VwGH 95/20/0566

VwGH95/20/056621.11.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. April 1995, Zl. 4.339.977/7-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 6. August 1992 in das Bundesgebiet ein. Er stellte noch am selben Tag den Antrag, ihm Asyl zu gewähren.

Mit Bescheid vom 26. August 1992 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers - ohne auf die Frage seiner Flüchtlingseigenschaft einzugehen - mit der Begründung ab, dieser sei vor Einreise in das Bundesgebiet bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen, weshalb der Asylausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 zum Tragen komme.

In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung wiederholte der Beschwerdeführer lediglich die bereits in erster Instanz geltend gemachten Fluchtgründe, ging jedoch auf den von der Erstbehörde herangezogenen Asylausschlußgrund nicht ein. Er holte dies jedoch in einer Berufungsergänzung vom 2. September 1992 insoweit nach, als er dort angab, er sei am 25. Juli 1992 in Istanbul in den Gepäckraum eines Autobusses eingestiegen und habe dabei nur gewußt, daß das Reiseziel Österreich sei, nicht aber, über welche Länder die Durchreise erfolgen werde. Er habe den Bus in Ungarn nicht verlassen und es wäre ihm daher auch nicht möglich gewesen, den Gepäckraum des Busses von innen zu öffnen. Es habe für ihn daher keinerlei Möglichkeit bestanden, mit ungarischen Behörden Kontakt aufzunehmen. Er habe sich daher nicht im Sinne des Asylgesetzes in Ungarn aufgehalten, vielmehr habe er Ungarn nur im Wege einer von ihm nicht beeinflußbaren Durchreise, die er von sich aus auch nicht habe unterbrechen können, passiert.

Die belangte Behörde wies diese Berufung (samt deren Ergänzung) mit Bescheid vom 19. Oktober 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG im wesentlichen infolge Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers ab. Eine Auseinandersetzung mit dem Vorliegen eines Asylausschlußgrundes erfolgte in diesem Bescheid nicht. Aufgrund der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof den bekämpften Bescheid mit seinem Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0066, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig wurde.

Mit Manuduktionsschreiben vom 9. März 1995 ermöglichte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer im Sinne der aufhebenden Erkenntnisses die Geltendmachung "einfacher Verfahrensmängel" und sich allenfalls daraus ergebender Sachverhaltsmängel des Verfahrens erster Instanz und hielt ihm darüber hinaus vor, der UNHCR habe in einem "Gutachten" vom 4. Juli 1994 festgestellt, daß in Ungarn (trotz des legitimen territorialen Vorbehaltes zur Genfer Flüchtlingskonvention) "faktisch lückenlose" Abschiebungssicherheit für außereuropäische Flüchtlinge und Asylwerber bestünde. Die Verfahren betreffend außereuropäische Asylwerber würden, gemäß einem "Arrangement" zwischen den ungarischen Behörden und dem UNHCR, von letzterem durchgeführt. Bis zur Finalisierung des Asylverfahrens bzw. im Falle seiner Anerkennung als Flüchtling durch den UNHCR genieße der Asylwerber Schutz vor Abschiebung in sein Heimatland. Auch gehe die Behörde auf Grund der allgemeinen Lage in Ungarn davon aus, daß der Beschwerdeführer daselbst keiner direkten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei.

In seiner daraufhin erstatteten Berufungsergänzung vom 28. März 1995 brachte der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtweg vor, er sei in einem Reisebus über Bulgarien, einen Teil des nunmehrigen Serbien und über Ungarn (Kecskemet) nach Österreich gekommen. Bei den Grenzübergängen sei er vom Bus in den Gepäckraum verfrachtet und nach den Grenzübergängen wieder in den Reisebus zurückverfrachtet worden. Der Reisebus habe in keinem einzigen der aufgezählten Länder einen stationären Aufenthalt gehabt. Die Reise von Istanbul nach Wien habe zweieinhalb Tage gedauert. Soweit in den Niederschriften jeweils vom 26. August 1992 anderslautende Angaben enthalten seien, seien diese nicht richtig protokolliert worden (der Beschwerdeführer hatte bei seiner niederschriftlichen Befragung angegeben, am 25. Juli 1992 mit dem Reisebus von Istanbul in Richtung Bulgarien gefahren zu sein. Er habe sich an der Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien zusammen mit zwei anderen türkischen Flüchtlingen im Gepäckraum des Reisebusses versteckt. In Bulgarien habe er sich zwei Tage aufgehalten. Von Bulgarien seien sie über Jugoslawien nach Ungarn gefahren, wo er sich ebenfalls zwei Tage in einer Stadt in der Nähe der Grenze aufgehalten habe. Anschließend sei er weiter nach Österreich gefahren und habe sich wieder an der Grenze versteckt. Die österreichische Grenze habe er am 6. August 1992 bei einem nicht näher bekannten Grenzübergang passiert).

Mit dem angefochtenen (Ersatz-)Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Sie begründete ihre Entscheidung nicht nur mit dem Nichtvorliegen der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991, sondern auch mit dem Vorliegen des Asylausschlußgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991, ausgehend von den Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner Befragung, er habe sich vor Einreise in das Bundesgebiet in Ungarn aufgehalten. Sie wiederholte im übrigen ihren im Manuduktionsschreiben vom 9. März 1995 enthaltenen Vorhalt über die faktische Einhaltung des Nonrefoulementverbotes durch Ungarn unter Verweis darauf, daß ihm die "einschlägige Annahme" vorgehalten worden sei, er dieser jedoch "im Faktischen nichts Konkretes entgegenzusetzen" vermocht habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof unter Abstandnahme von der Durchführung der beantragten Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG erwogen hat:

In der Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer (u.a.) auch gegen die auf § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 gestützte Argumentation der belangten Behörde mit der Behauptung, entgegen den Ausführungen der belangten Behörde ginge aus dem von ihr zitierten Gutachten hervor, daß in Ermangelung einer Bindungswirkung tatsächlich lückenloser Ab-(Rück-)Schiebeschutz in Ungarn für außereuropäische Flüchtlinge nicht gegeben gewesen sei, schon gar nicht im August 1992, dem Zeitpunkt der Durchreise des Beschwerdeführers durch diesen Staat. Im übrigen vertritt der Beschwerdeführer zur Frage der Anwendbarkeit der Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 seine Ansicht mit rechtlichen Argumenten, denen der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur bereits widersprochen hat (vgl. als Beispiel für viele hg. Erkenntnis vom 6. September 1995, Zl. 95/01/0030, und die dort wiedergegebene Judikatur). Die in seinen Berufungsergänzungen aufgestellte Behauptung, er habe faktisch keine Möglichkeit gehabt, in Ungarn um Asyl anzusuchen, lediglich mit der Begründung, er habe den Reisebus, in dem er sich versteckt gehalten habe, nicht verlassen können, wird in der Beschwerde nicht mehr aufrechterhalten und steht auch im Widerspruch zu seinen niederschriftlich festgehaltenen Angaben anläßlich seiner Erstbefragung.

Dennoch erweist sich die Beschwerde als berechtigt. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem jüngsten Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179, in Fortführung der aus dem Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413, entwickelten Judikatur dargelegt hat, kann sich die Behörde ein amtswegiges Ermittlungsverfahren und die Schaffung einer ausreichenden Sachverhaltsgrundlage für ihre rechtliche Beurteilung unter Hinweis auf die mangelnde bzw. mangelhafte Mitwirkung der Partei nicht ersparen, wo dieser Mitwirkung der Partei keine Bedeutung zukommt. Im übrigen wird zur Unschlüssigkeit der auf das "Gutachten" des UNHCR vom 4. Juli 1984 gestützten Annahme der Verfolgungssicherheit in Ungarn auf die näheren Ausführungen im obigen Erkenntnis vom 10. Oktober 1996 gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Bei dieser Sachlage wäre daher zu prüfen gewesen, ob die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründe für eine Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 ausreichen. Die belangte Behörde hat die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers nicht ausreichend begründet, sodaß (auch) ein Begründungsmangel vorliegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem bereits oben genannten Erkenntnis ausgesprochen, daß die Floskel "Das Vorliegen Ihrer Flüchtlingseigenschaft wurde von der erkennenden Behörde gründlich geprüft........", inhaltsleer und damit eine bloße Scheinbegründung ist.

Aber auch das von der belangten Behörde weiters herangezogene Argument der "inländischen Fluchtalternative" erscheint im Hinblick auf die Kürze des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Istanbul (10 Tage) und den Mangel weiterer Feststellungen über die faktischen Verhältnisse dort nicht stichhältig, zumal der Beschwerdeführer schon in erster Instanz geltend gemacht hat, daß er Angehöriger der PKK sei und "Kontra-Guerilla" nach PKK-Angehörigen auch in den Städten suchen.

Aus diesen Gründen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Ermittlungs- und Begründungsfehlern, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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