OGH 10ObS54/24z

OGH10ObS54/24z10.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Annerl und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Sylvia Zechmeister (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Dr. Dagmar Arnetzl, LL.M., Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, Wienerbergstraße 15–19, 1100 Wien, vertreten durch Stingl und Dieter Rechtsanwälte OG in Graz, wegen Kostenzuschuss, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 21. März 2024, GZ 7 Rs 52/23 f‑18, mit dem das Urteil des Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichts vom 13. Juni 2023, GZ 36 Cgs 19/23x‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00054.24Z.0910.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger einen Zuschuss im höchstmöglichen Umfang für seine eingereichte zahnärztliche Honorarnote vom 22. August 2022 im Betrag von 129 Euro für seine in Anspruch genommene parodontale Initialtherapie zur Vor- und Akutbehandlung einer Zahnfleischerkrankung bei Grad 3 oder Grad 4 bei der parodontalen Grunduntersuchung (BGU) laut ÖGP (Befundblatt), entsprechend der im Anhang 2 Teil A Zahl 5 der Satzung 2020 der Österreichischen Gesundheitskassen, nach der vierten Änderung und deren Inkrafttreten am 1. Jänner 2022 zu gewähren, wird abgewiesen.“

Der Kläger hat die Kosten des gesamten Verfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Beklagte dem Kläger einen Kostenzuschuss für eine von der Prophylaxeassistentin des behandelnden Zahnarztes durchgeführte Parodontalbehandlung zu leisten hat.

[2] Der Kläger leidet an Parodontitis Grad 3 und 4, bei denen eine therapeutische Intervention im Sinn einer Parodontaluntersuchung und -therapie notwendig ist. Grad 0, 1 und 2 beschreiben eine Gingivitis, das heißt, der Zahnhalteapparat ist damit nicht angegriffen. Bei Grad 3 und 4 ist der Zahnhalteapparat bereits angegriffen.

[3] Der Kläger hatte anlässlich der Untersuchung am 22. 8. 2022 im ersten und vierten Quadranten jeweils entsprechende Taschentiefen, und zwar im Oberkiefer 6 mm und im Unterkiefer 5 mm tiefe Taschen. Die therapeutische Konsequenz war, dass die Zahntaschen gereinigt werden mussten. Der Zahnarzt nahm den klinischen Befund auf. Die Behandlung des Klägers dauerte ca eine Stunde und wurde durch die Prophylaxeassistentin des Zahnarztes durchgeführt.

[4] Mit Bescheid vom 28. 12. 2022 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Kostenzuschuss für die am 22. 8. 2022 durchgeführte Parodontalbehandlung ab.

[5] Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Gewährung eines Zuschusses im höchstmöglichen Umfang für die in Anspruch genommene Parodontalbehandlung.

[6] Die Beklagte hielt dem entgegen, dass eine parodontale Initialtherapie, bei der es sich um eine konservierende, chirurgische Zahnbehandlung handle, ausschließlich von den in § 26 Abs 1 Krankenordnung der Österreichischen Gesundheitskasse taxativ aufgezählten Leistungserbringern [gemeint: Zahnärzt:innen] durchgeführt werden dürfe.

[7] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte, dem Kläger einen Kostenzuschuss „im gesetzlichen Ausmaß entsprechend dem Anhang 2 Teil A Zahl 5 lit a der Satzung 2020 der Österreichischen Gesundheitskasse nach der 4. Änderung“ zu gewähren.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass die Beklagte dem Kläger einen Kostenzuschuss iHv 55,80 EUR zu leisten habe. Rechtlich führte es aus, die verrechnete Leistung habe der Behandlung einer Zahnfleischerkrankung gedient, welche auch den von der Satzung der Beklagen für einen Zuschuss verlangten Schweregrad aufweise. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Krankenbehandlung unzweckmäßig oder nicht notwendig iSd § 133 Abs 2 ASVG gewesen sei und daher bestehe grundsätzlich eine Zuschusspflicht der Beklagten. Der behandelnde Zahnarzt habe den Kläger untersucht, die Diagnose gestellt und die Durchführung der „therapeutischen Intervention“ schließlich an seine Prophylaxeassistentin übertragen, was er gemäß § 24 Abs 3 ZÄG dürfe, sofern die Behandlung von deren beruflichem Tätigkeitsbereich umfasst gewesen sei. Nach § 24 Abs 3 iVm § 84 ZÄG bleibe der Zahnarzt sowohl für die der Prophylaxeassistentin erteilte Anordnung verantwortlich als auch dieser gegenüber aufsichtspflichtig. Selbst wenn nun die Assistentin bei der Ausführung der Anordnung allenfalls ihre Kompetenzen überschritten habe, resultiere daraus noch kein Verlust des Honoraranspruchs des Zahnarztes gegenüber dem Kläger für die unzweifelhaft durchgeführte (notwendige) Zahnbehandlung und damit auch kein Entfall der Zuschusspflicht der Beklagten. Es ergebe sich weder aus § 153 ASVG noch aus § 26 Krankenordnung der Österreichischen Gesundheitskasse noch aus § 32 der anzuwendenden Satzung noch aus deren Anhang 2, dass eine Zuschusspflicht der Beklagten nur dann bestehe, wenn die Leistung vom Zahnarzt selbst erbracht und nicht an Angehörige anderer Gesundheitsberufe (unter der Verantwortung des Arztes) übertragen werde.

[9] Die Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, zur Frage, ob das Unterbleiben der Einholung einer Vorabbewilligung für eine Parodontalbehandlung (laut Satzung der Beklagten) oder ob der Umstand, dass die Behandlung von einer Prophylaxeassistentin – allenfalls unter Überschreitung von deren Kompetenz – durchgeführt wurde, zum Entfall der Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers führe,fehle höchstgerichtliche Judikatur.

[10] Dagegen richtet sich die ordentliche Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[11] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob eine von einer Prophylaxeassistentin durchgeführte Parodontalbehandlung zu einem Entfall der Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers führt, noch nicht Stellung genommen hat. Sie ist im Übrigen auch berechtigt.

[13] 1. Die Beklagte wendet sich nur noch gegen die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, dass selbst bei Überschreiten der Kompetenzen einer Prophylaxeassistentin deren durchgeführte Parodontalbehandlung zu einer Leistungspflicht der Beklagten führt. Die Frage, ob das Unterbleiben der Einholung einer Vorabbewilligung für eine Parodontalbehandlung (laut Satzung der Beklagten) zu einem Entfall der Leistungspflicht der Beklagten führt, wird von dieser in ihrer Revision nicht mehr releviert und ist somit nicht zu prüfen.

[14] 2.1. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in den Entscheidungen 10 ObS 260/92 und 10 ObS 48/94 unter Bezugnahme auf Mazal (Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung. Eine Untersuchung zum Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung [1992] 260 f mwN) ausführte, kann auf der Basis der Bestimmungen über das ärztliche Berufsrecht ein System der Zurechnung der Tätigkeiten von Ärzten und von Nichtärzten zur objektiven Dimension von ärztlicher Hilfe als krankenversicherungsrechtliche Leistung erstellt werden.

[15] 2.1.1. Das innerste Feld bilden dabei jene Tätigkeiten, deren Verrichtung ausschließlich Ärzten vorbehalten ist. Es handelt sich dabei um jene diagnostischen und therapeutischen Tätigkeiten, die ein umfassendes, mit wissenschaftlichen Methoden erarbeitetes Wissen über den menschlichen Körper und über deren mögliche Veränderungen sowie über die Möglichkeiten, dies zu erkennen und darauf Einfluss zu nehmen, voraussetzen. In diesem Bereich decken sich der sachliche und personelle Aspekt der ärztlichen Berufsausübung.

[16] 2.1.2. In einem weiteren Kreis finden sich jene Tätigkeiten, die zwar in methodischer Hinsicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, die aber materiell nur einen Detailbereich jener für das medizinisch-wissenschaftliche Wissen maßgeblichen Gesamtschau betreffen. Diese Tätigkeiten sind, was ihre Verrichtung betrifft, nicht zwangsläufig mit der Person des Arztes verknüpft; sie sind jedoch Teil der ärztlichen Berufsausübung, wenn sie von einem Arzt verrichtet werden und können daher jedenfalls dann in die objektive Dimension der Krankenbehandlung einfließen, wenn ein Arzt einschreitet. Soweit diese Tätigkeiten auch Nichtärzten offenstehen, können sie der ärztlichen Berufsausübung – und damit der Dimension von ärztlicher Hilfe als Kassenleistung – nur zugerechnet werden, wenn der Nichtarzt zu einem Arzt in einer qualifizierten Verantwortungsbeziehung steht, die sicherstellt, dass die Nichtärzte unter Aufsicht und Anleitung durch den Arzt tätig werden.

[17] 2.1.3. Diese Grundsätze haben in gleicher Weise für die Zahnbehandlung und den Zahnersatz nach § 153 ASVG Gültigkeit (10 ObS 260/92).

[18] 2.2. Zahnbehandlung und Zahnersatz werden gemäß § 153 Abs 3 ASVG als Sachleistungen durch Vertragsärzte, Wahlärzte (§ 131 Abs 1 ASVG), durch Vertragsdentisten, Wahldentisten (§ 131 Abs 1 ASVG), in eigens hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Ambulatorien) der Versicherungsträger (des Hauptverbandes) oder in Vertragseinrichtungen gewährt.

[19] 2.3.1. Grundsätzlich ist die Ausübung der Zahnmedizin und des im ZÄG umschriebenen Tätigkeitsbereichs nur Zahnärzten erlaubt, die die entsprechenden berufsrechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeit erfüllen (§ 4 Abs 1, § 6 ZÄG).

[20] 2.3.2. Der den Angehörigen des zahnärztlichen Berufs vorbehaltene Tätigkeitsbereich umfasst insbesondere die Untersuchung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Krankheiten und Anomalien der Zähne, des Mundes und der Kiefer einschließlich der dazugehörigen Gewebe, die Behandlung sowie die Vornahme operativer Eingriffe im Zusammenhang mit diesen Zuständen (§ 4 Abs 3 Z 1, 3 und 4 ZÄG).

[21] 2.4. Zweck des Zahnarztvorbehalts nach § 4 Abs 3 ZÄG ist es, dass die dieser Berufsgruppe abverlangten qualifizierten Leistungen nur durch Personen erbracht werden sollen, welche die erforderliche Ausbildung absolviert und die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben. Dabei steht der Gesundheitsschutz des Patienten im Vordergrund (Krauskopf in Neumayr/Resch/Wallner[Hrsg], GmundKomm2 § 4 ZÄG [Stand 1. 1. 2022, rdb.at] Rz 13 f unter Bezugnahme auf Wallner, Der Arztvorbehalt und seine Grenzen, RdM 2011, 145).

[22] 2.5.1. Gemäß § 24 Abs 1 ZÄG haben Angehörige des zahnärztlichen Berufs ihren Beruf persönlich und unmittelbar, allenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Angehörigen des zahnärztlichen Berufs oder Angehörigen anderer Gesundheitsberufe, insbesondere in Form von Ordinations- und Apparategemeinschaften (§ 25 ZÄG) oder Gruppenpraxen (§ 26 ZÄG), auszuüben. Sie dürfen sich aber nach Abs 2 leg cit im Rahmen ihrer Berufsausübung der Mithilfe von Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach ihren genauen Anordnungen und unter ihrer ständigen Aufsicht handeln.

[23] 2.5.2. Um als zahnärztlicher Laie, das heißt als jemand, der die zahnärztlichen Berufsvoraussetzungen des ZÄG nicht erfüllt, zahnärztliche Tätigkeiten ausüben zu dürfen, bedarf es einer lex specialis. Eine solche stellt zB § 24 Abs 3 ZÄG dar (Krauskopf in Neumayr/Resch/Wallner[Hrsg], GmundKomm2 § 4 ZÄG [Stand 1. 1. 2022, rdb.at] Rz 14), wonach Angehörige des zahnärztlichen Berufs zahnärztliche Tätigkeiten an Angehörige anderer Gesundheitsberufe übertragen dürfen, sofern diese vom Tätigkeitsbereich des entsprechenden Gesundheitsberufs umfasst sind. Derartige Gesundheitsberufe sind die Zahnärztliche Assistenz (§§ 72 ff ZÄG) sowie die weitere Spezialqualifikation der Prophylaxeassistenz (§§ 84 ff ZÄG).

[24] 3. Es stellt sich somit die Frage, ob eine Parodontalbehandlung bei einer Parodontitis von Grad 3 und 4 nur durch einen Zahnarzt oder auch durch einen Prophylaxeassistenten durchgeführt werden darf.

[25] 3.1.1. Der Tätigkeitsbereich der Zahnärztlichen Assistenz umfasst gemäß § 73 Abs 1 ZÄG die Assistenz bei der konservierenden Behandlung einschließlich Polieren von Füllungen und Desensibilisierung von Zahnhälsen (Z 1), die Assistenz bei der chirurgischen Behandlung (Z 2), die Assistenz bei der prothetischen Behandlung sowie einfache Labortätigkeiten (Z 3), die Assistenz bei der parodontologischen Behandlung (Z 4), die Assistenz bei der kieferorthopädischen Behandlung (Z 5), die Assistenz bei prophylaktischen Maßnahmen einschließlich Statuserhebung, Information und Demonstration von Mundhygiene, Anfärben, Putzübungen, zahnbezogene Ernährungsberatung und Fluoridierung (Z 6), die Anfertigung, Entwicklung und Archivierung von Röntgenaufnahmen (Z 7) sowie die Praxishygiene, Reinigung, Desinfektion, Sterilisation und Wartung der Medizinprodukte und sonstiger Geräte und Behelfe sowie die Abfallentsorgung (Z 8). Sämtliche Tätigkeiten nach Abs 1 leg cit dürfen gemäß Abs 2 leg cit nur nach Anordnung und unter Aufsicht von Angehörigen des zahnärztlichen Berufs oder Dentistenberufs oder von Fachärzten/Fachärztinnen für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie durchgeführt werden. Eine (bloße) Assistenztätigkeit iSd § 73 ZÄG liegt nicht vor.

[26] 3.1.2. Gemäß § 84 Abs 1 ZÄG umfasst die Spezialqualifikation der Prophylaxeassistenz über die Tätigkeiten der Zahnärztlichen Assistenz (§ 73 ZÄG) hinaus die Durchführung von prophylaktischen Maßnahmen zur Vorbeugung der Erkrankung der Zähne, des Mundes und der Kiefer einschließlich der dazugehörigen Gewebe nach Anordnung und unter Aufsicht von Angehörigen des zahnärztlichen Berufs und des Dentistenberufs.

[27] 3.1.3. Nach Anlage 4 Punkt III der ZASS‑Ausbildungsverordnung (BGBl II 2013/283) ist als Qualifikationsprofil der Prophylaxeassistenz die Durchführung folgender präventiver und therapeutischer Maßnahmen vorgesehen: die professionelle Zahnreinigung (bedarfsorientierte Arbeitssystematik), das Herstellen von sauberen Verhältnissen in der Mundhöhle, prophylaktische Maßnahmen (zB Ernährungsfragen, Anleitung zur Interdentalraumreinigung) sowie die lokale Anwendung von zahnhalsdesensibilisierenden Mitteln.

[28] 3.2. Es ergibt sich somit bereits aus dem Wortlaut des § 84 Abs 1 ZÄG, dass die Prophylaxeassistenz zum einen stets nur nach Anordnung und unter Aufsicht von Angehörigen des zahnärztlichen Berufs und des Dentistenberufs tätig werden darf und, wie sowohl der Gesetzeswortlaut als auch die Berufsbezeichnung deutlich ausdrücken, sie nur prophylaktische Maßnahmen ausüben darf. Die einzige in der ZASS‑Ausbildungsverordnung genannte allenfalls als therapeutisch anzusehende Maßnahme ist die lokale Anwendung von zahnhalsdesensibilisierenden Mitteln.

[29] 3.3.1. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts aus den erstgerichtlichen Feststellungen nicht ergibt, dass der behandelnde Zahnarzt die Durchführung der „therapeutischen Intervention“ an seine Prophylaxeassistentin übertragen habe. Es existieren auch keine Feststellungen dazu, ob er sie dabei beaufsichtigte oder zumindest während der Behandlung in der Nähe gewesen war, somit eine entsprechende Kontrolle oder Aufsicht ausgeübt hätte. Die erstgerichtliche „Feststellung“, dass der Zahnarzt diese Tätigkeit an die Prophylaxeassistentin delegieren dürfe, ist eine (den Obersten Gerichtshof nicht bindende) rechtliche Beurteilung.

[30] 3.3.2. Tatsächlich kommt es darauf, ob die Prophylaxeassistentin nach Anordnung und unter Aufsicht des Zahnarztes tätig geworden war, entgegen der Ansicht der Vorinstanzen gar nicht an, liegt doch unabhängig davon eine Verletzung des Zahnarztvorbehalts iSd § 4 Abs 3 ZÄG iVm § 24 Abs 3 ZÄG vor:

[31] 3.3.3. Wie oben bereits ausgeführt, beschränkt sich die erlaubte Tätigkeit einer Prophylaxeassistenz über die Tätigkeiten gemäß § 73 ZÄG hinsichtlich der Zahnärztlichen (bloßen) Assistenz hinaus auf die Durchführung von prophylaktischen Maßnahmen.

[32] 3.3.4. Bei der Behandlung der Parodontitis Grad 3 und 4, bei der eine therapeutische Intervention im Sinn einer Parodontaluntersuchung und -therapie notwendig ist, handelt es sich nicht um eine prophylaktische Maßnahme, sondern um eine zahnärztliche – allenfalls sogar von einem Spezialisten für Parodontologie durchzuführende – Behandlung des erkrankten Zahnhalteapparats, die von der (bloßen) professionellen Zahnreinigung abzugrenzen ist (siehe dazu auch Sparl, [Medizin-]rechtliche Fragen der Zahnmedizin [2009], 41). Die Behandlung des Klägers fällt somit nicht in das Tätigkeitsfeld der Prophylaxeassistenz und darf daher auch nicht von dieser durchgeführt werden, auch nicht nach Anordnung und unter Aufsicht einer Zahnärztin oder eines Zahnarztes.

[33] 4. Diese Kompetenzüberschreitung führt zu einem Entfall der Zuschusspflicht der Beklagten.

[34] 4.1. Nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung besteht ein weitgehender Gleichklang zwischen dem Umfang des sozialversicherungsrechtlichen Krankenbehandlungsanspruchs und den berufsrechtlichen Vorgaben des ÄrzteG (so ausdrücklich 10 ObS 63/13g; 10 ObS 109/16a; jüngst 10 ObS 21/24x Rz 11; vgl auch Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 18 sowie § 135 Rz 5 [Stand 1. 1. 2020, rdb.at] mwN). Der Gesetzgeber des ASVG ging bei der Honorierung ärztlicher Leistungen davon aus, dass ausschließlich in zulässiger Weise erbrachte Leistungen von der Krankenversicherung abzugelten sind (10 ObS 109/16a [ErwGr 3.1]; zustimmend Wallner, Anm zu 10 ObS 109/16a, JAS 2017, 305 [309 f] unter Hinweis darauf, dass der Begriff der „ärztlichen Hilfe“ nach § 135 Abs 1 ASVG als eine der in § 133 ASVG vorgesehenen Pflichtleistungen aus der Krankenbehandlung ärztliche Leistung nach Maßgabe der im ÄrzteG vorgesehenen Voraussetzungen meint). Ausgehend davon hat der Senat bisher eine Kostenerstattung gemäß § 131 Abs 1 ASVG nicht nur im Fall einer den berufsrechtlichen Vorgaben widersprechenden Fachgebietsüberschreitung des behandelnden Arztes (10 ObS 340/98t) oder bei selbständig durch andere Personen als Ärzte durchgeführten Krankenbehandlungen abgelehnt (10 ObS 260/92 [Leistungen eines Zahntechnikers]; 10 ObS 2303/96s [psychotherapeutische Behandlung vor Inkrafttreten der 50. ASVG‑Novelle am 1. 1. 1992, BGBl 1991/676]), sondern einen Kostenersatz auch im Fall eines Verstoßes gegen das Verbot der freiberuflichen Ausübung des ärztlichen Berufs ohne bestimmten Berufssitz („Wanderpraxis“) nach § 45 Abs 4 ÄrzteG unter Hinweis darauf verneint, dass die Erbringung ärztlicher Leistungen außerhalb von Ordinationen oder Krankenanstalten nur in Frage komme, wenn dies gesetzlich ausdrücklich gestattet sei (siehe auch jüngst 10 ObS 21/24x; vgl RS0131108, RS0111593).

[35] 4.2. Im vorliegenden Fall hätte die Prophylaxeassistentin jedenfalls nicht eigenständig die Parodontalbehandlung vornehmen dürfen und hat damit ihre Kompetenz überschritten. Die zum Schutz der Patienten erlassenen berufsrechtlichen Vorschriften sollen nicht dadurch unterlaufen werden, dass sie für die Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers als unerheblich angesehen werden (10 ObS 21/24x Rz 15 unter Verweis auf Wallner, JAS 2017, 310 sowie Schrattbauer, DRdA 2017/29, 291, die zu Recht darauf verweist, dass es für die Frage der Kostenerstattung keine Rolle spielt, ob im Einzelfall tatsächlich Patienteninteressen unmittelbar gefährdet waren). Nach den vorstehenden Erwägungen ist daher eine Kostenzuschusspflicht der Beklagten zu verneinen.

[36] 5. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Zwar entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seiner Rechtsvertretung zuzuerkennen, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt (RS0085871). Ein Kostenzuspruch kommt hier aber nicht in Betracht, weil aus der Aktenlage keine Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers ersichtlich sind, die einen Kostenzuspruch rechtfertigen könnten.

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