European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00079.24K.1008.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Beschluss des Präsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 12. Juli 2024, GZ 8 Ns 20/24x‑2, verletzt § 43 Abs 3 StPO.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:
Die Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck Mag. D* und Dr. O* sind von der Entscheidung über die Beschwerden des Angeklagten in den Verfahren AZ 7 Bs 173/24k und 7 Bs 174/24g des Oberlandesgerichts Innsbruck nicht ausgeschlossen.
Gründe:
[1] Die Staatsanwaltschaft Innsbruck führte zu AZ 25 St 75/24f gegen * D* ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verbrechens der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 und 2 VG und weiteren strafbaren Handlungen subsumierter Taten und brachte am 29. Mai 2024 die Anklage ein (ON 1.16 und ON 28 des Akts AZ 27 Hv 56/24g des Landesgerichts Innsbruck).
[2] Das Oberlandesgericht Innsbruck wies den gegen die Anklageschrift erhobenen Einspruch des Genannten (ON 39) mit – unter Mitwirkung der Richter Mag. D* und Dr. O* gefasstem – Beschluss vom 27. Juni 2024, AZ 7 Bs 155/24p, 7 Bs 162/24t, ab und stellte die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift fest (ON 60).
[3] Bereits mit Schreiben vom 16. Mai 2024 (ON 27 und 31) und vom 24. Mai 2024 (ON 26 und 30) erhob der Angeklagte Einsprüche wegen Rechtsverletzung (§ 106 StPO), in denen er Fehler der Kriminalpolizei anlässlich seiner Vernehmung, nämlich unrichtige Protokollierungen, das Unterbleiben einerseits der Ausfolgung einer Kopie der Niederschrift sowie andererseits seiner Vorführung zum Amtsarzt, behauptete und unter Hinweis auf seine leugnende Verantwortung die Auswertung einer Überwachungskamera eines Supermarktes forderte.
[4] Beide Einsprüche wurden mit Beschlüssen des Landesgerichts Innsbruck, AZ 30 HR 159/24f, vom 1. Juli 2024 (ON 66 [betreffend ON 27 und 31]) sowie vom 2. Juli 2024 (ON 67 [betreffend ON 26 und 30]) zurückgewiesen.
[5] Dagegen richten sich die jeweils am 5. Juli 2024 eingebrachten Beschwerden des Angeklagten (ON 69 betreffend den Beschluss vom 1. Juli 2024 und ON 70 betreffend den Beschluss vom 2. Juli 2024), über die das Oberlandesgericht Innsbruck noch nicht entschieden hat.
[6] Zur Entscheidung über diese istnach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Innsbruck für das Geschäftsverteilungsjahr 2024 (1. Jänner 2024 bis 31. Dezember 2024) dessen Senat 7 in der Besetzung Senatspräsident Mag. K* LL.M. als Vorsitzender und Mag. D* sowie Dr. O* als weitere Mitglieder berufen.
[7] Mit Schreiben vom 11. Juli 2024 legte der Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck Mag. D* den die bezeichneten Beschwerden betreffenden Akt AZ 7 Bs 173/24k und 7 Bs 174/24g des genannten Gerichts dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck zur Entscheidung über die „allfällige“ Ausgeschlossenheit der Richter Mag. D* sowie Dr. O* vor, weil beide Richter an der (ablehnenden) Entscheidung über den Anklageeinspruch des Angeklagten mitgewirkt haben. Nach Ansicht des vorlegenden Richters begründe dieser Umstand jedoch keine Ausgeschlossenheit von der Entscheidung über die gegenständlichen Beschwerden, weil die Mitwirkung an der Erledigung des Anklageeinspruchs in analoger Anwendung des § 43 Abs 3 zweiter Fall StPO nur die Ausgeschlossenheit von der Entscheidung über die Rechtsmittel gegen das (spätere) Urteil – nicht aber von jener über Beschwerden – begründe (ON 5 zu AZ 7 Bs 173/24k und 7 Bs 174/24g).
[8] Mit Beschluss vom 12. Juli 2024, GZ 8 Ns 20/24x‑2, erkannte der Präsident des Oberlandesgerichts Innsbruck auf Ausschließung der Richter Mag. D* und Dr. O* „von den Verfahren zu AZ 7 Bs 173/24k und 7 Bs 174/24g des Oberlandesgerichts Innsbruck“.
[9] Zur Begründung führte der Präsident (unter anderem) aus, dass nach § 43 Abs 3 erster Fall StPO jedes Tätigwerden als Richter des untergeordneten Gerichts Ausschließung als Richter des Rechtsmittelgerichts im selben Verfahren nach sich ziehe. Da der Begriff „erste Instanz“ organisatorisch zu verstehen sei, gelte dies auch für jenen des Rechtsmittelgerichts, weshalb § 43 Abs 3 erster Fall StPO auch in Verfahren zur Entscheidung über Rechtsbehelfe anzuwenden sei. Gemäß dem zweiten Fall des § 43 Abs 3 StPO habe jedes Tätigwerden als Richter eines übergeordneten Gerichts dessen Ausgeschlossenheit als Richter der ersten Instanz zur Folge. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei ein Richter, der über einen Anklageeinspruch und solcherart über die zur Anklageerhebung notwendige Verdachtslage entschieden habe, in analoger Anwendung des § 43 Abs 3 zweiter Fall StPO auch im Rechtsmittelverfahren ausgeschlossen. Da die Richter Mag. D* und Dr. O* bereits über den Anklageeinspruch und somit „organisatorisch“ gesehen in „erster Instanz“ entschieden hätten, der Senat 7 des Oberlandesgerichts Innsbruck in Ansehung der beiden nunmehr bekämpften Beschlüsse des Landesgerichts Innsbruck als Rechtsmittelgericht und somit als „zweite Instanz“ berufen sei, erscheine es konsequent, den dargelegten Grundsatz, wonach ein Richter, der bereits an der Entscheidung über einen Anklageeinspruch mitgewirkt hat, von der Entscheidung über die Rechtsmittel gegen das Urteil ausgeschlossen sei, auch allgemein für jede Rechtsmittelentscheidung nach der Entscheidung über den Anklageeinspruch heranzuziehen.
Rechtliche Beurteilung
[10] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht der genannte Beschluss des Präsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck mit dem Gesetz nicht in Einklang:
[11] Voranzustellen ist, dass die Wahrnehmung von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen (§§ 43 und 47 StPO) eine Kompetenzverschiebung bewirkt und damit in einem Spannungsverhältnis zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B‑VG) und zum – dieses Recht ausgestaltenden – Prinzip der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs 3 B‑VG) steht. Es bedarf daher der (schon durch deren Ausnahmecharakter gebotenen) strikten Auslegung dieser Normen, um die – neben der Unabsetzbarkeit und der Unversetzbarkeit (Art 88 Abs 2 B‑VG) – wesentlichsten Säulen der richterlichen Unabhängigkeit (Art 87 Abs 1 B‑VG) nicht auszuhöhlen (vgl Lässig, WK‑StPO Vor §§ 43–47 Rz 3).
[12] Die Bestimmungen über die Ausschließung und die Befangenheit sind nach ständiger Rechtsprechung zwar analogiefähig, bei der Frage, ob eine (zum Analogieschluss berechtigende) Gesetzeslücke besteht, ist aber im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der entsprechenden Normen ein äußerst strenger Maßstab anzulegen (vgl zuletzt 12 Ns 36/23z mwN; RIS‑Justiz RS0115283 [T5]; Lässig, WK‑StPO Vor §§ 43–47 Rz 5).
[13] Gemäß § 43 Abs 3 StPO ist (soweit gegenständlich relevant) ein Richter eines Rechtsmittelgerichts, wenn er selbst im Verfahren als Richter der ersten Instanz, und ein Richter der ersten Instanz, wenn er selbst als Richter eines übergeordneten Gerichts tätig gewesen ist, jeweils ausgeschlossen.
[14] § 43 Abs 3 erster Fall StPO erfasst jede in einem bestimmten Verfahren in erster Instanz gesetzte (inhaltlich) richterliche Tätigkeit. Da der Begriff der ersten Instanz somit organisatorisch zu verstehen ist, gilt dies auch für den des Rechtsmittelgerichts, weshalb § 43 Abs 3 erster Fall StPO auch in Verfahren zur Entscheidung über Rechtsbehelfe anzuwenden ist. Mit Blick darauf, dass sich die Ausschließungsgründe des § 43 Abs 3 erster und zweiter Fall StPO spiegelbildlich gegenüberstehen, hat (auch) jedes Tätigwerden als Richter eines übergeordneten Gerichts die Ausgeschlossenheit als Richter der ersten Instanz zur Folge (§ 43 Abs 3 zweiter Fall StPO). Richter, die als solche des übergeordneten Gerichts über einen Rechtsbehelf (hier: den den Einspruch gegen die Anklageschrift nach § 213 Abs 2 StPO) entschieden haben, sind somit im erstinstanzlichen Verfahren nach § 43 Abs 3 zweiter Fall StPO ausgeschlossen.
[15] Mangels sachlicher Differenzierbarkeit ist in analoger Anwendung dieser Norm ein Richter, der über den Einspruch gegen die Anklageschrift – und solcherart über die zur Anklageerhebung notwendige Verdachtslage – entschieden hat, auch von der Entscheidung über die Rechtsmittel gegen das ergangene (endgültig über die Verdachtslage absprechende) Urteil „in derselben Sache“ ausgeschlossen (vgl zum Ganzen 13 Os 118/12w; RIS‑Justiz RS0097408 [T1], RS0129712; Lässig, WK‑StPO § 43 Rz 18 f, 28 ff).
[16] Die Beurteilung der Ausgeschlossenheit aufgrund von Vorbefasstheit erfolgt nämlich anhand einer inhaltlichen Betrachtungsweise, sodass für die Frage der analogen Anwendung des § 43 Abs 3 StPO der Entscheidungsgegenstand der jeweiligen Verfahrensabschnitte maßgeblich ist (RIS‑Justiz RS0134430).
[17] Vorliegend ist mit der im Rahmendes Beschwerdeverfahrens vorzunehmenden Prüfung keine solche der gegen den Angeklagten bestehenden Verdachtslage verbunden. Vielmehr beschränkt sich das gegenständliche Beschwerdeverfahren auf die – unabhängig von der Beurteilung des Anklageeinspruchs zu beantwortende – Frage, ob der (nunmehr) Angeklagte im Ermittlungsverfahren aufgrund der von ihm bezeichneten Vorgänge durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt wurde (§§ 106 f StPO).
[18] Da somit eine Vorbefasstheit der beiden genannten Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck mit demselben Entscheidungsgegenstand nicht vorliegt, ist eine durch Analogie zu schließende Lücke in § 43 Abs 3 StPO in der vorliegenden Konstellation nicht auszumachen.
[19] Weil auch unter dem Aspekt des § 43 Abs 1 Z 3 StPO keine Fragen zu beantworten sind, die jenen ähnlich sind, mit denen die betreffenden Richter in „der selben Sache“ anlässlich der Entscheidung über den Anklageeinspruch bereits befasst waren (vgl dazu RIS‑Justiz RS0124109 [T2]; 12 Ns 53/10f, 12 Ns 67/15x, 12 Ns 61/23a; Lässig, WK‑StPO § 43 Rz 31a mwN), sind die Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck Mag. D* und Dr. O* von der Entscheidung über die eingangs bezeichneten Beschwerden nicht ausgeschlossen.
[20] Da die Möglichkeit besteht, dass sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten auswirkt, war sie wie aus dem Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).
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