European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00021.24X.0416.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger suchte wegen einer Knieverletzung Dr. S*, einen in W* und E* niedergelassenen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, auf, der eine Arthroskopie (Meniskusnaht) empfahl, auf eine zu erwartende lange Wartezeit bei Durchführung der Operation im Landesklinikum B* hinwies und dem Kläger anbot, den Eingriff zeitnah in der Ordination „M*“ in H* durchzuführen.
[2] Die Beklagte lehnte nach Übermittlung eines Kostenvoranschlags für die geplante Operation mit Schreiben vom 22. 3. 2022 die Kostenerstattung mit der Begründung ab, dass Dr. S* am Standort der geplanten Leistungserbringung keinen Ordinationssitz bei der Ärztekammer gemeldet habe.
[3] Für die am 1. 4. 2022 in der Ordination „M*“ erfolgte Operation stellte Dr. S* 742,36 EUR und für die Narkose weitere 60,30 EUR in Rechnung. Bei dem Zentrum in H* handelt es sich um kein Spital oder Krankenhaus, sondern um die Ordination eines niedergelassenen Arztes, die als operative Einheit für Tageschirurgie zertifiziert ist.
[4] Die Beklagte erstattete dem Kläger in der Folge nur den für die Narkose ausgewiesenen Betrag unter Verweis darauf, dass (lediglich) der Anästhesist seinen Ordinationssitz am Ort der Leistungserbringung habe.
[5] Mit Bescheid vom 7. 10. 2022 lehnte die Beklagte eine Erstattung der darüber hinausgehenden Kosten von 742,36 EUR mit derselben Begründung ab.
[6] Dagegen richtet sich die Klage des Klägers mit dem Begehren auf Übernahme der Kosten von 742,36 EUR für die durchgeführte Operation am 1. 4. 2022. Die Beklagte ziehe weder die Person des Arztes noch die Krankenbehandlung im Rahmen seines Fachgebiets in Zweifel, sondern berufe sich alleine darauf, dass ein Arzt nur zwei Berufssitze haben dürfe. Darin liege aber lediglich eine (allfällige) disziplinarrechtlich zu ahndende Standeswidrigkeit, die keinen Ausschluss vom Leistungsrecht gemäß §§ 131, 133 ASVG nach sich ziehe.
[7] Die Beklagte hält dem entgegen, die Kostenerstattung einer Krankenbehandlung gemäß § 131 ASVG setze die Einhaltung der berufsrechtlichen Vorgaben des ÄrzteG durch den behandelnden Arzt voraus. Dr. S* habe als freiberuflich tätiger Facharzt seine Leistung unzulässigerweise außerhalb seiner zwei gemeldeten Berufssitze erbracht.
[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Unter Verweis auf § 133 Abs 1 und 2 sowie auf § 131 Abs 1 ASVG führte es zusammengefasst aus, dem Gesetzgeber sei zu unterstellen, dass er den Kostenersatzanspruch für die Leistung eines Wahlarztes daran gebunden habe, dass dieser nach dem ÄrzteG zulässigerweise als Wahlarzt tätig sein könne. Zwischen den berufsrechtlichen Vorgaben des ÄrzteG und dem Umfang des sozialversicherungsrechtlichen Krankenbehandlungsanspruchs bestehe weitgehender Gleichklang. Nur in zulässiger Weise und innerhalb seines Fachgebiets erbrachte Leistungen des Arztes seien zu entgelten. Die ärztliche Hilfe als Leistung der Krankenversicherung decke sich mit der Ausübung des ärztlichen Berufs in sachlicher und personeller Hinsicht. Die Regelungen über die Kostenerstattung sollten ihrer Intention nach nur den fehlenden, aber an sich möglichen Vertrag mit dem Krankenversicherungsträger ersetzen, nicht aber von anderen Voraussetzungen für eine Leistung auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers befreien. Dazu gehöre auch die nach dem ÄrzteG zu prüfende berufsrechtliche Berechtigung des behandelnden Arztes. Ein freiberuflich tätiger Facharzt habe anlässlich der Anmeldung bei der Österreichischen Ärztekammer frei seinen Berufssitz oder seine Berufssitze im Bundesgebiet zu bestimmen; § 45 Abs 3 ÄrzteG beschränke jedoch die zulässige Anzahl der Berufssitze eines Arztes auf zwei im Bundesgebiet, was nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs B 1229/99 keinen ungerechtfertigten Eingriff in die Erwerbsfreiheit darstelle. Erbringe ein Arzt – wie hier – außerhalb seiner zwei Ordinationssitze Leistungen in einer weiteren Ordination, widerspreche dies den berufsrechtlichen Vorschriften, da er seinen Wirkungsbereich in unzulässiger Weise auf einen weiteren Standort erweitere. Auch ein fallweises „Einmieten“ in fremde Ordinationen sei unzulässig. Freiberufliche ärztliche Tätigkeiten dürften nur sehr eingeschränkt außerhalb einer eigenen Ordinationsstätte erbracht werden. § 45 Abs 2 ÄrzteG gehe davon aus, dass Ärzte ihre Tätigkeit in der oder (etwa bei Hausbesuchen) zumindest von der eigenen Ordinationsstätte aus ausüben. Letztlich komme ein Kostenerstattungsanspruch nach § 131 ASVG damit bei Tätigwerden in fremden Ordinationen bestenfalls dann in Betracht, wenn der betreffende Arzt entweder zulässigerweise als Erfüllungsgehilfe des anderen (diesfalls abrechnenden) Wahlarztes tätig geworden sei oder aber als (selbständiger) Vertretungsarzt selbst den Behandlungsvertrag mit dem Patienten geschlossen habe. Die Operation des Klägers sei damit nicht im Einklang mit den dargestellten berufsrechtlichen Normen erfolgt.
Rechtliche Beurteilung
[10] In seiner gegen diese Entscheidung erhobenen außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[11] 1. Nach der vom Berufungsgericht zutreffend wiedergegebenen ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung besteht ein weitgehender Gleichklang zwischen dem Umfang des sozialversicherungsrechtlichen Krankenbehandlungsanspruchs und den berufsrechtlichen Vorgaben des ÄrzteG (so ausdrücklich 10 ObS 63/13g; 10 ObS 109/16a; vgl auch Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 133 ASVG Rz 18 [Stand 1. 1. 2020, rdb.at] mwN). Der Gesetzgeber des ASVG ging bei der Honorierung ärztlicher Leistungen davon aus, dass ausschließlich in zulässiger Weise erbrachte Leistungen von der Krankenversicherung abzugelten sind (10 ObS 109/16a; zustimmend Wallner, Anm zu 10 ObS 109/16a, JAS 2017, 305 [309 f] unter Hinweis darauf, dass der Begriff der „ärztlichen Hilfe“ nach § 135 Abs 1 ASVG als eine der in § 133 ASVG vorgesehenen Pflichtleistungen aus der Krankenbehandlung ärztliche Leistung nach Maßgabe der im ÄrzteG vorgesehenen Voraussetzungen meint). Ausgehend davon hat der Senat bisher eine Kostenerstattung gemäß § 131 Abs 1 ASVG nicht nur im Fall einer den berufsrechtlichen Vorgaben widersprechenden Fachgebietsüberschreitung des behandelnden Arztes (10 ObS 340/98t) oder bei selbständig durch andere Personen als Ärzte durchgeführten Krankenbehandlungen abgelehnt (10 ObS 260/92 [Leistungen eines Zahntechnikers]; 10 ObS 2303/96s [psychotherapeutische Behandlung vor Inkrafttreten der 50. ASVG‑Novelle am 1. 1. 1992, BGBl 1991/676, und der damit bewirkten Gleichstellung der klinisch psychologischen sowie der psychotherapeutischen Dienste mit der ärztlichen Hilfe]), sondern einen Kostenersatz auch im Fall eines Verstoßes gegen das Verbot der freiberuflichen Ausübung des ärztlichen Berufs ohne bestimmten Berufssitz („Wanderpraxis“) nach § 45 Abs 4 ÄrzteG unter Hinweis darauf verneint, dass die Erbringung ärztlicher Leistungen außerhalb von Ordinationen oder Krankenanstalten nur in Frage komme, wenn dies gesetzlich ausdrücklich gestattet sei. Dem Gesetzgeber sei zu unterstellen, dass er den Kostenersatzanspruch für die Leistung eines Wahlarztes daran gebunden hat, dass dieser nach dem ÄrzteG zulässigerweise als Wahlarzt tätig sein kann (10 ObS 109/16a = RS0131108).
[12] 2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, wonach die Durchführung des operativen Eingriffs in einer fremden Ordination durch den behandelnden Arzt (weder als Erfüllungsgehilfe noch als selbständiger Vertreter des Ordinationsinhabers) und der damit verbundene Verstoß gegen die Berufssitzbestimmungen des § 45 Abs 2 und 3 ÄrzteG den Ersatz der Operationskosten des Klägers entgegensteht, steht mit diesen Rechtsprechungsgrundsätzen im Einklang.
[13] 3. Der Kläger vermag nicht darzulegen, worin der wertungsmäßige Unterschied zwischen der vorliegenden Sachverhaltskonstellation und dem der Entscheidung 10 ObS 109/16a zugrunde liegenden Fall des Verstoßes gegen das Verbot der Wanderpraxis nach § 45 Abs 4 ÄrzteG liegen soll. Der von ihm relevierte Umstand, dass die hier in Rede stehende Behandlung von einem in der Ärzteliste eingetragenen Arzt vorgenommen worden sei, der grundsätzlich sehr wohl innerhalb seines Fachgebiets als Wahlarzt habe tätig werden dürfen, ist nicht entscheidend.
[14] 3.1. Der Senat hat in der Entscheidung 10 ObS 109/16a bereits die alleinige Intention hinter den Regelungen über die Kostenerstattung herausgestrichen, den fehlenden Vertrag mit dem Krankenversicherungsträger zu kompensieren. Von anderen Voraussetzungen für eine Leistung auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers wollen sie nicht befreien. Dazu gehören aber nach dem Gesagten auch die im Berufsrecht der Ärzte festgelegten Vorgaben für die zulässige Leistungserbringung. Nicht nur Berufspflichtverletzungen, die die ärztliche Berufsausübung selbst in Frage stellen, sondern auch solche, die diese im konkreten Fall von vornherein unzulässig machen, stehen damit einer Kostenerstattung entgegen (nicht aber sonstige Verstöße gegen das ärztliche Berufsrecht, wie etwa die Verletzung von Dokumentations- oder Auskunftspflichten; vgl Schrattbauer, Anm zu 10 ObS 109/16a, DRdA 2017/29, 288 [291]). Daraus ergibt sich die bereits angesprochene weitgehende Kongruenz zwischen dem sozialversicherungsrechtlichen Krankenbehandlungsanspruch und den berufsrechtlichen Vorgaben des ÄrzteG.
[15] 3.2. Dies erscheint auch mit Blick darauf sachgerecht, dass die zum Schutz der Patienten erlassenen berufsrechtlichen Vorschriften nicht dadurch unterlaufen werden sollen, dass sie für die Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers als unerheblich angesehen werden (zutreffend Wallner, JAS 2017, 310; vgl weiters Schrattbauer, DRdA 2017/29, 291, die mit Recht darauf verweist, dass es für die Frage der Kostenerstattung demgegenüber keine Rolle spielt, ob im Einzelfall tatsächlich Patienteninteressen unmittelbar gefährdet waren).
[16] 4. Soweit der Kläger sinngemäß moniert, die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts lasse unberücksichtigt, dass bei Durchführung einer (orthopädischen) Operation außerhalb eines Krankenhauses oder Spitals unter Beiziehung eines Anästhesisten zwangsläufig einer der behandelnden Ärzte seine Leistung außerhalb seiner Ordination ausführen müsse, sodass von vornherein Kostenersatz nur für einen Teil der erbrachten ärztlichen Behandlungsleistungen gebühren würde, so nimmt diese Argumentation nicht darauf Bedacht, dass ein als Konsiliararzt nach § 49 Abs 2 Satz 1 ÄrzteG beigezogener Arzt im Rahmen seiner (wohnsitzärztlichen) Tätigkeit keiner eigenen, also von ihm selbst betriebenen Ordinationsstätte iSd § 45 Abs 2 ÄrzteG bedarf (s Wallner, Zulässiger Aktionsradius des Wohnsitzarztes, RdM 2012/135, 214 [220]; dens, JAS 2017, 312 f).
[17] 5. Ob esdem Kläger zumutbar gewesen wäre, mit der Operation noch länger zuzuwarten, ob die Operation an den beiden eingetragenen Berufssitzen des behandelnden Arztes möglich gewesen wäre und ob die Erstkonsultation vor der Operation an einem dieser Berufssitze erfolgte, ist für die Beurteilung des auf Ersatz der Kosten der konkreten Operation gerichteten Anspruchs des Klägers rechtlich unmaßgeblich. Auch sein Vorwurf eines rechtlichen Feststellungsmangels der bekämpften Entscheidung geht damit ins Leere.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)