VwGH 92/08/0260

VwGH92/08/026027.4.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des E in S, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in M, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 11. November 1992, Zl. IVc 7022 B-Dr.J/Fe, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld gemäß § 25 AlVG, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 litb;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
ASVG §5 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
EStG §2 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 litb;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
ASVG §5 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
EStG §2 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.870,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 4. März 1991 beantragte der Beschwerdeführer beim Arbeitsamt Judenburg die Gewährung von Arbeitslosengeld, wobei er die im Formular enthaltene Feststellung

"5. Ich war bzw. bin selbständig erwerbstätig."

durch Ankreuzen bejahte und die damit verbundene Frage, ob er seine Gewerbeberechtigung zurückgelegt und das Ruhen des Gewerbes angemeldet habe, verneinte. In einer am 19. März 1991 aufgenommenen Niederschrift erklärte der Beschwerdeführer an Eides Statt, daß der Gesamtbetrag seiner Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit im Wirtschaftsjahr 1991 S 2.772,-- monatlich brutto "betragen" werde. Gleichzeitig verpflichtete er sich, den zu Unrecht bezogenen Betrag an Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz rückzuerstatten, wenn im nachhinein festgestellt werden sollte, daß sein Einkommen diesen Betrag überstiegen habe. Er nahm darin auch zur Kenntnis, daß er Änderungen "obiger Angaben" binnen einer Woche nach Eintritt des Ereignisses dem Arbeitsamt zu melden habe. Unter einem unterfertigte der Beschwerdeführer auch eine Erklärung, worin er der Einholung von Auskünften beim Finanzamt zur Feststellung des Einkommens für das Wirtschaftsjahr 1991 zu seiner (näher bezeichneten) Steuernummer zustimmte.

Die belangte Behörde sprach zunächst mit Bescheid vom 10. April 1991 aus, daß der Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld wegen Urlaubsabfindung bzw. Urlaubsentschädigung für den Zeitraum vom 1. März bis 4. April 1991 ruhe (dieser Bescheid erwuchs nach der Aktenlage in Rechtskraft) und teilte dem Beschwerdeführer mit Verständigung vom gleichen Tag mit, daß ihm ab 5. April 1991 Arbeitslosengeld in der Höhe von täglich S 405,60 bis voraussichtlich 22. August 1991 zustehe.

Mit Schreiben vom 15. Juni 1992 ersuchte das Arbeitsamt das Wohnsitzfinanzamt des Beschwerdeführers um Übermittlung des Einkommensteuerbescheides für das Geschäftsjahr 1991 samt dazugehöriger Einkommensteuererklärung. Aus den dem Arbeitsamt mit Eingangsdatum 28. Juni 1992 übermittelten Unterlagen ist ersichtlich, daß der Beschwerdeführer für 1991 Einkünfte aus selbständiger Arbeit in der Höhe von S 49.641,10 erklärte. Aus dem Einkommensteuerbescheid vom 26. Mai 1992 ist zu entnehmen, daß er tatsächlich mit Einkünften aus selbständiger Arbeit in der Höhe von S 51.111,-- zur Einkommensteuer veranlagt wurde.

Mit Bescheid vom 25. August 1992 widerrief das Arbeitsamt den Bezug von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom "1.3.1991 bis 22.8.1991" und forderte den Betrag von S 56.785,-- vom Beschwerdeführer zurück. Dieser Bescheid wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Einkommensteuerbescheid ein monatliches Bruttoeinkommen des Beschwerdeführers ergeben habe, das über dem Betrag von S 2.772,-- liege.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Darin führte er aus, daß er schon anläßlich der Antragstellung beim Arbeitsamt erklärt hätte, er werde erst mit 1. September 1991 seine selbständige Erwerbstätigkeit als "Public-Relationsberater" aufnehmen. In der Zeit von März 1991 bis Ende August 1991 seien ausschließlich Vorbereitungsarbeiten für die Inbetriebnahme seines Büros getätigt worden. Im fraglichen Zeitraum habe er keinerlei Einkünfte, ausgenommen Arbeitslosengeld bezogen. Das Arbeitsamt legte die Berufung der belangten Behörde unter anderem mit dem Bemerken vor, daß nach einer Auskunft der Bezirkshauptmannschaft Judenburg das Gewerbe des Beschwerdeführers "bis heute" (d.h. bis 23. September 1992) noch nicht angemeldet sei.

Die belangte Behörde nahm - einem Aktenvermerk zufolge - Kontakt mit dem Wohnsitzfinanzamt des Beschwerdeführers auf. Nach dem Inhalt dieses Aktenvermerkes sei der Beschwerdeführer "laut Auskunft des Finanzamtes" 1991 "das ganze Jahr über

steuerpflichtig ... (gewesen) und habe seine selbständige

Erwerbstätigkeit am 1. Juli 1990 aufgenommen."

Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid, mit welchem der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben wurde.

Nach einer Wiedergabe der in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen und des Verwaltungsgeschehens begründet die belangte Behörde diesen Bescheid wie folgt:

"Nach dem Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes ... vom

26.5.1992 ... betrugen die Einkünfte aus selbständiger Arbeit

1991 S 51.111,--. Sie waren das ganze Jahr 1991 über steuerpflichtig und sie haben die selbständige Erwerbstätigkeit mit 1.7.1990 aufgenommen. Daß sie die selbständige Erwerbstätigkeit erst mit 1.9.1991 aufgenommen haben, konnte nicht festgestellt werden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG ist arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat. Gemäß § 12 Abs. 3 lit. b AlVG gilt als arbeitslos im Sinne des Abs. 1 insbesondere nicht, wer selbständig erwerbstätig ist. Gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG gilt jedoch als arbeitslos, wer selbständig erwerbstätig ist und daraus ein nach Maßgabe des Abs. 9 festgestelltes Einkommen erzielt, das die in § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt. Diese Beträge wurden für das Kalenderjahr 1991 mit Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales, BGBl. Nr. 792/1990, mit S 212,-- täglich, S 636,-- wöchentlich und S 2.772,-- monatlich festgelegt.

Unter selbständiger Erwerbstätigkeit ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine "Arbeitsleistung" zu verstehen, welche die Schaffung von Einkünften in Geld oder sonstigen Gütern bezweckt, wobei es rechtlich belanglos ist, ob dieser Zweck auch regelmäßig erfüllt und in welchem Ausmaß er erreicht wird (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juni 1985, Zl. 83/08/0195, und vom 22. Mai 1990, Zl. 87/08/0294, uva.).

Der Frage, ob der Beschwerdeführer im beschwerdegegenständlichen Zeitraum des Bezuges von Arbeitslosengeld Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit in einem die oben angeführten Grenzwerte übersteigenden Ausmaß bezogen hat, ist somit gedanklich vorgelagert, ob er in diesem Zeitraum überhaupt selbständig erwerbstätig gewesen ist. Dabei kommt es zwar nicht auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zufließens von Einkünften aus einer solchen selbständigen Erwerbstätigkeit (also nicht auf den Zeitpunkt der Umsätze) an, wohl aber - wenn die selbständige Erwerbstätigkeit erst begonnen wurde - auf jenen Zeitpunkt, in dem eine solche Tätigkeit erstmals entfaltet worden ist, das heißt, ab welchem Zeitpunkt die im Rahmen der selbständigen Erwerbstätigkeit vom Beschwerdeführer beabsichtigten Leistungen erstmals nach außen zutagetretend zumindest angeboten wurden.

Die Frage, ob der Beschwerdeführer für das gesamte Kalenderjahr 1991 "steuerpflichtig" gewesen ist, ist hingegen schon deshalb nicht von Bedeutung, weil gemäß § 2 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1988 der Einkommensteuer "das Einkommen zugrunde zu legen (ist), das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezogen hat". Die im Einkommensteuerrecht maßgebende Periode ist somit (unbeschadet der Frage des Gewinnermittlungszeitraumes im Sinne des § 2 Abs. 5 bis 7 EStG 1988) immer das ganze Kalenderjahr, nicht aber Teile davon. Aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer daher "das ganze Jahr 1991 über steuerpflichtig" gewesen ist, ist daher kein weiterer Rückschluß auf den tatsächlichen Beginn seiner selbständigen Erwerbstätigkeit zu ziehen.

Es läge freilich beim Beschwerdeführer, der belangten Behörde alle jene Umstände darzulegen, aus denen sich - ungeachtet der gegenteiligen Angaben im Antragsformular - ein tatsächlich späterer Beginn der Aufnahme seiner selbständigen Erwerbstätigkeit (im oben beschriebenen Sinne) ergibt. Dafür könnten die Fragen der Anmietung des Geschäftslokales, der Lieferung der Büroeinrichtung oder der erstmaligen nach außen zutage getretenen Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit in Verbindung mit der erstmaligen Erzielung von Umsätzen von Bedeutung sein. Sollte der Beschwerdeführer - wie er behauptet - bis 31. August 1991 ausschließlich Vorbereitungsarbeiten für die Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit durchgeführt und keine Umsatzgeschäfte getätigt haben, sowie - was von ihm darzulegen wäre - bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht durch das Anbieten seiner gewerblichen Leistungen nach außen in Erscheinung getreten sein, so könnte jedenfalls bis 31. August 1991 (ungeachtet der Periodizität der steuerlichen Veranlagung) eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. b AlVG noch nicht angenommen werden. Dem widerspricht auch nicht das von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 1989, Zl. 88/08/0287: Im damaligen Beschwerdefall war nämlich die ganzjährige selbständige Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers nicht strittig; der damalige Beschwerdeführer hatte sich vielmehr auf den Standpunkt gestellt, daß nur die während des Bezuges von Arbeitslosengeld (zeitlich kongruent) erwirtschafteten Beträge für die Beurteilung der Frage, ob Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 AlVG vorliegt, herangezogen werden könnten. Nur dieser, letztlich auf den Zeitpunkt der jeweiligen Umsätze ungeachtet einer durchlaufenden selbständigen Erwerbstätigkeit abstellenden Betrachtungsweise hat der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis eine Absage erteilt.

Der Beschwerdeführer hat zwar über seine in der Berufung erhobene Behauptung hinaus, seine selbständige Erwerbstätigkeit erst mit 1. September 1991 begonnen zu haben, die näheren Umstände, welche die belangte Behörde in die Lage versetzen würden, die vom Beschwerdeführer gewünschten Feststellungen zu treffen, nicht dargelegt und dazu auch noch keine Beweismittel angeboten. Dies fällt dem Beschwerdeführer jedoch deshalb nicht zur Last, weil die belangte Behörde ihr (wenn auch aufgrund irriger Schlußfolgerungen erzieltes) Ermittlungsergebnis, wonach der Beschwerdeführer seine selbständige Erwerbstätigkeit schon mit "1.7.1990" aufgenommen habe, diesem nicht vorgehalten und ihm damit - entgegen § 45 Abs. 3 AVG unter Verletzung seines Rechtes auf Parteiengehör - keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte