Normen
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Jänner 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 17. August 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 19. August 1992 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. August 1992 abgewiesen.
Zur Frage der Flüchtlingseigenschaft führt die belangte Behörde nach Darstellung allgemein gehaltener rechtlicher Erwägungen aus:
"Das Vorliegen Ihrer Flüchtlingseigenschaft wurde von der erkennenden Behörde gründlich geprüft, mußte aber aufgrund von nicht feststellbarer intentionaler Verfolgung Ihrer Person durch Ihren Heimatstaat verneint werden und konnte auch deshalb kein Asyl gewährt werden."
In weiterer Folge setzt sich die Bescheidbegründung ausschließlich mit dem von der belangten Behörde angenommenen Asylausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 auseinander.
Diesbezüglich hatte der Beschwerdeführer anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 19. August 1992 zu seiner Reiseroute angegeben, daß er durch Bestechung einen Reisepaß illegal erhalten habe. Er habe am Autobusbahnhof Topkapi einen Schlepper kennengelernt, diesem seinen Reisepaß abgegeben und DM 5.000,-- für die Flucht nach Österreich bezahlt. Er sei am "15. Juli 1992" (richtig wohl: 15. August 1992) in einem Reisebus von Istanbul weggefahren. Er habe sich bei keinem Grenzübertritt verstecken müssen. Der Schlepper habe an den Grenzen die Pässe vorgezeigt. Der Beschwerdeführer sei am "17. Juli 1992" (richtig wohl: 17. August 1992) nach Österreich gekommen und habe den Autobus in der Nähe von Wien verlassen.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit dem Bescheid vom 20. August 1992 ausschließlich mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer habe sich vor seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet in einem Nachbarstaat zu Österreich aufgehalten, dort sei er sicher vor Verfolgung gewesen.
In der dagegen erhobenen Berufung nahm der Beschwerdeführer auf die Annahme der "Verfolgungssicherheit" nicht Bezug.
Der daraufhin vom Bundesminister für Inneres erlassene Bescheid vom 18. März 1993 wurde durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. September 1994, Zl. 94/20/0108, aufgehoben.
Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer durch Schreiben vom 9. Jänner 1995 vor, daß sie davon ausgehe, daß der Beschwerdeführer in einem der Nachbarstaaten Österreichs "Verfolgungssicherheit" erlangt habe. Aus seiner Erstbefragung vom 19. August 1992 ergebe sich, daß er am Landweg per Autobus nach Österreich gelangt sei und sich somit in einem der Nachbarstaaten Österreichs aufgehalten haben müsse. Es wäre dem Beschwerdeführer möglich gewesen, bei den dortigen Behörden um Asyl anzusuchen. Er sei in diesen Staaten keinerlei Verfolgungen ausgesetzt (oder von solcher bedroht) gewesen und habe auch nicht befürchten müssen, ohne Prüfung seiner Fluchtgründe in seine Heimat abgeschoben zu werden. Denn alle Nachbarstaaten Österreichs seien Mitgliedstaaten der Genfer Konvention und es spreche nichts dafür, daß einer von diesen die sich aus dieser Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das in Art. 33 verankerte Refoulement-Verbot, etwa vernachlässige. Den Sonderfall Ungarn betreffend, welches die Genfer Flüchtlingskonvention mit dem zulässigen Vorbehalt, wonach nur Ereignisse in Europa asylrechtlich relevant seien, ratifiziert habe, sei festzustellen, daß - wie sich aus einem Gutachten des UNHCR vom 4. Juli 1994 für das deutsche Bundesverfassungsgericht ergebe - trotz dieses territorialen Vorbehaltes faktisch lückenloser Abschiebungsschutz auch für außereuropäische Flüchtlinge und Asylwerber bestehe.
Der Beschwerdeführer antwortete, es sei ihm nicht bekannt gewesen, daß er durch Ungarn durchgereist sei. Im übrigen bringe er vor, daß seinerzeit bei der Einreise keinesfalls eine absolute Sicherheit für ein Asylverfahren in Ungarn bestanden habe. Zudem erscheine das Argument, er hätte bereits in Ungarn um Asyl ansuchen können, als rechtswidrig. Mit diesem Argument werde jegliche Asylgewährung in Österreich grundsätzlich unmöglich, weil dann davon ausgegangen werden müßte, daß jeder Asylant in irgendeinem Nachbarland Österreichs bereits um Asyl hätte ansuchen können. Es würde dann überhaupt kein Asylverfahren geben. Im übrigen habe er in Ungarn deshalb nicht um Asyl ansuchen können, weil er in Ungarn "das Fahrzeug nicht einmal verlassen" habe.
Die belangte Behörde erließ daraufhin den nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid und begründete die Annahme der Sicherheit vor Verfolgung damit, daß der Beschwerdeführer in einem der Nachbarstaaten Österreichs Sicherheit vor Verfolgung erlangt habe, was sie mit den im Vorhalt vom 9. Jänner 1995 zitierten Ausführungen begründete.
In der vorliegenden, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes behauptenden Beschwerde bekämpft der Beschwerdeführer beide von der belangten Behörde herangezogenen Abweisungsgründe. Auf die Sicherheit vor Verfolgung bezogen rügt er das Schreiben vom 9. Jänner 1995 als "Irreführung", weil es sich nur auf die Annahme der "Verfolgungssicherheit in einem Nachbarstaat Österreichs" beziehe und nicht auf die Frage der Verfolgung eingehe. In inhaltlicher Sicht bringt der Beschwerdeführer vor, daß "im Jahre 1992 der faktische Verfolgungsschutz seitens Ungarns sicherlich nicht gegeben war; das gilt insbesondere für kurdische Flüchtlinge". Der Beschwerdeführer gibt an, er habe im Zuge seiner Reise "möglicherweise Ungarn durchquert". Zu den übrigen Nachbarstaaten Österreichs und der von der belangten Behörde angenommenen "Verfolgungssicherheit" in diesen enthält die Beschwerde kein Vorbringen.
Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde erstmalig vor, er sei von der Schlepperorganisation in deren Auto "derart nach Österreich gebracht" worden, daß er "rein objektiv tatsächlich nie die Möglichkeit gehabt hätte, mit ungarischen oder sonstigen Behörden Kontakt aufzunehmen".
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. ua die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, vom 28. Juni 1988, Zl. 87/11/0066, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722). Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid insoweit nicht gerecht, als dieser ohne nähere Darlegungen davon ausgeht, daß dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukomme. Dazu findet sich im angefochtenen Bescheid lediglich der Hinweis, daß die Frage der Flüchtlingseigenschaft von der belangten Behörde "gründlich geprüft" wurde, diese jedoch zu verneinen sei. Damit erweist sich die Bescheidbegründung in bezug auf die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers als eine inhaltsleere Floskel, der weder Sachverhaltsfeststellungen noch irgendeine argumentative Auseinandersetzung mit dem vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Standpunkt zugrunde liegen.
Trotz Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft wäre jedoch für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, wenn einer der Ausschlußgründe des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vorläge, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war.
Der Beschwerdeführer hat durch das Schreiben der belangten Behörde vom 9. Jänner 1995 die Möglichkeit eingeräumt erhalten, gegen die zur Stützung der "Verfolgungssicherheit" in Ungarn gebrauchten Annahmen sachgerechte Einwendungen im Berufungsverfahren zu erheben.
Der Vorhalt der Behörde zitiert ein "Gutachten des UNHCR vom 4.7.1994 für das deutsche Bundesverfassungsgericht", ohne aber weitere (zeitliche) Bezüge bekanntzugeben, aus welchen sich erkennen ließe, ob der "faktisch lückenlose Abschiebungsschutz auch für außereuropäische Flüchtlinge und Asylwerber" bereits für den "möglichen" Aufenthalt des Beschwerdeführers anläßlich seiner Durchreise zwischen 15. August 1992 und 17. August 1992 gegeben war. Da es sich hiebei um keine offenkundige Tatsache handelt, wären nähere Angaben (etwa: auf welchen Tatsachen das "Gutachten" beruht, ab wann der Abschiebungsschutz anzunehmen ist) notwendig gewesen, um dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu eröffnen, auf seinen Durchreisezeitpunkt bezogene konkrete sachgerechte Einwendungen zu erheben. Daher reichte die Einwendung des Beschwerdeführers, daß "seinerzeit bei der Einreise keinesfalls eine absolute Sicherheit für ein Asylverfahren in Ungarn" bestanden habe, um die belangte Behörde zu weiteren Ermittlungen zu veranlassen.
Dessenungeachtet unterläßt es die belangte Behörde auch im angefochtenen Bescheid, näher darzulegen, weshalb sie zur Annahme gelangte, das "Gutachten" vom 4. Juli 1994 beziehe sich bereits auf den Zeitraum 15. bis 17. August 1992. Dies rügt der Beschwerdeführer auch erkennbar durch das Beschwerdevorbringen, daß im Jahre 1992 "der faktische Verfolgungsschutz seitens Ungarns sicherlich nicht gegeben" gewesen sei.
Den bereits oben ausgeführten Anforderungen an die Begründung eines Bescheides wird der angefochtene Bescheid auch in der Annahme der Sicherheit vor Verfolgung in Ungarn insofern nicht gerecht, als die für den Fall der Durchreise des Beschwerdeführers durch Ungarn maßgebliche Frage, ob der Beschwerdeführer damals Sicherheit vor Verfolgung in Ungarn erlangen konnte, unüberprüfbar ist. Zwar bleibt die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei - außer in Ungarn - auch in den anderen Nachbarländern Österreichs, durch welche er im Zuge seiner Reise möglicherweise gefahren ist, vor Verfolgung sicher gewesen, unbekämpft, doch sind angesichts des Umstandes, daß der Beschwerdeführer nach den "Feststellungen" der belangten Behörde möglicherweise AUSSCHLIEßLICH durch das Nachbarland Ungarn gefahren ist, die betreffend Ungarn unterlaufenen Verfahrensmängel relevant.
Da sohin Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
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