OGH 13Os118/12w

OGH13Os118/12w22.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. November 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Victor N***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 22 Hv 81/11b des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen den Vorgang, dass der Senatspräsident des Oberlandesgerichts Dr. K***** und der Richter des Oberlandesgerichts Dr. W***** im Verfahren über die Berufungen der Angeklagten als Richter tätig wurden, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 22 Hv 81/11b des Landesgerichts Innsbruck verletzt der Vorgang, dass der Senatspräsident des Oberlandesgerichts Dr. K***** und der Richter des Oberlandesgerichts Dr. W***** im Verfahren über die Berufungen der Angeklagten als Richter tätig wurden, § 44 Abs 1 StPO iVm § 43 Abs 3 StPO.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 18. Jänner 2012, AZ 6 Bs 548/11f (ON 115 der Hv-Akten), wird aufgehoben und wird dem Oberlandesgericht Innsbruck die neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 7. Juni 2011 wies das Oberlandesgericht Innsbruck durch den Senatspräsidenten Dr. P***** als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. K***** und Dr. W***** den Einspruch des Humberto G***** (ON 63) gegen die (wider diesen und Victor N***** erhobene) Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 9. Mai 2011 (ON 55) ab (ON 68).

Mit Urteil vom 18. Jänner 2012 gab das Oberlandesgericht Innsbruck durch den (nunmehrigen) Senatspräsidenten Dr. K***** als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. W***** und Dr. M***** den Berufungen beider Angeklagter (ON 103, 104) gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. September 2011 (ON 93) nicht Folge (ON 115).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht das Tätigwerden des Senatspräsidenten Dr. K***** und des Richters Dr. W***** im Berufungsverfahren mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Zur Beurteilung der Frage, ob Entscheidungen über Rechtsbehelfe (wie zB - hier interessierend - den Einspruch gegen die Anklageschrift) ausschlussbegründend iSd § 43 Abs 3 StPO sind, ist vorweg der Regelungsumfang dieser Norm zu untersuchen. Nach § 43 Abs 3 erster Fall StPO ist ein Richter des Rechtsmittelgerichts (ua) dann ausgeschlossen, wenn er im Verfahren als Richter der ersten Instanz tätig gewesen ist. Diese Gesetzesformulierung könnte die Annahme nahelegen, dass nur die Mitwirkung an der aktuell im Instanzenzug angefochtenen Entscheidung zur Ausschließung führt, was bedeuten würde, dass etwa ermittlungsrichterliche Tätigkeit in derselben Sache nicht ausschlussbegründend wäre. Dass diese Konsequenz dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, zeigt nicht nur der Vergleich mit § 43 Abs 2 StPO, sondern auch der in den Gesetzesmaterialien enthaltene Verweis auf § 69 StPO aF (EBRV 25 BlgNR 22. GP 39), der untersuchungsrichterliches Handeln ausdrücklich anführt (§ 69 Z 1 StPO aF). § 43 Abs 3 erster Fall StPO fasst somit die Fälle des § 69 StPO aF zusammen - wobei aufgrund der durch das StPRG BGBl I 2004/19 und durch das Budgetbegleitgesetz 2009 BGBl I 2009/52 geänderten Normsituation an die Stelle der untersuchungsrichterlichen Tätigkeit das Handeln als Richter im Ermittlungsverfahren im Sinn des § 43 Abs 2 StPO tritt - und dehnt sie dahin aus, dass nunmehr jedes Tätigwerden als Richter des untergeordneten Gerichts die Ausschließung nach sich zieht (wobei stets darauf abzustellen ist, ob die im Verfahren gesetzte Tätigkeit inhaltlich eine richterliche ist). Da somit der Begriff der ersten Instanz organisatorisch zu verstehen ist, muss dies auch für den des Rechtsmittelgerichts gelten, aus welchem Grund § 43 Abs 3 erster Fall StPO auch in Verfahren zur Entscheidung über Rechtsbehelfe anzuwenden ist (zum Ganzen Lässig, WK-StPO § 43 Rz 18 f, 28).

Da die Ausschließungsgründe des § 43 Abs 3 erster und zweiter Fall StPO einander „spiegelbildlich“ gegenüberstehen (EBRV 25 BlgNR 22. GP 39), hat jedes (inhaltliche) Tätigwerden als Richter des übergeordneten Gerichts die Ausgeschlossenheit als Richter erster Instanz nach § 43 Abs 3 zweiter Fall StPO zur Folge.

Richter, die als solche des übergeordneten Gerichts über einen Rechtsbehelf entschieden haben, sind somit im erstinstanzlichen Verfahren nach § 43 Abs 3 zweiter Fall StPO ausgeschlossen. Mangels sachlicher Differenzierbarkeit ist diese Norm auf die (hier aktuelle) Relation zwischen der Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift und jener über die Berufung in derselben Sache analog anzuwenden (Lässig, WK-StPO § 43 Rz 30).

Der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass der Oberste Gerichtshof schon § 69 StPO aF - im Lichte der Bestimmungen des Art 6 MRK - dahin ausgelegt hat, dass ein Richter, der über den Einspruch gegen die Anklageschrift und solcherart über die zur Anklageerhebung notwendige Verdachtslage entschieden hat, im Rechtsmittelverfahren ausgeschlossen ist (14 Ns 9/94, 14 Ns 18/94, 13 Ns 20/03).

Der Vorgang, dass der Senatspräsident des Oberlandesgerichts Dr. K***** und der Richter des Oberlandesgerichts Dr. W***** solcherart trotz Vorliegens eines Ausschließungsgrundes (im Rechtsmittelverfahren) als Richter tätig wurden, verletzt somit § 44 Abs 1 StPO iVm § 43 Abs 3 StPO.

Da nicht auszuschließen ist, dass diese Gesetzesverletzung zum Nachteil der Verurteilten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die diesbezügliche Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO), wobei eine Differenzierung zwischen den Verurteilten nicht geboten ist. Die Bestimmungen über die Ausschließung knüpfen nämlich - soweit hier von Interesse - an ein Tätigwerden in derselben Sache, womit die in Rede stehende Ausgeschlossenheit auf beide Verurteilte gleichermaßen durchschlägt (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 16). In Bezug auf die (hier aktuelle) Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift folgt dies im Übrigen schon aus der in § 214 Abs 2 StPO normierten amtswegigen Prüfungspflicht des Oberlandesgerichts.

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