OGH 10ObS107/24v

OGH10ObS107/24v8.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Siarlidis Huber‑Erlenwein Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Familienzeitbonus, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 21. August 2024, GZ 6 Rs 33/24 f‑15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00107.24V.1008.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Kind des Klägers wurde am 19. Mai 2023 geboren. Der Antrag auf Familienzeitbonus vom 14. September 2023 langte am 15. September 2023 bei der beklagten Österreichischen Gesundheitskasse ein.

[2] Mit Bescheid vom 4. Oktober 2023 wies die Beklagte den Antrag wegen Verspätung ab.

[3] Die Vorinstanzen wiesen das auf Zuerkennung von Familienzeitbonus von 22,60 EUR täglich für den Zeitraum von „25. Mai 2023 bis 21. Juni 2023, sohin in der Dauer von 31 Tagen“ gerichtete Klagebegehren ab. Der Antrag müsse bei sonstigem Anspruchsverlust spätestens binnen 91 Tagen ab dem Tag der Geburt des Kindes gestellt werden. Eine Frist von 121 Tagen ab dem Tag der Geburt gelte nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur für Geburten nach dem 31. Oktober 2023. Für die Annahme einer Regelungslücke bestehe kein Raum. Die Stichtagsregelung stehe auch in der rechtspolitischen Freiheit des Gesetzgebers und begründe keine unsachliche Differenzierung. Gegen die Versäumung der materiell‑rechtlichen Frist sei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[5] 1.1. Nach § 3 Abs 3 Satz 2 FamZeitbG (in der Fassung BGBl I 2016/53) muss der Antrag auf Familienzeitbonus bei sonstigem Anspruchsverlust spätestens binnen 91 Tagen ab dem Tag der Geburt gestellt werden. Diese Frist wurde mit BGBl I 2023/115 (kundgemacht am 12. Oktober 2023) auf 121 Tage verlängert, wobei diese Änderung des § 3 Abs 3 FamZeitbG mit 1. November 2023 in Kraft trat und auf Geburten nach dem 31. Oktober 2023 anzuwenden ist (§ 12 Abs 7 FamZeitbG).

[6] 1.2. Da das Kind des Klägers vor dem 1. November 2023 geboren wurde, ist die Änderung des § 3 Abs 3 FamZeitbG durch das BGBl I 2023/115 nach § 12 Abs 7 FamZeitbG im vorliegenden Fall nicht anzuwenden, sodass der Antrag auf Familienzeitbonus nach § 3 Abs 3 Satz 2 FamZeitbG in der Fassung BGBl I 2016/53 bei sonstigem Anspruchsverlust innerhalb von 91 Tagen gestellt werden musste. Da diese Frist unstrittig nicht eingehalten wurde, war der Antrag somit verspätet, was nach dem Gesetzeswortlaut zum Verlust des Anspruchs führte. Dass der Kläger – wie er in der außerordentlichen Revision behauptet – alle anderen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Familienzeitbonus erfüllt, ändert daran nichts.

[7] 2. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Dies ist hier der Fall.

[8] 2.1. Soweit der Kläger in der außerordentlichen Revision die Berücksichtigung des „eindeutigen Willens des Gesetzgebers“ fordert, nach dem die Änderung des § 3 Abs 3 FamZeitbG durch das BGBl I 2023/115 auch auf Verfahren betreffend Geburten vor dem 1. November 2023 Anwendung zu finden habe, die noch nicht rechtskräftig abgeschlossen seien, übergeht er den äußersten möglichen Wortsinn der genannten Übergangsbestimmung, der die Grenze jeglicher Auslegung bildet (RS0008788).

[9] 2.2. Die vom Kläger geortete Gesetzeslücke, die eine Analogie nahe legen könnte, wäre nur anzunehmen, wenn Wertungen und Zweck der Regelung die Annahme rechtfertigten, der Gesetzgeber hätte einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (RS0008866 [T10, T27]). Anhaltspunkte für eine solche Annahme bestehen aber nicht und werden in der Revision auch nicht nachvollziehbar dargetan.

[10] 3. Eine zeitliche Differenzierung durch eine Stichtagsregelung verstößt nicht grundsätzlich gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz, weil es im Wesen einer Änderung materiell‑rechtlicher Bestimmungen liegt, dass Rechtsfälle je nach dem für maßgeblich erklärten zeitlichen Sachverhaltselement unterschiedlich nach der alten oder neuen Rechtslage behandelt werden. Es steht daher grundsätzlich auch in der rechtspolitischen Freiheit des Gesetzgebers festzulegen, wann eine neue, den Versicherten begünstigende Bestimmung zu gelten hat (RS0117654). Warum – wie der Kläger meint – eine unsachliche Diskriminierung darin liegen soll, dass die Verlängerung der Antragsfrist nicht auch für anhängige Verfahren hinsichtlich vor dem 1. November 2023 erfolgter Geburten normiert wurde, ist allerdings nicht erkennbar, sodass der Anregung des Klägers auf Anrufung des Verfassungsgerichtshofs nicht näher zu treten ist. Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO liegt nicht vor, wenn der Oberste Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rechtsmittelwerbers nicht teilt (RS0116943).

[11] 4. Bei der Frist des § 3 Abs 3 Satz 2 FamZeitbG handelt es sich um eine materiell-rechtliche Frist (RS0132835). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 AVG ist daher schon mangels Vorliegens einer verfahrensrechtlichen Frist im Sinn des AVG nicht möglich (10 ObS 70/94). Die Beurteilung der Vorinstanzen entspricht somit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, sodass der Kläger auch insofern keine Rechtsfrage von im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblicher Bedeutung aufzeigt.

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