VwGH 94/19/0010

VwGH94/19/001028.3.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des G, zuletzt in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. November 1993, Zl. 4.343.257/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §45 Abs3;
VwGG §41 Abs1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §45 Abs3;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am 9. Juli 1993 in das Bundesgebiet ein und stellte am 13. Juli 1993 einen (am 14. Juli 1993 beim Bundesasylamt eingelangten) schriftlichen Asylantrag.

Das Bundesasylamt hat diesen Asylantrag mit Bescheid vom 23. August 1993 mit der Begründung abgewiesen, daß der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in das Bundesgebiet bereits in Tschechien vor Verfolgung sicher gewesen sei und demnach gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 die Asylgewährung (im Sinne von § 3 leg. cit.) ausgeschlossen sei.

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. November 1993 wurde die gegen den vorerwähnten Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde begründete die Abweisung der Berufung damit, daß der (bereits von der Erstbehörde gebrauchte) Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 beim Beschwerdeführer gegeben sei, weil er vor seiner Einreise in das Bundesgebiet bereits in Tschechien bzw. in Rußland "Verfolgungssicherheit" erlangt habe. Die Asylgewährung sei daher ausgeschlossen, sodaß eine Prüfung der Flüchtlingseigenschaft unterbleiben habe können.

Der Beschwerdeführer tritt der Bejahung dieses Asylausschließungsgrundes durch die belangte Behörde entgegen. Er bringt u.a. ausdrücklich vor, er habe die in seiner Berufungsschrift enthaltenen - von der belangten Behörde aber als unglaubwürdige Steigerung seines erstinstanzlichen Vorbringens gewerteten - Angaben bereits anläßlich seiner Vernehmung durch die Erstbehörde vorgebracht, die Protokollierung dieser Angaben sei aber unterblieben.

Der Beschwerdeführer rügt damit "nicht offenkundige" Mängel des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens (vgl. § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 in der noch unbereinigten Fassung BGBl. Nr. 8/1992). Soweit die belangte Behörde das Vorliegen des Asylausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 ebenso wie die Erstbehörde auf den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Tschechien gestützt hat, fällt der vorliegende Beschwerdefall daher in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 leg. cit. und gleicht mithin in allen für die Entscheidung (in diesem Umfang) relevanten Einzelheiten (Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 25. August 1994, Zl. 94/19/0435, zugrundelag. Auf dieses Erkenntnis wird daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen, wobei eine Ausfertigung zur Information angeschlossen ist.

Schon aus den dort dargelegten Erwägungen ist auch der angefochtene Bescheid - soweit die belangte Behörde den Ausschließungsgrund auf "Verfolgungssicherheit" des Beschwerdeführers in Tschechien gestützt hat - mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet (vgl. für viele beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0221).

Die belangte Behörde hat das Vorliegen des gebrauchten Asylausschließungsgrundes - anders als die Erstbehörde - des weiteren aber auch damit begründet, daß sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in das Bundesgebiet einen Monat in Rußland aufgehalten habe und bereits in diesem Land "Verfolgungssicherheit" erlangt habe.

Soweit der Beschwerdeführer sich im Rahmen seiner Ausführungen zur Rechtsrüge auf die Empfehlung Nr. 15 (XXX) des Exekutivkommitees für das Programm des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (aus dem Jahre 1979) sowie die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Asylgesetz 1991 (270 BlgNr. 18.GP) bezieht und daraus abzuleiten versucht, daß der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 nur dann zum Tragen käme, wenn der andere Staat dem Antragsteller "bereits Asyl gewährt hat", kann ihm nicht gefolgt werden. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 1994, Zl. 94/19/0113) hat der Gesetzgeber durch den von ihm gewählten Wortlaut dieser Bestimmung das vom Beschwerdeführer angestrebte Ergebnis nicht zum Ausdruck gebracht. Im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (beginnend mit dem Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256) für das Vorliegen von Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. auch nicht darauf an, daß der Aufenthalt des Asylwerbers den Behörden des betreffenden Staates bekannt und von ihnen "geduldet und gebilligt" wurde. Der belangten Behörde ist somit in rechtlicher Hinsicht zuzustimmen, wenn sie in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Begriff der "Verfolgungssicherheit" gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 davon ausgegangen ist, daß diese dann anzunehmen sei, wenn ein Asylwerber vor seiner Einreise nach Österreich in einem Drittland keiner Verfolgung ausgesetzt war und nicht habe befürchten müssen, ohne Prüfung seiner Fluchtgründe in sein Heimatland bzw. in einen Verfolgerstaat abgeschoben zu werden (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Die belangte Behörde hat sich hinsichtlich ihrer Annahme, der Beschwerdeführer habe in Rußland bereits "Verfolgungssicherheit" erlangt, im angefochtenen Bescheid mit dem Verweis: "Dasselbe gilt für den Ihnen davor bereisten Staat Rußland (einmonatiger Aufenthalt)." begnügt.

Dem Beschwerdeführer wurde zur Frage seiner "Verfolgungssicherheit" in Rußland - wie er in seiner Beschwerde zutreffend rügt - vor Erlassung des angefochtenen Bescheides entgegen dem § 45 Abs. 3 AVG Parteiengehör nicht gewährt, sodaß ein insoweit von ihm erstmals in seiner Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof erstattetes neues Sachverhaltsvorbringen auch nicht gegen das aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot verstoßen hätte. Auch wenn der Beschwerdeführer kein derartiges Sachverhaltsvorbringen hinsichtlich seiner "Verfolgungssicherheit" in Rußland erstattet hat, muß aber bei verständiger Würdigung seiner Beschwerde diese letztlich dahin verstanden werden, daß er den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 insgesamt (auch hinsichtlich Rußland) als nicht gegeben ansieht.

Ungeachtet des (hinsichtlich seiner "Verfolgungssicherheit" in Rußland) fehlenden Sachverhaltsvorbringens hat der Verwaltungsgerichtshof aber wenigstens insoweit von Amts wegen in eine Prüfung einzutreten, ob ihm auf der Grundlage des von der belangten Behörde ermittelten und im angefochtenen Bescheid festgestellten Sachverhaltes die nachprüfende Kontrolle der rechtlich entscheidungswesentlichen Fragen (hier: ob der Beschwerdeführer in Rußland bereits vor Verfolgung sicher war) überhaupt möglich ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. September 1990, Zl. 89/06/0165, und vom 19. März 1991, Zlen. 89/08/0321, 0322). Da zufolge des hinsichtlich Rußland nicht gewährten Parteiengehörs dem Beschwerdeführer insoweit Untätigkeit bzw. Verletzung seiner Mitwirkungspflicht nicht vorgeworfen werden kann, hat der Verwaltungsgerichtshof zu prüfen, ob der angenommene Sachverhalt ausreichend ist und in einem einwandfreien Verfahren ermittelt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 1985, Zl. 85/05/0001).

Der angefochtene Bescheid läßt eine Beantwortung der Frage, ob der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seines Aufenthaltes in Rußland Schutz vor Rückschiebung in sein Heimatland bzw. einen Verfolgerstaat genossen hat, aber nicht zu. Die belangte Behörde hat zu dieser Frage nämlich entgegen der durch § 60 (in Verbindung mit § 67) AVG gebotenen Begründungspflicht keine ausreichenden Feststellungen getroffen und auch nicht dargelegt, welche Ermittlungen und Überlegungen hinsichlich dieses Umstandes von ihr angestellt worden sind. Der im angefochtenen Bescheid als Begründung gegebene Verweis auf Tschechien ist in der gebrauchten Allgemeinheit allerdings unschlüssig und vermag die aufgezeigte Begründungslücke daher nicht nachvollziehbar zu schließen, weil von der belangten Behörde nicht dargelegt wurde, warum die hinsichtlich der Beurteilung der "Verfolgungssicherheit" maßgeblichen Verhältnisse in Tschechien und in Rußland übereinstimmend sein sollten.

Dem angefochtenen Bescheid ist aber auch nicht zu entnehmen, daß die belangte Behörde durch unterlassene Mitwirkung des Beschwerdeführers an der Feststellung seines Rückschiebungsschutzes gehindert worden wäre, sodaß (entsprechend dem Offizialprinzip) die den Gang des Verfahrens bestimmende belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, die zur vollständigen Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes benötigten Erhebungen anzustellen und deren Ergebnisse nachvollziehbar im angefochtenen Bescheid festzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1993, Zl. 91/08/0123).

Die hinsichtlich der Annahme von "Verfolgungssicherheit" in Rußland unterlaufenen Verletzungen von Verfahrensvorschriften sind auch wesentlich, weil - zufolge des nach der Aktenlage insoweit mangelhaften Ermittlungsverfahrens - nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Aus den im Erkenntnis vom 25. August 1994, Zl. 94/19/0435, enthaltenen und aus den soeben dargelegten Erwägungen mußte daher der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufgehoben werden, da die Rechtswidrigkeit des Inhaltes der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1994, Zl. 94/19/0182).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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