seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit vom medizinischen Standpunkt aus noch auszuüben vermag, zugemutet werden können (so z.B. Verwaltungsgerichtshof 19. Februar 1992, Zl. 90/12/0140; Verwaltungsgerichtshof 27. November 1996, Zl. 95/12/0053).
Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit sind die Verhältnisse bei der Ruhestandsversetzung (vgl. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Juni 1987, Zl. 87/12/0033, und vom 29. Februar 1988, Zl. 87/12/0170). Bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit handelt es sich um eine Rechtsfrage. Daraus folgt, daß nicht der ärztliche Sachverständige die Erwerbsunfähigkeit festzustellen hat, sondern die zur Entscheidung dieser Rechtsfrage berufene Behörde. Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen ist es bloß, der zur Entscheidung berufenen Behörde bei der Feststellung des Sachverhaltes fachtechnisch geschulte Hilfe zu leisten (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 1995, Zl. 94/12/0142).
Die Behörde hat medizinische Gutachten, die im Ruhestandversetzungsverfahren herangezogen wurden, auch im Verfahren nach § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 zu berücksichtigen und die dort festgestellten Leidenszustände (sofern sie medizinisch fundiert sind) in ihre Überlegungen miteinzubeziehen (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. November 1994, Zl. 94/12/0162).
In einem dem Standpunkt des Beamten nicht vollinhaltlich Rechnung tragenden Bescheid hat die Behörde entsprechend den §§ 58 Abs. 2, 60 AVG und § 1 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes in einer sowohl die Wahrnehmung der Rechte durch den Beamten als auch die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichenden Art und Weise die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen (ständige Rechtsprechung, siehe z.B. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1992, Zl. 90/12/0140, ebenfalls zu § 9 Abs. 1 PG 1965).
Aus der Tatsache der erfolgten Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ergibt sich nicht schon, daß eine Unfähigkeit zu einem zumutbaren Erwerb im Sinne des § 9 Abs. 1 PG 1965 im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung vorlag (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1982, Zl. 82/09/0151); es ist aber das zur Versetzung in den Ruhestand herangezogene ärztliche Gutachten im Sinne der oben angeführten Judikatur in das Ermittlungsverfahren der Behörde zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit miteinzubeziehen. Die Behörde hat unter Mitberücksichtigung des/der Gutachten(s) des/der ärztlichen Sachverständigen im Ruhestandsversetzungsverfahren festzustellen, welche Erwerbstätigkeiten (Berufe) der Beamte aufgrund der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausüben kann. Dies setzt neben der medizinischen Begutachtung und Würdigung durch die Dienstbehörde eine berufskundliche Beurteilung voraus, wobei beide Verfahrensschritte ausreichend, das ist in einer die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichenden Art und Weise, in der Begründung dargelegt werden müssen, (ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, siehe z.B. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Oktober 1987, Zl. 86/12/0015 oder vom 16. Dezember 1992, Zl 91/12/0243). Widersprüche in zwei verschiedenen vorliegenden ärztlichen Gutachten sind von der Dienstbehörde zu würdigen bzw. das Ermittlungsverfahren entsprechend fortzusetzen bis allfällige Unklarheiten in der Beurteilung durch die Sachverständigen beseitigt sind.
Im vorliegenden Fall hat der neurologisch-psychiatrische Sachverständige im Verfahren der Versetzung der Beschwerdeführerin in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit die eingangs zitierten Feststellungen, die Untersuchte berichte glaubhaft, derzeit auch nur geringste Anforderungen der Einschulung nicht erfüllen zu können bzw. die Untersuchte sei für dauernd arbeitsunfähig, getroffen. Entgegen der Annahme der belangten Behörde bedeutet dies nicht, daß das zitierte ärztliche Gutachten keinerlei Stellungnahme enthielte, welche einer Beurteilung der Beschwerdeführerin als erwerbsunfähig zugänglich wäre. Denn wenn die belangte Behörde meint, der ins Treffen geführte Passus gebe lediglich den subjektiven Eindruck des medizinischen Sachverständigen aufgrund eines Berichtes der Beschwerdeführerin wieder, so ist ihr entgegenzuhalten, daß gerade auf dem Gebiet der Neurologie und Psychiatrie der subjektive Eindruck eines psychiatrischen Sachverständigen zum Bericht einer untersuchten Person häufig die einzig mögliche Tatsachenfeststellung ist. Hatte die Behörde Zweifel an der sachlichen Rechtfertigung der Angaben des psychiatrischen Sachverständigen, so wäre es an ihr gelegen gewesen, den Sachverständigen dazu ergänzend zu befragen oder einen zusätzlichen Sachverständigen beizuziehen, um den Sachverhalt zu klären.
Im vorliegenden Fall wurde aber, soweit dies aus der Aktenlage nachvollziehbar ist, in der Folge bloß ein berufskundliches Sachverständigengutachten eingeholt, welches sich auf ein dem Gutachten angeheftetes, sogenanntes "medizinisches Leistungskalkül" stützt. Die Herkunft dieses medizinischen Leistungskalküls ist aus der Aktenlage nicht nachvollziehbar; der Ersteller und seine Qualifikationen sind darin nicht genannt; es handelt sich lediglich um einen einseitigen handschriftlich ausgefüllten Fragebogen. In der letzten Zeile des "medizinischen Leistungskalküls" ist zu dem Vordruck "ist die Antragswerberin auf andere als die bisherigen Tätigkeiten umschul- oder anlernbar?" unter dem Wortteil "umschul-" handschriftlich ein "nein", neben dem Wort "anlernbar" handschriftlich ein "ja" beigefügt.
Lediglich in der Gegenschrift der belangten Behörde wird vorgebracht, daß das Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen unter Einbeziehung des bereits erwähnten medizischen Fachgutachtens für Neurologie und Psychiatrie und unter Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Arbeitsmedizin für das medizinische Leistungskalkül erstellt worden sei.
Zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führt die Beschwerdeführerin aus, das Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen sei ihr nie zur Kenntnis gebracht worden. Weiters bringt sie vor, sie hätte bei Gewährung des Parteiengehörs zu dem berufskundlichen Sachverständigengutachten und dem medizinischen Leistungskalkül hätte sie vorgebracht, daß zwischen dem letzteren Gutachten und dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten der Ruhestandversetzung Widersprüche bestünden. Diese wären dann zu ihren Gunsten aufzulösen gewesen, weil sinngemäß in dem neurologisch-psychiatrischen im Ruhestandsversetzungsverfahren eingeholten Gutachten dargetan worden sei, daß es glaubhaft sei, daß sie auch nur die geringsten Anforderungen einer Einschulung nicht erfüllen könne. Für den Verweisungsberuf nach dem berufskundlichen Gutachten als "Sachbearbeiterin für Reisekosten bzw. in der Honorarverrechnung" würde sie aber auf jeden Fall eine Einschulung benötigen.
Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerdeführerin im Ergebnis zum Erfolg. Die belangte Behörde hat die Unklarheit, welche sich aus der Begriffsverwendung der "Einschulung" im neurologisch-psychiatrischen Fachgutachten im Gegensatz zu "Umschulung" bzw. "Einarbeitung" in dem sogenannten medizinischen Leistungskalkül, welches dem berufskundlichen Gutachten zugrundelag, nie aufgelöst. Schon aus diesem Grund ist ein für die Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis für den Fall, daß sie Parteiengehör zu dem berufskundlichen Fachgutachten und dessen Grundlage bekommen hätte, nicht von vornherein auszuschließen. Bereits aus diesem Grund erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Hinzuzufügen ist, daß auch im Falle, daß im fortgesetzten Verfahren der Widerspruch zwischem dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten und dem sogenannten "medizischen Leistungskalkül" auflösbar ist, es erforderlich sein wird, die Qualifikationen des Erstellers des medizinischen Leistungskalküls in nachvollziehbarer Weise darzustellen, da dies im Sinne der oben zitierten Judikatur jedenfalls ein entsprechender Sachverständiger aus dem Bereich der Medizin zu sein hätte, was aber aus den vorgelegten Akten nicht zweifelsfrei nachvollziehbar ist (zur Sachverständigenqualifikation vgl. auch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Feber 1997, Zl. 96/12/0242).
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
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