OGH 10ObS340/98t

OGH10ObS340/98t9.2.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Gerhard Kriegl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karl Dirschmied (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Antonia H*, vertreten durch Dr. Christian Pichler, Rechtsanwalt in Reutte, wider die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara‑Pölt‑Weg 2, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr. Hans Peter Ullmann und Dr. Stefan Geiler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert S 50.000,‑‑) hilfsweise S 11.400,‑- sA (Rekursinteresse S 6.650,‑‑), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Juli 1998, GZ 25 Rs 80/98 w‑16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. April 1998, GZ 47 Cgs 211/97a‑12, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1999:E52948

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.554,88 (darin S 592,48 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 2.436,48 (darin S 406,08 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. In der Zeit vom Juni 1996 bis Juni 1997 ließ sie ihren mitversicherten Sohn Sebastian, geboren am 1. 9. 1986, bei Dr. Rainer E*, einem Facharzt für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie, behandeln. Dr. E* ist deutscher Staatsangehöriger mit Niederlassung in R*, Tirol. Er ist in die österreichische Ärzteliste eingetragen. Dr. E* legte über die kieferorthopädische Behandlung des Sohnes der Klägerin Honorarnote vom 19. 9. 1996 in der Höhe von S 11.400,‑‑. Die Klägerin reichte diese Honorarnote bei der Beklagten zur Vergütung ein. Mit Bescheid vom 31. 7. 1997 lehnte die Beklagte einen Kostenzuschuß für die Behandlung mit der Begründung ab, daß Dr. E* "reine" kieferorthopädische Behandlungen, sohin keine Leistungen aus seinem Fachgebiet der Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie, sondern vielmehr aus dem Bereich der Zahn‑, Mund- und Kieferheilkunde erbracht habe.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin primär die Feststellung, daß die Beklagte schuldig sei, der Klägerin jenen Betrag für die Behandlung ihres Sohnes Sebastian laut Honorarnote Dris. E* zu ersetzen, den sie bei Inanspruchnahme eines Vertragspartners der Beklagten gemäß §§ 131 ff ASVG ausbezahlt bekommen hätte; hilfsweise begehrte die Klägerin die Zahlung des Betrages von S 11.400 sA. Dr. E* sei in die österreichische Ärzteliste eingetragen, somit zu allen Behandlungen berechtigt, zu denen auch ein österreichischer Arzt befugt sei. Bei der an ihrem Sohn vorgenommenen Behandlung habe es sich geradezu um eine "klassische" kieferchirurgische Behandlung gehandelt. Dr. E* sei nach seiner Ausbildung und nach der Definition seines Fachgebietes berechtigt, Formveränderungen, Funktionsstörungen, Erkrankungen und Verletzungen der Hart- und Weichgewebe der Mund‑, Kiefer- und Gesichtsregionen konservativ, zB mit kieferorthopädischen Maßnahmen jeglicher Art, in vollem Umfang zu behandeln.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß bis zum 31. 12. 1998 gemäß Artikel 19b der Richtlinie 78/686/EWG für Ärzte aus EU‑Mitgliedstaaten, die in Österreich das Fachgebiet der Zahn‑, Mund- und Kieferheilkunde ausüben wollen, die Niederlassungsfreiheit außer Kraft gesetzt sei. Ein Facharzt für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie dürfe konservative und kieferorthopädische Leistungen nur dann erbringen, wenn die mund‑, kiefer- und gesichtschirurgischen Leistungen im Vordergrund stehen. Dies sei hier nicht der Fall, weil von Dr. E* eine "reine" kieferorthopädische Behandlung vorgenommen worden sei.

Die Klägerin erwiderte, daß die europarechtliche Argumentation der Beklagten am gegenständlichen Problem vorbeigehe. Dr. E* sei ohnehin nicht Zahnarzt, sondern Facharzt für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie und bereits in die österreichische Ärzteliste eingetragen. Er könne daher sein Fachgebiet in Österreich uneingeschränkt ausüben.

Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab; dem Leistungsbegehren gab es im Umfang von S 6.650,‑- statt, während es das Mehrbegehren von S 4.750,‑- abwies. Dabei ging es von folgenden wesentlichen Tatsachenfeststellungen aus:

Beim Sohn der Klägerin besteht ein Tiefbiß, eine Tendenz zur Rücklage des Oberkiefers und Unterkiefers, ein Engstand im Ober- und Unterkieferbereich bei sowohl transversaler als auch sagittaler Unterwicklung, ein Deckbiß sowie die Tendenz zur Asymmetrie zwischen Ober- und Unterkiefer. Er hatte wegen stark entzündlicher Veränderungen im Bereich der palatinalen Schleimhaut durch den tiefen Biß sowie durch die Deckbißsituation der oberen Front Schmerzen bei jedem Schlucken. Die Gefahr parodontaler Schädigungen insbesondere im Oberkieferfrontbereich durch laufende Lädierung im Schlußbiß bestand ebenfalls. Gleichzeitig wurde ein Knacken in beiden Gelenken mit latenter Schmerzauslösung registriert. Sowohl aus zahnärztlicher als auch aus kieferchirurgischer Sicht war daher eine erste Phase einer kieferorthopädischen Behandlung indiziert.

Bei der kieferorthopädischen Behandlung des Sohnes der Klägerin durch Dr. E* stand die Beseitigung der linksseitigen Lateralisation des Unterkiefers und die Auflösung transversaler und sagittaler Engstände der Kieferbasen, um damit ausreichend Platz für den Durchbruch der bleibenden Eckzähne und Vormahlzähne sicherzustellen, im Vordergrund. Gleichzeitig wurde eine Tendenz zur verstärkten Anteriorentwicklung des Unterkiefers eingeleitet. Die kieferorthopädische Behandlung diente zwei Zielen:

1. Durch die Hebung des Bisses und die begonnene Auflösung der Engstände im Ober- und Unterkiefer wurde eine Wachstumshemmung im Ober- und Unterkiefer minimiert.

2. Durch die kieferorthopädische Behandlung kann eine Normrelation der beiden Kiefer zueinander erreicht werden. Eine sonst sichere orthognath‑chirurgische Maßnahme bei Nichtdurchführung kieferorthopädischer Behandlungsmaßnahmen kann unter Umständen verhindert werden. Der eindeutige retrognathe Typus der Lage des Ober- und Unterkiefers zur vorderen Schädelbasis wird sich allerdings trotz kieferorthopädischer Maßnahmen nicht ganz beseitigen lassen. Nach Erreichen eines ausreichenden Zwischenergebnisses im Hinblick auf die transversale und sagittale Ausformung der beiden Kieferbasen wird eine Retentionsphase anschließen, nach der etwa im Alter von 12 bis 14 Jahren eine weitere kieferorthopädische Behandlung zur Sicherung und Stabilisierung der seitlichen Abstützungszonen zu erfolgen haben wird. Die Entscheidung über allfällige korrigierende chirurgische Maßnahmen wird frühestens nach Ende des Zahnwechsels, d.h. im Alter von ca 15 bis 16 Jahren zu treffen sein.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß Artikel 19b der Richtlinie 78/686/EWG , wie sich aus den Artikeln 1 und 5 der Richtlinie ergebe, lediglich auf Zahnärzte, nicht aber auf das Fachgebiet des Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgen anwendbar sei. Dabei handle es sich um ein eigenes, in der Anlage 23 zur Ärzte‑Ausbildungsordnung im einzelnen umschriebenes Fachgebiet. Dr. E* sei für dieses Fachgebiet in der österreichischen Ärzteliste eingetragen. Er sei daher berechtigt, die von ihm im Rahmen dieses Fachgebietes am Sohn der Klägerin vorgenommenen Behandlungen durchzuführen. Dr. E* habe bei der gegenständlichen Behandlung sein Fachgebiet nicht überschritten, weshalb die Beklagte zur Gewährung eines Kostenzuschusses von S 6.650,‑- nach § 34 Abs 1 und Anhang 4 ihrer Satzung iVm § 153 ASVG verpflichtet sei. Das Feststellungsbegehren sei hingegen unzulässig, weil eine Leistungsklage erhoben werden könne. Ein Anspruch auf Verzugszinsen sei in den Sozialversicherungsgesetzen nicht vorgesehen.

Das Berufungsgericht gab der gegen den stattgebenden Teil des Ersturteils (Zuspruch von S 6.650,‑‑) erhobenen Berufung der Beklagten Folge, hob das Ersturteil in diesem Umfang auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück.

Das Berufungsgericht trat der Rechtsansicht des Erstgerichtes bei, daß der als Facharzt für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie in die Ärzteliste eingetragene Dr. E* zur Berufsausübung in Österreich berechtigt sei (§ 3 ÄrzteG 1984). Daß für Zahnärzte aus EU‑Mitgliedstaaten bis 31. 12. 1998 keine Niederlassungsfreiheit in Österreich bestehe, habe hierauf keinen Einfluß.

Aus § 135 Abs 2 ASVG, der die Auswahl zwischen mindestens zwei "berufenen" Ärzten freistelle, und § 133 Abs 2 ASVG, der normiere, daß die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein müsse, sei im Zusammenhang mit dem ÄrzteG 1984, insbesondere dessen §§ 12, 13, abzuleiten, daß ‑ von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen ‑ nur jene Leistung, die ein Arzt (Facharzt) in seinem Fachgebiet erbringe, eine notwendige Leistung im Sinne des ASVG sein könne.

Daß es bei der ärztlichen Hilfe zu Überschneidungen in einzelnen Fachgebieten kommen könne, liege auf der Hand. Dennoch sei die Beklagte nur dann verpflichtet, eine Wahlarztleistung zu erstatten, wenn die erbrachte Leistung zumindest überwiegend in die Ausübungsbefugnisse des in Anspruch genommenen Facharztes falle, hier also überwiegend in das Fachgebiet der Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie, und nicht (überwiegend) in das Fachgebiet der Zahn‑, Mund- und Kieferheilkunde. Die Frage des Überwiegens könne aber nach den erstgerichtlichen Feststellungen noch nicht abschließend beantwortet werden; daß die gegenständliche Leistung ‑ auch ‑ in das Fachgebiet Dris. E* gefallen sei, genüge nämlich nicht.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil eine erhebliche Rechtsfrage vorliege.

Dagegen richtet sich der "Revisionsrekurs" (richtig: Rekurs) der Klägerin ‑ erkennbar aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ‑ mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs der Klägerin nicht Folge zu geben.

 

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO iVm §§ 46 Abs 1, 47 Abs 1 ASGG; Fink, ASGG 117 f) und berechtigt. Es kann sogleich in der Sache selbst erkannt werden, weil die Streitsache zur Entscheidung reif ist (§ 519 Abs 2 ZPO).

Die Bestimmungen der §§ 131 Abs 1, 135 Abs 1 ASVG geben dem Versicherten die Möglichkeit, bei der Auswahl des ihm zusagenden Arztes über den Kreis der Vertragsärzte des Versicherungsträgers hinaus auch auf niedergelassene Ärzte zu greifen, die in keinem Vertragsverhältnis stehen (Teschner/Widlar, ASVG 767; Binder in Tomandl, SV‑System, 2.2.3.2.1.E; Selb in Tomandl, SV‑System, 5.3.4). Der in Anspruch genommene Nichtvertragsarzt wird im § 135 Abs 1 ASVG als Wahlarzt bezeichnet.

Die Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, nahm für ihren mitversicherten minderjährigen Sohn, der nach den Feststellungen des Erstgerichtes - zusammengefaßt - an gravierenden Formveränderungen und Funktionsstörungen der Kieferregion leidet, im Zeitraum Juni 1996 bis Juni 1997 die Behandlung eines Facharztes für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie als Wahlarzt in Anspruch (§ 131 Abs 1 ASVG). Dabei handelte es sich um den bereits mehrfach genannten Dr. Rainer E*, einem deutschen Staatsangehörigen mit Niederlassung in Österreich, der als Facharzt für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie in die österreichische Ärzteliste eingetragen ist. Durch diese Eintragung ist Dr. E* zur Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt des genannten Sonderfaches in Österreich befugt (§ 3 Abs 1, § 11a ÄrzteG 1984; vgl auch § 4 Abs 1, § 27 ÄrzteG 1998); es handelt sich bei der Eintragung in die Ärzteliste um einen konstitutiven Rechtsakt (Kux/Emberger/Neudorfer/Chlan/Mahn, Ärztegesetz3 Anm 1 zu § 3 und Anm 1 zu § 13).

Fachärzte haben ihre ärztliche Berufstätigkeit ‑ von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen ‑ auf ihr Sonderfach zu beschränken (§ 13 Abs 2 ÄrzteG 1984; vgl auch § 31 Abs 3 und 5 ÄrzteG 1998). Dies bedeutet, daß es Fachärzten klinischer und nichtklinischer Sonderfächer verwehrt ist, zusätzlich zu einer Tätigkeit als Facharzt noch weitere Tätigkeiten außerhalb des jeweiligen Sonderfaches auszuüben (Kux/Emberger/Neudorfer/Chlan/Mahn aaO Anm 1 zu § 13). Das ASVG kennt keine Abgrenzungen der ärztlichen Fachgebiete, sondern setzt sie erkennbar voraus. Dem Gesetzgeber des ASVG ist aber zu unterstellen, daß er bei der Honorierung ärztlicher Leistungen davon ausging, daß nur in zulässiger Weise erbrachte Leistungen von den Krankenversicherungsträgern abzugelten sind, das heißt nur Leistungen, die ein Arzt innerhalb des Fachgebietes erbracht hat, innerhalb dessen er nach seiner Eintragung in die Ärzteliste tätig sein darf. In diesem Sinn sprach der Senat auch schon zu SSV‑NF 6/145 ‑ wenn es auch dort um ein unterschiedliches Problem, nämlich die Leistung eines Nichtarztes ging ‑ aus, daß es verfassungsrechtlich nicht bedenklich erscheint, daß das Gesetz den Kostenersatzspruch daran bindet, daß die Leistung unter der leitenden Verantwortung einer "zur Durchführung der Zahnbehandlung befugten" Person oder Einrichtung erbracht wird. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch der Gesamtvertrag für die Ärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte, abgeschlossen zwischen der Ärztekammer für Tirol und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für (unter anderem) die Beklagte, der in § 10 Abs 2 normiert, daß die vertragsärztliche Behandlung ‑ unter der Voraussetzung, daß sie ausreichend und zweckmäßig sein muß und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf (vgl § 133 Abs 2 Satz 1 ASVG) ‑ alle Leistungen zu umfassen hat, die "auf Grund der ärztlichen Ausbildung" durchgeführt werden können. Die zwischen den vorstehenden Vertragspartnern abgeschlossene Honorarordnung für Ärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte, die gemäß § 30 Abs 1 einen Bestandteil des Gesamtvertrages bildet, sieht in den Besonderen Bestimmungen B.I.1. vor, daß "Fachärzte in der Regel nur Behandlungsfälle ihres Fachgebietes verrechnen" dürfen. Insoweit ist daher dem Standpunkt der Beklagten in der Rekursbeantwortung beizupflichten.

Die erstinstanzliche Argumentation der Beklagten, daß die Niederlassungsfreiheit in Österreich für die in anderen Mitgliedsstaaten diplomierten Zahnärzte nach der Richtlinie 78/686/EWG gemäß Art 168 und Anhang XIX der Beitrittsakte Österreichs längstens bis 31. 12. 1998 aufgeschoben sei (Amtsblatt Nr. C 241 vom 29. 8. 1994; Stadler, Europarecht‑Österreich in der EU, Beitrittsakte, 28 und 36), geht an der Problematik des vorliegenden Falles vorbei. Die Klägerin betonte nämlich ohnehin stets, daß Dr. E* kein Zahnarzt (Facharzt für Zahn‑, Mund- und Kieferheilkunde), sondern Facharzt für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie sei, der bereits in die österreichische Ärzteliste eingetragen sei. Konsequenterweise machte sie auch nie geltend, daß Dr. E* zahnärztliche Leistungen erbracht habe oder zur Erbringung zahnärztlicher Leistungen berechtigt gewesen sei. Hier stellt sich auch nicht die Frage, ob Dr. E* vor dem 1. 1. 1999 befugt gewesen wäre, sich als Zahnarzt in Österreich niederzulassen. Die Niederlassung Dris. E* als Facharzt für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Österreich wurde jedenfalls mit der Eintragung in die österreichische Ärzteliste vollzogen. Im übrigen bekräftigt auch die Beklagte in der Rekursbeantwortung (AS 134), daß für sie stets unstrittig gewesen sei, daß Dr. E* für das Fachgebiet der Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie zur Berufsausübung in Österreich im Sinne des § 3 ÄrzteG 1984 berechtigt gewesen sei. Es bleibt daher im Rekursverfahren nur mehr zu prüfen, ob die erstgerichtlichen Feststellungen ausreichen, um zu beurteilen, ob die hier zur Honorierung anstehenden ärztlichen Leistungen in das Sonderfach der Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie fallen.

Wie schon erwähnt hat sich jeder Facharzt gemäß § 13 Abs 2 ÄrzteG 1984 auf sein Sonderfach zu beschränken. Es ist daher primär nicht zu prüfen, ob die Leistungen eines Facharztes mit seinem Sonderfach "in (irgendeinem) Zusammenhang" oder welche Leistungen "im Vordergrund" stehen, sondern ob sie in jenes Sonderfach fallen, auf daß er sich zu beschränken hat.

Da das ÄrzteG 1984 (wie auch das ASVG) die einzelnen Sonderfächer nicht voneinander abgrenzt, richtet sich der Berechtigungsumfang der jeweiligen fachärztlichen Tätigkeit nach dem entsprechenden Fächerkatalog der Ärzte‑Ausbildungsordnung, BGBl 1994/152 (Kux/Emberger/Neudorfer/Chlan/Mahn aaO Anm 1 zu § 13; 4 Ob 119/90 [RIS‑Justiz RS0051639]). Das Aufgabengebiet der Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie wird in Anlage 23, Pkt A der Ärzte‑Ausbildungsordnung wie folgt definiert:

"Das Sonderfach Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist Teil der Humanmedizin und umfaßt die Erkennung, Prävention, Behandlung, Rekonstruktion und Rehabilitation von angeborenen und erworbenen Formveränderungen und Funktionsstörungen, Erkrankungen und Verletzungen der Hart- und Weichgebe der Mund‑, Kiefer- und Gesichtsregion." Die Mindestdauer der Ausbildung zum Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgen beträgt im Hauptfach drei Jahre (Anlage 23, Pkt B.1). Unter anderem vermittelt die Ausbildung im Hauptfach Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der konservativen und chirurgischen Behandlung von Erkrankungen, Verletzungen, Frakturen, Mißbildungen und Formveränderungen (Anlage 23, Pkt C.3) sowie auf dem Gebiet der operativen und konservativen Behandlung von Dystopien, Fehlanlagen, Mißbildungen und Formveränderungen der Hart- und Weichgewebe des Mund‑, Kiefer- und Gesichtsbereiches (Anlage 23, Pkt C.9). Darüberhinaus umfaßt die Mindestdauer der Ausbildung des Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgen auch eine zweijährige Ausbildung im Pflichtnebenfach Zahn‑, Mund- und Kieferheilkunde (Anlage 23, Pkt B.2.3).

Demgegenüber wird das Sonderfach der Zahn‑, Mund- und Kieferheilkunde zwar in § 20 Abs 1 Z 44 der Ärzte‑Ausbildungsordnung genannt, jedoch das Aufgabengebiet selbst nicht näher definiert, sondern in § 20 Abs 2 auf die Verordnung betreffend die Regelung der Ausbildung zum Zahnarzt, BGBl 1925/381, die gemäß Art 1 BGBl 1986/184 als Bundesgesetz gilt, verwiesen. Das Gesetz betreffend die Ausbildung zum Zahnarzt definiert gleichfalls das Aufgabengebiet des Zahnarztes nicht näher, enthält jedoch in seinem § 8 eine Aufzählung der (auf das Aufgabengebiet hinweisenden) Prüfungsfächer:

1. Zahnerhaltung

2. chirurgische Zahnheilkunde

a. Oralchirurgie

b. Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie

3. prothetische Zahnheilkunde

4. Kieferorthopädie

5. Paradontologie

Die Ärztekammer für Tirol geht in ihrer Stellungnahme vom 23. 5. 1996 (Beilage./1) davon aus, daß bisher keine klare Trennung der Aufgabengebiete der Sonderfächer der Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie einerseits und der Zahn‑, Mund- und Kieferheilkunde andererseits erfolgt sei und daß natürlich Überschneidungen dieser Sonderfächer immer gegeben sein werden. Auch das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales geht in seinen Stellungnahmen vom 26. 1. 1997 (Beilage./3) und 11. 12. 1997 (Beilage./2) davon aus, daß aufgrund der hohen Zahl von insgesamt 44 Fächern der Heilkunde es nicht ausgeschlossen sei, daß Überschneidungen einzelner Sonderfächer in manchen Teilbereichen bestehen. Auch die Beklagte geht in ihrer Rekursbeantwortung von Überschneidungen zwischen den beiden hier relevanten Facharztrichtungen aus.

Die Vielzahl an Sonderfächern und die daraus resultierenden Überschneidungen können aber nicht zum Nachteil des Versicherten ausschlagen. Richtig weist die Rekurswerberin darauf hin, daß fachliche Überschneidungen zwischen mehreren Fachärzten nicht zur "Privilegierung" eines von ihnen führen können. Soweit die Behandlung bestimmter Erkrankungen in die Aufgabengebiete zweier oder mehrerer Fachärzte fällt, kann der Versicherte demzufolge zwischen den Fachärzten der in Frage kommenden Sonderfächer wählen.

Wenn das Erstgericht unter anderem die "Feststellung" traf, daß die gegenständliche Behandlung auch in das Fachgebiet Dris. E* fiel (S 10 des Ersturteils = AS 77), so handelte es sich dabei um keine Tatsachenfeststellung im eigentlichen Sinn, sondern bereits eine Vorwegnahme der (richtigen) rechtlichen Beurteilung. Die eigentlichen Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes zu den einzelnen Leiden des mitversicherten Sohnes der Klägerin und den erfolgten Behandlungsmaßnahmen Dris. E* erlauben aber bereits eine Subsumtion unter das oben definierte Aufgabengebiet des Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgen (Anlage 23 Pkt A der Ärzte‑Ausbildungsordnung). Wie erwähnt hat dieser Facharzt unter anderem Formveränderungen, Funktionsstörungen und Erkrankungen der Kieferregion zu behandeln. Derartige Leiden liegen beim Sohn der Klägerin vor. Das Aufgabengebiet enthält weder eine Beschränkung auf chirurgische/operative Maßnahmen, noch einen Ausschluß bestimmter anderer konservativer Maßnahmen. Die Ausbildung des Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgen im Hauptfach umfaßt ausdrücklich auch die konservative Behandlung von Leiden im Kieferbereich. Der Senat geht daher davon aus, daß die hier (unstrittig) erbrachten kieferorthopädischen Leistungen zum Zwecke der Behandlung der oben im Detail wiedergegebenen Kieferleiden des Sohnes der Klägerin (jedenfalls auch) in das Aufgabengebiet des Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgen fallen (vgl etwa auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch257: Kieferorthopädie = Erkennung, Prophylaxe und Behandlung einer fehlerhaften Stellung der Zähne oder einer veränderten Lage der Kiefer sowie Dysplasien der Zähne und der Kiefer). Bei dieser Sachlage macht die Rekurswerberin zu Recht geltend, daß sich die vom Berufungsgericht und der Beklagten angestellten Überlegungen, ob die erbrachten Leistungen "überwiegend" in das Sonderfach eines Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgen fallen, nicht stellen. Die erbrachten Leistungen fallen nämlich ohnehin zur Gänze in das Sonderfach dieses Facharztes.

Dem Leistungsbegehren der Klägerin wurde daher vom Erstgericht zu Recht (teilweise) stattgegeben; die Höhe des Klagebegehrens war weder im eingeklagten, noch im vom Erstgericht zuerkannten Umfang strittig. Dem Rekurs der Klägerin war daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG

 

Stichworte