Normen
AVG §66 Abs4;
LMG 1975 §20;
VStG §2 Abs2;
VStG §27 Abs1;
VStG §44a Z1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4;
AVG §66 Abs4;
LMG 1975 §20;
VStG §2 Abs2;
VStG §27 Abs1;
VStG §44a Z1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Magistratsabteilung 59 - Marktamtsabteilung für den
21. Wiener Gemeindebezirk veranlaßte aufgrund einer Revision in einer Filiale der XY-AG in Wien 21 am 16. August 1994 eine Anzeige beim zuständigen Magistratischen Bezirksamt wegen des Verdachtes der Übertretung des § 20 iVm § 74 Abs. 5 des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG 1975).
Das Magistratische Bezirksamt leitete die Anzeige am 12. Oktober 1994 "zuständigkeitshalber" an die Bezirkshauptmannschaft Mödling (BH) weiter.
Mit Straferkenntnis der BH vom 7. Februar 1995 wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er sei als Vorstandsmitglied und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Firma XVY-AG mit Sitz in N dafür verantwortlich, daß am 16. August 1994 in der XY-Filiale in Wien 21, ..., (näher umschriebenes) Kleingebäck mit einem sogenannten Gebäckspender im Wege der Selbstbedienung an die Kunden abgegeben und damit in Verkehr gesetzt worden sei. Die Kunden hätten nach Öffnen einer Abdeckung gleichzeitig Zugriff auf mehrere Gebäckstücke, auch solcher, welche sie nicht wählten, gehabt. Das Gebäck sei dabei dem Betasten, Wühlen, Aussuchen, Anhusten und Anniesen durch die Kunden ausgesetzt gewesen, wodurch Krankheitserreger übertragen werden könnten. Der Beschwerdeführer habe daher nicht vorgesorgt, daß Lebensmittel beim Inverkehrsetzen nicht durch äußere Einwirkungen hygienisch nachteilig beeinflußt würden, obwohl das nach dem Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsauffassung nicht unzumutbar sei, etwa durch den Verkauf der Lebensmittel in verpacktem Zustand oder die Verwendung eines Gebäckspenders, bei dem nur Zugriff auf die gewählte Ware bestehe und eine Rückgabe ausgeschlossen sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch § 74 Abs. 5 Z. 3 iVm § 20 LMG 1975 verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 3 Tagen) verhängt werde.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, wobei er im wesentlichen die Auffassung vertrat, daß die Verwendung des streitgegenständlichen Gebäckspenders nicht gegen die Hygienebestimmung des § 20 LMG 1975 verstoße.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge gegeben und das Straferkenntnis der BH behoben. Die Einstellung des anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens wurde nicht verfügt. Nach der Begründung stelle eine Übertretung gemäß § 20 LMG 1975 eine Verwaltungsübertetung durch Unterlassen (Unterlassungsdelikt) dar. Sowohl aus begrifflichen als auch aus logischen Gründen könne eine derartige Unterlassung grundsätzlich nur an jenem Ort begangen werden, an dem die Ware in Verkehr gebracht werde. Nach der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes werde bei einem in Filialen gegliederten Unternehmen die in einer Filiale angebotene Ware in dieser Filiale in Verkehr gebracht, weshalb als Tatort jener Ort anzusehen sei, wo sich die Filiale befinde (Erkenntnis vom 29. Mai 1995, Zl. 94/10/0173). Dies gelte auch dann, wenn die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit eine Person treffe, die ihre Entscheidungen am Unternehmenssitz treffe. Unter diesem Gesichtspunkt sei daher davon auszugehen, daß aufgrund der in Wien befindlichen Filiale die grundsätzlich zur Strafverfolgung zuständige Behörde der Magistrat der Stadt Wien sei. Um eine rechtswirksame Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens durch die BH zu ermöglichen, wäre daher eine auf § 29a VStG gestützte Abtretung des Verfahrens vom Magistrat der Stadt Wien an die BH erforderlich gewesen. Der Magistrat der Stadt Wien habe jedoch keine solche Abtretung vorgenommen, sondern den Akt lediglich zuständigkeitshalber abgetreten. Aufgrund dieser Vorgangsweise sei die BH zur Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens nicht rechtswirksam zuständig geworden. Das Straferkenntnis sei daher von einer unzuständigen Behörde erlassen worden. Die belangte Behörde habe deshalb mit einer Bescheidbehebung vorzugehen. Die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens habe hingegen nicht verfügt werden können, da dies eine inhaltliche Beurteilung voraussetze.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung bzw. Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer erachtet sich seinem Vorbringen nach im Recht auf Erledigung der Verwaltungsstrafsache mittels Sachentscheidung durch die aufgrund der erhobenen Berufung zuständige Behörde verletzt. Bei der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretung handle es sich um ein Unterlassungsdelikt. Ort der Begehung der Tat sei nicht die in Wien gelegene Filiale, sondern der Sitz der Unternehmenszentrale in N.
Dieses Vorbringen erweist sich als zutreffend.
Der mit "Hygiene im Lebensmittelverkehr" überschriebene
§ 20 LMG 1975 bestimmt:
"§ 20. Wer Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe in Verkehr bringt, hat vorzusorgen, daß sie nicht durch äußere Einwirkungen hygienisch nachteilig beeinflußt werden, soweit das nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsauffassung nicht unzumutbar ist."
Wer gemäß § 74 Abs. 5 Z. 3 LMG 1975 unter anderem den Bestimmungen des § 20 zuwiderhandelt, macht sich, sofern die Tat nicht nach den §§ 56 bis 64 oder nach anderen Bestimmungen einer strengeren Strafe unterliegt, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu S 25.000,-- zu bestrafen.
Bei der Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 5 Z. 3 iVm § 20 LMG 1975 handelt es sich um die Begehung einer Tat durch Unterlassung (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 21. Dezember 1992, Zl. 92/10/0189).
Wird einem Beschuldigten die Unterlassung gebotener Vorsorgehandlungen angelastet (im Beschwerdefall etwa die Verwendung eines Gebäckspenders, bei dem nur Zugriff auf die gewählte Ware besteht und eine Rückgabe ausgeschlossen ist), so ist für die Bestimmung der örtlich zuständigen Behörde der Ort maßgebend, an dem der Beschuldigte tätig hätte werden bzw. handeln hätte sollen. Der Tatort liegt daher dort, wo die Dispositionen und Anweisungen zur Vermeidung der Verstöße gegen die Verwaltungsvorschriften hätten gesetzt werden müssen. Das ist im Beschwerdefall, in dem ein Vorstandsmitglied als zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer Aktiengesellschaft zur Verantwortung gezogen worden ist, jener Ort, an dem die Unternehmensleitung ihren Sitz hat (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 25. März 1994, Zl. 94/02/0026). Eine andere Betrachtungsweise wird hingegen dann geboten sein, wenn etwa ein verantwortlich beauftragter Filialleiter bestraft wird (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 19. April 1994, Zl. 94/11/0055).
Im Beschwerdefall lag daher der Tatort der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verwaltungsübertretung am Sitz der Unternehmensleitung in N, weshalb die in erster Instanz eingeschrittene BH zur Erlassung des Straferkenntnisses zuständig war. Der Hinweis der belangten Behörde auf das Erkenntnis vom 29. Mai 1995, Zl. 94/10/0173, geht schon deshalb ins Leere, da diesem Erkenntnis die Bestrafung wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 2 Z. 1 iVm § 7 Abs. 1 lit. b LMG 1975, also eines Begehungsdeliktes, zugrunde lag.
Der belangten Behörde kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie in ihrer Gegenschrift die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach nur der, dessen Rechtsstellung eine verschiedene ist, je nachdem, ob der Bescheid einer Verwaltungsbehörde aufrecht bleibt oder aufgehoben wird, eine Verletzung seiner Rechte durch diesen Bescheid behaupten und deshalb vor dem Verwaltungsgerichtshof Beschwerde erheben kann (vgl. z.B. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, auf Seite 412 ff wiedergegebene Rechtsprechung), ist die vorliegende Beschwerde nämlich zulässig: Der der Rechtskraft fähige Abspruch eines Bescheides besteht nämlich nicht nur aus dem Spruch des Bescheides alleine, sondern aus dem Spruch in Verbindung mit der Begründung, soweit sich aus dieser der für die Behörde maßgebende Sachverhalt - d.h. der als Anknüpfungspunkt für die rechtliche Beurteilung dienende Sachverhalt - ergibt (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 30. September 1983, Zlen. 83/04/0125, 0252). Im vorliegenden Beschwerdefall ist daher davon auszugehen, daß durch die (tragenden) Gründe des angefochtenen Bescheides in Verbindung mit seinem Spruch eine, über den Umfang der Kassation des erstinstanzlichen Bescheides hinausgehende Sachentscheidung - nach dem Gesagten zu Unrecht - verweigert wurde. Da ein Berufungswerber einen aus § 66 Abs. 4 AVG erfließenden Anspruch darauf hat, daß die Berufungsbehörde in der Sache entscheidet (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 25. Juni 1986, Zl. 85/11/0278), wurde mit dem angefochtenen Bescheid über diesen Anspruch des Beschwerdeführers abgesprochen und es ist daher seine Rechtsstellung eine verschiedene, je nachdem ob der angefochtene Bescheid aufrecht bleibt oder aufgehoben wird.
Die Beschwerde ist auch berechtigt:
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, soferne die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Die Ausnahme des § 66 Abs. 2 AVG ist im Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 24 VStG nicht anzuwenden. "Sache" der Berufungsbehörde ist die Verwaltungssache, die den Gegenstand des Verfahrens der Vorinstanz gebildet hat, soweit der darüber ergangene Bescheid angefochten wurde (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, Seite 540 f wiedergegebene Rechtsprechung). Aufgabe der Berufungsbehörde im Verwaltungsstrafverfahren ist es daher nach § 66 Abs. 4 AVG - soweit nicht der Fall vorliegt, daß ausschließlich die Kassation des angefochtenen Bescheides den rechtmäßigen Zustand herstellen kann (was nach den obigen Ausführungen nicht der Fall ist) - , über die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat zu entscheiden und nicht (bloß) über die Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (vgl. das Erkenntnis vom 29. März 1994, Zl. 93/04/0021).
Im Gegensatz dazu hat die belangte Behörde, indem sie den erstinstanzlichen Strafbescheid mit der Begründung behoben hat, die BH sei mangels einer förmlichen Übertragung der Zuständigkeit nach § 29a VStG zu einer Entscheidung nicht zuständig, zwar eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des erstinstanzlichen Strafbescheides getroffen, eine Entscheidung über die Tat hingegen abgelehnt. Insoweit sie sich aber in Verkennung der Rechtslage geweigert hat, eine Entscheidung über die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Tat zu treffen, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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