VwGH 87/08/0294

VwGH87/08/029422.5.1990

R gegen Landesarbeitsamt Wien vom 30. September 1987, Zl. IVb/7022/7100 B, betreffend die Nichtzuerkennung von Arbeitslosengeld mangels Arbeitslosigkeit

Normen

AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 litb;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
AlVG 1977 §7 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs1;
ASVG §5 Abs2;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 litb;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
AlVG 1977 §7 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs1;
ASVG §5 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 5. Juni 1987 lehnte das Arbeitsamt Versicherungsdienste Wien den Antrag des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld mangels Vorliegens von Arbeitslosigkeit ab, da er laut eigenen Angaben zehn Stunden täglich selbständig erwerbstätig sei.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung.

1.2. Mit Bescheid vom 30. September 1987 gab das Landesarbeitsamt Wien dieser Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung dieses Bescheides heißt es wörtlich:

"Dieser Entscheidung" (gemeint: dem erstinstanzlichen Bescheid) "liegen folgende, von Ihnen unterfertigten, niederschriftlichen Angaben vom 8.5.87 zugrunde:

 

'Ich bin in meiner Firma ca. 10 Stunden täglich beschäftigt - Montag bis Samstag (Analysen, Beratungen, Software für Firmen).'

 

In Ihrer fristgerecht eingebrachten Berufung wendeten Sie ein, daß aus Ihrem, dem Amt vorgelegten Kassabuch eindeutig hervorgehe, daß aus Ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit kein Einkommen über der im § 5 Abs. 2 lit a bis c ASVG angeführten Geringfügigkeitsgrenze erzielt wird. Eine Bestimmung, wonach Arbeitslosigkeit von einer bestimmten Stundenanzahl selbständiger Erwerbstätigkeit und nicht vom erzielten Einkommen abhängig gemacht wird, sei dem AlVG 1977 nicht zu entnehmen.

 

Dem muß entgegengehalten werden, daß gemäß § 12 Abs. 1 AlVG arbeitslos ist, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses KEINE NEUE BESCHÄFTIGUNG gefunden hat. Sie selbst haben kundgegeben, daß Sie bis zu ca. 10 Stunden "gearbeitet" haben (Einrichtung Ihres Büros, Besuch von Seminaren und IFABO - nicht jedoch 10 Stunden selbständig erwerbstätig mangels Kunden bzw. Auftraggebern).

 

Da das Vorliegen von Arbeitslosigkeit nicht nur von einer mit einem nicht geringfügigen Einkommen verbundenen Erwerbstätigkeit, sondern auch von Tätigkeiten, die den Antragsteller auf andere Art hindern, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen, ausgeschlossen wird, trifft Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG, welche eine primäre Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld darstellt, nicht zu.

 

Im Zuge des Berufungsverfahrens gaben Sie zur Niederschrift vom 8.5.87 ergänzend an, jederzeit bereit zu sein bzw. gewesen zu sein, eine vom Arbeitsamt vermittelte Beschäftigung anzunehmen.

 

Der zuständige Unterausschuß des Verwaltungsausschusses des Landesarbeitsamtes Wien hat in Entsprechung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zwar festgestellt, daß das bisher erzielte durchschnittliche Betriebsergebnis unter der Geringfügigkeitsgrenze blieb, er hat jedoch den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt, da das Kriterium der Arbeitslosigkeit gemäß § 12 Abs. 1 AlVG in Ihrem Fall nicht zutrifft und Ihrer Absichtserklärung, eine vom Arbeitsamt vermittelte Beschäftigung annehmen zu wollen, keine reale Bedeutung beigemessen werden konnte."

1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Gemäß § 7 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (u.a.) arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist (§ 7 Z. 1 leg. cit).

§ 12 AlVG in der maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 290/1987 (vgl. hiezu näher das Erkenntnis vom 19. Mai 1988, Zl. 88/08/0079) lautet auszugsweise:

"(1) Arbeitslos ist, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat.

...

(3) Als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 gilt insbesondere nicht:

  1. a) wer in einem Dienstverhältnis steht;
  2. b) wer selbständig erwerbstätig ist;

    ...

(6) Als arbeitslos gilt jedoch,

a) wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt;

...

c) wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist und daraus ein Einkommen erzielt, das die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt."

 

2.2. Die belangte Behörde ging im Beschwerdefall davon aus, daß der Beschwerdeführer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses in seiner Firma bis zu zehn Stunden täglich selbständig erwerbstätig gewesen sei und dabei ein Einkommen erzielt habe, das unter der in § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG normierten Geringfügigkeitsgrenze gelegen sei. Strittig ist die Frage, ob der Beschwerdeführer trotz der in diesem Ausmaß ausgeübten Tätigkeit als arbeitslos anzusehen ist oder nicht.

Diese Frage hat die belangte Behörde zu Unrecht verneint.

2.2.1. Zwar übt der Beschwerdeführer eine selbständige Erwerbstätigkeit aus, weil nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes selbständige Erwerbstätigkeit der Inbegriff der in persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit verrichteten Arbeitsleistungen ist, die die Schaffung von Einkünften in Geld oder sonstigen Gütern bezweckt. Hiebei ist es rechtlich belanglos, ob dieser Zweck regelmäßig erfüllt und in welchem Ausmaß er erreicht wird (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 4. Juli 1985, Zl. 83/08/0195 = ZfVB 1986/2/677, auf welches unter Heranziehung des § 43 Abs. 2 VwGG hingewiesen wird, sowie die dort zitierte Vorjudikatur).

2.2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des eingangs zitierten § 12 Abs. 6 AlVG in der anzuwendenden Fassung gilt aber ein selbständig Erwerbstätiger auch dann als arbeitslos im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG, wenn er aus einer solchen selbständigen Erwerbstätigkeit bloß ein Einkommen erzielt, das unter der Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG liegt. Dadurch, daß die belangte Behörde diese Bestimmung bei ihrer rechtlichen Beurteilung außer Acht ließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Zwar hat die belangte Behörde nach der - oben im Wortlaut wiedergegebenen - Bescheidbegründung die Beurteilung der Auswirkung der selbständigen Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld auch in einen Zusammenhang mit der Frage gestellt, ob der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitraum angesichts seiner Tätigkeit vermittelbar im Sinne des § 9 AlVG gewesen ist. Indes ist der Bescheid auch so betrachtet inhaltlich rechtswidrig, weil die Arbeitswilligkeit nur von der subjektiven Bereitschaft des Leistungswerbers zur Annahme einer durch das Arbeitsamt vermittelten zumutbaren Beschäftigung abhängt, nicht aber davon, ob der Betreffende angesichts seiner während der Arbeitslosigkeit (zulässigerweise) ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit eine weitere Arbeit annehmen könnte oder ob er gezwungen wäre, im Falle der Arbeitsvermittlung diese Tätigkeit einzustellen. Im übrigen hat es die belangte Behörde, ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsauffassung, verabsäumt, Feststellungen über das Vorliegen dieser subjektiven Arbeitswilligkeit zu treffen.

2.3. Im Hinblick auf den Umstand, daß die von der belangten Behörde angenommene selbständige Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers das Bestehen einer anspruchsbegründenden Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 iVm Abs. 6 AlVG nicht hindert, erübrigt es sich, auf das Beschwerdevorbringen einzugehen, die Tätigkeit des Beschwerdeführers sei (auch) als eine den Bezug von Arbeitslosengeld nicht ausschließende Ausbildung im Sinne des § 12 Abs. 5 AlVG zu werten.

2.4. Aus diesen Erwägungen folgt, daß der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst, BGBl. Nr. 206/1989.

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