VwGH 94/10/0173

VwGH94/10/017329.5.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des FG in S, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 23. Dezember 1993, Zl. 1-364/93/E 5, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
AVG §5 Abs1;
AVG §6 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art129a;
LMG 1975 §74 Abs2 Z1;
VStG §1 Abs1;
VStG §27 Abs1;
VStG §44a Z1;
VStG §51 Abs1;
VStG §9;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
AVG §38;
AVG §5 Abs1;
AVG §6 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art129a;
LMG 1975 §74 Abs2 Z1;
VStG §1 Abs1;
VStG §27 Abs1;
VStG §44a Z1;
VStG §51 Abs1;
VStG §9;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Gesundheit und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Bei einer lebensmittelpolizeilichen Überprüfung im F.-Markt in X, Niederösterreich, wurde am 29. Mai 1992 festgestellt, es seien Champignons abgepackt in Kunststofftassen feilgeboten und damit in Verkehr gebracht worden, obwohl die Champignons wertgemindert gewesen seien, ohne daß dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht worden sei.

Die Lebensmittelpolizei erstattete eine entsprechende Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft Zwettl. Diese trat das Verfahren gemäß § 27 VStG an die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn (BH) ab.

Unter dem Datum des 16. März 1993 erließ die BH gegen den Beschwerdeführer ein Straferkenntnis mit folgendem Spruch:

"FG (der Beschwerdeführer) ist als gemäß § 9 VStG bestellter verantwortlicher Beauftragter der F-Gruppe für den gesamten Vertriebsbereich in ganz Österreich, in diesem Fall die "F" Gesellschaft II, F GmbH & Co. in H, dafür verantwortlich, daß am 29. Mai 1992 am Vormittag in dem vom genannten Unternehmen am Standort X, I-Straße, betriebenen "F" Markt, Champignons, abgepackt in Kunststofftassen zu ca. 250 g, feilgeboten und damit in Verkehr gebracht wurden, obwohl die Champignons wertgemindert waren, ohne daß dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht wurde. (Am 29. Mai 1992 wurden zwischen 09.00 und 10.15 Uhr insgesamt drei Tassen als Proben gezogen. Deren Untersuchung ergab, daß die Champignons in zwei Tassen verdorben und in einer Tasse wertgemindert waren. Die wertgeminderten Champignons wiesen Geruchsmängel auf).

Dadurch übertretene Verwaltungsvorschrift, verhängte Strafe und entstandene Verfahrenskosten:

Übertretung gemäß § 74/2 Z. 1 i.V.m. § 7/1 lit. b LMG Geldstrafe gemäß § 74 Abs. 2 Lebensmittelgesetz 4.000 S Ersatzfreiheitsstrafe: 8 Tage."

Der Beschwerdeführer berief.

Die BH legte die Berufung (samt Verfahrensakt) der belangten Behörde vor. Diese leitete sie gemäß § 6 AVG an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich weiter und begründete dies damit, nach dem Ausspruch der Strafbehörde erster Instanz sei die Tat im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich begangen worden.

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich stellte mit dem an den Beschwerdeführer ergangenen Bescheid vom 11. November 1993 fest, daß er gemäß § 51 Abs. 1 VStG zur Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der BH vom 16. März 1993 nicht zuständig sei.

In der Begründung wird ausgeführt, nach § 51 Abs. 1 VStG stehe dem Beschuldigten das Recht der Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat zu, in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen worden sei. Damit sei unzweifelhaft klargestellt, daß nicht jener Unabhängige Verwaltungssenat zuständig sei, in dessen Sprengel der (richtige) Tatort liege, sondern jener, in dessen Sprengel der im erstinstanzlichen Strafbescheid angegebene Tatort gelegen sei. Auf Grund der nicht eindeutigen Tatortangabe im Spruch des Straferkenntnisses der BH sei durch Interpretation des Bescheides wie auch der gesamten Akten festzustellen, welchen Ort die Erstbehörde nun tatsächlich als Tatort angesehen habe. In Betracht kämen auf Grund des Spruches des Straferkenntnisses der BH die Orte H und X. Die erste Behörde, die in das Verfahren involviert worden sei, sei die Bezirkshauptmannschaft Zwettl gewesen; diese habe das Verfahren an die BH gemäß § 27 VStG abgetreten und es sei das Verfahren von der BH weitergeführt worden. Diese von der BH akzeptierte, auf § 27 VStG gestützte Abtretung ergebe zwangsläufig, daß die BH als Ort der Übertretung H angenommen habe, anderenfalls sie das Verfahren nur im Falle einer Abtretung nach § 29 VStG weiterführen hätte dürfen. Daß die BH als Tatort H angenommen habe, ergebe sich auch aus einem mit 9. April 1992 datierten Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Zwettl, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen werde, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Übertretungen, die von Organen juristischer Personen begangen worden seien, in der Regel der Hauptsitz der juristischen Person als Ort der Übertretung anzunehmen sei. Die Erstbehörde habe in der Rechtsmittelbelehrung des Straferkenntnisses unter anderem darauf hingewiesen, daß die Berufung auch beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg eingebracht werden könne. Unter Berücksichtigung des Wortlautes des § 51 Abs. 1 VStG könne daher auch aus diesem Umstand eindeutig geschlossen werden, daß die Erstbehörde als Tatort H angesehen habe.

Nach dieser Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich legte die BH die Berufung des Beschwerdeführers (samt Verwaltungsakten) neuerlich der belangten Behörde vor.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 1993 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der BH vom 16. März 1993 wegen Unzuständigkeit zurück.

In der Begründung heißt es, nach Ansicht der belangten Behörde sei als Ort der Begehung der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung der Ort des Feilbietens anzusehen. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, daß die Verwaltungsübertretung nicht am Stand des Diskont-Marktes in X (Ort des Feilbietens), sondern am hievon abweichenden Sitz der Unternehmensleitung in H begangen worden wäre. An dieser Beurteilung vermöge auch die Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, die BH habe als Tatort H angenommen, nichts zu ändern, da es lediglich auf den objektiven Spruchinhalt ankomme.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluß vom 26. September 1994, B 231/94-3, ihre Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren legte der Beschwerdeführer einen ergänzenden Schriftsatz vor, in dem Rechtswidrigkeit des Inhalts, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Vefahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Der Beschwerdeführer bringt vor, auf Grund der rechtskräftigen Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich sei ein Beharren auf einer Entscheidung dieser Behörde nicht möglich, weshalb auch die Entscheidung der belangten Behörde rechtswidrig sei, da sie aus einem Zurückweisungsgrund erfolge, dem eine rechtskräftige Entscheidung einer anderen gleichgeordneten Behörde entgegenstehe. Die rechtskräftige Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich binde nicht nur den Beschwerdeführer, sondern auch die belangte Behörde.

Nachdem der Beschwerdeführer als Berufungswerber keine Möglichkeit gehabt habe, eine bestimmte Behörde als zuständig zu bezeichnen, könne ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen den Berufungsbehörden nicht zu seinem Nachteil gereichen. Die Behörde hätte daher lediglich die eigene Unzuständigkeit festzustellen gehabt. Mangels Weiterleitung an die zuständige Behörde nach den §§ 27 und 28 VStG oder allenfalls Delegierung nach § 28 a (gemeint wohl: § 29 a) VStG sei der angefochtene Bescheid jedenfalls inhaltlich rechtswidrig.

Auf Grund der Entscheidung der BH stehe fest, daß diese offenbar einen Tatort im Bereich dieser Behörde bejaht habe. Vorgeworfen werde daher dem Beschwerdeführer eine Unterlassung des Aufbaues einer entsprechenden Betriebsorganisation zur Hintanhaltung von Rechtsverstößen in den Filialen als verantwortlicher Beauftragter der in H agierenden Geschäftsführung, weshalb auch als Tatort H anzusehen sei.

Habe die belangte Behörde Zweifel, welcher Tatort tatsächlich als Ort der Begehung im erstinstanzlichen Bescheid festgestellt worden sei, so hätte die rechtsrichtige Reaktion nicht die Zurückweisung des Rechtsmittels, sondern die Aufhebung des Bescheides wegen Undeutlichkeit des Spruches sein müssen.

Darüberhinaus hätte die belangte Behörde anstelle der Zurückweisung eine Entscheidung durch die zuständige Oberbehörde herbeiführen müssen. Mit Beschluß vom 19. Juni 1993, B 349/93, habe der Verfassungsgerichtshof festgestellt, daß nach Aufhebung der Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate nach § 51 Abs. 1 VStG die zuständige Landesregierung im damaligen Fall Oberbehördenfunktion besessen habe und daher über den Unabhängigen Verwaltungssenaten Oberbehörden existiert hätten, die zur meritorischen Entscheidung berechtigt seien.

Hätte die belangte Behörde Zweifel gehabt, welche tatsächliche Feststellung in bezug auf den Tatort durch die BH getroffen worden sei, dann hätte sie allenfalls die BH aufzufordern gehabt, den Bescheid auf Grund der Undeutlichkeit des Spruches oder allfälliger Fehler zu ergänzen oder richtigzustellen.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 51 Abs. 1 VStG steht dem Beschuldigten das Recht der Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat zu, in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde.

Dem Beschwerdeführer wurde im erstinstanzlichen Straferkenntnis vorgeworfen, er sei als gemäß § 9 VStG bestellter verantwortlich Beauftragter eines bestimmten Unternehmens dafür verantwortlich, daß am 29. Mai 1992 in dem von diesem Unternehmen in X betriebenen Markt Champignons, abgepackt in Kunststofftassen, feilgeboten und damit in Verkehr gebracht worden seien, obwohl die Champignons wertgemindert gewesen seien, ohne daß dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht worden sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 2 Z. 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 lit. b des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG) begangen.

Nach § 74 Abs. 2 Z. 1 LMG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe, die unreif oder wertgemindert sind, wenn dieser Umstand nicht deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist oder wenn sie auch mit einer solchen Kenntlichmachung nicht in Verkehr gebracht werden dürfen (§ 7 Abs. 2), in Verkehr bringt. Mit Strafe bedroht ist demnach nicht das Unterlassen der Kennzeichnung an sich, sondern erst das Inverkehrbringen nicht entsprechend gekennzeichneter Lebensmittel. Es liegt ein Begehungsdelikt vor. Tatort ist der Ort, wo das Lebensmittel in Verkehr gebracht wurde. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß für die Verwaltungsübertretung der Beschwerdeführer als verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 VStG einzustehen hat. Begehungsdelikte werden nicht dadurch zu Unterlassungsdelikten, daß ein verantwortlicher Beauftragter für die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift verantwortlich ist. Dem verantwortlichen Beauftragten wird in diesen Fällen nicht der Vorwurf gemacht, er habe es unterlassen, dafür zu sorgen, daß die nicht entsprechend gekennzeichnete Ware nicht in Verkehr gebracht werde. Ihn trifft vielmehr der Vorwurf des Inverkehrbringens dieser Ware.

Tatort im Beschwerdefall war daher X. Dieser Ort scheint auch im erstinstanzlichen Straferkenntnis auf und zwar als Ort, wo die Champignons in Verkehr gebracht wurden. Damit aber ist der Tatort eindeutig umschrieben. Daß das erstinstanzliche Straferkenntnis auch noch einen weiteren Ort, nämlich den Sitz des Unternehmens, für dessen Vertriebsbereich der Beschwerdeführer zum verantwortlichen Beauftragten bestellt wurde, ändert daran nichts, da nichts in der Formulierung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses darauf hindeutet, daß damit der Tatort festgesetzt werden sollte. Dem Beschwerdeführer wurde im erstinstanzlichen Straferkenntnis nicht vorgeworfen, er habe es unterlassen, dafür zu sorgen, daß die nicht ordnungsgemäß gekennzeichnete Ware nicht in Verkehr gebracht werde. Aus diesem Grund läßt sich der Textierung des Spruches des erstinstanzlichen Straferkenntnisses auch kein Hinweis darauf entnehmen, daß H Tatort sein sollte.

Angesichts des Umstandes, daß der Tatort aus dem Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses objektiv eindeutig entnehmbar ist, ist die Frage, ob die BH allenfalls subjektiv von einem Tatort H ausgegangen ist, ohne rechtliche Relevanz.

Eine Bindung der belangten Behörde an den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, mit dem dieser seine Unzuständigkeit feststellte, in der Richtung, daß nunmehr die belangte Behörde zuständig geworden wäre, besteht nicht. Eine Bindung einer Behörde an rechtskräftige Bescheide anderer Behörden besteht nur, soweit eine Entscheidung eine Frage betrifft, die für eine andere Behörde eine Vorfrage bildet oder wenn eine derartige Bindung im Gesetz angeordnet oder aus dem Gesetz erschließbar ist. Beides liegt im Beschwerdefall nicht vor.

Eine Weiterleitung der Berufung des Beschwerdeführers an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde zwecks Klärung des Kompetenzkonfliktes kam schon deswegen nicht in Betracht, weil unabhängige Verwaltungssenate keine sachlich in Betracht kommende gemeinsame Oberbehörde haben (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des Österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5, Rz 104; Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate2, 217).

Eine Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides wegen unklarer Spruchfassung kam mangels Zuständigkeit der belangten Behörde nicht in Betracht; gleiches gilt für eine Aufforderung durch die belangte Behörde an die BH, den Spruch entsprechend zu ergänzen.

Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte