VwGH 88/08/0287

VwGH88/08/028721.11.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Puck, Dr. Sauberer und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer‑Blaschka, über die Beschwerde des KF in W, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 25, gegen den auf Grund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 7. Oktober 1988, Zl. IVb/7022/7100 B, VNr 1274 311249, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977
AlVG 1977 §12 Abs3 lita idF 1987/290
AlVG 1977 §12 Abs3 litb idF 1987/290
AlVG 1977 §12 Abs6 litc idF 1987/290
AlVG 1977 §24
AlVG 1977 §25 Abs1
AlVG 1977 §46
AVG §56
AVG §66 Abs4
VwGG §63 Abs1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1989:1988080287.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste Wien vom 27. April 1988 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in der Höhe von S 72.472,-- verpflichtet. Begründend wurde außer der Zitierung der §§ 24 und 25 AlVG ausgeführt, der Beschwerdeführer habe nicht gemeldet, daß er ein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielt habe, welches über der Geringfügigkeitsgrenze liege.

In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, daß er aus selbständiger Tätigkeit im ersten Halbjahr 1987, einem Zeitraum, in welchem er noch in einem Dienstverhältnis gestanden und nicht arbeitslos gewesen sei, ein Einkommen von S 53.412,-- bezogen habe, während hingegen auf die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1987 nur ein Einkommen von S 9.392,-- aus selbständiger Tätigkeit entfallen würde. Im für die Bemessung des Arbeitslosengeldes heranzuziehenden Zeitraum (1. Juli 1987 bis 16. Juli 1987 und 27. Juli 1987 bis 5. Februar 1988) habe er also ein Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit erzielt, welches die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG nicht übersteige.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung hinsichtlich des Widerrufs und der Rückforderung für die Zeit vom 1. Juli 1987 bis 16. Juli 1987 und vom 27. Juli 1987 bis 31. Dezember 1987 in der Höhe von S 60.047,-- keine Folge. Hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. Jänner bis 5. Februar 1988 wurde das Verfahren bis zur Erlassung des Einkommensteuerbescheides 1988 ausgesetzt.

Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer im Zuge des durchgeführten Ermittlungsverfahrens angegeben, 1987 aus selbständiger Erwerbstätigkeit laut Einkommensteuererklärung S 63.004,--, brutto erwirtschaftet zu haben. Mit Schreiben vom 18. August 1988 habe er eine Kopie des Einkommensteuerbescheides 1987 übermittelt, welchem ein Einkommen aus selbständiger Arbeit in Höhe von S 63.004,-- brutto zu entnehmen sei, wie dies der Beschwerdeführer auch angegeben habe. Dies ergebe jedoch (durch Zwölftelung) ein monatliches Einkommen von S 5.250,33 brutto, welcher Betrag die Geringfügigkeitsgrenze (S 2.451,-- brutto) übersteige. Der Berufungseinwand, der überwiegende Teil des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit sei im ersten Halbjahr 1987 erzielt worden, sei nicht zielführend, da in Ermangelung einer Regelung im Arbeitslosenversicherungsgesetz auf das Einkommensteuergesetz zurückzugreifen gewesen sei, welches aber keine monatliche Gewinnermittlung bzw. Einkommensfeststellung vorsehe, sondern nur eine jährliche. Auf Grund dieses Sachverhaltes sei eine Arbeitslosigkeit im Jahre 1987 nicht gegeben gewesen, weshalb die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes vom 1. bis 16. Juli und vom 27. Juli bis 31. Dezember 1987 jedenfalls zu widerrufen gewesen sei. Da der Beschwerdeführer die selbständige Tätigkeit, auch wenn dies unabsichtlich geschehen sein sollte, dem Arbeitsamt erst mit dem neuen Antrag vom Februar 1988 und somit verspätet gemeldet habe, sei die zu Unrecht empfangene Leistung für diesen Zeitraum (174 Tage á S 345,10 täglich = S 60.047,--) auch zum Rückersatz vorzuschreiben gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit der allgemeinen Frage, welches Recht von der Behörde anzuwenden ist, hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A, auseinandergesetzt. Mit seinen Erkenntnissen vom 23. Oktober 1986, Zl. 86/08/0140, und vom 26. Februar 1987, Zl. 86/08/0115, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß diese Frage eine Auslegungsfrage jener Bestimmungen ist, die den zeitlichen Anwendungsbereich zum Gegenstand haben. Eine solche Regelung kann explizit, z.B. in einer Übergangsbestimmung, erfolgen. Sie kann sich aber auch aus dem Regelungstatbestand der Norm, um deren Anwendung es geht, implizit ergeben, etwa wenn auf einen bestimmten Zeitpunkt oder einen Zeitraum abgestellt wird. Ergibt sich hieraus keine Lösung, gilt die Zweifelsregel, daß das im Entscheidungszeitpunkt in Geltung stehende Recht anzuwenden ist.

Im vorliegenden Fall wurde der angefochtene Bescheid im Oktober 1988 erlassen. Nach Art. III Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 25. November 1987, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert wurde (BGBl. Nr. 615/1987), trat Art. I dieses Bundesgesetzes (in diesem ist § 12 Abs. 6 lit. c und Abs. 9 enthalten) am 1. Jänner 1988 in Kraft. Es wäre daher, legte man zunächst die soeben beschriebene Zweifelsregel zugrunde, das Arbeitslosenversicherungsgesetz in der Fassung BGBl. Nr. 615/1987 anzuwenden.

§§ 24 und 24 Abs. 1 AlVG lauten:

„24.(1) Wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt, ist es einzustellen; wenn sich eine für das Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen.

(2) Wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt, ist die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.

§ 25. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Die Verpflichtung zum Ersatz des empfangenen Arbeitslosengeldes besteht auch dann, wenn im Falle des § 12 Abs. 8 von der zuständigen Behörde entschieden oder durch einen Vergleich vor der zuständigen Behörde festgestellt wurde, daß das Beschäftigungsverhältnis weiterbesteht.“

Aus diesen Bestimmungen, insbesondere aus der Verwendung der Mitvergangenheit („gebührte“ in § 25 Abs. 1) geht aber hervor, daß sich § 25 Abs. 1 AlVG seinem Inhalt nach auf bestimmte in der Vergangenheit liegende Zeiträume des Empfanges von Arbeitslosengeld bezieht, also im obgenannten Sinn eine zeitraumbezogene Regelung darstellt, sodaß für den Zeitraum, für den die Leistung gewährt wurde, die Rechtslage anzuwenden ist, die im entsprechenden Zeitraum in Geltung stand.

Im vorliegenden Fall waren dies die Zeiträume vom 1. bis 16. Juli und vom 27. Juli bis 31. Dezember 1987. Zur Klärung der Frage, ob die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte, war daher das Arbeitslosenversicherungsgesetz in der Fassung BGBl. Nr. 290/1987, in Kraft getreten am 1. Juli 1987, anzuwenden.

§ 7 AlVG bestimmt:

„Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer 1. arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist, ......“

§ 12 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 290/1987 lautet auszugsweise:

„(1) Arbeitslos ist, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat.

......

(3) Als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 gilt insbesondere nicht: a) wer in einem Dienstverhältnis steht; b) wer selbständig erwerbstätig ist; ........

(6) Als arbeitslos gilt jedoch ....

......

c) wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist und daraus ein Einkommen erzielt, das auf Grund der Feststellungen eines Einkommensteuerprüfungsverfahrens die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt; Abschreibungs- und Absetzungsbeträge bleiben außer Betracht; wird von Selbständigen keine Zustimmung für das Prüfungsverfahren des Finanzamtes erteilt, so ist ein geringfügiges Einkommen nicht anzunehmen.“

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist die Frage strittig, ob die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit des Beschwerdeführers, die laut Einkommensteuerbescheid 1987 mit S 63.004,-- festgesetzt wurden, durch Zwölfteilung auf ein monatliches Einkommen umzulegen sind. Nach Ansicht des Beschwerdeführers sei das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit, das vor Eintritt der Arbeitslosigkeit und somit zu einem Zeitpunkt auch unselbständiger Erwerbstätigkeit bezogen worden sei, nicht zur Ermittlung heranzuziehen. Der Beschwerdeführer weist darauf hin, daß die belangte Behörde bei richtiger rechtlicher Beurteilung lediglich den im zweiten Halbjahr 1987 aus selbständigem Einkommen erwirtschafteten Betrag von S 9.392,-- brutto für die Beurteilung der Frage nach dem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit heranzuziehen gehabt hätte. Dieser Betrag liege allerdings unter der Geringfügigkeitsgrenze von monatlich S 2.451,--.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mit Erkenntnis vom 23. Oktober 1986, Zl. 85/08/0196, ausgesprochen, wie das Einkommen in jenen Fällen zu ermitteln ist, in denen derjenige, der aus einem Beschäftigungsverhältnis arbeitslos wird, immer schon daneben unselbständig oder selbständig erwerbstätig war. In diesem Erkenntnis wird ausgeführt, in Anwendung der §§ 12 Abs. 3 lit. a und b sowie Abs. 6 lit. c AlVG liege Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 AlVG nur dann vor, wenn das Einkommen aus dieser Tätigkeit die Geringfügigkeitsgrenzen nicht übersteige. Auch hier dürfe das Einkommen aus jenem Beschäftigungsverhältnis, an das die Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG anknüpfe, nicht einbezogen werden. Im Falle einer schon in den letzten zwölf Monaten vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit sei das Einkommen im Sinne des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG so zu ermitteln, daß ein Zwölftel der Einkünfte der letzten zwölf Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit aus der selbständigen Tätigkeit herangezogen werde.

Zwar ist dieses Erkenntnis zur Rechtslage vor der Novelle BGBl. Nr. 290/1987 ergangen, doch ist der Rechtssatz wonach das monatliche Durchschnittseinkommen eines selbständigen Erwerbstätigen durch Zwölftelung des Jahreseinkommens zu ermitteln ist, auch auf die Rechtslage nach dieser Novelle anzuwenden, allerdings mit der Maßgabe, daß nicht das Einkommen der zwölf Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit, sondern das Jahreseinkommen auf Grund der Feststellungen eines Einkommensteuerprüfungsverfahrens heranzuziehen ist.

Daß das Jahreseinkommen im vorliegenden Fall S 63.004,-- betrug und ein Zwölftel dieses Betrages die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG überschreitet, ist unbestritten.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid in ihrem Spruch und der Begründung auf die Bestimmung des § 12 Abs. 6 lit. c in der Fassung des Bundesgesetzes vom 5. Juli 1987, BGBl. Nr. 290/1987, gestützt. Der auf Grund des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem das Arbeitslosengeld bezogen wurde, ermittelte Betrag wurde auch dem angefochtenen Bescheid zugrundegelegt.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom 9. Juli 1987 die Fragen „Ich war bzw. bin selbständig erwerbstätig“ und „Ich habe ein eigenes Einkommen“ jeweils mit „nein“ beantwortet. Die Behörde muß aber durch die Angaben im Antragsformular in die Lage versetzt werden zu beurteilen, ob ein Anspruch überhaupt besteht. Wenn der Beschwerdeführer ‑ zu Unrecht ‑ angegeben hat, nicht selbständig erwerbstätig zu sein, sind damit die Voraussetzungen für die Rückforderung des unberechtigt Empfangenen gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG gegeben.

Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im Ergebnis in seinen Rechten weder wegen der geltend gemachten noch wegen einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Hinsichtlich der zitierten, in der Amtlichen Sammlung nicht veröffentlichten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

Wien, am 21. November 1989

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