VwGH 88/08/0079

VwGH88/08/007919.5.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kirchner, über die Beschwerde der BM in G, vertreten durch Dr. Klaus Dieter Strobach, Rechtsanwalt in Grieskirchen, Stadtplatz 5, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich vom 16. Dezember 1987, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/3775 141144/Grieskirchen/Ried, betreffend Bemessung des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §21 Abs1;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;
AlVG 1977 §21 Abs1;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.810,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 24. April 1987 sprach das Arbeitsamt Grieskirchen aus, daß der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Antrages auf Arbeitslosengeld vom 5. Jänner 1987 gemäß § 21 in Verbindung mit den §§ 20 und 17 AlVG das Arbeitslosengeld ab 5. Jänner 1987 nach Lohnklasse 5 mit einem Familienzuschlag im Gesamtbetrag von S 73,60 zuerkannt worden sei. Nach der Begründung wurde der Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes ein monatlicher Bruttoverdienst von insgesamt S 3.247,33 für Dezember 1986 zugrunde gelegt.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit dem angefochtenen Bescheid teilweise stattgegeben und ausgesprochen, daß der Beschwerdeführerin das Arbeitslosengeld gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ab dem 5. Jänner 1987 in der täglichen Höhe von S 86,80 gebühre. In der Begründung ging die belangte Behörde zwar von einem der Beschwerdeführerin im Dezember 1986 zustehenden Anspruch auf ein Entgelt von S 13.081,-- brutto aus, vertrat jedoch den Standpunkt, daß gemäß § 21 Abs. 1 AlVG in der ab 1. Juli 1987 gültigen Fassung der Novelle BGBl. Nr. 290/1987 für die Festsetzung der Lohnklasse das Entgelt der letzten sechs Kalendermonate vor dem ersten Tag der zuletzt eingetretenen Arbeitslosigkeit bzw. vor dem Ende der Versicherungspflicht maßgebend sei. Durch die geänderte Rechtslage seien nunmehr bei monatlicher Auszahlung die letzten sechs Kalendermonate für die Berechnung der Leistungshöhe heranzuziehen. Unter Einbeziehung der Entgeltsansprüche der Beschwerdeführerin vom Juli bis November 1986 und der anteiligen Sonderzahlungen ergebe sich eine monatliche Bemessungsgrundlage von S 4.962,41. Dieser Bemessungsgrundlage entspreche gemäß § 21 Abs. 3 AlVG in der Lohnklasse 12 ein täglicher Arbeitslosengeld-Anspruch von S 86,80 (einschließlich eines Familienzuschlages).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin hätte die am 1. Juli 1987 in Kraft getretene Änderung des § 21 Abs. 1 AlVG bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden dürfen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 21 Abs. 1 AlVG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 290/1987 lautete:

"Der Grundbetrag des Arbeitslosengeldes wird nach Lohnklassen bemessen. Für die Festsetzung der Lohnklasse ist das Entgelt im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) maßgebend, auf das der Arbeitslose in den letzten vier vollen Wochen seiner arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung Anspruch hatte. War das Entgelt nach Monaten bemessen, so ist das Entgelt des letzten vollen Monates heranzuziehen. Zeiten, in denen der Arbeitslose infolge Kurzarbeit oder Erkrankung (Schwangerschaft) nicht das volle Entgelt bezogen hat, sowie Teile von Wochen oder Monaten bleiben bei der Berechnung des für die Festsetzung der Lohnklasse maßgebenden Entgeltes außer Betracht. Sind keine vollen Wochen bzw. ist kein voller Monat vorhanden, so ist für die Festsetzung der Lohnklasse das Entgelt der letzten 28 Tage arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung maßgebend. Unter dem Ausdruck '28 Tage' ist ein Versicherungszeitraum von 28 Tagen zu verstehen.

Bei der Ermittlung des für die Festsetzung der Lohnklasse maßgebenden Entgeltes sind Sonderzahlungen im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) anteilsmäßig zu berücksichtigen."

Diese Bestimmung erhielt durch Art. I Z. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 5. Juni 1987, BGBl. Nr. 290, das seinem Art. IV Abs. 1 zufolge am 1. Juli 1987 in Kraft getreten ist, folgende Fassung:

"Der Grundbetrag des Arbeitslosengeldes wird nach Lohnklassen bemessen. Für die Festsetzung der Lohnklasse ist das Entgelt im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) der letzten 26 Kalenderwochen (182 Kalendertage) bzw. bei monatlicher Auszahlung das Entgelt der letzten 6 Kalendermonate vor dem ersten Tag der zuletzt eingetretenen Arbeitslosigkeit bzw. vor dem Ende der Versicherungspflicht maßgebend. Sonderzahlungen im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) sind anteilsmäßig zu berücksichtigen. Zeiten, in denen der Arbeitslose infolge Kurzarbeit oder Erkrankung (Schwangerschaft) nicht das volle Entgelt oder wegen Beschäftigungslosigkeit kein Entgelt bezogen hat, bleiben bei der Berechnung des für die Festsetzung der Lohnklasse maßgebenden Entgeltes außer Betracht. In diesem Fall ist das Entgelt durch die Zahl der Versicherungstage zu teilen und mit 30 zu multiplizieren. Dies stellt das Monatsentgelt dar."

Nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A, hat die Rechtsmittelbehörde - dies gilt in gleicher Weise auch für jede andere behördliche Entscheidung - im allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden. Eine andere Betrachtungsweise wird dann geboten sein, wenn etwa der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, daß "auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden ist". Weiters wird eine andere Betrachtungsweise auch dann Platz zu greifen haben, wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens war. Demnach ist die Frage, welches Recht von der Behörde anzuwenden ist, eine Auslegungsfrage jener Bestimmungen, die den zeitlichen Anwendungsbereich zum Gegenstand haben. Eine solche Regelung kann explizit, z.B. in einer Übergangsbestimmung, erfolgen. Sie kann sich aber auch aus dem Regelungsgegenstand der Norm, um deren Anwendung es geht, implizit ergeben, etwa wenn auf einen bestimmten Zeitpunkt oder einen bestimmten Zeitraum abgestellt wird. Ergibt sich hieraus keine Lösung (im Sinne der Anwendung einer im Entscheidungszeitpunkt der Behörde nicht mehr in Geltung stehenden Rechtsnorm), gilt die Zweifelsregel, daß das im Entscheidungszeitpunkt in Geltung stehende Recht anzuwenden ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Februar 1987, Zl. 86/08/0115, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Auf dem Boden dieser Rechtslage trifft die Ansicht der belangten Behörde nicht zu, daß der Entscheidung über den von der Beschwerdeführerin am 5. Jänner 1987 geltend gemachten Anspruch auf Arbeitslosengeld die Bestimmung des § 21 Abs. 1 AlVG in der ab 1. Juli 1987 geltenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 290/1987 zugrundezulegen sei. Wenngleich die zuletzt genannte Novelle keine Übergangsbestimmungen enthält, gilt dennoch nicht die Zweifelsregel, daß das im Entscheidungspunkt in Geltung stehende Recht anzuwenden sei, weil der Regelungsgegenstand des § 21 Abs. 1 AlVG, nämlich die Art und Weise der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengeldes, insofern zeitpunktbezogen ist, als dabei vom Tag der Geltendmachung des Anspruches auszugehen ist. § 17 Abs. 1 AlVG sieht vor, daß das Arbeitslosengeld, sofern sämtliche Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt sind und der Anspruch nicht gemäß § 16 ruht, ab dem Tag der Geltendmachung gebührt. Die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes erfordert keinen Bescheid, dem Leistungsbezieher ist vielmehr, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld anerkannt wird, gemäß § 47 Abs. 1 AlVG eine Mitteilung auszustellen, aus der insbesondere Beginn, Ende und Höhe des Leistungsanspruches hervorgehen. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist somit - bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen - bereits im Zeitpunkt seiner Geltendmachung verwirklicht. Daraus folgt aber, daß die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Gegebenenheiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auch für die Höhe des Arbeitslosengeldes maßgebend sind. Für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengeldes kommt es daher auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruches an, eine spätere Änderung der Rechtslage ist entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht zu berücksichtigen.

Dies verkannte die belangte Behörde und belastete damit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 19. Mai 1988

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